• Prolog: Endlich wieder 'Daheim'. Germanien war schon immer meine Heimstatt, was sollte ich in Rom? Rom war voller Menschen, Unfreundlichkeit. Die Luft schwer von Neid. Hier ist die Luft unbeschwert und erfrischt die getrübten Sinne! Erst jetzt lebe ich wieder, wenn ich auch bald wieder in meinen alten Schlaf fallen muss. Aber jetzt, jetzt bin ich noch in Germanien. Noch darf ich atmen und mit offenem Geist durch die Lande streifen. Erst heute weiß ich, was der Begriff 'Zuhause' eigentlich bedeutet.


    Prudentia war wieder in Germanien. Vor wenigen Tagen hatte sie den Landbesitz ihres Onkels erreicht. Eigentlich sollte sie den Transport der hiesigen Tierschaft, die im Besitz der Familie war, organisieren. Eigentlich hatte sie vor, jetzt schon wieder auf der Heimreise zu sein. Aber geeignetes Personal zur Organisation zu finden hatte sich als schwieriger denn erwartet bewiesen. Aber es betrübte sie nicht sonderlich, denn was konnte schöner sein, als in der geliebten Heimat aufgehalten zu werden?
    Das Lächeln, welches auf ihrem Gesicht prangte, war schon lange nicht mehr so strahlend gewesen. Es war noch sehr früh am Morgen, doch sie fühlte sich kein bisschen müde. Die Sonne mochte erst vor kurzer Zeit aufgegangen sein und stand noch sehr niedrig am Horizont. Am blauen Horizont. Am schönen Horizont. Keine Häuser vor ihr, nur wenige Farmen. Keine vollen Straßen, nur wenige, freundlich grüßende Bauern. Keine gestresste Nobilitas. Nur die ruhige Ewigkeit, die sie in Germanien immer sah. Und doch war es voller Leben. Die dichten Wälder, die kühle Luft. Sie war schon so lange nicht mehr hier gewesen. Und doch kannte sie noch Germaniens Gesetze, seine Pflanzen und seine Tiere. Rom kannte sie überhaupt nicht.


    Nicht einmal der Umstand, dass sie an einem kurzen Strang ein Pferd hinter sich her führte, änderte etwas an ihrem Glücksumstand. Sie hatte Angst vor ihnen, immer warfen Pferde sie von ihren Rücken, schnaubten sie bösartig an und scharrten mit den Hufen, als ob sie gleich auf sie losgehen wollten. Aber sie wollte Germanien mit einer schönen Erinnerung verlassen. Und was könnte es Schöneres geben, als die Uneinigkeit mit den stolzen, kraftstrotzenden (Terror) Tieren zu beseitigen? Sie wandte sich mit dem warmen Lächeln ihrer roten Lippen zu dem Tier um. Vielleicht würde es anders werden, weil sie jetzt mit ehrlichem Willen an das Tier heranging. Ihr letzter Versuch lag doch schon ewig lange zurück. Sie war noch ein Kind gewesen. Zugegebenermaßen besaß sie noch immer keine Erwachsenenreife, doch wenigstens ihr Körper hatte diese erlangt. Wenngleich sie auch sehr schmal gebaut war, beinahe knabenhaft.
    >Komm! Na komm!< forderte sie den Weißen auf. Ja, richtig gehört. Es war ein Hengst und zudem ein ziemlich hochgewachsener. Sie hatte ihn sich von einem Händler erworben. Für wirklich viel Geld. Aber sie wollte dieses lieber für ein Tier aufwenden als für einen Sklaven. Und Onkel Commodus würde es ihr sicherlich vergeben. Es war nur so, dass die braunen Augen sie so lange fixiert hatten, bis sie nachgab. Und dass sie einem Pferd nachgab, hätte sie vorher niemals erwartet.


    Aquilia blieb stehen und der Weiße tat es ihr gleich. Das Pferd war höher als Prudentia, sogar entschieden höher. Und sie hatte noch nicht genauer darüber nachgedacht, wie sie seinen Rücken erklimmen wollte. Sie betrachtete das Tier. Ihr war noch kein Name in den Sinn gekommen, doch es musste ein besonderer sein. Es war ein sehr kräftiges Tier, ein junges Tier. Und wunderschön. Nie hatte sie irgendeine Art von Zuneigung für ein Pferd aufbauen können, doch dieses liebte sie geradezu. Von jenem Moment an, da sich ihre Blicke begegnet waren. Es war ein Pferd wie für Adlige gemacht. Nein. Wie für sie gemacht.
    Sie tat den fehlenden Schritt und lehnte ihren Kopf an den starken Hals des Tieres, woaufhin dieses nur leicht und unwillig schnaubte, sie allerdings nicht abwehrte. Allein das war für Aquilia beinahe ein Wunder. Zärtlich streichelte sie die Nüstern des Pferdes. Es musste seltsam anmuten, wie sie dort mitten auf dem Wege standen, zwischen großen Feldern. Doch zugleich musste es auch ein rührender Anblick sein.
    >Du bist besser als jeder Mann unter den Menschen.< murmelte sie leise und drückte ihm einen leichten Kuss auf den Hals auf, ehe sie sich wieder abwandte und sich zurück auf den beschrittenen Weg begab. Heute wollte sie den Versuch wagen, wieder ein Pferd zu erklimmen. Zu reiten. Vielleicht suchte nicht der Mensch das Tier aus, sondern das Tier den Menschen. Vielleicht haben sie zueinandergefunden. Und sie ihn nicht nur 'gekauft'.

  • Langsam näherten sie sich dem Ende der Felder. Sie kamen zu einem Wald, den sie sehr gut kannte. In jener Zeit, da sie bei Onkel Commodus in Germanien lebte, bevor sie nach Rom zogen, war sie hier jeden Tag spazierengegangen. Etwas schwer war es ihr schon um das junge Mädchenherz. Kaum dass sie in den ersten Schatten der Bäume getreten war, bekam sie das Gefühl, nie wieder hierherzukommen. Nein, das würde sie nicht überstehen. Vielleicht würde sie den Abschied von den Bäumen hier ertragen, doch wenn sich der Abschied auf Germanien ausweitete, würde sie zerbrechen. Sie gehörte einfach hierher, nicht irgendwoanders hin. Als sie an dem Eingang des Waldes stehen blieb, sah sie tief hinein. Zwischen all dem Laub der alten Bäume schimmerte leichtes, zauberhaft wirkendes Licht hindurch. Auf den Blättern ruhte noch leichter Tau und dass die Nacht kalt war, konnte sie bestätigen.
    Sie wandte sich um und sah nach Menschen, doch erblickte sie keine einzige Seele. Dann atmete sie einmal tief durch und sah das Pferd an. Sie hatte ihm keine Ketten angelegt, außer dem einen Strick. Sie wollte das Tier nicht binden, auch als berittenes Pferd sollte es seine Freiheit nicht einbüßen. Auch wenn sie sich wahrscheinlich dadurch einen Genickbruch zuziehen würde.
    "Ist ja gut. Bleib jetzt ganz ruhig. Es wird dir nichts geschehen.< sprach sie mit sanfter Stimme auf das Pferd ein und betrachtete die dunklen Augen. Die Worte wirkten allerdings beruhigend, jedoch offensichtlich mehr auf den Menschen. Aquilia atmete ein weiteres Mal tief ein und wieder aus, ehe sie um den Kopf herum ging. Unaufhörlich streichelte sie weiter über das kurze Fell des Pferdes, bis sie am Rücken angekommen war. Soll ich, oder soll ich nicht?


    Zweifelnd blickte Aquilia auf das hohe Hindernis. Übermäßig klein war sie ja nun nicht, nur kleiner, als viele andere. Die meisten Anderen. Aber das Hindernis hier wirkte nicht nur hoch, sondern auch unüberwindbar. Sacht legte sie ihre Hände auf den breiten Pferderücken ab und versuchte sich hochzuziehen, doch dafür reichte ihre Kraft nicht aus. Ihre Beine schwebten kurz über dem Erdboden, doch dann gab sie wieder nach und landete darauf. Das Pferd indessen wandte sich zu ihr um, als wollte es prüfen, was dort versucht wurde. Die missmutige Aquilia hingegen meckerte nur:
    >Guck nur ja nicht so spöttisch. Du könntest es auch nicht besser!< und sprach gefrustet hoch, sodass sie halb über dem Pferderücken hing. Besagter Hengst allerdings ging ein paar Schritte, sodass sie sich nicht mehr richtig halten konnte und schmerzhaft wieder auf den Boden und den zierlichen Popo zurückrutschte. Frustriert sah sie zu dem hochgewachsenen Tier auf, wenngleich sie auch dieses Mal in ihrer Lage keine Angst empfand. Sie vertraute dem Großen einfach.
    >Nun stell dich nicht so an, du Spring-ins-Feld. Sei mir lieber dankbar.< Und sie meinte ihre Worte, wie sie diese auch sagte. Das Pferd konnte ihr ruhig ein wenig Unterstützung bieten, anstatt immer so besserwisserisch auf sie herabzuschauen! Mühsam rappelte sie sich wieder hoch, griff nach dem Strang und ging erstmal zu Fuß weiter. Das war ja peinlich, wenn das jemand sehen würde. Die wilde Aquilia, die es nicht einmal schaffte, auf einen Pferderücken zu klettern, jedoch Häuserwände erklomm. Sie stieß ein leises Brummen aus, während die sechs Füße der zwei Freunde auf weichen Waldboden weitergingen. Treuherzig blickte der Weiße auf den Rücken seiner neuen Herrin, nichtsverstehend, was sie da vor sich hin erzählte.
    >Du kannst dich wirklich nicht benehmen. Was ist denn so schwer daran, mich auf deinen Rücken zu lassen? Habe ich dir oder deinesgleichen schon irgendetwas getan oder warum treibt ihr diese gemeinen Spielchen mit mir? Ich versuche, mich mit dir anzufreunden, und so dankst du es mir. Oh, du glaubst, es liegt an mir? Gaaanz bestimmt nicht. Du bist gewiss nicht das erste Pferd, dass von mir...< Doch da schnaubte das Tier, offensichtlich gefiel ihm der Ton nicht. Aquilia machte einen Satz nach vorn und starrte den Weißen an.
    >Jaja, schon gut. Ich gebe zu, ich habe gelogen. Du bist das erste Pferd.< Und so setzten sie ihren Weg durch den Wald wieterhin fort. Es war beinahe kalt, wie die ärmellos bekleidete Aquilia fand. Wahrscheinlich, so überlegte sie weiter, war sie durch die Wärme in den südlichen Ländern einfach nur total verwöhnt.

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