cubiculum | Aurelia Flora

  • Ich träume jede Nacht.
    Jede Nacht derselbe Traum.
    Meine Gedanken kreisen,
    und ich träume und denke
    den ganzen Tag.
    Alles nur um festzustellen,
    dass meine Träume reine Illusionen sind.
    Illusionen, die vertrocknen wie Tränen,
    die irgendwann untergehen,
    in den Fluss meiner Träume.


    Sie stand auf Klippen, der Wind spielte an ihrem weißen Kleid und an ihren wilden Locken. Lockte sie und flüsterte ihr leise Versprechungen ins Ohr und weckte eine tiefe Sehnsucht. Weit unter ihr brandete das Meer gegen schroffe graue Felsen. Es war grau mit weißen Gischtkronen, wild und ungezähmt und gleichzeitig so unendlich traurig. Es erstreckte sich bis zum Horizont, füllte die Welt aus. Fern und nah zu gleich. Der Anblick des Meeres schnürte ihr die Kehle zu, sie spürte salzige Tränen auf ihren Wangen. Sie stand da, wie eine Statue, erfüllt von einer Sehnsucht die sie nicht bestimmen konnte. Warum? fragte sie sich und kannte doch nicht die Antwort. Sie wollte sich fallen lassen, dem drängendem Gefühl der Sehnsucht nachgeben und doch blieb sie wo sie war und starrte mit verschwommenem Blick auf die tanzenden Wellen. Nur langsam konnte sie ihren Blick heben und zum Himmel sehen. Wolken bleischwer türmten sich über ihr auf. Ganz sanft legte sich eine warme Hand auf ihre Schulter. Sie folgte der Bewegung und schmiegte sich an den vertraute Körper.
    „Du solltest hier nicht stehen... der Sturm wird bald herein brechen!“ „Ich weiß“, murmelte sie und konnte dennoch den Blick nicht abwenden. Die Sehnsucht war verschwunden, war dem Gefühl von Geborgenheit gewichen. Schweigend blieb sie stehen. „Ich liebe dich“, hauchte eine tiefe Stimme in den Wind. Nun gelang es ihr den Blick zu lösen, sie hob den Kopf und sah in tiefe graue Augen. Sie waren wie das Meer...


    Schwer lag die Nacht über Rom. In ihrem Zimmer drehte sich Flora unruhig in ihrem Bett herum. Seufzte einmal tief und glitt tiefer hinein in ihre Träume. Es heißt Träume spiegeln die Wahrheit wieder, zeigten die Dinge die man nicht sah, oder sehen wollte. Doch würde sie sich am Morgen nicht mehr daran erinnern. Nur das Gefühl der Sehnsucht würde dann wieder da sein und die Verwirrung....

  • Mit Tränen nassem Gesicht warf sie sich auf ihr Bett, versteckte den kopf unter einem Kissen und schluchzte haltlos. Verdammt. Verdammt. Verdammt. Ich hätte das nicht zu lassen dürfen. Das war so Dumm! Nicht nur Dumm, es war… Wenn sie eines konnte dann sich selbst Vorwürfe machen. Sich selbst für ihre Dummheit bestrafen. So war es schon immer gewesen, wenn sie etwas angestellt hatte und sich der Konsequenzen bewusst wurde, konnte sie sich anschließend wunderbar selbst vorwerfen, wie Dumm sie doch war. Wobei ihr dabei immer die Stimme ihrer Mutter in Ohren klang: streng und vorwurfsvoll. So wie es nur Mütter konnten. Sie brauchte nicht ihre Mutter oder Narcissa, die sie darauf hinwiesen, dass sie einen Fehler begangen hatte, nein, meist wusste sie es selbst und diesmal hatte sie sich eine riesen Dummheit geleistet. Sie hatte nicht nur gegen kleine Regeln verstoßen aus Trotz, nein, sie hätte beinahe die Familie verraten, ihre Mutter, ihrer Erziehung und alles andere was man ihr eigentlich ihr ganzes Leben vorgepredigt hatte. Und weshalb? Weil sie sich wie ein dummes kleines naives Kind benahm. Weil sie die Grenzen nicht wahren konnte und eine verdammte Träumerin war. Wo war ihr Sinn für Realismus geblieben? Sie hatte Verpflichtungen gegenüber der Familie. Wusste doch eigentlich was man von ihr erwartete und das alles warf sie weg, weil sie sich wie ein liebestolles Ding aufführte. Aus lauter Frust, Verzweiflung und Wut, trommelte sie mit den Fäusten auf dem Bett herum und erstickte einen Schrei im Kissen. Danach blieb sie völlig reglos liegen, den Kopf noch immer unter dem Kissen. Nur die Tränen konnte sie nicht aufhalten…
    So blieb sie erst einmal liegen, reglos und den Kopf voller Vorwürfe, während in ihrem Körper die Gefühlte tobten. Sie versuchte sich zu beruhigen. Zumindest hatte sie ein wenig Glück, wenn man denn es so bezeichnen wollte. Lysandra war anscheinend viel beschäftigt und platze nicht einfach so in ihr Zimmer und auch Narcissa schien nichts von ihrem kleinen Tobsuchtsanfall mitbekommen zu haben. Was die Vermutung nahe legte, dass ihr Zwilling sich wohl in der Bibliothek vergraben hatte. So konnte sie in aller Ruhe wieder zu Verstand zu kommen und die Signale die ihr Körper ausgesendet hatte zu unterdrücken. Sie würde etwas ändern müssen. Sie durfte es nicht mehr zulassen, dass sie allein mit Cimon war. Sie durfte es nicht zulassen, dass sie ihn so nah an sich heran ließ. Er ist ein Sklave! Er ist ein Sklave! Er ist ein Sklave!, betete sie sich immer und immer wieder vor. Irgendwann würde sie es schon verstanden haben…
    Nach nicht einmal einer Stunde war sie damit fertig sich seelisch zu zerfleischen. Noch einen Moment blieb sie in ihrem Bett liegen, ehe sie sich entschlossen hochstemmte und einen Blick in den Spiegel riskierte. Sie war blass, wirkte angespannt und sie sah verheult aus. Am besten sie ließ die Spuren ihres Kummers schnell verschwinden, nicht das Fragen gestellt wurden, auf die sie selbst keine Antwort hatte. In ihrem Zimmer stand immer eine Waschschüssel und daneben der Krug mit Wasser. Kurzerhand kippte sie den Inhalt in die Schüssel und ruppelte sich dann mit dem kalten Wasser das Gesicht ab. Die Tränen verschwanden und recht schnell hatte sie sich selbst wieder hergerichtet. Die Kohle um ihre Augen herum nachgezogen und mit etwas Rouge verschleiert, dass sie nach wie vor, etwas zu blass war und diese Blässe nicht nur die neueste Mode war. Als sie wieder in den Spiegel sah, sah sie wieder normal aus. Nur Narcissa würde wohl merken das, etwas nicht stimmte. Aber im Augenblick war ihre Schwester nicht da und sie brauchte nicht nach Ausreden suchen. Stattdessen schnappte sie sich eine Schriftrolle, die auf ihrem Tisch lag. Titus hatte ihr die Geschichte über Zwillinge gegeben. Ablenkung war jetzt das was sie brauchte. Sie setzte sich auf die Bank am Fenster, zog die Beine an ihren Körper und versuchte ihre Gedanken in andere Bahnen zu zwingen…

  • LYSANDRA
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    Das Tablett mit kleinen Erfrischungen auf der einen Hand balancierend, klopfte Lysandra mit der freien Hand an die Tür zu Floras cubiculum. "domina Flora?", rief sie gegen das Holz und wartete einen Augenblick, ehe sie die Tür öffnete und das Reich des jüngeren Zwillings betrat. In Überraschung hob sie ihre Augenbrauen, als sie Flora in einem Korbstuhl sitzen sah, die Nase in einer Schruftrolle vergraben. Es war nicht so, dass Flora nie las, aber verglichen mit ihrer Schwester, die es hin und wieder sogar fertig brachte, im gehen zu lesen un dann gegen alles mögliche zu laufen, war es doch eine Seltenheit. "domina, möchtest Du eine Kleinigkeit zu Dir nehmen?", fragte sie und schob das Tablett, auf dem eine Kanne mit verdünntem Saft und eine Schale mit geschnittenem Obst stand, auf einen kleinen Tisch. Sie achtete ganz genau darauf, dass sich die Zwillinge angständig und gesund ernährten.

  • Zuerst wollte es ihr gar nicht gelingen, dass sie sich auf die Schrift konzentrieren konnte. Ihre Gedanken wollten ihr gar keine Ruhe lassen, sondern wollten immer in Richtung Garten abdriften. Sie musste sich regelrecht zwingen, ein Wort immer wieder zu lesen, in der Hoffnung, dass sie dann endlich einmal sich in den Text vertiefen konnte. Eine ganze Weile kämpfte sie ihre Gedanken und Gefühle nieder, ehe es ihr dann irgendwann gelang den ersten Satz zu lesen und danach ging es dann irgendwie einfacher. Sie huschte von Wort zu Wort und bald befand sie sich mitten in den spannenden Abenteuern von Zwillingen die nicht verschiedener hätten sein können. Auf diese weise war es erst einmal leicht, alle Gedanken und Gefühle zu verdrängen, weg zu sperren, doch lang hielt dieser Zustand nicht an, denn Lysandra stand unvermittelt in ihrem Zimmer. Etwas verwundert blinzelte. Wieder einmal konnte sie ihre Schwester verstehen, wenn diese alle um sich herum vergaß, wenn sie ihre Nase in ein Buch steckte. Hatte die Sklavin gar nicht angeklopft?
    „Was?“ fragte sie verwirrt, weil sie ihr gar nicht zugehört hatte. Erst als sie das Tablett betrachtete dämmerte ihr was die Sklavin von ihr wollte. „Später!“ sagte sie dann recht kurz angebunden, in der Hoffnung Lysandra würde sie gleich wieder allein lassen. Mit den Augen suchte sie die Zeile, wo sie unterbrochen worden war. Spätestens jetzt würde die Sklavin merken, dass ihre Laune nicht die Beste war.

  • LYSANDRA
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    War sie zuvor überrascht gewesen, war sie nun eindeutig irritiert. Nicht nur, weil Flora sich ungewohnt knapp und bedeckt hielt, sondern auch, weil sie sich sogleich wieder in ihre Zeilen versenkte. Offensichtlich hatte die domina im Moment nicht die beste Laune. Normalerweise zog sich die Leibsklavin in solchen Augenblick sofort zurück, um den entsprechenden Zwilling in Ruhe zu lassen. Dieses Mal jedoch hielt sie inne, zögerte einige Atemzüge, unsicher darüber, ob sie Flora ansprechen sollte oder nicht - einen Ausbruch wollte sie schließlich auch nicht provozieren - und fasste sich dann doch ein Herz. "Kann ich Dir sonst irgendetwas gutes tun, domina? Du wirkst so...bedrückt...Möchtest du, dass ich nach domina Narcissa suche?"

  • Lysandra war eigentlich eine gute Seele, sie hatte nur wenige Geheimnisse vor der Sklavin, sie war so etwas wie eine große Schwester für sie und Narcissa und aus diesem Grunde auch eine Sonderstellung in ihrem Leben. Sie ließen ihr fast alles durchgehen, ermahnende Worte, Sticheleien, Kritik und herzliche Umarmungen. Es hatte Nächte gegeben die sie sich zu Dritt um die Ohren geschlagen haben, voller Klatsch und Tratsch. Doch gerade jetzt empfand sie die Sorge um sich störend. Sie wollte allein sein, wollte versuchen nicht mehr an das zu denken, was beinahe passiert wäre. Lysandra war irgendwie wie eine lebende Ermahnung ihrer Mutter, die Sklavin würde sie dauerhaft in ihr Zimmer einsperren, wenn sie etwas davon erfuhr und dem armen Cimon vermutlich vierteilen und dann den Hunden zum Fraß vorwerfen. Und das hatte der nicht verdient, er trug keine Schuld an diesem Tohuwabohu ihrer Gefühle. Bei den Göttern, sie wollte es doch auch. Kurz hatte sie wieder das Gefühl seine Hände auf ihrem Körper zu spüren und seine Küsse. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Vorbei war es mit ihrer Ablenkung. Da war sie wieder die Sehnsucht und die Begierde.
    Langsam ließ sie ihre Schriftrolle sinken und sie fixierte aus grünen Augen Lysandra. „Mir geht’s gut“, versicherte sie ihr. „Ich hab nur schlecht geschlafen!“ erklärte sie dann. Eine Notlüge bei der sie nicht rot wurde und durchaus auch zutreffen konnte. Wenn sie schlecht schlief oder zu früh aus dem Bett fiel, konnte sie mitunter unausstehlich sein. Lysandra wusste dies aus eigener Erfahrung und dann war es meist besser, sie in Ruhe zu lassen. Irgendwie brachte sie sogar ein mühsames Lächeln zustande. „Mach dir keine Sorgen!“ meinte sie dann etwas sanfter. „Du kennst mich doch!“ fügte sie noch hinzu.

  • LYSANDRA
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    Genau das war es ja! Lysandra kannte sie. Und deshalb machte sie sich Sorgen um ihren Schützling. Es war im Gesicht der Sklavin zu lesen. Klar und deutlich. Ein widerstreitendes Gefühl, denn sie wusste nur zu gut, dass es nun äußerst gefährlich war, noch weiter auf die Herrin einzugehen. Für gewöhnlich nahmen die Zwillinge ihre Ermahungen, ihren Rat, ihren Trost hin - aber auch die beiden hatten natürlich eine Reizschwelle, auch wenn diese sehr hoch lag. "Ich werde Dich in Ruhe lassen, domina", erklärte sie sanft. "Wenn Du etwas brauchst, dann rufe nach mir!", Und damit machte sie sich auf, das Zimmer zu verlassen - allerdings nicht ohne sich vorgenommen zu haben, nach domina Naricissa zu suchen...Wer konnte einen Zwilling am besten trösten? Natürlich der andere Zwilling.

  • Sie konnte den kritischen musternden Blick von Lysandra auf sich ruhen spüren. Aber sie gab angestrengt vor, das nicht zu bemerken und las scheinbar ungestört weiter. Anscheinend glaubte ihr die Sklavin nicht, aber eine andere Antwort würde sie nicht erhalten. Sie konnte ihr einfach nicht die Wahrheit erzählen, das würde nur unweigerlich Konsequenzen nach sich ziehen, die sie zu vermeiden suchte. Es war nichts passiert und Cimon sollte nicht bestraft werden, weil sie dumm gewesen war.
    Als sich die Tür hinter der Sklavin schloss, ließ sie wieder das Pergament sinken und sie stieß die angehaltene Luft wieder aus. Die innere Anspannung wollte sich jedoch nicht lösen. Die Erinnerungen aus dem Garten kehrten zurück. Mit ganzer Kraft drängte sie diese wieder fort. Seufzend las sie weiter, doch sie hatte den Spaß verloren. Außerdem schweiften ihre Gedanken ständig an. Sie musste etwas unternehmen. Am Besten sie ging ihm aus dem Weg. Nicht dass sie dann wieder Leichtsinnig wurde und etwas sehr unbedachtes tat.

  • Wild klopfte ihr Herz, als sie sich recht verstohlen in die Villa schlich. Hoffentlich sah sie niemand und stellte dann Fragen. Sie hatte das Gefühl, dass man es ihr ansah, was sie getan hatte. Das man deutlich sehen konnte, dass sie nicht mehr unberührt war. Doch ihre Sorge war unbegründet, da die Villa so weitläufig war, schienen gerade alle Sklaven anders wo beschäftigt zu sein und die Familienmitglieder sich gerade nicht in diesem teil des Hauses aufzuhalten.
    Erleichtert atmete sie auf, als sie ungesehen in ihr Zimmer gelangte und sie die Tür hinter sich schließen konnte. Kurz lehnte sie sich an die Tür an, warum nur war sie so nervös? Es war unmöglich, dass jemand mitbekommen hatte, dass sie sich mit Cimon vergnügt hatte. Sie stieß sich ab und machte zwei unsichere Schritte in ihr Zimmer, was sollte sie jetzt machen? Ihr Blick blieb an ihrem Spiegelbild hängen. Sie konnte keinen unterschied zu heute Morgen fest stellen, doch fühlte sie sich anders.
    Recht unvermittelt öffnete Lysandra die Tür und Flora zuckte leicht erschrocken zusammen. Die Sklavin hatte einen Stapel sauberer Kleider über den Arm und musterte sie sofort kritisch. „Du warst im Stall!“ stellte sie trocken fest und Flora starrte sie einen Moment völlig perplex an. Woher wusste sie das? Lysandra runzelte die Stirn, hier stimmte doch etwas nicht. Das merkte sie sofort. Flora benahm sich nicht so wie sie erwartet hatte. Normaler weise hätte sie jetzt eine trotzige Antwort von sich gegeben, stattdessen wirkte sie Schuldbewusst. „Wie kommst du darauf?“ versuchte Flora stattdessen eine Unschuldsmiene aufzusetzen, was ihr nicht gelang. Schlagartig waren da die Selbstvorwürfe, denn Lysandra personifizierte irgendwie ihr Gewissen. Diese war zwar mit fast allen Geheimnissen der Zwillinge vertraut, aber sie billigte deswegen noch längst nicht jeden Fehltritt, auch wenn sie nicht ganz so streng war wie ihre Mutter. Was hatte sie getan? Mit einem Mal fühlte sie sich ganz elend. Sie wich dem bohrenden Blick der Sklavin aus.
    Bei der Leibsklavin schrillten plötzlich alle Alarmglocken. Das Mädchen hatte etwas angestellt, etwas das über die Kinderstreiche hinaus ging. Sie ließ die Aurelia nicht aus den Augen und legte die Kleider auf dem Bett ab. „Dein Kleid ist staubig und voller Falten. So siehst du immer aus, wenn du dich im Stall herum getrieben hast!“ erklärte sie vorsichtig. Was nur ging in ihrer Herrin vor. Was hatte diese getan, dass sie so angespannt war? Vielleicht würde sich Flora ihr ja anvertrauen. Eigentlich glaubte sie das kaum. Aber sie würde gleich zu Narcissa gehen und die Schwester dazu holen. Diese bakm für gewöhnlich alles aus ihrer Schwester heraus.
    „Achso!“ murmelte Flora nur. Kurz sah sie an sich herab. Lysandra hatte recht. Sie sollte sich wohl umziehen. „Ich hab Katzenkinder im Stall entdeckt!“ erklärte sie dann fast zu schnell um die Sorge der Sklavin zu zerstreuen.
    „Am Besten du ziehst dich um… willst du ein Bad nehmen?“ fragte Lysandra dann. Katzenkinder? Das schien nur die halbe Wahrheit zu sein.
    „Ein Bad klingt gut!“, erwiderte Flora dann schon fast zu fröhlich. Spätestens jetzt war Lysandra zu tiefst beunruhigt. Sie kannte die Zwillinge ihr ganzes Leben lang, aber solch eine Reaktion von Flora war nicht nur ungewöhnlich, sondern auch bedenklich. Das Mädchen musste sich in gewaltige Schwierigkeiten gebracht haben. Zur Antwort nickte sie dann nur und eilte erst einmal davon.

  • Flora hatte sich auf ihr Bett geschmissen und starrte nun erst einmal nur ihre Zimmerdecke an. Mit leerem Blick stierte sie schwarze Löcher an die Decke und versuchte den Gefühlen her zu werden, die sie zu überwältigen drohten. Diesmal waren es Angst, Unsicherheit und auch eine ganze Portion Scham. Angst vor Entdeckung, denn sie war sich ziemlich sicher, dass Lysandra ihr nicht glaubte, egal was sie versuchte dieser zu erzählen und das die Sklavin nicht aufgeben würde, bis sie wusste, was ihre Herrin beschäftigte. Unsicherheit, weil sie nicht wusste, was sie nun tun sollte und Scham, weil sie einfach alle Bedenken fortgewischt hatte um mit Cimon zusammen zu sein und weil sie wusste, dass sie die nächste sich bietende Gelegenheit nutzen würde, um seine Nähe wieder zu suchen. Einfach nur, weil er ihr das Gefühl gab, mehr als ein politischer Unterpfand zu sein. Tränen brannten ihr in den Augen und ein trockenes Schluchzen wollte ihrer Kehle entkommen. Dazu kamen noch jede Menge Selbstvorwürfe, die unaufhörlich sie bestürmten. Weißt du was passiert, wenn das raus kommt? Cimon werden sie wie den Sklaven von Celerina behandeln! Auch sie hatte mitbekommen, dass einer der Sklaven wild ausgepeitscht worden war und anschließend hatte man ihn fortgeschickt. Die Gründe dafür kannte sie nicht, es war ihr auch egal, solange es nicht Cimon war, der dies erleben musste. Nur wegen dir, erklang der nächste bittere Vorwurf. Es ist alles deine Schuld. Es liegt in deiner Verantwortung ihm seine Grenzen aufzuzeigen. Du bist hier die Herrin ging es auch sogleich weiter. Sie schluckte trocken. Sie hätte Nein sagen sollen, doch sie hatte es nicht gekonnt. Es gab unzählige Gründe dafür. Aber die tatsche blieb: Ein Nein wäre das Richtige gewesen, anstatt sich im Heu zu vergnügen. Zu vergessen wer sie war, was man von ihr erwartete oder welche Verpflichtungen sie hatte. Und dann hast du es nicht bei einem Mal belassen! Mutter würde dich für immer einsperren! Sie biss sich auf die Unterlippe um die Tränen aufzuhalten.
    „Dein Bad ist fertig!“ riss Lysandra schon fast betont fröhlich Flora aus ihren düsteren Gedanken. Schuldbewusst zuckte sie zusammen, sie hatte gar nicht mitbekommen wie die Tür aufging. Flora brachte so etwas wie ein klägliches Lächeln zustande. „Danke!“ sagte sie nur und wich dem kritischen Blick Lysandras aus. Diese nickte nur stumm und folgte ihr ins Bad.

  • Später Morgen. Es war schon fast Mittag, die Sonne stand hoch über der Stadt, doch in Floras Zimmer herrschte noch bergendes Zwielicht, als Narcissa durch die Verbindungstür das Zimmer ihrer jüngeren Schwester betrat. Ihr Blick glitt hinüber zu dem Bett, auf dem eine Erhebung unter einer leichten Decke und eine Flut dunkler Haare auf weißem Kissen Floras Körper anzeigten. Ein gewohnter Anblick. Rasch ging sie hinüber, schlüpfte zu ihrem Zwilling unter die Decke und versuchte sie sanft zu wecken. "Flora", flüsterte sie (obschon es wesentlich wirkungsvoller gewesen wäre, hätte sie in Normalslautstärke gesprochen) und stupste die Aurelia an. "Flooooooooraaaaa! Komm, wach auf! Es ist schon spät und du willst doch nicht den ganzen Tag verschlafen, du Siebenschläfer, du!"

  • Tief in Decke und Kissen eingekuschelt und zusammen gerollt, schlief sie den Schlaf der Seeligen. Am frühen Morgen war ohnehin nichts mit ihr anzufangen, da war sie meist unausstehlich und wollte auch niemanden sehen. Wobei es eine Ausnahme gab, ihre Schwester würde sie nicht angiften, weil diese sie weckte. Denn Narcissa war meist rücksichtsvoll. So auch an diesem Morgen.
    Als Flora spürte, wie jemand unter ihre Decke schlüpfte machte sie fast automatisch ein wenig platz, nur um sich dann an ihre Schwester zu kuscheln. „Mhm“, kam der übliche Protest, als ihr Ebenbild sie ansprach. „Ist doch noch viel zu früh…“, nuschelte sie ins Kissen, schlug dann aber die Augen auf um ihre Schwester an zu lächeln. „Guten Morgen… ich und Siebenschläfer? Niemals…“ Für ihre Verhältnisse war sie wirklich einmal gut gelaunt. "Wie kann man nur so früh schon so wach sein.. und wir sind wirklich Schwestern?"

  • Narcissa lachte leise auf. Es stimmte, dass sie sich, bei allen Gemeinsamkeiten, auch unterschieden. Manchmal waren sie mehr Schwestern als Zwillinge, die ganz andere Interessen und Verhaltensmuster aufwiesen. Während Narcissa zumeist sehr früh auf den Beinen war, neigte Flora dazu ausgiebig auszuschlafen.
    "´Guten Morgen´ und ´früh wach sein´? Es ist schon fast Mittag Schwester!", Sie knuffte sie sanft. "Soll ich eine der Sklavinnen rufen, damit sie die Vorhänge aufziehen und du es sehen kannst?" Sie wollte sie nur ein wenig necken. Nicht zu sehr, denn Floras Laune - normalerweise eher ein Morgenmuffel - war als eindeutig ausgezeichnet zu bezeichnen.

  • Auch wenn es oftmals nicht den Anschein hatte, Flora und Narcissa waren nun einmal eigenständige Persönlichkeiten, auch wenn sie sie Äußerlich bis in die Haarspitzen gleich aussahen. Es fiel vielen Leuten schwer sie auseinander zu halten und selbst einigen Familienmitgliedern gelang es nicht immer. Verdutzt blinzelte sie, als Narcissa sie aufklärte, es wäre schon fast Mittag. „Ist nicht dein ernst?“ sie schlüpfte aus dem Bett um sich selbst davon zu überzeugen. Als sie die Vorhänge aufzog musste sie erst einmal gegen den Sonnenschein blinzeln. „Du hast recht…“, murmelte sie verwundert. Sie hatte doch tatsächlich den halben Tag verschlafen. Warum Lysandra sie nicht aus dem Bett geschmissen hatte? Leise seufzte sie und setzte sich dann zu ihrem Ebenbild auf das Bett. „Hast du Pläne für den Tag?“ fragte sie ihre Schwester voller Tatendrang. „Wie wäre es, wenn wir versuchen bei einer der Factiones einen der Fahrer zu überreden uns auf seinem Wagen mitzunehmen?“ Diese Idee hatte sie ja mit Tiberia Faustina ausgeheckt. „Wir müssten nur bei der Villa Tiberia vorbei gehen und noch jemanden abholen!“ Ein Verschwörerlächeln zeigte sich auf ihren Zügen. Narcissa würde sie sicherlich nicht enttäuschen und mitkommen wollen.

  • Narcissa beobachtete, wie Flora zu einem der Fenster hinüber ging und den Vorhang beiseite schob. Ein heller Lichtstrahl fiel in das Zimmer und durchschnitt die Dunkelheit. Auch Narcissa, deren Augen sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, musste blinzeln, so hell war es auf einmal.
    Ihre Schwester kam zurück. Pläne. Pläne hatte sie noch keine, als jedoch Flora ihren Vorschlag vorbrachte, zog sie kritisch eine Braue in die Höhe. Sie beide - nein, sie drei - , Fahrer, Wagen...das konnte nur Ärger geben. Und Flora wusste das auch. Es war ihnen schon nicht möglich selbst zu reiten. Narcissa beschloss ihre Antwort noch hinauszuzögern, bis sie sich sicher war, was sie den Vorzug geben sollte: Vernunft oder Gefühl!
    "Mutter hat uns geschrieben...", sagte sie und hielt ihr eine versiegelte Schriftrolle hin.

  • Narcissa sah sie reichlich zweifelnd an, als sie ihr erklärte, was sie vorhabe. Flora wusste, das Narcissa meist die vernünftigere von ihnen Beiden war und dass sie ihre Schwester jetzt nur mit den richtigen Worten locken musste. „Es kann uns nichts passieren, versprochen! Wir müssen ja nicht im halsbrecherischen tempo herum fahren, sondern einfach nur einmal ausprobieren wie das ist. Tiberia Faustina, ich hab sie erst kürzlich kennen gelernt, ihr Vater ist bei der Factio Purpurrea, hat mich auf die Idee gebracht. Wir kommen doch sonst nicht dazu, etwas Lustiges zu unternehmen“, erwartungsvoll und begeistert sah sie ihre Schwester an. Ein breites Grinsen zierte ihre Züge, welches jedoch schnell verblasste, als Narcissa ihr mitteilte, dass ihre Mutter geschrieben hat. Ob sie wissen wollte, was ihre Mutter schrieb? Über kurz oder lang blieb ihr ja keine andere Wahl. Also seufzte sie. „Was hat sie geschrieben?“ fragte sie leicht resigniert nach. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es nur wieder dieselben Vorwürfe und Ermahnungen sein würden.

  • Ihr Ebenbild wusste nur zu gut, wie sie Narcissa zu beeinflussen hatte, um sich letztendlich durchzusetzen - indem sie ihr aufzeigte, dass es gar nicht sooooo gefährlich werden würde, wie sie, Narcissa, es sich selbst ausmalte. Hinterher stellte sich das meiste dann aber als noch unvernünftiger und halsbrecherischer vor als in ihren anfänglichen Vermutungen. Auch wenn sie es dieses Mal tatsächlich reizte - wann erhielt man denn schon so eine Gelegenheit?! - hielt sie sich weiterhin bedeckt und brach stattdessen das Siegel, welches die Rolle zusammen hielt. Das Material knisterte leise, als sie es in die Länge zog und entknitterte.


    "Meine liebsten Töchter", begann Narcissa die Worte zu intonieren und musste bereits bei der ersten Zeile schmunzeln. Manchmal war sie sich nicht so sicher ob ihrer beider Mutter tatsächlich so viel Liebe für ihre zum Teil recht widerspenstigen Mädchen empfand.
    "....große Ereignisse werfen ihren Schatten voraus. Leider geht es eurem Bruder immer noch nicht besser. Die Ärzte sind ratlos und ich verzweifelt! Es scheint, als würde er jeden Tag schwächer werden. Ich fürchte fast, er hat bereits den Kampf aufgegeben. Erst nahmen mir die Götter meinen Mann und nun scheinen sie auch euren Bruder zu sich zu rufen. Jeden Tag bete ich für ihn und bitte die Laren um Hilfe, doch scheinen sie mich nicht zu erhören. Fast könnte man meinen sie würden uns zürnen, doch dafür haben sie keinen Grund. Oder benehmt ihr euch nicht anständig? Bereitet ihr der Familie etwa Schande? Eigentlich vermag ich so etwas gar nicht zu glauben! Ihr seid schließlich wohlerzogen."


    - "Wie kommt sie nur immer darauf, dass wir für alles verantwortlich sind, das nicht nach ihren Wünschen läuft?!", Narcissa schnaubte. Dass Orest so krank war, empfand sie als tragisch, aber nicht so tragisch wie es für sie als seine Schwester eigentlich hätte sein müssen. In Wirklichkeit fühlte sie sich dem Mann nicht sehr verbunden, hatten sie auch kaum Zeit miteinander verbracht. Da hatte sie ja selbst ihren Cousin Titus, Tiberius und selbst Marcus öfter gesehen. Hatte sie vielleicht etwas von der Sicht der Claudia übernommen, gegen welche sie Orest hatte verteidigen müssen? Sie hatte es zwar nicht ausgesprochen, aber ihre Schilderung des Verhältnisses zwischen den Geschwistern hatte ihm nicht zur Ehre gereicht.


    "Nun da euer Bruder krank dar nieder liegt, ist es an euch, die Familienehre hoch zu halten. Und so erwarte ich von euch Beiden, dass ihr eure Pflicht erfüllt. Ihr seid Aurelia und eure erste Pflicht ist die Verantwortung gegenüber der Familie. Ich möchte also, dass ihr euch meinen und den Wünschen eure Bruders, ohne euch zu beklagen, fügt. Nicht das ihr so endete wie Aurelia Laevina. Ich bin noch immer fassungslos, dass sie vergessen hat, welche Verantwortung sie gegenüber der Familie hat. Dass sie unsere Ehre so sehr mit Füßen tritt und unseren Ruf beschmutzt. Ich habe schon immer gesagt: Liebe macht blind und die Liebe vergeht ebenso schnell wie sie gekommen ist. Eine Ehe muss auf Vernunft und gegenseitigem Respekt aufgebaut werden. Von daher werde ich nicht zulassen, dass ihr euch ein schlechtes Vorbild an dieser Person nehmt. Früher oder später wird sie ihre Entscheidung bereuen und eines Tages vielleicht Einsicht zeigen, doch ich kann solch einen Fehler bei euch nicht dulden. Die Zukunft unserer Familie liegt in euren Händen."


    Ein rascher bedeutender Blick zu Flora. Woher wusste die alte Dame von dem Schicksal der Aurelia? Was war überhaupt geschehen? "Weißt du da irgendetwas darüber? Von was spricht sie?"


    "Ich wünsche mir von euch, dass ihr euch dieser Verantwortung bewusst seid und meine Wünsche eurer Zukunft betreffend respektiert. Ich habe mich lange mit euren Bruder beraten. Narcissa, Corvinus wird in der Zwischenzeit bereits mit dir gesprochen haben. Wir beide - dein Bruder und ich - erachten es als eine große Ehre für die Familie, würde man dich in die Priesterschaft der Vesta aufnehmen. Ich bin mir sicher, dass er dir helfen wird, diesen Weg zu beschreiten. Und was dich betrifft, meine Flora, so möchte ich, dass du deinen Platz an der Seite eines großen Mannes einnimmst. Sei es nun an der Seite des Tiberius Durus (was sich Aurelia Laevina auch immer gedacht haben mag, diesen zu verlassen) einem einflussreichen und verantwortungsbewussten Mann oder einem ähnlich viel versprechenden Kandidaten. Ich bin mir sicher, Ursus wird in dieser Hinsicht die richtige Entscheidung treffen. Ich möchte es Corvinus nicht zu muten, dass er sich euch Beiden annimmt. Er hat bereits genügend Verpflichtungen und Sorgen. Außerdem dürfte es euch gut tun, wenn ihr getrennt die ersten Schritte in die Zukunft macht. Dies mag euch nun ungerecht erscheinen, aber ihr wusstet, dass dieser Tag kommen würde. Ich will nur das Beste für euch.


    Eure euch liebende Mutter Lucilla


    PS: Ich werde Ursus einen Brief mit der Bitte zukommen lassen, er möge sich um dich kümmern, so lange euer Bruder noch so geschwächt ist.
    PPS: Dasselbe gilt natürlich auch für Corvinus. Auch wenn er es war, der mit dir gesprochen hat, so sei dir bewusst Narcissa, dass es der Wunsch Orests und mir ist."


    Narcissa ließ den Brief in ihren Händen sinken. Die Wünsche ihre Mutter, zumindest was ihre Zukunft betraf, waren ihr nicht neu. Doch dieses Mal empfand sie nicht den Drang zum Trotz. Sie hatte ihre Entscheidung unlängst gefällt und keine Gefangenen gemacht. Nur Flora wusste davon nichts. Sie hoffte nur, dass sie zu sehr mit den an sie selbst gerichteten Zeilen der Mutter beschäftigt sein würde....

  • Flora kannte das glitzern in den Augen ihrer Schwester, auch wenn diese noch nicht ihre Zustimmung zu diesem Abenteuer gegeben hatte, hatte sie ihre Schwester doch schon so weit gelockt, dass diese einfach nicht mehr nein sagen konnte. Im Grunde stand diesem Ausflug in die Stallungen einer Factio nichts mehr im Wege, jetzt mussten sie nur noch einen Fahrer finden, der diesen Spaß auch mitmachte. Aber ein paar Sesterzen und ein hübsches Lächeln dürfte sicherlich genügend überzeugend wirken.
    Doch erst einmal stellte sie ihre Pläne hinten an, denn Narcissa erbrach das Siegel und entrollte den recht langen Brief ihrer Mutter. Flora musste seufzen, sie ahnte schlimmes. Schnell rutschte sie neben ihre Schwester um ebenfalls die Zeilen zu lesen, während ihr Ebenbild laut vorlas.
    Schon bei der ersten Zeile runzelte sie leicht die Stirn, sie konnte einfach nicht das Gefühl los werden, dass ihre Mutter konkrete Pläne mit ihnen hatte und auch über diese Entfernung keine Widerrede duldete. Es folgten erst einmal besorgte Zeilen und dann auch noch so etwas wie eine Schuldzuweisung. Eigentlich nichts ungewöhnlich, aber völlig ungerechtfertigt in ihren Augen. „Ich hab keine Ahnung!“ meinte sie zu ihrer Schwester, als diese ihrer Empörung Luft machte. Das Orest so krank war, waren keine gute Nachrichten, aber wirklich traurig konnte sie nicht sein, dazu kannte sie ihren Bruder einfach zu wenig. „Glaubst du es hat damit was zu tun, dass Lysandra als Kobolde bezeichnet?“ fragte sie und zuckte dann mit den Schultern. So schlimm waren sie ja nicht. Eigentlich viel zu gut erzogen, aber den ein oder andren Streich hatten sie schon gespielt. Und das sie sonst auch nicht immer glücklich waren, weil sie im Grunde immer daran erinnert wurden, was ihre Pflichten gegenüber der Familie sind. Sie hatten immer wieder halbherzige Versuche gestartet dem goldenen Käfig zu entfliehen.


    Doch viele Gedanken konnte sie sich nicht machen, schon las Narcissa weiter und hielt nach dem nächsten Absatz inne. Auch auf ihren Zügen zeigte sich Überraschung und sie zupfte ihrer Schwester kurz den Brief auf den Fingern um die Stelle selbst zu lesen. „Sie hat echt überall ihre Spione… davon hab ich auch noch nichts gehört…“ Vor Schreck darüber, dass ihre Mutter anscheinend allwissend war, zog sich ihr Magen zusammen. Ihre Mutter konnte doch nicht alles wissen, oder? Schnell beruhigte sie sich, Lysandra hatte geschworen den Mund zu halten und auch wenn die Beziehung zu der Sklavin derzeit ein wenig unterkühlt war, würde diese ihr Wort nicht brechen. Sie reichte den Brief Narcissa zurück, damit diese weiter vorlesen konnte. Der Schluss des Briefes ähnelte den langen unzähligen Vorträgen, die ihre Mutter bereits öfter schon gehalten hatte, nur hatte sie nun wirklich konkrete Pläne mit ihren Töchtern.
    Sie hatte es ja irgendwie geahnt, aber immer gehofft, dass ihr eine gewisse Galgenfrist blieb, ehe ihre Mutter und ihr Bruder einen Mann fanden, der genau den Vorstellungen entsprach, die Lucilla schon immer gehabt hatte. Nur ging es ihr irgendwie zu schnell und außerdem hatte sie das Gefühl, dass ihre Mutter sie unbedingt als Ersatz verschachern wollte. Nur weil jemand anderes einen Fehler begangen hatte, sollte sie nun diesen ausbügeln. Das war ungerecht. Mit einem lauten Stöhnen ließ sie sich rückwärts ins Bett fallen und starrte frustriert an die Decke. „Warum immer ich?“ beklagte sie sich und vergaß dabei, dass ja ihre Mutter auch konkrete Pläne für Narcissa hatte.

  • Kobolde – Blümchen...gab es gegensätzlicheres? Die Leibsklavin kannte die Zwillinge freilich besser als jeder andere ihrer Verwandten.
    „Ich denke, sie übertreibt maßlos..“, entgegnete Narcissa ein wenig gereizt und ließ damit offen, ob sie nun die Sklavin damit meinte, oder ihre Mutter. Vermutlich beide. „Sie weiß einfach nicht, was sie an uns hat.“ Sie beide richteten sich doch schon nach ihren Wünschen!


    Dass ihre Mutter über etwas Bescheid wusste, von dem noch nicht einmal Flora Kenntnis hatte, empfand auch Narcissa als beunruhigend. Stellte sich die Frage, woher sie diese Informationen bezogen hatte. Lysandra?
    Narcissas Gedanken nahmen Floras Bahnen. Es gab Geheimnisse, die unaussprechlich waren. Aber die Leibsklavin war loyal, da war sie sich sicher. Ein wenig schämte sie sich dafür, dass sie der alten Frau einen Atemzug lang tatsächlich hatte unterstellen wollen, dass sie Vertrauliches ausplauderte. Im Grunde gab es in dieser Villa nur zwei Personen, denen sie wirklich vertrauen konnte: Flora und Lysandra.


    Flora ließ sich frustriert stöhnend ins Bett zurück fallen. Ihre Galgenfrist lief ab und sie spürte das. Der Ernst des Lebens hatte sich leise und heimlich auf samtweichen Pfoten in ihre heile Welt hinein geschlichen. Für sie selbst war jene Frist am heutigen Morgen abgelaufen. Aber sie fühlte sich erstaunlicherweise gut und ausgeglichen mit ihrer Entscheidung. Sie hatte es zu ihrer Entscheidung gemacht, hatte das Heft in die eigene Hand genommen und sich ausdrücklich selbst für den Weg der Priesterin entschieden. Es war nicht länger ein Nachkommen der Wünsche eines Dritten. Das einzige was jetzt noch zu tun blieb: Es Flora beichten und darauf hoffen, dass sie nicht explodierte. Fürs erste hatte sie ihr jedoch eine Gnadenfrist erteilt. Sie würde jenes Schicksal tragen müssen, dem sie sich gerade eben erst entwunden hatte: An einen Mann verheiratet werden, den sie mit großer Wahrscheinlichkeit nicht lieben würde. Das wollte sie ihr nicht unbedingt unter die Nase reiben...
    „Vielleicht kannst du ihnen ein paar Vorschläge machen? Du musst dich ja nicht ganz und gar in ihre Hände begeben und ich glaube, Titus wird dir da sehr entgegen kommen...“, versuchte sie sich an einer Beruhigung. Aber irgendwie klang es selbst in ihren Ohren unsensibel.

  • Oh, wie recht doch Narcissa hatte. Ihre Mutter wusste gar nicht, wie sehr sich ihre Töchter bemühten ihr immer alles recht zu machen. Doch im Grunde konnten sie nie deren Erwartungen erfüllen, immer fand Lucilla ein Haar in der Suppe. Immer wieder schienen sie ihre Mutter zu enttäuschen. Irgendwann hatte die Zwillinge dann angefangen nicht immer nur nach den Wünschen ihrer Mutter zu gehen, da sie es ihr ohnehin nie recht machen konnten. Es war frustrierend und oft genug waren sie in Tränen ausgebrochen, weil es so ungerecht war, dass ihre Mutter nie sehen wollte, wie viel Mühe sie sich eigentlich gaben. Lucilla war eine strenge Mutter, mit klaren Vorstellungen. Die personifizierte Matrone, das leuchtende Vorbild für jede junge Frau, nur ihre Töchter genügten nicht den hohen Ansprüchen... „Nein, das weiß sie nicht“, Flora klang resigniert. Es war zum Haare raufen. Immer noch den Blick fest auf die Decke gerichtet. War ihre Mutter jemals Stolz auf sie gewesen? Sie konnte es nicht genau bestimmen.
    Ihr Ebenbild gab sich alle Mühe etwas positives an ihrer Lage zu sehen, aber im Augenblick sah Flora nur, dass ihre Mutter vor hatte sie ein für alle Mal zu trennen. Narcissa war nicht nur ihre Schwester, sie war ein Teil von ihr, ihre beste Freundin, jemand dem sie absolut alles anvertrauen konnte ohne fürchten zu müssen, verurteilt zu werden. Und nun sollte ihr Narcissa weg genommen werden. Dann hatte sie nur noch Lysandra... nur Lysandra redete nicht mehr mit ihr.
    Die Aurelia biss sich auf die Unterlippe und gab ein weiteres Stöhnen von sich. Ein klein wenig hatte ihr Ebenbild ja recht, Titus würde ihr vielleicht ein wenig Mitspracherecht einräumen. „Und wen soll ich vorschlagen? Ich kenn doch eigentlich kaum jemanden, den Mutter als Ehemann ansehen würde...“, meinte sie gereizt. „Ihr ist es doch egal, ob wir glücklich werden oder nicht!“

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