Domus Aeliana - Cubiculum Archias

  • Sah man nach rechts, entdeckte man einen ordentlichen Stapel Wachstafeln. Und links? Papyrus. Im Regal stapelten sich Schriftrollen und Wachstafeln, eine gebrauchte Tunika und zwei Kerzenstümpfe. Auf dem Fensterbrett befand sich ein stattlicher Wachshaufen direkt unter einer Kerzenhalterung. Dann gab es da noch ein Bett, irgendwo hinter den unausgepackten Kisten und unter den vielen Mitbringseln aus Ägypten. Und gerade kam Katander herein, vier Wachstafeln unter dem Arm und eine ganze Menge anderer Dokumente in der anderen Hand.


    Caius saß direkt hinter dem ersten Stapel Wachstafeln und hatte die Linke unters Kinn gelegt, um den Kopf zu stützen. Mit der rechten Hand hielt er einen Griffel, aber Caius sah gelangweilt und ziemlich abgelenkt aus dem Fenster.
    »So, ich hab dir hier mal den Rest gebracht. Ist halt nen bisschen mehr als sonst, wegen der Reise und so«, verkündete Katander fröhlich und wummste einen neuen Stapel auf den Schreibtisch, wobei die Tafeln gefährlich klapperten und Caius ergeben stöhnte.
    »Oh Mann«, nörgelte er und ließ entnervt den Griffel fallen.
    »Wieso quälen uns die Götter mit sowas Elendem wie Bürokratie? Mann, ich brauch echt nen scriba oder sowas.«
    »Tja naja, wir sind in Rom, da könntest du durchaus jemanden finden«, bemerkte Katander ein wenig schadenfroh. Caius grummelte vor sich hin, während sein Sklave sich zwischen die ganzen Geschenke aufs Bett fallen ließ.
    »So'n Mist. Echt.« Und er seufzte und packte den Griffel wieder selber. Katander war für sowas nämlich herzlich unbrauchbar, was nicht hieß, dass Caius besser dran war, der hatte nämlich eine Sauklaue schlechthin.

  • Nachdem Caius Axilla aufgelesen hatte, war er den Weg zurück zur domus Aeliana gelaufen. Axilla war gar nicht so schwer, dachte er. Und dass er sich ihr Wiedersehen schöner vorgestellt hatte. Andererseits hätte er auch nicht vermutet, dass sie sich gleich wieder in den Armen liegen würden. Erst recht nicht so. Er hatte Axilla relativ einfach an Nakhti vorbei geschummelt und war dann direkt zu seinem cubiculum gegangen. Katander, der inzwischen nur noch den Brief, aber keine Säcke mehr trug, öffnete ihnen behende die Tür.


    Blöd nur, dass Caius noch nicht alles ausgepackt hatte, seitdem er aus Ägypten zurück war.


    Aus diesem Grund musste er einige Kisten und Stapel umgehen. Die nächste große Frage war: Wohin mit Axilla? Sein Blick flog hin zum Sschreibtischstuhl, doch Fehlanzeige. Da hatte ein gefährlich schwankender Turm Wachstafeln seinen Platz gefunden. Auf dem ungemachten Bett (Caius hatte sein Zimmer zur Todeszone für jeden aufräumbegeisterten Sklaven deklariert) lagen Schachteln und schätzungsweise viereinhalb Tuniken, drei davon sauber, alle ungefaltet. Caius entschloss sich, dass das Bett die beste (weil einzige) Wahl darstellte, und steuerte es an, um Axilla darauf zu legen. Nachdem er sie dort platziert hatte, scheuchte er Katander aus dem Raum mit der Anweisung, irgendwas Heißes zu trinken zu organisieren, denn Axilla fror sicherlich. Er selbst fegte dann mit keinem schlechten Gewissen die Tafeln doch vom Stuhl, zog ihn zum Bett und setzte sich, um Axillas hand zu ergreifen.
    »Axilla? Bitte hör doch auf zu weinen«, sagte er zu ihr.

  • Er hatte sie hochgehoben und getragen. Axilla hielt sich einfach nur an ihm fest und ließ es geschehen. Sie hatte zum einen ohnehin keine Kraft, sich dagegen zu wehren, und zum anderen war es schön, wenn er sie hielt. Da fühlte sie sich nicht so allein.
    Sie sah nicht, wohin er sie brachte. Irgendwann waren sie in einem Haus und dann in einem Zimmer und er legte sie auf ein Bett. Axilla hielt sich zwar noch leicht an ihm fest, aber er entglitt ihrer geschwächten Umarmung und holte sich einen Stuhl. Sie fiel zurück aufs Bett und zog in Schutzhaltung ein wenig die Beine an, während sie weiter schluchzte. Irgendwie fischte Archias ihre Hand heraus und griff sie, bat sie, nicht mehr zu weinen. Was natürlich dazu führte, dass sie sich erst einmal noch heftiger durchschüttelte und weinte, weil sie versuchte, damit aufzuhören.
    Es brauchte ein wenig, bis sie sich einigermaßen gefangen hatte. Sie hatte auch mit der zweiten Hand seine Hand gesucht und hielt sie so fast wie einen Schatz, als müsse sie sich daran festhalten, um liegen zu können. “Es tut so weh...“
    Axilla fühlte sich so leer im Moment. Sie hatte alles hinausgeheult, was einmal in ihr war, und sie fühlte nur noch diesen dumpfen Schmerz dort, wo eigentlich ihr Herz saß. “Und mir ist so kalt.“ Ihre Hände waren auch eiskalt, zumindest im Vergleich zu Archias'. Aber wenigstens atmete sie wieder so ruhig, dass man verstehen konnte, was sie sagte. Wenngleich auch immernoch Tränen leise flossen.

  • Sie tat Caius unendlich leid, wie sie da auf seinem Bett (und seinen Tuniken) lag und herzerweichend weinte. Das Blöde war nur, dass er rein gar nichts tun konnte, um ihr irgendwie zu helfen. Sie umklammerte ihn regelrecht, und er ließ sie weinen. Irgendwann würde es abebben. In der Zwischenzeit saß er bei ihr und hielt ihre Hand. Sie wirkte klein und zerbrechlich, so eingeigelt, wie sie dalag und schluchzte.


    Es verging eine geraume Weile, bis die Abstände zwischen ihren Schluchzern immer länger wurden. Als sie das nächste Mal etwas sagte, konnte er sie verstehen.
    »Ich weiß«, sagte er und drückte ihre Hand. Er sagte nicht, dass es irgendwann besser wurde oder sie es aushalten, stark sein musste. Das waren abgedroschene Sätze, fand er, also sparte er sich das. Gegen die Kälte konnte er aber etwas tun. Er entwand sich ihr mit einiger Anstrengung und stand auf, um zur anderen Seite des Bettes zu gehen. Unter einer schweren Schachtel zog er an einer dünnen Felldecke, was die Schachtel ihm damit dankte, dass sie zu Boden ging und mit lautem Rasseln jede Menge Muscheln und Strandgut auf den aelischen Fußboden ergoss. Caius seufzte nur, ließ die Muscheln aber liegen und machte sich daran, Axilla zuzudecken. Dann setzte er sich wieder, zog die Brauen hinauf und sah es an, das Häufchen Elend.
    »Besser so?« fragte er und überlegte, ob er sie schon fragen konnte, was sie mit der Ermordeten verbunden hatte. Glücklicherweise besaß er genug Feingefühl, die Frage für den Moment zu unterdrücken.

  • Als er aufstand – und sie damit losließ – wollte Axilla am liebsten protestieren. Aber es entrang sich ihr nur ein ganz kleiner Wimmerlaut, und sie wandte den Kopf ganz leicht nach den Geräuschen. Irgendwas fiel auf den Boden und raschelte und klickerte dabei. Axilla sah nicht, was es war, und sie fühlte sich zu elend, um sich umzudrehen und nachzusehen. Und dann war Archias auch wieder da und legte ihr etwas weiches um die Schultern. Axilla regte sich kurz und registrierte, dass es eine Felldecke war. Schöner aber war es, wie er sie zudeckte, das spendete mehr Trost.
    Er setzte sich wieder vor sie, und sie nickte etwas zaghaft auf seine Frage. Es war besser, wenn auch nur ein ganz klein wenig. Aber sie fühlte sich immernoch leer und kalt. Sie ruckte etwas unruhig auf dem Bett und kuschelte sich etwas mehr ein, aber irgendwie wollte die Kälte nicht wirklich weichen. Es fühlte sich mehr so an, als wäre ihr von innen heraus kalt, als wäre dort etwas gerade eingefroren.
    “Mir ist immernoch kalt“ gestand sie ganz leise und kleinlaut und sah beschämt zu Archias hoch. So langsam verebbten auch die Tränen und ließen nur rotgeäderte glänzende Augen zurück, deren grüne Iris dadurch irgendwie grell hervorstach.
    “Achi? Würdest du....“ sie sah ihn kurz bittend an, dann aber sah sie wieder ins nichts und traute sich nicht. Nicht, weil sie ihm nicht vertraute, dass er die Frage schon richtig auffassen würde, sondern aus Angst, er könnte es abschlagen. Sie wollte jetzt nur gern jemand nahe bei sich haben und etwas kuscheln, mehr nicht, aber das konnte sie auch von einem Freund nicht verlangen. Erst recht nicht nach dem, was schon passiert war, und wie es aussehen könnte.
    “Warum ist das passiert?“ fragte sie also, weil das das nächste war, das ihr durch den Kopf ging. Sie kannte keine Antwort darauf.

  • Das klägliche Nicken war allerdings alles andere als der Beweis dafür, dass es besser war als vorher. Axilla wirkte in dem Wust aus Fell nun noch verlorener als vorher, und Caius seufzte tief. Es war ihr also nicht wärmer. Das hatte er sich schin gedacht. In ihrem Fall kam die Kälte wohl auch tief aus dem Inneren. Da halfen alle Felldecken der Welt nicht. Caius hatte sich schon zurückgelehnt und war im Begriff, Axillas Hand loszulassen, als sie ihn indirekt um seine Wärme bat. Er ließ sie also los und ging mechanisch zum Kopfende des Bettes, um den dort befindlichen Karton auf den Boden zu stellen. Es klirrte leise, als er ihn absetzte, um sich selbst dann hinzupflanzen und mit dem Rücken ans Kopfende zu lehnen. Einladend öffnete er die Arme, nachdem er die Beine angewinkelt und die Füße aufgestellt hatte.
    »Na komm«, lud er sie ein. Dabei versuchte er einerseits, seine Erinnerungen an ihren Abschied zu verdrängen, andererseits, nicht über die möglichen Folgen dieser Situation nachzudenken. Er war nur ein Freund, sagte er sich, und er würde seine Freundin nur trösten.


    Warm schloss er seine Arme um Axillas zarten Körper und hielt sie fest. Mit einer Hand zog er auch die Decke noch mit über sie beide drüber. So viel konnte er schon tun. Aber auf ihre Frage hatte er keine Antwort. Da musste er improvisieren. Damit sie nicht wieder zu weinen anfing. Wenn er zumindest den Brief genauer gelesen hätte!
    »Vielleicht Neid. Auf eine tolle Familie, auf Geld, auf Freunde«, sagte er leise.
    »Man kann nicht hineinschauen in die Köpfe der Menschen. Man kann nur hoffen, dass sie irgendwann ihren Lohn für sowas bekommnen und im Styx ersaufen.«

  • Dankbar kuschelte sich Axilla an Archias an. Er hatte ihre Bitte verstanden, und genau das brauchte sie jetzt. Sie fühlte sich so verloren und allein, und das wollte sie nicht sein. Seine Nähe tat da gut, und er war warm und schenkte ihr etwas ruhe. Sie schlang einen Arm um ihn und kuschelte sich in die Kuhle an seiner Schulter, den Kopf halb auf seine Brust gelegt und den Rest des Körpers eng an ihn geschmiegt. Dazu die weiche Felldecke, und Axilla hätte sich rundum wohl gefühlt, wenn die Umstände andere gewesen wären. Aber auch das konnte den Schmerz in ihr nur lindern, aber nicht löschen.
    “Das war der Terentier, ganz sicher. Er hat Urgulania ja schon damit gedroht. Sie hat mich ja nur noch mit Leibwächtern rausgelassen, weil sie gedacht hat, er würde mich...“ Wieder lief ein Schauder durch Axillas Körper, und sie hielt sich an Archias fest, zog sich etwas mehr an ihn, um sich bei ihm zu verstecken und sich so zu beruhigen. “Aber... warum? Ich versteh das nicht. Warum hasst er sie so? Ich verfluche ihn...“ Bei den letzten drei Worten fing sie wieder an zu weinen und vergrub ihr Gesicht wieder an Archias' Brust. Ja, sie verfluchte ihn wirklich. Bei den Lemuren und den Parzen, sie würde ihm einen Fluch zukommen lassen, der ihn verderben würde. Sie würde die Furien zu ihm schicken, sie würde... sie wusste es nicht. ALLES, einfach ALLES Übel der Welt wollte sie dafür auf ihn loslassen.
    Doch später. Denn im Moment überwog der Schmerz, und sie weinte in Archias Armen, versuchte einfach, bei ihm ein wenig Halt zu finden und irgendwas, woran sie sich festhalten konnte.

  • Caius verstand nur Kornhafen. Ein wenig verwirrt versuchte er sich zu erinnern, ob er 'den Terentier' kannte. Dass Axilla den Legionsführer der Zweiundzwanzigsten meinen konnte, erschien ihm irgendwie abwegig. Jetzt musste er aber doch nachfragen.
    »Meinst du Terentius Cyprianus?« fragte er und versuchte, sich das Gesicht des Mannes aufzurufen. Allerdings erfolglos: Er hatte einfach zu wenig mit diesem Mann zu tun gehabt und wenn, dann nur mit dessen Namen. Den Fluch überhörte er geflissentlich. Damit war nicht zu spaßen!
    »Du denkst, er hat deine...Verwandte ermorden lassen? Was hätte er davon?«


    In diesem Moment ging die Tür auf und Katander kam mit einem Tablett herein, auf dem zwei dampfende Tassen standen. Er schloss die Tür mit einem gezielten Tritt und blieb dann zu einer Salzsäule erstarrt direkt davor stehen. Axilla lag im Bett. Soweit, so gut. Caius saß im Bett. Auch in Ordnung. Aber dass sie sich an ihn gekuschelt und er seine Arme um sie gelegt hatte, war doch schon sehr befremdlich. Pikiert räusperte sich der Grieche, platzierte den heißen Gewürzwein auf dem Nachttisch und warf Caius dann einen durchdringenden Blick zu, den er mit verengten Augen erwiderte. Dann rollte er mit den Augen.
    »Ja was?« maulte er seinen Sklaven an.
    »Geh einfach.« Ein böser Blick folgte dem Sklaven, als dieser kurz schnaubte und sich dann verzog.

  • “Er hasst sie. Er hat gedroht, sie zu kreuzigen, wenn die Pyrtanen nicht tun, was er will...“, versuchte Axilla schluchzend an seiner Brust zu erklären. Sie krallte sich beim Weinen leicht in Archias Kleidung und verursachte so ein paar nette Falten. Aber sie musste sich jetzt einfach festhalten, sie hatte das Gefühl, als würde sie fallen, und Boden gab es keinen mehr unter ihr.
    Die Tür ging auf, und Axilla hielt die Luft an, um die Schluchzer zu unterdrücken. Archias redete mit jemandem und schickte ihn weg, und Axilla atmete weiter. Jeder einzelne Atemzug brachte ihren Körper zum Zittern und Beben, obwohl sie sich zu beruhigen versuchte. Aber es war einfach alles so schrecklich, dass sobald sie daran dachte, alles wieder schlimmer wurde.
    Also weinte sie wieder ein wenig und robbte sich dabei auf der Suche nach Nähe noch näher an ihn. Sie fühlte sich so einsam gerade, so unendlich verloren. “Ich fühl mich so leer“ gestand sie resignierend an ihn gekuschelt und stupste ihn einmal leicht mit dem Kopf. Sie war so froh, dass er da war, denn sie wusste nicht, was sie sonst jetzt getan hätte.

  • Caius runzelte die Stirn bei dieser Information. Wenn er gedroht hatte, sie zu kreuzigen...und sie jetzt tot war...
    »Hm, weißt du, ich hab mich da nie so sonderlich reingefuxt in die ägyptische Verwaltung... Ist ein Pyrtane sowas wie ein duumvir?« fragte er ein wenig verwirrt und peinlich berührt, weil er es nicht wusste.
    »Ich meine, manchmal sagt man ja Ding, die man nicht so meint...« Eine Bemerkung, mit der sich vielleicht direkt in den Kackhaufen geritten hatte. Aber das war nun mal so. Caius schloss seine Arme noch etwas fester um Axilla und legte sein Kinn an ihre Stirn, um sie zu trösten. Ganz von selbst fing er dabei an, sich leicht nach links und rechts zu wiegen.
    »Du bist nicht alleine«, versicherte er ihr, als sie sagte, dass sie sich leer fühlte. Dann streckte er die Rechte aus und schnappte sich einen Becher mit dampfendem Inhalt, den er ihr hinhielt.
    »Hier. Trink davon, das wärmt ein bisschen.«

  • Axilla griff vorsichtig mit nach dem Becher, ließ sich aber von ihm die Tasse halten. Vorsichtig blies sie erst auf den heißen Wein und nahm dann einen kleinen Schluck. Sie wusste, dass ihr Wein schon im kalten Zustand fast augenblicklich zu Kopf stieg, trotzdem trank sie jetzt. Vielleicht wollte sie sich sogar ein klein wenig betrinken, um so das dumpfe Gefühl in ihr loszuwerden. Sie nahm gleich noch einen zweiten Schluck und einen dritten, ehe sie sich wieder richtig auf Archis Brust legte und sich mit der Hand die Tränen von den Wangen wischte. Es wärmte tatsächlich, zumindest ein wenig.
    “Die Pyrtanen sind die gewählten Beamten. Urgulania war erst Eutheniarche, und dann Exegete. Also erst für die Getreideverwaltung und -verschiffung zuständig, und dann für die Tempel der Stadt. Ich weiß nicht, ob man das gleichsetzen kann, ich kenn mich in der Politik nicht so gut aus...“
    Axilla dachte sich nichts dabei, wenn sie es Archias nochmal erklärte. Die Ämter Alexandrias kannte sie inzwischen sehr gut, vor allem, weil sie jedem ein Gesicht zuordnen konnte. Bei den römischen Ämtern tat sie sich da irgendwie sogar schwerer, weil sie da eben keine Gesichter zu den Aufgaben zuordnen konnte. Und sie hatte keine Ahnung, was ein Duumvir denn eigentlich genau machte.
    Der Wein begann langsam, zu wirken, und ihr Atem wurde immer ruhiger, und die Tränen versiegten auch. Einzig das Gefühl von Leere ging nicht ganz weg, wenngleich auch die Kälte sich etwas abmilderte. Axilla kuschelte sich noch ein wenig mehr an Archias, seine Nähe tat gerade so unendlich gut.
    “Ich bin so froh, dass du da bist“ flüsterte sie an seiner Brust und begann geistesabwesend, sanft darüber zu streichen. Sie war einfach froh, dass sie jetzt nicht alleine sein musste.

  • An
    C. Aelius Archias



    Salve Aelius,
    es wird mir ein Vergnügen sein, mein Versprechen endlich wahr zu machen. Ich werde dich zu Mittag auf der Palaestra erwarten. Bring einen Sklaven mit, der dich später nach Hause tragen kann.



    F. Decimus Serapio


    Caius ließ den Brief sinken. Ihm war ja fast nach Lachen zumute.
    »Jetzt guck dir das an, Katander«, sagte er zu seinem Sklaven und reichte ihm das Pergament, woraufhin Katander las und Caius dann leicht besorgt ansah.
    »Der Mann hat Witz«, kommentierte er.
    »Naja, also ich weiß nicht. Für mich klingt das danach, als würde er dich auseinandernehmen wollen...« wandte Katander vorsichtig ein. Doch Caius winkte ab.
    »Achwas. Das wird ein Gespräch unter Männern. Und zuhauen kann ich schließlich auch.«

  • »Oh. Dann ist ein Eutheniarch sowas wie der praefectus annonae«, sagte Caius verwundert. Vermutlich konnte man das aber eh nicht ganz gleichsetzen. Und im Grunde war es auch egal, denn alle Ämter, die Axilla aufgezählt hatte, waren von großer Wichtigkeit in Alexandrien, und allein schon deswegen war es schon ungeheuerlich, dass jemand eine Politikerin umbrachte. Auch wenn Caius zugeben musste, dass es äußerst seltsam war, dass eine Frau in der Politik etwas zu sagen hatte.


    Als sie sich so an ihn kuschelte und dabei ruhiger wurde (das schob Caius dem Kuscheln zu, nicht dem Wein), fühlte er sich sehr stark an ihren Abschied in Alexandrien erinnert. Er schluckte und dachte an Seiana. Dass sich die beiden eigentlich ganz gut verstanden hatten bei der Fete vom Pompeius. Und dass er bald mit Seiana zu seinen Eltern reisen würde. Damit sie seine Verlobte kennen lernten. Axilla strich ihm über die Tunika auf seiner Brust. Caius' Kloß im Hals nahm zu.
    »Ich bin immer da, wenn du mich brauchst«, entgegnete er leicht abwesend. Um etwas zu tun zu haben und sich zu beschäftigen, griff er nach seinem heißen Becher und schnappte nach einem Schluck Glühwein. Das tat gut.
    »Ich frage mich, warum der Terentius deine Verwandte umbringen sollte«, sagte er dann nachdenklich.
    »Ich meine, ich kenne weder sie noch ihn, aber das macht doch keinen Sinn. Selbst wenn er sie gehasst hat... Wenn ich jemanden hasse, dann würde ich ihn öffentlich bloßstellen wollen, damit er sich schämt. Oder die Leiche im Dunkeln verschwinden lassen. Aber so...? Wie hat er... Ich meine, wie ist sie gestorben?« fragte er behutsam.

  • Da Axilla nicht die geringste Ahnung hatte, was der praefectus annonae denn den lieben langen Tag so tat, zuckte sie nur ganz leicht mit den Schultern und streichelte geistesabwesend weiter. Nur, als Archias kurz meinte, er sei immer für sie da, wenn sie ihn brauchte, unterbrach sie kurz die Bewegung, um zu ihm aufzuschauen. Auch wenn Axilla so gut wie nie eifersüchtig oder neidisch war, in diesem Moment beneidete sie Seiana aufrichtig. Es musste ein wundervolles Gefühl sein, geliebt zu werden von dem, den man liebte. Ein trauriges, kleines Lächeln umspielt kurz ihre Lippen, und sie hätte etwas sehr liebevolles zu ihm sagen wollen, hätte er nicht just in dem Moment weitergeredet und wäre wieder auf Urgulanias Tod zu sprechen gekommen.
    Axilla legte ihren Kopf wieder in die Kuhle an seiner Schulter und fuhr damit fort, ihn sanft zu streicheln. Es war beruhigend, seinen Herzschlag zu hören, und sie schloss einen Moment ihre Augen.
    “Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass er es war. Ganz tief in meinem Herzen weiß ich das.“ Wie sollte sie das nur erklären? Urgulania hatte so lange Angst vor ihm gehabt, hatte sich so lange Sorgen um Axilla gemacht. Er muste es einfach gewesen sein, es musste wahr sein. Denn jede andere Wahrheit wäre noch um ein vielfaches schrecklicher als diese.
    “Ich weiß nicht, wie sie gestorben ist. Merula hat ja fast nichts geschrieben. Ich werde Timos gleich nachher schreiben und ihn bitten, mir alles zu berichten. Er ist ja Strategos, und er macht das bestimmt für mich. Seine Familie und meine sind schon so lange in Alexandria verbündet, er muss es einfach...“ Axilla krallte sich wieder etwas fester an Archias, als sie merkte, dass sie wieder drohte, den Halt zu verlieren. Sie zitterte kurz und versuchte, den neuerlich sich anbahnenden Heulkrampf zu ersticken.
    Es dauerte ein wenig, bis sie sich soweit unter Kontrolle hatte, ihn wieder loszulassen und mit leicht wässrigen Augen nochmal anzuschauen. “Du glaubst mir doch, oder?“ fragte sie fast schon verzweifelt. Sie fühlte sich wie verrückt, wie wahnsinnig, aber sie wusste einfach, dass sie es nicht war.


    Und dann aus einem inneren Impuls heraus spannte Axilla einmal und gab Archias einen ganz sanften Kuss. Er war nicht wie der aus Alexandria, der aus Blödelei geboren war und sehr schnell sehr begehrend und heftig geworden war. Ein Versprechen für Leidenschaft eben. Dieser hier war ganz sanft und liebevoll und vorsichtig, mehr wie eine stumme Bitte ohne jedes Drängen.
    “Tut mir leid“, hauchte Axilla nur leise, als sie sich nach nur ein paar Sekunden auch gleich zurückzog und wieder hinlegte. Sie fühlte sich nur so tot und leer und wusste nicht, wie sie das ändern sollte.

  • Caius wurde allmählich nervös. Er wollte ja gar nich bezweifeln, dass Axilla sehr traurig und am Boden zerstört war, aber wie sie ihn streichelte, war doch mehr als nur freundschaftlich. Oder? Er führte erneut den Wein zum Mund und trank.


    »Nein, schreib erst morgen. Du brauchst einen Moment Ruhe«, sagte er und drückte Axilla kurz. Was er zu der Sache mit dem Mord sagen sollte und zu ihrer Gewissheit, wusste er nicht. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass ein Präfekt so öffentlich jemanden umbringen ließ, nachdem er vorher öffentlich gedroht hatte. Das war ja quasi eigener Rufmord und ließ die Ermittler gleich auf der Matte stehen. Nein, wenn der Terentier das tatsächlich gewesen war, dann hatte er sich reichlich dämlich angestellt. Caius ließ die Gedanken fallen, als Axilla sich erneut an ihn drückte. Er stellte umständlich die Tasse weg und drückte sie tröstend an sich.


    Was sollte er sagen, als sie ihn fragte, ob er ihr glaubte? Er sah sie ein wenig zerknirscht an.
    »Natürlich glaube ich dir. Ich kann mir halt nur nicht so ganz vorstellen, dass dieser Terentius so dumm ist, verstehst du? Ich meine, wenn ich er gewesen wär, hätte ich die Leiche im Mare Internum verschwinden lassen. Damit das nicht so offensichtlich ist«, versuchte er zu erklären und zuckte mit einer Schulter.


    Dann wurde er vor Überraschung steif wie ein Brett, als Axilla sich zu ihm drehte und ihn küsste. Im ersten Moment war er völlig perplex, dann erwiderte er den zärtlichen Kuss. Und hinterher fühlte er sich schlecht und schwach. Als Axilla sich dafür entschuldigte, zog Caius sie wieder zu sich und umarmte sie erneut.
    »Nicht dafür«, erwiderte er. Es war ja auch gar nichts passiert. Nur fühlte er sich so, als wär es.

  • Ruhe... wie sollte sie denn Ruhe finden? Axilla fühlte sich leer, einsam, aufgewühlt, zerschmettert, verzweifelt, aufgebracht, wütend, schuldig. Nicht ruhig. Ganz und gar nicht ruhig. Wie sollte sie also zur Ruhe kommen, wenn ihre Gedanken sich nur immer mehr und immer schneller drehten?
    Und auch Archias laut geäußerten Gedanken verbesserten dieses Durcheinander nicht. Sie hatte doch auch keine Erklärung dafür, warum er das getan hatte. Für sie stand er nur als Schuldiger fest. Das wusste sie von ihrem Gefühl her, mit Logik konnte sie es nicht erklären. Daher konnte sie seine durchaus logischen Argumente auch nicht entkräften.


    Nach dem Kuss aber war es sowieso erst einmal bedeutungslos. Sie hatte gefühlt, dass er sie auch geküsste hatte, und sie hatte auch bemerkt, wie er sie wieder an sich gezogen hatte, als sie entschuldigend ein wenig von ihm abgerückt war. Er umarmte sie wieder, und er war warm...
    Etwas unsicher schaute Axilla auf. Sie fühlte sich so einsam und leer. Und er war warm und sanft, und er roch gut und...
    Sie schämte sich für ihre Gedanken, für die Erinnerung und die Bilder, die sie vor ihrem inneren Auge sah. Sie schämte sich, weil er ihr Freund war und sie das nicht einmal denken sollte. Sie schämte sich, dass sie nicht tugendhafter war. Sie schämte sich, weil sie wusste, dass er und Seiana sich liebten. Aber am meisten schämte sie sich, dass sie das alles beiseite schieben konnte und sich noch ein wenig mehr an ihn kuschelte.
    “Caius? Ich....ich bin kein guter Mensch, glaube ich...“
    Sie schaute mehr auf, ging mit dem Kopf ganz leicht vor, so das sie ihn einmal mit der Nase stupste. Ihr Blick verriet, was sie meinte, auch wenn er noch immer traurig war. “Können wir nicht...aufhören, davon zu reden... ein Weilchen?“

  • Axilla sagte gar nichts dazu, was Caius doch irgendwie verdutzte. Vielleicht wollte sie aber auch nur einfach nicht mehr darüber nachdenken und sagte deshalb nichts dazu? Caius zuckte innerlich mit den Schultern, dachte dann aber nicht mehr weiter darüber nach, als er Axillas schuldbewusstes Gesicht zu sich aufblicken sah.


    »Was? Warum denn? So ein Blödsinn«, echauffierte er sich, ehe Axilla ihn mit der Nase stupste und er sie verdattert ansah. Ihm ging bedauerlicherweise nicht auf, warum Axilla fand, dass sie ein schlechter Mensch war. Das heißt, doch! Sicher, weil sie dem Terentius die Pest an den Hals wünschte! Aber das war doch nur natürlich, wenn man sowas vermutete, wie sie es vermutete. Caius war immer noch felsenfest davon überzeugt, dass es das war, weshalb sie sich schlecht fühlte, bis...ja, bis sie ihn so ansah. Und ihn bat, erstmal nicht mehr darüber zu sprechen. Er sah sie an, wie sie da in seinen Armen lag, die Tasse irgendwo in der Hand, und leicht treudoof zu ihm aufschaute. Oh ja, er wusste plötzlich ganz genau, was sie damit meinte. Allerdings fiel im gleichen Augenblick ein Riegel herunter, auf dem in bunten Leuchtlettern der Name seiner Verlobten stand. Caius war sich dessen nicht bewusst, wie schnell Axilla den Stecker der Reklame ziehen konnte, aber vielleicht war sich Axilla darüber im Klaren. Caius jedenfalls zog die Brauen zusammen und sah sie an.
    »Eh, gut...« war die intelligente Erwiderung, zu der er sich imstande sah.

  • Im ersten Moment verstand Archias nicht. Das konnte Axilla ihm ansehen und auch daran hören, wie er gleich widersprach, als sie meinte, sie sei schlecht. Aber sie war schlecht, sie wusste es. Sie sollte jetzt aufstehen und gehen und nicht einmal das denken, was sie gerade dachte. Oder zu Silanus vielleicht gehen. Oder vielleicht alles auf eine Karte setzen und Vala besuchen. Oder noch besser, endlich einen Mann suchen und mit dem das teilen. Aber sie lag hier, bei ihm, den warmen Wein im Bauch, mit wirren Gedanken, und sah zu Archias auf, der irgendwie verlegen zu ihr herunterschaute.
    Axilla fuhr wieder leicht mit ihrer Hand über seine Brust, sah dabei fast bettelnd zu ihm hoch. Sie wollte ihn nicht darum bitten, wollte nicht einmal die treibende Kraft dahinter sein. Aber sie wollte sich jetzt nicht mehr so einsam fühlen und wollte nicht mehr so viel denken.
    “Ich will nicht mehr nachdenken. Ich fühl mich so leer...“ meinte sie noch leise und rückte noch einmal ein Stück näher, den Kopf schon so haltend, dass nicht viel zum Kuss fehlte.

  • Bona Dea.


    Wäre Katander noch anwesend gewesen, hätte er die Iuniern vermutlich an den haaren aus dem Bett gezogen und den ganzen Palatin hinunter geschleift, nur um Caius vor einer Dummheit zu bewahren. Seiner zweiten, wenn man es genau nahm. Aber Katander war nicht hier. Und so würden er und Leander später nur wieder das Nachsehen haben und darüber sinnieren können, wie sie ihre Herrschaften aus einer vertrakten Situation würden hinausbugsieren können.


    Caius war keiner, der hilflose Frauen ausnutzte. Oder zweifelhafte Situationen. Aber bei Axilla war das was anderes. Nicht, dass er sich so fühlte, als würde er sie ausnutzen, wenn er...und sie...also... Aber war es nicht so, dass sie sich ablenken musste? Und er als Freund dazu verpflichtet war, sie zu trösten (ganz abgesehen davon, dass er es nicht ausstehen konnte, gute Freunde traurig zu sehen und selbst nichts tun zu können)? Caius zog die Unterlippe ein und kaute kurz darauf herum. Er nahm Axilla die Tasse weg und stellte sie zu seiner. Seine Lippen streiften ihre kurz, dann flackerte die Reklame in seinem Kopf ein letztes Mal warnend auf.


    »Und du denkst, dass dich das...davon abhalten könnte....« murmelte er und ließ seinen Atem dabei unbewusst warm über ihren Hals streichen. Verflixt noch eins! Axilla und er...das schien letztens nicht mehr gut zu gehen, wenn sie allein waren. Caius blinzelte, und die Lettern waren verblasst. Er küsste Axilla, ohne auf den Sinn ihrer Antwort zu achten, sofern sie überhaupt antwortete.

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