Irgendeine Insula, irgendwo am Tiberufer...

  • Seiana hatte ihre Vorbereitungen getroffen, unabhängig von ihrer Familie. Sie konnte keinen Verwandten bei sich gebrauchen, wo sie gedachte das Kind auf die Welt zu bringen... und abgesehen davon war es vermutlich auch im Hinblick auf den Bürgerkrieg, wenn Palmas Truppen denn tatsächlich nach Rom kamen und die Stadt einnehmen sollten, besser, wenn sie sich ein wenig verteilten und nicht alle am gleichen Ort waren. Sie hatte sich eine der Insulae ausgesucht, die in Familienbesitz waren, eine in einer Gegend, die hoffentlich nicht allzu sehr von Plünderungen betroffen sein würde, weil hier nicht viel zu holen war... aber dennoch nicht allzu herunter gekommen. Sie hatte Sklaven angewiesen, alles vorzubereiten, sie hatte auch ihre Familie eingeweiht, und so war sie schließlich hierher gekommen. Von den Truppen im Norden, wohin ihr Bruder gezogen war, hatte es noch keine Nachricht gegeben, aber die Schwangerschaft schritt voran, und mittlerweile war ihr die Möglichkeit zu groß geworden, jemand in der Casa Decima könnte sie in zu dünner Kleidung sehen und die richtigen Schlüsse ziehen... oder zumindest Verdacht schöpfen. Sie war den Göttern dankbar darum, dass sie zu jenen Frauen gehörte, die nicht viel zunahmen und der man die Schwangerschaft bekleidet nach wie vor nicht wirklich ansah... aber dennoch wollte sie kein Risiko eingehen. Es musste schließlich nicht sein. Also war sie nun in die Insula gezogen, in der sie eine der größeren Wohnungen bezog – die immer noch klein war. Wirklich klein. Seiana, die Zeit ihres Lebens anderes gewöhnt gewesen war, sah man von ihrer Zeit in Ägypten ab – die nun auch schon länger zurücklag –, begann schon mit dem ersten Fuß, den sie in die Wohnung setzte, zu befürchten, dass sie hier nicht genug Luft bekommen würde... und irgendwann ausflippte, weil ihr die Wände viel zu dicht an ihr dran waren. Zu wenig Platz. Zu viel Gestank. Und keine Möglichkeit, dem zu entkommen. Allerdings hatte sie keine Wahl... also versuchte sie zähneknirschend, sich damit abzufinden. Eine weitere Wohnung war für einige Sklaven hergerichtet worden – eine Leibsklavin würde bei ihr wohnen, aber die andere Wohnung war für ihre Leibwächter, Raghnall, und auch die Sklavin gedacht, die als Amme fungieren würde, die Seiana lieber nicht in ihrer Nähe haben wollte, weil sie ihr Kind bereits geboren hatte und ihr das Geschrei nur auf die Nerven ging, und es war ohnehin schon laut genug hier. Die Amme selbst hingegen war stumm. Seiana hatte Raghnall lange suchen lassen, bis er eine Sklavin gefunden hatte, die ihren Ansprüchen entsprach – schwanger, mit glaubwürdigen Vorbesitzern, nach Versicherungen eben dieser Vorbesitzer loyal, und stumm. Sie wollte nicht, dass sie reden konnte darüber, unter welchen Umständen sie ihren Schützling erhalten hatte. Wenn die Geburt vorbei war und die Lage in Rom sich bis dahin beruhigt hatte, würde Seiana wieder zurückkehren in das Haus ihrer Familie. Die Amme hingegen hatte die Order, mit dem Kind fortzugehen, so bald es alt genug war um eine längere Reise anzutreten, auf irgendeines der decimischen Landgüter in Italia, vielleicht auch zu Großtante Drusilla, das hatte Seiana noch nicht entschieden. In jedem Fall aber würde sie dafür sorgen, dass das Kind dort als Kind irgendeines entfernten Verwandten aufgenommen werden würde... so dass es immerhin als Decimer aufwachsen würde. Was die Amme jedoch betraf: auch wenn Seiana alles versucht hatte, eine Sklavin zu finden, bei deren Vorgeschichte sie einigermaßen sicher sein konnte über ihre Loyalität, auch wenn sie sie nun bereits seit längerem in ihrer Gegenwart hatte, sie kannte, sich versichert hatte über ihr ruhiges, sanftmütiges, loyales Wesen... und deren Treue sie sich zudem mit dem Versprechen erkauft hatte, dass sowohl sie als auch ihr Kind freigelassen werden würden, so bald ihr Schützling alt genug war... hatte sie sich doch nicht darauf verlassen wollen, dass die Sklavin auch verschwiegen sein würde. Selbst aus Versehen konnte einem etwas heraus rutschen, wenn sie über ihren Schützling sprach... und das Risiko würde Seiana nicht eingehen, dass die Amme, und sei es nur versehentlich, irgendjemandem erzählte, wo und unter welchen Umständen das Kind die Welt war.

  • Es war schwerer, als sie ohnehin schon befürchtet hatte. Seiana hätte sich selbst niemals als verwöhnt betrachtet, aber hier, eingepfercht – jedenfalls kam es ihr so vor – in dieser Insula, begann sie den Luxus der Casa Decima zu vermissen. Selbst das Haus auf den Landgütern bei Ostia, das nun wahrhaftig kein Prachtbau war, sondern im Gegenteil sehr auf das Praktische ausgelegt, bot weit mehr Annehmlichkeiten – allem voran Platz. Platz. Seiana hätte sich auch nie für die Art von Person gehalten, die übermäßig viel Platz brauchte, aber jetzt, wo er ihr nicht mehr einfach so zur Verfügung stand, fehlte er ihr nahezu beständig, etwas, womit sie nicht unbedingt gerechnet hätte. Verschiedene Räume zu haben für verschiedene Funktionen, den Raum wechseln zu können je nachdem ob man aß, las, sich zu einem Gespräch traf oder arbeitete... alles nicht möglich hier. Gar nicht zu reden vom Hortus, von der Möglichkeit, nach draußen zu gehen, ohne das Haus zu verlassen, ein wenig frische Luft zu schnappen... selbst wenn sie die Insula verlassen würde – was sie ohnehin nicht tat, nie –, war frische Luft etwas, was hier, in diesem Teil Roms, mehr einer Legende glich denn etwas, was Realität war.
    Nein... auf ein, zwei Räume beschränkt zu sein, die dazu nicht sonderlich großzügig bemessen waren, und das in dieser Gegend, brachte sie an die Grenzen dessen, was sie noch für akzeptabel hielt. Wäre es nicht letztlich Faustus' Wunsch gewesen, dass sie genau das hier tat und sich nicht etwa in die Albaner Berge oder nach Ostia zurückzog, Seiana hätte schon am ersten Tag begonnen sich selbst zu verwünschen dafür, dass sie sich gegen diese Möglichkeiten entschieden hatte. Aber ihr Bruder war recht deutlich gewesen, als sie sich das letzte Mal getroffen hatten, und so zwang sie sich, sich mit der Situation abzufinden wie sie war. Sie jammerte nicht, sie schimpfte nicht, sie ließ ihre Unzufriedenheit mit ihrer Lage nicht an ihren Sklaven aus – sie tat einfach weiter das, was sie sich vor Jahren schon eingetrichtert hatte: Haltung bewahren. Unter allen Umständen.
    Und sie zweifelte auch keinen Moment daran, dass ihr das gelang, viel zu geübt war sie inzwischen darin, eben das zu tun... und alles, was an ihrer Selbstbeherrschung rütteln könnte, rigoros zu unterdrücken. Bis dieser eine Tag kam, der alles ins Wanken zu bringen schien. Und Raghnall war verantwortlich.



    http://img261.imageshack.us/img261/6518/raghnall.png „Bitte was?“ flüsterte sie, tonlos, als sie hörte, was ihr Sklave ihr berichtete. Der Gallier sah sie auf eine komische Art an... mit etwas in seinem Blick, das sie für Mitleid gehalten hätte, oder jedenfalls etwas, was dem verdächtig nah kam, wenn sie sich nicht sicher gewesen wäre, so etwas noch nie bei Raghnall gesehen zu haben. „Vescularius' Truppen im Norden haben verloren“, wiederholte er leise. „Wer von den Prätorianern nicht gefallen ist, wurde gefangen genommen.“ Zumindest so gut wie alle. Jedenfalls hatte er nichts davon in Erfahrung bringen können, dass ausgerechnet die Schwarzröcke geflohen wären, und es hätte ihn irgendwie dann doch auch ein bisschen gewundert. Schwarzröcke liefen über oder kollaborierten schon vorher mit dem Gegner, aber die Kerle hielten zu viel auf sich selbst und ihr Ansehen als Elite, als dass sonderlich viele von ihnen sich der Schmach ausgesetzt hätten, die eine Flucht bedeutete. Als Raghnall allerdings sah, wie bleich seine Herrin nun wurde, begann er doch sich zu fragen, ob es nicht besser gewesen wäre das nicht zu erwähnen... auch wenn er wusste, dass es müßig war. Die Decima hätte so oder so früher oder später erfahren, dass der Kampf im Norden verloren war – und es war nicht schwer zu schlussfolgern, was mit den unterlegenen Truppen wohl passiert sein mochte, selbst wenn er wenigstens das nicht ausgesprochen hätte. Und trotzdem...
    „Was ist mit meinem Bruder? Was weißt du von ihm?“
    Raghnall bemühte sich, den drängenden Unterton in der ansonsten immer noch so... so leblos wirkenden Stimme zu überhören. Er fühlte sich beinahe hilflos – was bei ihm eine Rarität war –, als er ein Achselzucken andeutete. „Ich weiß es nicht. Dazu konnte keiner was sagen.“
    Für Momente herrschte Stille. Elende Stille, die sich in die Länge zog, weiter und immer weiter, bis der Gallier das Gefühl hatte, es nicht mehr auszuhalten zu können. Dann –
    „DANN FINDET ES RAUS!“ brüllte Seiana ihn an. „Ist das so schwer, da von selbst drauf zu kommen? Bei allen GÖTTERN, mein Bruder ist der GARDEPRÄFEKT, da wird es doch wohl möglich sein in Erfahrung zu bringen, WAS UM ALLES IN DER WELT mit ihm passiert ist! Also FINDET ES VERDAMMT NOCH MAL HERAUS, und WEHE DIR du kommst ohne Nachricht darüber wieder, was mit den beiden los ist!“


    Raghnall hatte unwillkürlich einen Schritt zurück gemacht, als die Decima angefangen hatte loszubrüllen. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er sie das letzte Mal so erlebt hatte. Erinnerte ihn an früher, an sie als Jugendliche, in jenen Jahren, als sie und ihre Brüder noch alle in Hispania gelebt hatten, bei der Mutter, in deren Besitz er damals gekommen war. War selten... nein, eher nicht-existent geworden, dass sie ihrem Temperament dermaßen freien Lauf ließ. Und es war vermutlich keine gute Idee, sie jetzt danach zu fragen, was genau sie denn mit den beiden meinte... oder besser: wen noch. Er wusste zwar, worum es ging – er war nicht blöd, er hatte seine Augen und Ohren nahezu überall, und er war der Decima so nahe wie sonst keiner ihrer Sklaven. Spätestens seit ihrem Ausflug vor die Tore Roms, um angeblich ihre Güter im Umland und in Ostia zu besichtigen, wo sie laut Bran – dem holzkopfigen Leibwächter, der sich das in einer schönen Spielrunde mit viel Alkohol von ihm hatte entlocken lassen – einen nicht ganz so betriebsbezogenen Abstecher gemacht hatte, wusste Raghnall, was lief. Und er ahnte auch, um wen es sich handelte, weil es nicht viele Männer gab, die sich als Konstante durch das Leben der Decima zogen, und bis auf einen konnte er sonst alle einordnen, wie sie zu seiner Herrin standen. Aber vollkommen sicher war er sich nicht, denn obwohl er vermutete, dass sie sich schon dachte, dass er sich einiges zusammengereimt hatte, hatte sie ihn dennoch nie explizit ins Vertrauen gezogen. Aber wenn er jetzt nach so kleinlichen Details fragte, würde sie ihm den Kopf abreißen, so wie sie aussah.
    Bevor er allerdings entscheiden konnte, was er tun sollte, bevor er überhaupt Gelegenheit hatte, großartig weiter zu grübeln, passierte etwas, womit er nun gar nicht gerechnet hätte. Die Decima machte Anstalten, weiter zu brüllen, als er nicht sofort reagierte – oder womöglich auf dem Absatz umdrehte, um sofort ihren Befehl in die Tat umzusetzen –, aber dazu kam es nicht. Stattdessen kam ein zunächst undefinierbares Geräusch von ihr, das er nur einen Moment später als Stöhnen identifizierte, und die Decima krümmte sich ein wenig, hielt sich mit einer Hand den Bauch, der – obwohl immer noch verhältnismäßig klein – mittlerweile doch sichtbar gewölbt war, und tastete mit der anderen Hand nach einer Stütze herum, bis Raghnall wieder einen Schritt nach vorne nahm und sie mit seiner ergriff. Erst dann bemerkte er, dass der Boden zu seinen Füßen plötzlich nass war.

  • Seiana war drauf und dran, weiter auf Raghnall einzubrüllen, als der auf ihr Kommando erst mal gar nicht reagierte. Was war denn auch so schwierig an dem, was sie sagte? Eigentlich war das doch selbstverständlich, eigentlich hätte ihm das klar sein müssen, bevor er auch nur daran gedacht hatte mit dieser dürftigen Nachricht zu ihr zu kommen. Dass sie mehr wissen wollte. Mehr wissen musste. Und dass er dieses Mehr gefälligst herauszufinden hatte, bevor er sich hier überhaupt blicken ließ!
    So sehr sie allerdings auf ihn einbrüllen wollte, so sehr sie ihn sogar handgreiflich angehen und die Informationen, die sie so dringend haben wollte, mehr noch, die sie so dringend brauchte, damit es sie nicht zerriss innerlich vor Sorge und Angst und Einsamkeit, aus ihm heraus schütteln wollte, tat sie es doch nicht – weil es sie plötzlich tatsächlich zu zerreißen schien. Ein stechender Schmerz schoss durch ihren Unterleib, als sich dort alles zusammenzukrampfen schien, und für einen Moment raubte ihr das Gefühl beinahe den Atem. Sie bemerkte gar nicht, wie Raghnall ihre tastende Hand ergriff und sie stützte, nahm auch nicht wirklich wahr, wie ihre Beine auf einmal feucht wurden. Erst, als der Schmerz nachließ, wurde es wieder klarer – und sie begriff trotzdem nicht so recht, was das zu bedeuten hatte. Obwohl sie sich irgendwann gezwungenermaßen mit der Schwangerschaft beschäftigt hatte, hatte sie sich doch nicht wirklich damit auseinander gesetzt. Sie hatte Vorkehrungen getroffen, das ja, aber sie hatte stur alles ausgeblendet, was über das Nötigste hinausging, und das Nötigste war in ihrem Fall: dafür sorgen, dass keiner es mitbekam.


    http://img261.imageshack.us/img261/6518/raghnall.png Neben dem Schmerz, dessen Nachwirkungen immer noch durch ihren Körper klangen, war es also zunächst mal hauptsächlich Verwirrung, die sich in ihren Augen spiegelte, als sie wieder zu Raghnall aufsah. Der indes konnte nicht anders als zu grinsen, als er ihren Blick sah. „Ist ja nur meine unmaßgebliche Meinung, aber vielleicht sollte ich doch lieber erst mal die Hebamme holen?“
    Seianas Augen verengten sich. „Ich sollte dich irgendwann mal auspeitschen lassen“, fauchte sie zurück, aber lange nicht so aggressiv, wie sie es eigentlich vorgehabt hatte.
    „Ja... solltest du vielleicht mal“, gab Raghnall zurück, aber er lächelte immer noch, und diesmal war es fast sanft. Sie wussten beide, dass sie das nie tun würde... und zumindest er wusste, dass sie gerade nicht mehr ganz sie selbst war.
    Seiana indes hatte Mühe, die aufsteigende Panik zu bekämpfen. Sie konnte das nicht. Sie konnte es einfach nicht. Und sie hatte eine Riesenangst deswegen, denn ein Scheitern bei einer Geburt hieß in aller Regel nichts anderes als den Tod der Mutter, und sie konnte. das. einfach. nicht. Ganz davon abgesehen, dass sie das jetzt auch gar nicht wollte, es überhaupt nicht gebrauchen konnte, nicht mit dieser unerträglichen Ungewissheit über das Schicksal von Faustus und Seneca.
    „Also... wie ist das mit der Hebamme?“ fragte der Gallier nach, und Seiana wurde klar, dass sie immer noch seine Hand umklammert hielt. Ein wenig peinlich berührt – und eindeutig zu schnell, als dass das Raghnall nicht hätte klar werden können – ließ sie los und nickte dann ruckartig. „Ja“, knirschte sie mit zusammengebissenen Zähnen. Wollte nicht. Konnte nicht. Musste doch. Es war zum Verzweifeln, dass etwas, was gar nicht zu ihr gehörte, was sich seit Monaten als Fremdling in ihrem eigenen Körper breit gemacht hatte, in diesem Moment nun einfach alles an sich zog, ihr die Kontrolle über sich selbst entriss und bestimmte, was geschah und wann. Aber Seiana wusste auch, dass sie nichts tun konnte, außer es einfach nur hinter sich zu bringen. „Hol sie. Schnell“, presste sie noch hervor, als sich schon die nächste Wehe ankündigte.

  • Seiana kam es wie eine halbe Ewigkeit vor, bis Raghnall endlich mit der Hebamme auftauchte. Sie hatte die Sklavin, die sie bei sich hatte, angewiesen, alles vorzubereiten, aber die war noch ein recht junges Ding und hatte keinerlei Erfahrung in solchen Dingen – auch so etwas, was Seiana überhaupt nicht bedacht hatte vorher, weil sie sich so rundheraus geweigert hatte, sich mehr mit dem Thema zu beschäftigen als unbedingt nötig. Das einzusehen oder gar zuzugeben, dafür hatte sie nun allerdings ganz sicher keinen Nerv, und auf die Frage der Sklavin, was denn eigentlich genau vorzubereiten wäre, schnauzte Seiana sie daher nur an, dass sie einfach machen sollte. Diese ganze Sache zerfetzte ihre sonst so perfektionierte Selbstbeherrschung wie die Fänge eines Wolfs die Schlagader eines Rehs. Dieses Gefühl, dass ihr die Kontrolle über sich selbst entglitt, erschütterte sie zutiefst, und gerade in diesem Moment, wo es um Faustus ging, um Seneca, konnte sie es nicht gebrauchen. Sie musste doch einen klaren Kopf bewahren. Sie musste nachdenken, musste überlegen, wen sie losschicken konnte, um etwas Zuverlässiges zu erfahren über den Verbleib der beiden Männer... und allein die Angst um sie beeinträchtigte Seiana schon viel zu sehr, ließ ihr Inneres sich zusammenkrampfen vor Panik, dass sie tot sein könnten, dass sie sie verloren hatte; allein das hätte schon große Anstrengung bedeutet, sich zu zwingen trotzdem ruhig zu bleiben und zu handeln, zu tun was sie konnte, so wenig es auch sein mochte. Aber dass dieses innere Krampfen aus Angst vor dem Abgrund, mit dem sie sich konfrontiert sah, seit Raghnall ihr von der verlorenen Schlacht berichtet hatte, sich nahtlos umzusetzen schien in ein tatsächliches Krampfen ihres Körpers, dass sich in regelmäßigen Abständen wiederholte und die Geburt einläutete, die für sie ein fast ebenso großer Anlass zu Panik war, war zu viel für sie.


    Die Sklavin unterdessen fasste sich nach einem Moment des Schrecks wieder – und verschwand erst mal, nur um gleich darauf mit der Amme wieder zu kommen. Und die wiederum wusste einerseits deutlich mehr darüber, was zu tun war, und behielt andererseits auch weiterhin ihre fast schon stoische Ruhe. Mit sanftem Druck geleitete sie Seiana zu dem einfachen Bett und brachte sie dazu, sich wenigstens hinzusetzen, bevor sie die Sklavin zum Wasser holen schickte, selbst Tücher bereitlegte und die Feuerstelle anheizte, damit das Wasser erwärmt werden konnte. Seiana sah ihr dabei zu, wie sie sich sacht durch den Raum bewegte, und die Ruhe, die die Frau ausstrahlte, half ihr... wenigstens ein bisschen. Die Panik in ihr ebbte etwas ab, auch wenn sie sie immer noch spürte, tief in sich drinnen, wo sie an der dünnen Schicht kratzte, die Seiana mühsam darüber geworfen hatte. Und die Angst war nach wie vor da, wuchs sogar noch an, die Angst um Faustus und Seneca. Früher, wenn Faustus' fort war, Parthien, Ägypten, seine Mission für die Garde – sie hatte einfach nicht gewusst, was los war, gar nichts, sie hatte immer erst davon erfahren, wenn es vorbei war, und dabei dann auch, dass es ihrem Bruder gut ging, dass er in Sicherheit war. Unumstößlich sicher zu wissen, dass etwas schief gelaufen war, und nicht gleichzeitig bestätigt zu bekommen, dass es ihm dennoch gut ging... Und das Schlimmste war: sie war so hilflos, so unfähig, etwas zu tun.
    Ihre Hände krampften sich um die Bettkante, so sehr, dass die Knöchel weiß wurden, und ihr Blick folgte nicht mehr der Amme, sondern fixierte starr einen Punkt auf den Boden. Einen Augenblick später spürte sie, wie sie jemand berührte, und als sie hochsah, sah sie die Amme vor sich stehen, mit besorgtem Blick, die irgendwelche Gesten machte, deren ihr sich nicht erschloss... sie hob eine Hand, die Innenfläche nach oben, drehte sie dann und senkte sie wieder, auf, ab, auf ab... Erst nach einem langen Augenblick wurde Seiana klar, dass sie ihr signalisieren wollte zu atmen, und begriff noch ein Stück später, dass sie wohl gedacht hatte, eine weitere Wehe hätte sie im Griff. Seiana deutete ein Kopfschütteln an und löste sich von der Berührung, in dem sie etwas zurück rutschte, und die Amme trat zurück und machte weiter.

  • Im Rückblick erschien Seiana alles ein wenig verzerrt. Irgendwann war Raghnall mit der Hebamme aufgetaucht, die die Dinge sofort an sich riss. Sie schmiss den Gallier sofort wieder raus – wenn auch nicht ohne ihm anzuordnen, dass er vor der Tür bleiben sollte, falls sie ihn brauchte –, orderte die beiden Sklavinnen herum, und tat auch mit Seiana das gleiche, und wo diese sich das sonst nie hätte gefallen lassen, wusste sie noch, wie froh sie in jenem Moment gewesen war, dass jemand da war, der übernahm. Nicht dass sie deswegen wirklich hätte loslassen können... aber es wurde leichter, ein bisschen, mit dem Wissen, dass da jemand war, der wusste was er tat... und der das auch sehr deutlich, beinahe herrisch so formulierte und keinerlei Widerspruch zuließ. Sie wusste auch noch, dass die Hebamme ziemlich missgelaunt war, weil sie nichts getan hatte, um sich vorzubereiten – sie hatte die Frau vor einiger Zeit schon kennen gelernt, und schon damals hatte sie geschimpft, aber Seiana hatte das nicht ernst genommen... und auch jetzt, wo Wehe um Wehe ihren Körper erschütterte, weigerte sich Seiana einzusehen, dass es vielleicht doch besser gewesen wäre, sich ein bisschen mehr mit dem Thema zu beschäftigen. Aber das Gerede der Hebamme erreichte sie ohnehin nur marginal. Sie wurde die Angst nicht los... Angst um Faustus und Seneca, und Angst vor der Geburt, vor dem Kontrollverlust, vor den Schmerzen. Letztere immerhin wurden recht bald so stark, dass sie allerdings an kaum etwas anderes mehr denken konnte. Sie hörte die Hebamme davon sprechen, dass die Geburt recht schnell voranschritt, hörte wie sie sich mit Raghnall austauschte, wie sie erfuhr wovon sie gesprochen hatten, als die erste Wehe gekommen war, und wie sie meinte dass sie verstehen würde, dass ein Schock die Geburt sowohl ein wenig verfrüht auslösen als auch sie beschleunigen könnte. Seiana verstand dagegen gar nichts. Sie hatte nur das Gefühl, es zerriss ihren Körper, und je mehr sie dagegen ankämpfte, je mehr sie versuchte trotzdem noch die Kontrolle zu behalten, desto schlimmer schien es zu werden. Die Hebamme unterdessen redete nahezu beständig auf sie sein, beschwor sie, sich nicht in den falschen Momenten zu verspannen, sich nicht so krampfhaft zu wehren, das Atmen nicht zu vergessen, noch nicht zu pressen, jetzt schon, wieder nicht, nicht verspannen, nicht verkrampfen, nicht wehren...


    Sie hätte nicht sagen können wie lange das so ging – aber irgendwann war es vorbei. Erschöpft lag sie da, die Anspannung aus ihrem Körper gewichen, der sich zwar wund anfühlte, aber wenigstens nicht mehr krampfte, und registrierte kaum, wie sich die Frauen um das Kind kümmerten. Nicht einmal, als sie es ihr an die Brust legten, wurde sie aus ihrer... fast schon Teilnahmslosigkeit gerissen. Seiana ließ zu, dass die Frauen ihre Arme bewegten, sie um das Kind legten, damit es gehalten wurde, und sie sah auch auf das Köpfchen, den winzigen Körper hinunter... aber der Anblick löste wenig in ihr aus. Irgendwo in ihrem Kopf schwebte die nur halb ausformulierte Frage herum, wie ein so kleines Etwas so große Schwierigkeiten machen konnte... und dann war da durchaus auch das schwache Bewusstsein darüber, dass das Senecas Kind war. Aber es kam ihr immer noch... fremd vor.


    http://img261.imageshack.us/img261/6518/raghnall.png Später – auch hier konnte sie nicht sagen, wie viel später, nicht einmal ob es noch am selben Tag war schon am nächsten – wachte sie auf, nach einem erschöpfungstiefen Schlaf. Als sie die Augen aufschlug, sah sie Raghnall an ihrem Bett sitzen – nach hinten auf seinem Stuhl kippelnd, eine Wachstafel in der einen und einen Stylus in der anderen Hand, während er auf irgendetwas herum kaute. „Wie...“ Sie machte eine vage Geste, die sie selbst und Raum umschloss. „Wie ist es gelaufen?“ Der Gallier sah auf, als er ihre Stimme hörte. „Ganz gut, wenn man der Hebamme glauben kann. Hätt sogar ne eher leichte Geburt werden können, wenn du’s dir nicht so schwer gemacht hättest, meinte sie.“
    „Ach, hab ich das.“ Sie hörte selbst, dass sie eher müde klang als gereizt. „Ich wusste nicht, dass man das so beeinflussen kann.“
    „Scheinbar geht das“, antwortete Raghnall, und über sein Gesicht glitt ein flüchtiges Grinsen. „Wir sollen doch bitte darauf achten, hat sie gesagt, dass du dich beim nächsten Mal wenigstens ein bisschen vorbereitest.“
    „Beim nächsten Mal...“ Seiana schauderte bei dem Gedanken daran, das noch mal durchzumachen. Noch ein Kind zu bekommen. Erst da fiel ihr auf, dass sie keine Ahnung hatte, was mit dem ersten war. „Wie...“ Ihre Stimme verlor sich, aber Raghnall ahnte dennoch, worauf sie hinaus wollte. „Gut“, antwortete er ruhig. „Bisschen klein, war ein paar Tage zu früh dran... aber es ist alles in Ordnung.“ Für einen Moment schwieg er, dann fügte er an: „Möchtest du sie sehen?“
    „Sie?“ wisperte Seiana zurück.
    „Sie“, bestätigte Raghnall. Ein Mädchen also. Seiana wusste nicht so recht, wie sie das finden sollte. Aber dann wiederum war es auch so, dass sie ganz allgemein nicht so recht wusste, was sie von dem Kind halten sollte, gleich ob Junge oder Mädchen.
    „Sie schläft gerade, drüben.“ Der Gallier machte eine Kopfbewegung zur Nachbarwohnung. Seiana zögerte. Zögerte einen langen Moment. Dann schüttelte sie den Kopf. „Nein. Lass es... sie schlafen.“ Es hatte ja Zeit, bis sie sich das Kind ansah, also, wirklich ansah und es dabei auch bewusst wahrnehmen konnte, das musste nicht jetzt sein. Das hatte Zeit.

  • Tage vergingen. Einer, zwei, drei, Seiana achtete nicht wirklich darauf. Sie fühlte sich unglaublich erschöpft – mehr noch, sie fühlte sich hohl. Ausgebrannt. Da war eine Leere in ihr, gegen die sie nichts tun konnte... und auch gar nicht wollte. Es war besser als die Angst, von der sie wusste dass sie irgendwo darunter lauerte, jedes Mal, wenn sie an Faustus dachte, oder an Seneca. Die ersten Tage lag sie noch im Bett, ließ die weiteren Besuche der Hebamme über sich ergehen, die kam um nach dem Rechten zu sehen, ließ ihre Tiraden über sich ergehen, dass sie teilweise selbst schuld war daran, wie erschöpft sie nun war, dass sie sich doch hätte vorbereiten sollen, dass alles sonst in Ordnung war und noch viel besser sein könnte... nach den ersten Tagen bemühte sie sich immerhin, regelmäßig aufzustehen, sich hinzusetzen, auch wenn sie keine rechte Lust darauf verspürte, und nicht einmal so sicher wusste wieso sie das machen sollte.


    Raghnall berichtete ihr in der Zeit regelmäßig, davon, dass die Rebellen näher kamen, davon, dass sie Rom erreicht hatten und die Stadt belagerten, davon, was in der Stadt passierte... aber er konnte nichts erzählen über die Prätorianer. Nichts über ihren Bruder. Erst recht nichts über ihren Geliebten. Dafür berichtete er davon, wie es dem Kind ging – etwas, was Seiana, wie sie feststellte, eigentlich gar nicht so wirklich hören wollte, was sie aber natürlich nicht sagte. Sie hörte auch heraus, dass Raghnall versuchte in Erfahrung zu bringen, ob sie das Kind sehen wollte... er fragte nie direkt danach, aber sie konnte es hören, in seinen Worten, wenn er davon erzählte, dass es wieder einen Tag überlebt hatte, dass es sich sogar recht gut machte dafür, dass es so klein war, und zu früh geboren, dass es einen ziemlichen Lebenswillen hatte, der ihm gefiel. Er erzählte jeden Tag von dem Kind, unaufgefordert, ungefragt. Und Seiana reagierte jeden Tag gleich: nie. Nicht bei diesem Thema. Sie fragte nicht nach, sie erwiderte kein Wort, sie ließ ihn einfach reden. Sie wusste immer noch nicht so recht, was sie mit der Tatsache anfangen sollte, dass sie ein Kind geboren hatte... sie wusste ja ohnehin schon nicht viel mit Kindern anzufangen, aber das hier, das war noch dazu eines, das kein eheliches war, und das niemals ihres würde sein können. Sie wusste einfach nicht, wie sie da reagieren sollte. Es war noch nicht einmal so, dass ihr der Gedanke kam, dass es vielleicht das Beste so war, wenn sie das Kind einfach gar nicht sah, weil es dann leichter sein würde... nein. Sie war einfach leer. Sie fühlte sich kaum imstande, irgendwas zu empfinden, geschweige denn sich darüber klar zu werden, was sie wohl für dieses Kind empfand, oder was sie im Hinblick darauf tun sollte. Einem Teil von ihr war durchaus bewusst, dass sie eine Verantwortung für dieses Kind hatte, und dass es deswegen wichtig war zu wissen, wie es ihm ging – und es wohl auch wichtig wäre sich davon mit eigenen Augen zu überzeugen, so lange sie noch konnte. Aber auch das drang nicht wirklich zu ihr vor, und so lag oder saß sie nur da, wenn Raghnall berichtete, und hörte ihm einfach nur zu, ohne zu reagieren.


    Eines Tages änderte sich das allerdings... und wieder war es Raghnall, der schuld war. Als er wie üblich hereinkam, sah sie nicht einmal wirklich auf. Sie saß einfach weiterhin da und starrte auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen, weil es sonst nichts zum Ansehen gab... auch wenn ihre Hände ein Schriftstück hielten, das sie hätte lesen können, aber sie brachte nicht so recht die Energie auf, die nötig gewesen wäre dafür. Und sie wusste nicht, wieso nun die Energie hätte aufbringen sollen, um Raghnall anzusehen, der doch nur so aussehen würde wie immer, mit einem angedeutet fröhlichen Gesichtsausdruck, der doch etwas gezwungen wirkte, und dem schwachen Glanz von Sorge in den Augen. Sie wartete einfach darauf, dass er sich zu ihr setzte und zu erzählen begann... aber etwas war anders. Sie hörte es, noch bevor Raghnall in ihr Blickfeld trat – er machte seltsame Geräusche, irgendwie, ein leises Quengeln war zu hören, eigentlich viel zu hoch und viel zu schwach für einen Mann. Erst nach einigen weiteren Momenten begriff sie, was das bedeutete – und jetzt schnellte ihr Kopf nach oben, suchte ihr Blick nach ihm, der mittlerweile nahe gekommen war und im Begriff war sich zu setzen. Mit dem Kind. Seianas Blick saugte sich fest an dem kleinen Bündel Mensch, wie es in Raghnalls Arm lag, eingewickelt in Tüchter, sich ein wenig bewegend, die Arme streckend, blinzelnd auf eine Art, die Seiana irgendwie denken ließ, dass es noch nicht so wirklich etwas wahrnehmen konnte von dem, was es sah. Es war zu viel. Irgendetwas in ihr machte dicht, konnte gar nicht damit umgehen, das Kind, ihr Kind, hier jetzt einfach so und völlig überraschend zu sehen.


    http://img261.imageshack.us/img261/6518/raghnall.png „Was... was soll das?“ fragte sie schließlich mit brüchiger Stimme, nach endlosen Momenten des Schweigens, das auch von Raghnall nicht gebrochen worden war... nur hin und wieder von einem weiteren leisen... Quengeln, so kam es ihr jedenfalls vor, auch wenn sie nicht wusste ob es das war, das von dem Kind kam.
    „Was“, fragte Raghnall unschuldig nach, und Seiana brachte tatsächlich sogar die Energie auf, ihn wütend anzufunkeln. „Du weißt, was ich meine. Ich habe dir nicht gesagt, dass du es herbringen sollst!“
    Noch ein Quengeln, diesmal etwas lauter, als ihre Stimme lauter geworden war. Von Raghnalls Gesicht unterdessen verschwand nun das leichte Lächeln. Sie, antwortete er betont. „Sie. Und sie braucht einen Namen.“
    Seiana drehte ihren Kopf zur Seite, wich aus, seinem Blick und dem Anblick des Kindes. „Nicht vor dem achten Tag“, murmelte sie.
    „Es ist der achte Tag, Seiana“, antwortete Raghnall sanft – ein Tonfall, den sie so gut wie nie von ihm hörte. Allerdings achtete sie darauf im Moment gar nicht. Ihr Kopf ruckte wieder herum, und fast schon entgeistert starrte sie ihn an. Der achte Tag? Die Geburt war schon acht Tage her? Sicher, sie... sie hatte sich etwas hängen lassen, hatte keine Energie gehabt, sich kraftlos gefühlt, leer, ausgelaugt, aber dass so viel Zeit vergangen war... acht Tage... das schockierte sie beinahe. Sie starrte Raghnall an, dann das Kind, dann wieder den Sklaven, und wieder das Kind... sie neigte sich ein wenig nach vorne, und machte eine Bewegung, streckte die Hand aus, immer weiter, bis sie fast, beinahe, das Kind berührte... Aber sie hielt inne, bevor sie die zarte Haut wirklich ertasten konnte, hielt inne, bevor sie ihre Tochter hätte spüren, hätte streicheln können. Sie war sich so unsicher. Unsicher über sich selbst, unsicher darüber, ob sie das Kind überhaupt berühren wollte, ob es richtig war, ob sie das ertrug, mit dieser Leere in sich.
    Sie wollte die Hand gerade schon wieder wegziehen... da machte Raghnall eine leichte Aufwärtsbewegung mit seinen Armen und sorgte so dafür, dass ihre Finger ihr Kind berührten. Seiana erstarrte von einem Moment auf den anderen. Sie hörte sogar auf zu atmen... sah nur auf das Kind hinunter, und auf ihre Finger, die es berührten, ohne sich zu bewegen. Einen Moment. Zwei. Drei. Dann bewegten sich ihre Finger doch, strichen sacht über die so zarte, junge Haut... und zogen sich schließlich ruckartig zurück, als hätte sie sich verbrannt. Sie drehte ihren Kopf wieder zur Seite. „Bring es weg.“
    „Sie“, beharrte Raghnall.
    „Meinetwegen, dann bring sie weg!“ Sie wollte ihn wieder anfauchen, aber nicht einmal das brachte sie fertig. Stattdessen konnte sie selbst hören, dass ihre Stimme zu zittern begann.
    „Was ist mit ihrem Na-“
    „Bring. Es. Einfach. Weg!“ Sie konnte das nicht. Nicht jetzt. Nicht so. Das war so... so falsch, alles daran, dass sie das Kind so geboren hatte, dass sein Vater nicht hier war, dass er es nicht als seines annehmen konnte, dass er ihm keinen Namen geben konnte wie es sich gehörte, dass es niemand wissen durfte, dass es niemals wissen dufte wer seine Eltern waren, dass es gar keine Eltern haben, sondern irgendwo als Waise aufwuchsen würde, als armes Kind eines entfernten Verwandten der Decimer, der mit seiner Frau irgendwo, irgendwie gestorben war und nur dieses Kind hinterlassen hatte, dass sie keine andere Wahl hatte, und dass sie diese schreckliche Leere in sich nicht imstande war mit etwas zu füllen, und sei es nur mit Gefühlen für dieses kleine Kind, das sie geboren hatte. Sie konnte es nicht. Und so blieb sie einfach sitzen, bis Raghnall wieder verschwunden war, mitsamt dem Kind.

  • Auch vor der Eingangspforte dieser Behausung blieb es nicht friedlich: erst waren es nur laute Rufe und Schreie, die sich dumpf durch das Holz hören ließen, dann liefen vereinzelt Menschen vor der Casa her, einige auf der Suche nach Möglichkeiten zum Randalieren oder Plündern, andere auf dem schnellsten Wege nach Hause... und wiederum einige in panischer Flucht ergriffen. "NIEDER MIT DEN SCHERGEN DES FETTEN!!!"
    Schließlich machten sich auch einzelne Ansammlungen von Menschen bemerkbar, die laut hörbar Verwünschungen und Schmähungen riefen, ob aus einem konkreten Anlass (wenn sie ein Opfer gefunden hatten, das sie durch die Straßen treiben konnten), einfach nur so (wenn sie noch auf der Suche nach einem solchen waren), oder weil sie offen Gelegenheiten zum Plündern suchten war dabei kaum ersichtlich. "HÄNGT SIE AUF! HÄNGT SIE AUF!!"
    Klar, dass das, was in den Straßen ging nicht mit den Aufruhren vergangener Zeiten zu vergleichen war, wo tagelang die Straßen kaum sicher zu betreten waren, aber dennoch war die Lage stellenweise von brisanter Natur.
    Wie zum Beispiel vor dieser Porta, wo ein Mob laut skandierend vorüberzog... voll von Augen, die nach allem möglichen Ausschau hielten: Schergen Salinators, generell unliebsamen Personen, oder einfach nur auf der Suche nach schnellem Reichtum.
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  • Raghnall gehorchte – sehr zu Seianas Erleichterung. Sie fühlte sich einfach nicht imstande, sich dem ganzen jetzt zu stellen... und sie war froh, dass Raghnall mit dem Kind verschwand. Was allerdings nicht schwand, war der Druck, den das Intermezzo ausgelöst hatte. Sie war völlig überrumpelt worden von ihrem Sklaven... und es wühlte sie auch noch auf, als der Gallier mit dem Kind gegangen war. Ihre Hoffnung, dass sie wieder ruhiger wurde, dass sie wieder versinken konnte in der Leere, wollte sich nicht erfüllen, stattdessen wurde sie immer nervöser, bis sie es nicht einmal mehr aushielt, weiter sitzen zu bleiben. Sie erhob sich und ging durch die Wohnung, blieb mal hier stehen, mal dort, und versuchte ihre rasenden Gedanken wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ihr Inneres glich einem Damm, der bislang gehalten hatte, aber nun, einmal mit einem Riss versehen, von dieser ersten Bruchstelle ausgehend immer weitere zu bekommen schien und schon bald zu brechen drohte. Sie versuchte die Risse zu kitten... aber sie hatte das Gefühl, nicht schnell genug dagegen ankommen zu können. Zumal es so viel mehr war als nur das Kind und die Probleme, die sich darum herum ergaben. Faustus, Seneca, ihre Situation hier in dieser Wohnung mit Rom im Belagerungszustand, die Unsicherheit über alles, was selbst in nächster Zukunft passieren mochte – das alles hatte sie in diesen vergangenen Tagen vollkommen ungerührt gelassen in dem erschöpften Dämmerzustand, in dem sie gewesen war. Jetzt drängte all das irgendwie zurück ans Licht, und es war so viel, dass es allein deshalb schon zu viel war für sie im Augenblick – gar nicht zu reden davon, dass jeder einzelne dieser Punkte für sich allein schon schweres Geschütz darstellte.


    Es dauerte, bis Raghnall wieder auftauchte... aber als er es dann tat, merkte Seiana sofort, dass etwas nicht stimmte. Schon allein wie er die Tür aufriss, zeugte davon... ebenso wie sein hastiger Schritt und seine ernste Miene, der nun selbst der Schalk in den Augenwinkeln abhanden gekommen war. „Sie sind im Pomerium.“
    Seiana starrte den Gallier eine Zeitlang einfach nur an... bevor sie sich abwandte und eine Hand an die Stirn presste. Die Soldaten des Cornelius' hatten Rom also eingenommen... und obwohl das im Grunde zu erwarten gewesen war, schockte es sie dennoch. Sie war in den vergangenen Tagen viel zu sehr in Teilnahmslosigkeit versunken gewesen, als dass sie sich wirklich damit beschäftigt hätte, was der Sieg der Rebellen in Vicetia und die Belagerung Roms bedeutete. Jetzt allerdings, wo sie einmal heraus gerissen worden war aus ihrer Lethargie, traf sie all das mit geballter Wucht. Ihre Gedanken rasten, jagten von einem Thema zum nächsten, von Faustus und Seneca über die Casa Decima, den Sicherheitsmaßnahmen, die sie getroffen hatte und dem Besitz, die sie in Sicherheit hatte bringen lassen bis hin zu Rom, was hier nun los war, was passieren würde, wie lange es dauern würde... und ob diese Insula wirklich sicher war vor dem Pöbel. Dieser letzte Gedanke drängte sich immer mehr in den Vordergrund, je mehr von draußen zu hören war, je lauter die Rufe wurden, je häufiger sie kamen. Verschreckt sah Seiana schließlich auf, als die teils verängstigten, teils wütenden Rufe plötzlich zu Schreien anschwollen, als klar wurde, dass die Leute, die durch die Gassen rannten, sich zu einem regelrechten Mob zusammen geschlossen hatten... aber niemand schien sich um diese Insulae hier zu kümmern. Zu einfach waren die Häuser, zu deutlich war, dass hier nichts zu holen war, das war genau der Grund, warum sie sich hier einquartiert hatte. Trotzdem wollte die Angst Seiana nicht verlassen, sondern nistete sich in einem kleinen, eisigen, hartnäckigen Knoten tief in ihrem Magen ein.

  • Von dem Vorplatz vor der Casa Decima aus hatte Corvinus seine Truppe aufgeteilt. Ein Contubernium mit dem ortskundigen Führer Avianus brachte die bisherigen Gefangenen zur Castra Praetoria.
    Zwei Contubernien angeführt von ihm selber und geführt von der Sklavin aus dem Haushalt der Decima war auf dem Weg zum Versteck von Decima Seiana.


    Auf dem Weg zum Versteck unterhielt Corvinus sich ein bisschen mit der Sklavin.
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    Größtenteils aus Langeweile und um sich nach dem Kampf zu beruhigen. Wie bei jedem Menschen hatte einige Zeit nach dem Kampf das Adrenalin seine Adern verlassen und ihn nervös gemacht. Da es sowas wie Zigaretten ja noch nicht gab löste jeder das Problem auf seine Weise. Corvinus hatte die Sklavin auf dem Weg zum Versteck das erste Mal richtig wahrgenommen und bemerkt das sie recht jung und recht gut aussehend war. Er vermisste Alwina schrecklich und noch mehr den Umgang mit Frauen. Er hatte einfach zu kurz und zu wenig von diesem Nektar genossen bevor der Feldzug losging und vermisste es daher umso mehr.
    Naja jedenfalls die Sklavin hörte auf den Namen Melitta der Corvinus irgendwie an ein Getränk erinnerte er konnte sich aber nicht erinnern an was für eins. Sie war in Italia geboren und auf einem Landgut der Gens Decima aufgewachsen arbeitete nun aber als Haussklavin in der Casa. Vor einigen Tagen hatte sie Vorräte zum Versteck der Decima Seiana bringen müssen und wusste daher wo diese sich versteckte.
    Haussklavin und auf einem Landgut aufgewachsen und daher auch an die Arbeit auf dem Land gewöhnt, waren die Dinge die bei Corvinus hängen blieben außerhalb der Tatsache das die Sklavin wusste wo die Gesuchte sich versteckte. In dem jungen Centurio wuchs ein Plan heran.



    Nach einer ganzen Weile kam die Truppe bei einer unscheinbaren Insulae an, welche direkt am Tiberufer lag.
    Unterwegs waren ihnen mehrfach kleinere Gruppen von vagabundierenden Römern begegnet die sie aber verscheucht hatten. Eine gebrochene Nase bei einem besonders vorwitzigen hatte auch den Versuch einer kleineren Gruppe beendet ihnen zu folgen um sich eventuell anfallende Brotkrummen die sie von "ihrem Tisch" würden fallen lassen zu sichern.
    Mit zitternder Stimme berichtete Melitta wo die Wohnung der Decima sich befand und, auf Nachfrage das sie auch nicht alleine sondern von mindestens einem Leibwächter bewacht sich dort versteckt hatte.
    Corvinus "drückte" Melita in die "Hand" und verteilte Anweisung.


    "Ein Contubernium bleibt draußen.
    Burdo und Madarus hier am Eingang die anderen um das Haus herum.
    Das andere Contubernium kommt mit mir rein!"


    Corvinus blickte die Männer kurz an und fuhr dann an das Contubernium welches ihn mit reinbegleiten würde, Regulus war einer von ihnen an:
    "Wir treten die Tür ein und ich geh als erstes rein. Ich will kein Blutbad aber beim geringsten Anzeichen von Wiederstand wird alles was männlich ist zu Boden geknüppelt! Mein Bedarf an Gesprächen mit Salinatoranhängern ist für heute gedeckt. Der Decima wird aber erstmal kein Haar gekrümmt. Wir sind immer noch römische Legionäre und keine Barbaren nicht wie die Berserker um sich schlagen! Verstanden! Dann Abmarsch!"
    Corvinus wartete noch einen Moment ob noch einer was nachfragen wollte und ging dann los.



    Nachdem der erste Teil verschwunden war und die 6 anderen sich um das Haus verteilt hatten war Burdo
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    mit Madarus und der Sklavin die völlig verzweifelt war und der die Tränen die Wangen runterliefen alleine. Burdo setzte sie auf einen Wegstein und wandte sich dann Madarus zu.


    "Alles in Ordnung Junge?"

  • Sie hatten die Tür erreicht hinter der die Wohnung lag in der Decima Seiana sein sollte. Corvinus hatte seine Cassis wieder abgenommen und gab ihm den Legionär der als letztes mit in die Wohnung stürmen würde.
    Ein, zwei kräftige Tritte von zwei Legionären gegen die Tür und sie war genug beschädigt das ein Rammstoß vom massigen Corvinus reichte um sie zu "öffnen". Er stürmte in den ersten Raum der Wohnung und sah sich um.

  • Zitat

    Original von Lucius Helvetius Corvinus
    "Alles in Ordnung Junge?"


    Mit stumpfem Blick und geröteten Augen war Sönke den anderen gefolgt, ohne es wirklich wahrzunehmen. Seine Füße taten die Arbeit, seine Ohren die ihre wenn es darum ging die Befehle des Centurios wahrzunehmen, der Rest seines Körpers gehorchte nach dem jahrelangen Drill automatisch.
    So stand er nun neben dem Eingang der Insula, reglos auf sein Scutum gestützt und starrte vor sich hin. Dass Burdo, der alte Veteran und gute Seele ihrer Centurie, ihn ansprach, bekam er überhaupt erst einige Sekunden später mir, als die Worte schon längst verklungen waren. Ein Nicken war alles, wozu er imstande war.. die tausend Worte, die sich hinter seiner Stirn bildeten, mochte er jedoch nicht preisgeben. Zu schwer wog all das, was er nun sorgsam unter den großen Nebel in seinem Inntern versteckte.

  • Die Tür war nicht sonderlich stabil, und die Wohnung war nicht sonderlich groß... im Grunde gab es nicht mehr als zwei Räume – der hintere diente als Schlafstatt, der vordere, größere, war der eigentliche Hauptraum.
    In genau diesem befand sich auch Seiana gemeinsam mit Raghnall, als die Tritte gegen die Tür ertönten. Beide sahen ruckartig dorthin, in dem Durchgang zu dem kleineren Raum tauchte das Gesicht der Sklavin auf, so bleich wie Seianas. Bevor einer von ihnen reagieren konnte, wurde die Tür auch schon aufgebrochen... und noch während Seiana unwillkürlich einen Schritt zurückwich und dann wieder wie versteinert stehen blieb, kamen Legionäre herein. Ihr Kopf schwirrte... aber eine Sache war dann doch klar: sie waren zu zielgerichtet, und es waren zu viele, als dass das hier ein Zufall sein könnte. Trotzdem wollte ihr in diesem Moment nicht so recht klar werden, was die Männer dann ausgerechnet hier wollten, bei ihr. Der Schock, die Soldaten so hereinbrechen zu sehen, ließ im Moment kaum einen klaren Gedanken zu, und so starrte Seiana die Männer zunächst einmal einfach nur an, während sie nach Worten suchte, was sie sagen könnte.

  • Corvinus machte ein, zwei Schritte in den Raum. In der Tür stehen bleiben machte ja überhaupt keinen Sinn da er damit ja den Weg für nachfolgende Legionäre versperrt hätte. Zwei weitere Legionäre folgten ihm auch sogleich, kampfbereit und blickten ebenfalls in den Raum.
    Alle drei Männer sahen eine Frau und einen Mann im Raum und eine weitere Frau, wahrscheinlich eine Sklavin in der Tür stehen.
    Alle drei wirkten eher überrascht oder gar erschrocken machten aber keine Anstalten sich zu wehren.
    Corvinus entspannte sich ein wenig und bellte dann:
    "Decima Seiana?"

  • Seiana konnte ein Zusammenzucken nicht ganz unterdrücken, als der vorderste – ein Centurio, wenn sie nicht alles täuschte – plötzlich in lautem Tonfall ihren Namen aussprach. Sie spürte, wie Raghnall sich leicht neben ihr regte, sein Gewicht von einem Bein aufs andere verlegte, ohne aber tatsächlich einen Schritt zu machen, und sie sah zu ihm, wechselte einen kurzen Blick mit ihm. Sie beide wussten, dass es nichts Gutes hieß, dass Soldaten hier auftauchten, dass sie zu ihr wollten, dass sie sich überhaupt die Mühe gemacht hatten, sie hier zu finden... was nichts anderes hieß, als dass in der Casa Decima die Götter wussten was los war. Raghnall und sie sahen sich an, und in diesem kurzen Moment, der ihr selbst trotzdem lang vorkam, schossen die verschiedensten Möglichkeiten durch ihren Kopf – was die Soldaten wollen könnten, und wie sie reagieren sollte. Aber das brachte sie nicht weiter, und so wandte sie ihren Blick wieder dem Centurio zu – und nickte schließlich, langsam, schwer. „Ja. Was willst du von mir?“

  • Corvinus war erfreut zu sehen das nicht jeder so blöd war und versuchte im Angesichts des gekommenen Endes noch sinnlosen Wiederstand zu leisten.
    Er spannte sich ein wenig und sagte dann:
    "Ich bin Centurio Lucius Helvetius Corvinus, IVte Centurie, IIte Cohorte der Legio Secunda des einzig wahren Kaiser Appius Cornelius Palma. In seinem Namen bist du hiermit festgenommen und wirst mich augenblicklich zur Castra Praetoria begleiten. Deine beiden Sklaven dürfen sich in Richtung der Casa Decima entfernen. Ich denke besonders dein Custodes wird dort ganz gut gebraucht werden bei dem was auf der Straße los ist!"


    Er war gespannt wie sie darauf reagieren würde, derweil traten noch zwei weitere Legionäre ein während die ersten beiden sich links und rechts "verteilten" und dem Braten noch nicht so ganz trauten das es hier friedlich ablaufen würde.

  • Centurio, Helvetius, Legio Secunda, Palma. Festgenommen. „Festgenommen““, echote sie, und ihre Stimme klang seltsam hohl in ihren Ohren. Die Worte rauschten an Seiana vorbei und ließen sie merkwürdig unberührt... aber das war vielleicht nur der Schock. Oder vielleicht griff nun doch wieder die Teilnahmslosigkeit nach ihr, die sie in den letzten Tagen im Griff gehabt hatte. Erst als in der Tür hinter dem Centurio plötzlich noch ein weiterer Mann auftauchte, begleitet vom Schreien eines Babys, das von irgendwoher kam, und sie realisierte, dass es diesmal ein bekanntes Gesicht war, schnellten ihre Gedanken erneut zurück in die Realität. Álvaro. Natürlich. Sie hatten den Lärm gehört, in der Wohnung nebenan, und er wollte nach dem Rechten sehen. Nur dass es nichts brachte. Es waren noch mehr Soldaten dazu gekommen, und selbst wenn Álvaro und Bran es schaffen sollten, gemeinsam mit Raghnall vielleicht, sie da irgendwie rauszuholen... was dann? Die Straßen waren nicht sicher. Die Casa Decima war momentan nicht sicher. Und wenn Cornelius wirklich gewonnen hatte, würde sie nicht darum herum kommen, sich irgendwann zu stellen... wenn sie nicht gerade ins freiwillige Exil gehen wollte, und das hatte sie eigentlich nicht vor.


    http://img718.imageshack.us/img718/5630/alvaroh.jpg „Was...““ kam aus Álvaros Mund... und dann machte er ihn auch schon wieder zu, als er der Menge an Soldaten gewahr wurde. Für einen winzigen Moment verhakte sich nun Seianas Blick mit dem ihres Leibwächters, und in dieser winzigen Zeitspanne verneinte sie die unausgesprochene Frage in Álvaros Blick mit einem nur minimal angedeuteten Kopfschütteln, so sacht, dass es kaum auffiel. Keine Gegenwehr. Keine Heldentaten. Álvaro hob seine Hände. „'Tschuldigung... wollt nicht stören...““ murmelte er und machte mehrere Schritte zurück, bis er aus dem Blickfeld verschwunden war, ganz wie ein Nachbar, der gekommen war wegen des Lärms, sich zu beschweren oder was auch immer... und natürlich verschwand, kaum dass er die Soldaten sah.


    Seianas Gedanken indes rasten nun wieder, während Álvaro sich noch langsam zurückzog. Auch wenn Gegenwehr nicht in Frage kam, irgendetwas musste es doch geben, irgendetwas... und plötzlich fiel es ihr ein. Ihr Kopf schnellte zu Raghnall neben ihr. „Aton. Er ist Senator. Du, Álvaro, zu ihm, so bald wie möglich““, sagte sie leise und gehetzt, in dem Versuch, ihm wenigstens ansatzweise ihre Idee mitzuteilen, bevor der Centurio sie wegbrachte.

  • Vier Legionäre standen ja noch vor der eingetretenen Tür als der jüngere Mann aus der Wohnung mit dem schreienden Baby kam und neugierig in die gestürmte Wohnung schaute.
    Zu seinem Glück machte er auch gleich wieder kehrt und fing sich so nur ein
    "Verpiss dich zu deinem Balg", von einem der draußen stehenden Legionäre der mit einem starken gallischem Akzent sprach.


    Drinnen unterdessen kam auf Corvinus Spruch keine wirkliche Reaktion außer das die Frau nach einer ganzen Weile in die Gegend schauen nichts tat außer ihrem Sklaven was zuzuhauchen.
    "HALLO!", unterbrach Corvinus die beiden.
    "Ich geb hier den Takt an und wenn es was zu sagen gibt dann zu mir. Also ihr beide dürft euch nun erstmal schnellstens in Luft auflösen bevor ich es mir anders überlegte!"
    Mit die beiden war der Mann der am Tisch gesessen hatte gemeint und die Frau die immer noch in der Tür stand.

  • http://img261.imageshack.us/img261/6518/raghnall.png Seiana verstummte, als der Centurio ihr das Wort abschnitt, aber sie sah zunächst weiterhin Raghnall an... der ebenfalls weiterhin sie ansah, nicht den Centurio, aber auch nichts sagte auf ihre Worte, sondern nur ein knappes Nicken andeutete. Und so kurz, so abgehakt ihre Anweisung zwangsläufig gewesen waren, sie meinte, in seinem Blick zu sehen, dass er mit ihren Worten etwas anfangen konnte, genug jedenfalls, um zu wissen was sie wollte. Sie hoffte es zumindest... und das musste reichen. Allein schon der Tonfall des Centurios machte deutlich, dass er kaum dulden würde, dass sie ihn einfach weiter ignorierte und mit ihrem Sklaven sprach, gar nicht zu reden von seinen Worten. Gehen sollten die beiden Sklaven... und auf einmal war wieder dieser Knoten aus Angst in ihrem Magen. Wenn die beiden gingen, war sie allein, allein mit den Soldaten, und obwohl Seiana sich zu sagen versuchte, dass es Römer waren, römische Bürger und Soldaten, die einer Römerin ganz sicher nichts antun würden, schon gar nicht einer von ihrer Herkunft und ihrer Stellung... die Angst wollte sich dadurch nicht so wirklich in den Griff bekommen lassen. Sie saß auf einer Ebene, auf die die Vernunft kaum Zugriff hatte, und so gelang es Seiana nur, das zu tun, was sie üblicherweise machte: sie lagerte eine dicke Schicht darüber, in der Hoffnung, die Auswirkung einfach nicht mehr zu spüren.


    Sie wollte also eigentlich nicht, dass die Sklaven gingen. Vor allem Raghnall nicht, der nun schon so lange ihr Vertrauter war, dass sie sich gar nicht mehr wirklich erinnern konnte, wie es davor gewesen war. Und der Gallier schien das auch zu spüren, oder vielleicht wollte er auch nur einfach generell nicht gehen, ohne dass sie die Worte des Centurios bestätigte... in jedem Fall blieb er stehen, reagierte nicht auf die Anweisung zu gehen – bis Seiana mit ihrem Kopf Richtung Tür wies, in einer Bewegung, die immer noch leicht, aber diesmal dennoch deutlich sichtbar war. Es vergingen nur wenige Momente, nicht genug, hoffte sie jedenfalls, als dass der Centurio hätte ungeduldig werden können – aber trotzdem genug, um deutlich werden zu lassen, dass Raghnall auf ihre Anweisung wartete. Erst als diese gekommen war, bewegte er sich tatsächlich, winkte die Sklavin zu sich heran und verließ mit dieser ohne ein Wort, und ohne die Soldaten wirklich anzusehen, die Wohnung. Und ließ sie allein. Seiana hatte plötzlich das Gefühl, nach Luft schnappen zu müssen, immer mehr, immer schneller, immer häufiger... aber sie unterdrückte diesen Drang mit schierer Willenskraft. Als sie sich dem Centurio wieder zuwandte, war ihre Atmung flach, aber verhältnismäßig ruhig... aber ihr Gesicht war bleich, ihre Miene versteinert, und die Augen wirkten etwas zu groß darin. „Nun, Centurio.“ Seiana bemühte sich nicht einmal um ein Lächeln. Es wäre wohl verschwendet, und davon abgesehen bezweifelte sie stark, dass ihr in der momentanen Situation überhaupt eines gelungen wäre. Stattdessen hob sie nur kurz leicht in einer Geste, die fragend sein sollte und doch fast eher hilflos wirkte, die Hände und ließ sie wieder sinken. „Was jetzt?“

  • Corvinus war ja eigentlich nicht so wie man sich einen im Klischeebild einen Centurio vorstellte. Er war dafür noch zu jung, hatte zu wenig gesehen und zu wenig getan. Doch auch ihm waren die letzten Monate natürlich nicht spurlos vorbeigegangen. Die Leben die er genommen hatte, die Leben die er verloren hatte, die Entbehrungen die er hatte erdulden müssen, die Dinge die er vermisste, die Dinge die er gesehen und erlebt hatte. All dies veränderten einen Menschen natürlich. Ganz besonders zerrt an ihm das er schon so lange von Alwina getrennt war. Sie war seine erste Frau und auch seine erste Liebe gewesen. Mit ihr hatte er das erste Mal erlebt das es auch noch etwas außerhalb des Soldat seins gab. Doch kaum hatte er von dieser Frucht gekostet und gerade ihren Geschmack lieb gewonnen waren sie abmarschiert und so fehlte ihm das noch viel mehr, wie vielleicht einem Kerl wie Burdo der schon in unzähligen Frauengeschichten "gesteckt" hatte.
    Als er nun die Decima ansah, über die kleine Verzögerung hatte er gerade so hinwegsehen können und das kleine Spielchen von dem Sklaven der ihm zeigen wollte das er nur auf das kleine Zeichen der Decima gegangen war. Für einen Moment hatte er sogar mit dem Gedanken gespielt dem Sklaven zu zeigen wo er stand aber diesen kleinen Sieg schenkte er der Decima einfach mal. Wer wusste schon was diese in der nächsten Zeit zu erdulden hatte, was man im Kerker mit ihr anstellte. Bei diesem Gedanken regte sich sogar ein kleines bisschen Mitleid, bis dann aber der Gedanke das er auch wegen Leuten wie ihr hier in Roma in einer Insula am Tiber stand und nicht am Rhenus lag.
    Er blickte daraufhin die Decima an die sich Mühe gab die Fassade zu wahren aber das bleiche Gesichte und die Geste mit den Händen deuteten doch eher auf etwas anderes hin. Die Frage gab ihm dann so eine Vorlage und die Veränderungen die mit ihm geschehen waren in den letzten Monaten das er sie nutzen musste.
    Er machte also ein, zwei Schritte auf die Decima zu und setzte das fieseste Grinsen auf zu dem er fähig war.
    "Na was denkst du denn Decima Seiana... Dein Weg führt in den Carcer der Castra Praetoria und aus diesem wieder heraus zu kommen könnte schwierig bis unmöglich sein. Eventuell wirst du da ja nochmal deinen sturen Verwandten aus der Casa Decima zu Gesicht bekommen oder den dekloppten Prätorianerpräfekten der sich das Pferd hat unter dem Arsch hat wegschießen lassen... der ist doch auch aus deiner Gens? Wie auch immer und nun stehen wir hier, 5 einsame "Rebellen" und eine junge gut aussehende Frau die auf der falschen Seite gestanden hat... also was glaubst du wird als "nächstes" passieren bevor wir dich zu Castra bringen...?"


    Vor Monaten hatte so ein Verhalten Corvinus vielleicht noch abgestoßen aber im Moment machte es ihm fast Spaß... was der Krieg doch aus Menschen machte....

  • Seiana blieb stehen, als der Centurio auf sie zukam – aber es kostete sie so ziemlich alles an Willensanstrengung, was sie hatte. Der Ausdruck in seinem Gesicht, in seinen Augen, gefiel ihr nicht, und als er dann auch noch zu grinsen begann, spürte sie, wie ihre Selbstbeherrschung zu wanken begann... und sie kämpfte darum, kämpfte, sie doch zu behalten, ruhig zu bleiben, standhaft, ihre Angst nicht zu zeigen, oder jedenfalls nicht in dem Ausmaß, in dem sie sie spürte. Und es gelang ihr auch... die Frage war nur: wie lange.
    Als er dann allerdings zu reden anfing, wankte ihre Selbstbeherrschung nicht nur, sie bröckelte. Anzeichen dafür waren nun deutlicher zu erkennen: sie presste die Lippen aufeinander, bis sie nur noch ein schmaler Strich waren, die Muskeln um die Kiefer spannten sichtbar an, und sie verschränkte die Arme in einer schützenden Geste vor dem Körper. Es schauderte sie schon bei den ersten Worten, die der Centurio aussprach, und je weiter er kam, je mehr er sagte, desto verspannter wurde ihre gesamte Haltung. Ihr gegenüber standen Römer. Im Carcer würden Römer sein. Und trotzdem waren es Feinde. Sie versuchte nach wie vor, beinahe verzweifelt inzwischen, sich einzureden dass ihr als Römerin trotzdem ein gewisser Respekt, eine gewisse anständige Behandlung zustand, aber wie schon zuvor sprach die Angst in ihr lauthals von etwas anderem... und es fiel ihr immer schwerer, sie zu übertünchen. Und der Centurio tat sein Bestes, um die Angst noch anzufeuern. Sie hatten also schon jemanden aus der Casa festgenommen...


    Und dann sagte der Helvetius etwas über ihren Bruder. Das war der Moment, in dem Seianas Maske endgültig fiel. Sie sog scharf die Luft ein und starrte den Centurio an, und neben der Angst tobte auf einmal Fassungslosigkeit und ungläubige Erleichterung in ihr. Faustus. Er lebte. Er war nicht getötet worden bei der Schlacht, sondern er lebte. Gefangen zwar, aber: er lebte.
    Während das Gefühlschaos über diese Nachricht allerdings noch mit voller Wucht in ihr tobte, kam schon der nächste Satz, und diesmal bedrohte der Centurio sie. Mehr oder weniger unverhohlen. Und Seiana... glaubte ihm. Sie hatte keinen Grund, es nicht zu tun. Es herrschte Krieg, ihre Familie stand auf Verliererseite, und das so sehr, dass es schwierig genug werden würde danach wieder Fuß zu fassen in der römischen Gesellschaft, in der Politik... es würde sich kaum jemand dafür interessieren, was mit ihr passiert war, so lange sie nur lebend ihr Ziel erreichte. Und sie wusste nichts, was sie ihm bieten könnte. Sie konnte einem Mann so schon keine schönen Augen machen, konnte nicht verführerisch sein, sie wusste nicht wie das ging, und sie hatte keine Ahnung, was sie nun tun müsste, um ihn dazu zu bringen sie zu verschonen. Alles was es gäbe war Geld... aber in der Casa war er gerade gewesen, und über alles andere konnte sie nicht verfügen im Moment, und je nachdem, wie es weiter ging, vielleicht gar nicht mehr – selbst wenn sie wieder freigelassen wurde, konnte es doch immerhin sein, dass ihr Besitz beschlagnahmt wurde. Und auch wenn nicht, hieße das Wochen zu warten, was die Männer hier sicher nicht vorhatten.
    Die Fassungslosigkeit über das Wissen, das ihr Bruder noch lebte, erstarb, noch bevor sie sich in Freude verwandeln konnte. Aus ihrem Gesicht wich auch noch der letzte Tropfen Blut, und Seiana hielt dem Blick des Centurios nur noch einen Moment lang stand, bevor sie ihren Kopf zur Seite drehte. Ihr Brustraum schien sich zu verengen, so sehr, dass ihr das Atmen plötzlich schwer fiel, ihre Arme verkrampften sich noch mehr um ihren Oberkörper, und als sie endlich sprach, war ihre Stimme tonlos. „Dann solltet ihr wohl anfangen. Nicht dass sie in der Castra zu lange auf mich warten müssen.“

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