Der Römer und der Germane

  • Die Sonne ging auf. Die Vögel zwitscherten fröhlich und die ersten Bienen summten über die Wiese außerhalb des Tores. Völlig verdreckt, durchgeschwitzt, blaß im Gesicht und mit schlammigen Füßen marschierte Marcus Flavius Aristides, nicht mehr als Patrizier erkennbar, auf das Tor der Stadt zu. Neben sich zog er einen Germanen mit sich. Rutger, den er in der Nacht zuvor als Geisel in einem germanischen Lager gefangen genommen hatte. Marcus stapfte auf das geöffnete Tor zu und dann hinein.


    Ihnen kam ein alter Mann mit, einem mit Holz beladenen, Wagen entgegen. Der Mann warf dem ungleichen Paar nur einen müden Blick zu ehe er in eine Gasse abbog. Einige Frauen zogen mit ihrer morgendlichen Wäsche vorbei, leise miteinander tuschelnd. Marcus wischte sich mit einer Hand etwas Schweiß von der Stirn und blieb einen Moment stehen. Nachdenklich zog er seine Augenbrauen zusammen, dann nickte er und ging weiter. Zielstrebig ging er auf eine Taberna zu und stieß sie mit seinem Ellbogen die Tür auf.


    Innen schreckte er einen jungen Mann auf, der gerade dabei war, die Tische vom vornächtlichen Gelage einiger Soldaten und den Bewohnern der Stadt zu säubern. Der Mann sah die Ankommenden mißtrauisch entgegen. Doch Marcus ließ sich davon nicht stören, sondern zog Rutger zu einem der Tische. Müde ließ sich Marcus auf den unbequemen Holzstuhl hinunter sinken.


    “Setz Dich, Kleiner!“


    Hoheitsvoll, trotz Schlamm und heruntergekommener Erscheinung, nickte Marcus dem jungen Mann zu.


    „Bring mir etwas Wein!“

  • Mit größtem Widerwillen hatte Rutger die Stadt betreten. Hier saß er vollends in der Falle, er fühlte förmlich wie sich die Schlinge um seinen Hals zuzog.
    In der Taberna angekommen, lehnte er sich auf eine schmierige Tischkarte und starrte Marcus wütend und übernächtigt an.
    Im Morgenlicht war sein Gesicht sehr fahl. Sein Hemd war vorne ganz verkrustet von braun eingetrocknetem Blut. Er zerrte an den Lederriemen, die seinen Händen das Blut abschnürten.
    "Mach mich los! Du wolltest in die Stadt, ich habe dich hingebracht."
    Im Hintergrund schenkte der junge Mann gerade einen Becher Wein ein. Rutger hatte, nach dem Gewaltmarsch und dem Blutverlust, einen brennenden Durst. Das plätschernde Geräusch machte ihn beinahe wahnsinnig
    Dann wurde der Becher an ihm vorbei getragen und ruppig vor Marcus auf den Tisch geknallt. Einige Tropfen spritzten heraus. Rutger schluckte mit ausgedörrter Kehle.
    Arge Skepsis schwang in seiner Stimme mit, als er verlangte:
    "Du hast dein Wort gegeben, halte es!"

  • Bleierne Müdigkeit hielten Marcus Gedanken umfangen. Ein Bett! Ein Bett, was würde er alles für ein warmes, weiches Bett geben. Aber es würde nur eine harte Pritsche im Kastell auf ihn warten. Unzufrieden starrte er auf den Becher und griff nach ihm. Mit großen Schlücken befeuchtete er seine trockene Kehle. Genüßlich seufzte Marcus und stellte den Becher wieder auf den Tisch zurück. Erst dann wandte er sich wieder seinem Gefangenen zu. Sein rechter Mundwinkel hob sich etwas, was ein Hauch von einem höhnischen Lächeln war.


    "Ich habe Dir mein Wort gegeben, daß Du am Leben bleiben wirst, Germane! Und an dieses werde ich mich auch halten. Aber ich lasse Dich bestimmt nicht laufen...nein!"


    Marcus reckte sich und wieder zuckte Schmerz durch seine Seite. Fast war er doch versucht, Rutger frei zu lassen. Dann würde er einfach aufstehen können und ins Kastell marschieren. Doch das wollte er nicht. Dieser Germane würde es noch bereuen, daß er eine Waffe gegen einen Römer und Patrizier erhoben hatte. Er sollte spüren, was es hieß, sich einen Flavier zum Feind zu machen. Zu schade, daß sein Bruder Felix auf Sardinien seine Ruhe haben wollte, sonst hätte er ihm Rutger geschickt. Suchend sah sich Marcus in der Taberna um, bis er einen Jungen ausmachte, der gerade einige Teller durch den Raum trug. Herrisch winkte er den Jungen zu sich. Dieser trat schnell auf den Tisch.


    "Ja, Herr?"


    Marcus sah zu Rutger, dann zog er den Jungen näher an sich heran. Leise murmelte er ihm einige Anweisungen zu. Der Junge nickte und nickte erneut, sah kurz zu Rutger und drehte sich schnell um. Mit flinken Füßen verließ er die Taberna und war den Augen entschwunden. Marcus lehnte sich wieder zurück und trank wieder von seinem Wein ohne sich um Rutgers möglichen Durst zu kümmern.

  • Demonstrativ trank der Römer. Vor Rutgers Augen erschien das aufdringliche Bild eines lebhaften Bergbaches, der verspielt von Stein zu Stein sprang, rauschte und brauste, und dazu einlud, den Durst zu löschen. Fast konnte er das frische klare Wasser riechen, und den feinen kühlen Dunst auf den Wangen spüren. Abwehrend wandte er den Kopf zur Seite. Der Bach verschwand, dafür sah er jetzt einen großen Tonkrug, massiv und glattwandig, und bis zum Rand gefüllt mit honigdunklem Met... ein Tropfen perlte über den Rand hinterließ eine dunkle Spur auf dem Ton... Regen prasselte auf Laub, sammelte sich in den Vertiefungen der Blätter und rann in funkelnden Fäden auf den Boden... eiskaltes Wasser drang aus einer Felsspalte, umrahmt von Moos und Sauerklee...
    "...aber ich lasse Dich bestimmt nicht laufen... nein!" - Die Bilder verschwanden. Rutger sah starr auf den Römer. In dem unbestimmten Graugrün seiner Augen glomm ein Funke: blanker Haß.
    "Was soll das heißen?!" fauchte er.

  • Marcus musterte Rutger mit einem genüsslichen Grinsen im Gesicht. Wie schnell Fortuna doch ihre Launen ändern konnte. Innerlich lachte Marcus schon darüber. War er doch nur vor wenigen Stunden noch Rutgers Gefangener, so war nun Rutger selber in Marcus Hand. Ihm ausgeliefert auf Gedeih und Verderben.


    „Kleiner, ich lass Dich am Leben. Darüber kannst Du schon glücklich sein. Aber Du wirst wohl lernen müssen, daß man sich einem Römer gegenüber nicht so verhält.“


    Marcus beugte sich etwas nach vorne und taxierte Rutger mit leicht verengten Augen. Sein Grinsen war mit einem Schlag verschwunden.


    „Und besonders was es heißt, wenn man einen Flavier angreift. Du hast Dir den falschen Römer dafür ausgesucht, Germane!“


    Zufrieden über diese, seiner Meinung nach genug überheblicher Rede, lehnte sich Marcus zurück. Ja, so benahm man sich doch standesgemäß. Die Tatsache, daß er eher wie ein erbärmlicher Bettler, mit all dem Schlamm und den Verletzungen aussah, übersah er dabei hochmütig. Die Tür öffnete sich in jenem Moment wieder und der Junge der Taberna trat in den Schankraum. Im Schlepptau hatte er einen Mann, mehr eine Gestalt.


    Der Mann war eher von Zwergengestalt. Sein Gesicht war rund wie der Vollmond und eine lange, spitze Nase zierte den Apfelkopf. Dabei zeigte die obere Rundung kein Härchen, nur eine etwas fettige, schmierige Schichte, die von seltenem Waschen zeugte. Auch seine Kleidung hätte durchaus auf dem Boden alleine stehen können, so sehr strotzte sie von Dreck und Körperfett. Der Junge deutete dem Mann, dessen Gesicht von einigen unschönen Pusteln bedeckt war, zu Marcus zu gehen. Der Mann nickte eifrig und huschte tapsend an den Tisch. Der Mann blieb stehen und sah unschlüßig von Marcus zu Rutger und wußte wohl nicht, wen er ansprechen sollte. Erst nach einigem Überlegen, was sich lebhaft auf dessen Gesicht wiederspiegelte, wandte er sich an Marcus. Seine Stimme klang nasal und sein Latein von einem vulgären Unterton geprägt. Welchem Volk oder gar Gattung er angehörte, war schwerlich daran zu erkennen.


    „Salve! Mir wurde ausgerichtet, daß ihr einen Sklaven hättet, der nach Rom soll? Ist das so richtig?“


    Marcus wandte sich ganz langsam an den Mann und musterte ihn von oben bis unten. Angewidert verzog Marcus sein Gesicht. Unschlüssig schwieg Marcus. Der Mann, Händler, Sklave, was auch immer er war, er war ihm zumindest sehr suspekt. Aber gut, eine andere Wahl hatte Marcus nicht wirklich.


    „Richtig! Dieser dort soll nach Rom gebracht werden. Mein Name ist Marcus Flavius Aristides. Du kennst sicherlich die Gens Flavia?“


    Der Mann schien bei Marcus Worten selber etwas skeptisch zu sein und musterte ebenfalls Marcus prüfend, der kaum wie ein erhabener Patrizier wirkte. Schließlich nickte dieser langsam. Dabei rieb er sich die Hände und seine Nase zuckte ein wenig. Er schien wohl ein gutes Geschäft zu wittern.


    “Ja, natürlich kenne ich die großen Flavier. Welcher Sklaven- und Gladiatorenhändler kennt sie nicht? Aber verzeiht mein Herr, ich bin nur der Mittelsmann. Mein Herr ist der eigentliche Sklavenhändler. Er ist jedoch gerade noch in Verhandlungen. Nun gut, wir werden in einigen Tagen aufbrechen um die germanischen Sklaven nach Italia zu bringen. Dann könnten wir den Sklaven mitnehmen. Das ist aber nicht ganz billig, mein Herr! Besonders wenn die Ware unbeschädigt sein soll. Ist das Ding denn gefügsam?“


    Marcus lachte leise bei den Worten und schüttelte den Kopf.


    „Nein, das ist das Ding wahrlich nicht. Er müßte in Ketten dorthin gebracht werden. Und ich möchte sichergehen, daß er auch wirklich in der Villa Flavia ankommt. Was willst Du für den bockigen Sklaven dort?“


    Marcus deutete grinsend auf Rutger. Langsam fing es an ihm Spaß zu machen. Sollte doch Rutger lernen, daß er von nun an nicht mehr als eine Sache war, nur ein Sklave unter vielen, vielen tausend Anderen! Der Händler nickte und sah prüfend auf Rutger.


    “Hmmm! Rebellisch sieht er aus...dieser fanatischer Haß! Das wird schwierig, sehr schwierig! Und dann muss er auch noch gefüttert werden. Und wer weiß? Vielleicht beißt das Ding noch einem meiner Sklaven den Finger ab. Und eine Wache brauch ich auch ständig für ihn. 600 Sesterzen. Darunter geht es nicht!“


    Marcus sah den Händler verblüfft an. Schließlich lachte Marcus und schüttelte den Kopf.


    „600? Du bist verrückt, Mann! Soviel würde ich für einen wilden Germanen noch nicht mal bezahlen, wenn ich ihn bei Dir kaufen würde. Auch in Roma nicht. Aber gut, Du bekommst jetzt 200 Sesterzen und in Rom bekommst Du von meinem Vetter noch mal so viel. Solltest Du den Sklaven jedoch verlieren oder woanders hin verkaufen, dann solltest Du um den Beistand der Götter beten. Denn dann wirst Du im Theater der Flavier den Löwen vorgeworfen werden! Verstanden?“


    Der Händler, völlig unbeeindruckt von der Drohung, nickte eifrig. Ja, seine Nase zuckte noch ein wenig mehr. Es wirkte fast schon wie bei einem Kaninchen oder bei einem Schwein, was gerade im Schlamm suhlte.


    „Aber sicher doch, Herr, vierhundert Sesterzen? Nun gut, das ist akzeptabel! Wann bekomme ich das Geld?“


    Marcus nahm den Becher und trank den letzten Schluck aus und stellte den Becher achtlos wieder auf den Tisch. Dabei stand er auf.


    “Ich lasse Dir das Geld vorbeibringen! Bis dahin kannst Du ihn ja als Unterpfand behalten. Wenn Du Dein Geld nicht bekommst, verkauf ihn meinetwegen an irgendjemanden. Aber weit, weit weg von Germania! Aber ich schick es Dir morgen früh vorbei! Und bring ihn zur Villa Flavia nach Rom. Ich werde Dir noch einen Brief für seinen neuen Besitzer mitschicken!“


    Der Händler nickte wieder und trat etwas zur Seite als Marcus vom Tisch aufstand.


    “Aber natürlich, mein Herr! Bringt das Geld zu Lucianus, dem Keltenhändler!“


    Marcus sah kurz zu dem Mittelsmann, wandte sich dann jedoch an an Rutger. Kalt und arrogant sah er zu dem Germanen.


    „Nun, Kleiner, das wird Dein Schicksal sein. Du wirst lernen müssen, Dich uns Römern zu unterwerfen. Denn von nun an, wirst Du ein Sklave der Flavier sein. Nicht mehr wert als der Dreck unter meinem Schuh, gezwungen jeden Dienst zu vollführen, denn wir haben nicht nur Dein Leben in unserer Hand, sondern auch die Macht Dir zu zeigen, wozu ein Patrizier in der Lage ist.“

  • Ganz und gar ungläubig hatte Rutger Marcus´ Schachern mit dem widerlichen Sklavenhändler verfolgt. War das möglich? Ging es da um ihn? Hatte ihm sein Schicksal bis zum gestrigen Abend nicht verheißungsvoll zugelächelt? Alles Glück war zum Greifen nahe gewesen. Jetzt ... das.
    Fassungslos weigerte Rutger sich, daran zu glauben.
    "Niemals." flüsterte er leise, und wiederholte langsam, als würde er einen heiligen Schwur leisten: "Niemals."
    Wie betäubt hörte er, was weiter verhandelt wurde.


    Als Marcus wieder zu ihm sprach, ihn verhöhnte, wich dieser Unglauben schlagartig einer unbändigen Wut. Dieser hinterhältige Bastard hatte ihn belogen, hatte ihm Gytha genommen, hatte ihm sein Leben gestohlen, wollte ihn nun noch demütigen und in den Schmutz treten!
    Animalischer Zorn wallte in Rutger auf. Seine Züge verzerrten sich.
    "Niemals!" , knurrte er, bleckte in wilder Raserei die Zähne, wie ein in die Enge getriebenes Raubtier, und stürzte sich mit einem unartikulierten Schrei auf Marcus.
    Heftig prallte er gegen ihn, stieß das Knie in den Unterleib seines verhassten Feindes, und fiel mit ihm auf die fleckigen Dielen. Die Tobsucht verlieh ihm ungeahnte Kräfte - eine Hand riss sich aus den Fesseln frei, Rutger spürte kaum den Schmerz als er sich den Handballen zerquetschte und die Haut über den Fingerknöcheln abschabte. Mit den Fingern zielte er auf Marcus´ Augen - erbittert, wenn auch ungenau, da seine Hände noch immer taub waren - gleichzeitig rang er, fest gepackt von seinem furor germanicus, darum, Marcus die Zähne tief in die Kehle zu schlagen!
    Zerreißen! Zerfetzen!! Den Feind zerstören!!!

  • Überrascht riß Marcus seine Augen auf. Ehe er es sich versah spürte er den harten Aufprall auf den hölzernen Boden. Die Wucht verschlug ihm den Atem und ein heißer und heftiger Schmerz zuckte durch seinen geschundenen Körper. Mit mehr Kraft im gesunden Zustand hätte er vielleicht Rutger von sich stoßen können, so versuchte er nur dessen Gebiß von seiner Kehle fern zu halten. Wie einen Wolf, der ihm den Hals aufreißen wollte, so kam ihm der Germane in dem Moment vor. Von dem hastigen Fußgetrappel und einigen schnell gesprochenen Worten in einer fremden Sprache vernahm Marcus nicht. Mühsam packte er die Schulter von Rutger und konnte ihn gerade etwas fernhalten. Doch immer wieder rasten Schmerzenswellen durch seinen Körper.


    Ein großer Gegenstand sauste herunter, wie ein dunkler Schemen in Marcus Augen. Ein Knüppel traf Rutger hart auf dem Rücken. Und erneut wurde der Knüppel heruntergeschlagen und nochmals. Immer wieder traf das Stück Holz den Germanen. So lange bis Rutger von dem Patrizier abließ. Selber halb benommen blieb Marcus unter Rutger liegen. Eine Hand packte nach Rutgers Schulter und riß ihn von Marcus herunter.


    “Herr, lebt Ihr noch?“


    Marcus blinzelte nach oben und sah in das Gesicht eines blonden Riesen, der ihn anstarrte. Auch der Händler hatte sich über Marcus gebeugt und musterte ihn mit geheuchelter Besorgnis. Aber ein wenig Besorgnis spürte der Händler schon. Schließlich wollte er noch sein Geld sehen. Marcus nickte langsam und rappelte sich mit Hilfe des blonden Riesen auf. Benommen sah Marcus in Richtung von Rutger, der gerade von einem anderen Mann, wohl ebenso ein Sklave, mit Ketten fest verschnürt wurde. Wütend trat er an die Seite von Rutger. Fast wäre Marcus versucht ihm noch einen Seitentritt zu geben. Nur mit Mühe widerstand Marcus diesem Wunsch. Knurrend wandte er sich um und nickte dem Händler zu.


    „Danke! Du bekommst Dein Geld heute noch! Wie Du siehst, wirst Du gut auf den kleinen Bastard aufpassen müssen!“


    Mit schlechter Laune stapfte Marcus aus der Taberna hinaus. Der Junge sah ihm noch hinter her, sagte jedoch nichts zu der unbezahlten Rechnung. Der Händler derweil wandte sich um und sah zu seinen Handlangern.


    “Verschnürrrrt ihn gut! Zu schaaade, wirklich zu schade! Der wäre ihn der Arena wirklich gut aufgehoben! Nun ja, die nächsten Spiele in Rom werden wohl auch auf sich warten lassen müssen.“


    Der Händler starrte auf Rutger herunter und wandte sich schließlich auch um und lief tapsend nach draußen. Dabei blieb er an der Tür stehen, kratzte sich ungeniert am Gemächt und trat ins Freie. Der blonde Riese packte Rutger und warf ihn sich über die Schulter. Der Riese murmelte leise einige hart klingende Worte und folgte dem Händler in die grelle Sonne hinaus. Es ging durch die Strassen von CCAA und am großen Markt vorbei, wo Marktschreier ihre Waren feilboten. Es ging an den Waren vorbei und durch eine heruntergekommene Gasse, deren Häuser grell rot angemalt waren und schließlich in einen großen Innenhof hinein. Eine Holzbühne war hier zusammengenagelt worden, auf denen Holzpfähle standen. Männer und Frauen wurden hier, festgebunden, genauso feilgeboten wie zuvor das Brot oder die neuen Winterumhänge.


    Achtlos warf der Riese Rutger auf den Boden und am Rande von einigen anderen Männern und Frauen, die gefesselt auf dem bloßen und dreckigen Boden saßen. Der Händler trat wieder auf Rutger zu und beugte sich zu ihm runter. Sein Atem stank widerlich nach Knoblauch und fauligen Zähnen. Auch sein Körper strahlte einen säuerlichen Schweißgeruch ab.


    „Wenn so was wie vorhin noch mal passiert, du kleiner räudiger Hund, dann wirst Du nicht nur unsere Peitsche spüren, verstanden?“


    Mit dem Kopf deutete er auf den Riesen, der Rutger getragen hat.


    „Finn hat eine Schwäche für so hübsche Bengel wie Dich! Und ich liebe es, die Sklaven bluten zu sehen. Du siehst, Dein Patrizier ist im Gegensatz zu uns noch harmlos.“


    Der Händler richtete sich auf und sah voller Verachtung auf Rutger herunter.


    „Syagrius!“


    Eine schneidende und scharfe Stimme knallte den Namen durch die Luft. Der Händler drehte sich erschrocken um. Wie ein unterwürfiger Hund neigte er sein Haupt und schnurrte ergeben.


    “Ja, Herr?“


    Ein Mann, eher klein und etwas rundlich, aber sehr gepflegt, trat auf die Sklaven zu. Seine Augen wanderten über die zwanzig bis dreißig Sklaven unter denen auch Rutger war. Mit einer Hand fuhr er sich über sein kleines Kinnbärtchen und seine buschigen Augenbrauen zuckten leicht.


    “Ist das die Ausbeute von hier?“


    Syagrius, der schmierige Unterhändler, nickte eifrig und schien es nicht zu wagen, seinem Herren ins Gesicht zu sehen.


    „Ja, Herr! Außerdem hat uns ein Patrizier, ein Flavier, den Auftrag gegeben seinen Sklaven nach Roma zu bringen! Es ist dieser kleine Germane dort!“


    Der eigentliche Sklavenhändler wandte seine Augen auf Rutger. Aber nur kurz und nicht wirklich interessiert. Zustimmend nickte er.


    „Gut, ich denke, Du hast einen angemessenen Preis ausgehandelt?“


    Syagrius nickte eifrig.


    “Ja, Herr. 300 Sesterzen, Herr!“


    Sein Herr lächelte dünn und wandte sich mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck um.


    „Gut, dann scher ihn, wie die Anderen!“


    Syagrius sah seinem Herren hämisch hinter her und rieb sich zufrieden die Hände. Wieder überheblich wandte er sich seinen Sklaven und auch Rutger zu.


    “Holt das Messer!“

  • Donnars Hammer schmetterte auf Rutger herunter, wieder und wieder. Feurige Funken stoben vor seinen Augen auf, und dann wich der rote Nebel des Blutrausches jäh einer makellosen unendlichen Schwärze.
    Schlaff sackte Rutgers Körper auf den Boden. Still lag er da, während sich kalte Eisenringe um seine Hand- und Fußgelenke schlossen, dann auch um seinen Hals, und mit schweren Ketten verbunden wurden.
    Wie ein erlegtes Wild lag er über den Schultern des Riesen, der ihn durch die Stadt trug. Seine Arme baumelten hin und her, dabei knirschten leise die Ketten, und sein blondes Haar hing in Strähnen hinunter.


    Aber ganz weit weg von dort, schritt Rutger langsam durch einen dichten Nebel. Flügelschlag verklang über ihm. Schemenhaft ragten verkohlte und geborstene Balken auf. Ein Rauschen drang an seine Ohren. Er kniete neben einer kleinen Quelle die zwischen den Wurzeln eines ausladenden Hollunderbusches munter hervorsprudelte. Beide Hände tauchte er in das Wasser, schöpfte und trank. Über der Wasseroberfläche wogte ein feiner Nebelschleier, kräuselte sich, verzog sich zu Seite, und zeigte Rutger für einen Moment das liebe Gesicht seiner Schwester. Ihre Lippen bewegten sich, sie sah Rutger beschwörend an, aber er verstand kein einziges Wort, und sogleich zerflossen ihre Züge wieder in den Wellen.


    Irgendwo im Nebel erklang ein dumpfes hungriges Grollen. Rutger lief es eisig den Nacken hinunter. Er mußte hier weg. War das was sich da drüben undeutlich abzeichnete, nicht eine Brücke? Hastig lief er darauf zu, doch jeder Schritt dauerte eine Ewigkeit, und er kam gar nicht vom Fleck. Da hatte Es ihn auch schon eingeholt, warf ihn zu Boden und öffnete den gewaltigen Rachen, um ihn zu verschlingen. Aus dem Maul drang ein fürchterlicher Pesthauch, umwehte Rutger, er würgte und hustete und...


    ...riss die Augen auf. Über sich gebeugt sah er verschwommen und roch er deutlich das zwergenhafte Ungetüm von Sklavenhändler. Eiserne Bande hielten ihn. Die grelle Sonne stach ihm in die Augen, sein Mund war völlig ausgedörrt, sein Schädel dröhnte, vom Rücken ganz zu schweigen. Ein gequältes Stöhnen kam über Rutgers Lippen, er schloss wieder die Augen, konnte zwar dem Anblick, nicht aber dem giftigen Geifern des Zwerges entkommen.
    "Peitsche spüren..." - "Schwäche für hübsche Bengel..." - "Sklaven bluten sehen..."
    "..seinen Sklaven nach Rom bringen..."
    - alles nur ein böser Traum!


    "...scher ihn!" - "...das Messer!"
    Mit letzter Kraft bäumte Rutger sich auf. Sein Haar war Ziu geweiht! Er hatte es abgeschnitten und verbrannt als er zum ersten Mal einen Mann tötete, einen Hermunduren, doch das war schon einige Sommer her und seitdem war es wieder lang gewachsen. Er war stolz darauf, kämmte und pflegte es stets, und wusste dass es der Sitz eines guten Teils seiner Stärke war!
    "Rühr mich nicht an du Kröte, oder, bei Ziu, ich bringe dich um!" , drohte er mit rauher hasserfüllter Stimme.
    Sein Blick fixierte sich auf Syagrius, lauernd, mordlustig. In seiner lebhaften Phantasie sah er genau vor sich, wie er dem kleinen Mann mit einem herzhaften Schlag mit den Ketten den Schädel einschlug...

  • Eine braune Lederpeitsche sauste durch die Luft und ringelte sich um den Hals von Rutger. Syragrius hielt das Ende der Peitsche in der Hand und zog Rutger näher an sich heran. Es war doch erstaundlich, wieviel Kraft diese 'Kröte' dann doch hatte. Syagrius Nase zuckte heftig und sein Atem ging etwas schneller.


    "Du kleiner Bastard! Wag es nicht noch einmal so mit mir zu sprechen. Sonst schneid ich Dir noch etwas ganz anderes als deine Grasmatte ab. HAST DU MICH VERSTANDEN?"


    Ohne wirklich auf eine Antwort zu warten, zog Syagrius noch mal fest an der Peitsche und löste sie dann geschickt vom Hals des Germanen ohne ihn selber zu berühren. Voller Verachtung sah er auf Rutger herunter und drehte sich dann von ihm weg. Mit einer Kopfbewegung deutete er einem älteren Mann sein Werk zu beginnen. Dieser trat an Rutger heran. Finn packte Rutger fest in einen Schraubstockgriff und seine Finger gruben sich hart wie Stahl und wie schmerzhafte Nägel in seine Schulter hinein. Der ältere Sklave zog ein langes Messer und wetzte es an einem Lederstreifen, der ihm vom Gürtel herab hang. Ohne eine Miene zu verziehen packte er Rutgers Haarschopf und schnitt mit einer Bewegung die Haare ab. Achtlos warf er die blonden Haare in den Dreck. Grob zog er an einer Strähne, setzte das Messer nahe der Kopfhaut an und fing an ihm Strähne um Strähne abzuschneiden und den Kopf abzuschaben. Dabei riß er auch hin und wieder einige Hautfetzen ab und sein Messer wurde schnell blutig. Doch Finn hielt Rutger fest an der Schulter. Erst als das Werk getan und der 'Barbier' fertig war, ließ Finn Rutger wieder los und trat zur Seite. Der ältere Sklave sah auf Rutger herunter und ging dann davon.


    Um Rutger herum lagen seine Haare verstreut und der Wind hob einige Strähnen hoch und wirbelten sie davon. Eine ältere Frau, in Stricken gebunden und mit verhärmten Gesichtszügen sah Rutger unverwandt an. Ihre Mundwinkel hingen traurig herunter. Auch andere der Sklaven betrachteten den Neuankömmling. Doch die meisten von ihnen waren mit ihrem eigenen Elend beschäftigt. Wortfetzen von Verkäufen drangen zu den Sklaven und die Sonne brannte erbarmungslos auf sie herunter. Doch niemand kam und brachte ihnen etwas zu Essen oder zu trinken.


    "210! 200...er hat ganz fantastische Zähne, meine Dame! Und kräftig ist er auch noch. Er wird Dir gut dienen können, Domina!"


    "Wieviele braucht ihr? 20 für das Bestellen eurer Äcker...ja, da hinten hätten wir noch eine Ladung von Sklaven...aber die meisten werden wohl nach Rom gebracht...in einigen Monaten stehen doch die römischen Spiele an..."

  • Anfangs wehrte Rutger sich erbittert. Er versuchte, sich aus Finns Griff zu winden, trat mit den Beinen gegen ihn, schnappte nach der Hand des 'Barbiers' und bedachte seine Peiniger mit farbenfrohen Flüchen.
    Aber als alles nichts half, und Strähne für Strähne seines Haares in den Dreck fiel, erlahmte auch sein Kampfgeist. Zähneknirschend lies er die entwürdigende Prozedur über sich ergehen, und verbarg, wenn das Messer wieder in die Kopfhaut schnitt, seinen Schmerz hinter der ohnmächtigen Wut.


    Danach lag er mit verschlossener Miene auf dem Boden, die unbarmherzige Sonne direkt über sich. Und wieder meldete sich der Durst. Rutger spürte wie ein ganz jämmerliches Gefühl in ihm aufstieg: Verzweiflung.
    Nur nicht aufgeben! Er zerrte an den Ketten, suchte nach Schwachstellen, hoffte, ein schon sehr rostiges Kettenglied auseinanderbrechen zu können... - vergeblich...


    Rache! Der Gedanke an Rache gab ihm Halt. Im Geiste reihte Rutger die Kandidaten auf:
    1. Der Patrizier-Bastard, Marcus Flavius Aristides, der Neiding und Dieb - im Moment, so ganz spontan, sagte Rutger die Vorstellung, ihn zu erwürgen, am meisten zu.
    2. Die Kröte, Syagrius - den würde er unter dem Stiefel zertreten. Oder ihm die Peitsche in den Rachen stopfen bis er daran erstickte.
    3. Finn, der Kollaborateur - alle Knochen einzeln brechen?
    4. Der 'Barbier' - aufschlitzen mit dem Scher-Messer, ganz eindeutig.


    Aber irgendwie waren diese Überlegungen gerade doch eher theoretisch. Unmerklich kroch wieder die Verzweiflung heran.
    Ein gequältes Seufzen stahl sich über Rutgers Lippen. Er sah auf und begegnete dem Blick der älteren Frau. Trotzig erwiderte er ihn.
    "Was starrst du so?"
    Und wieder versank er in finsteres Brüten.

  • Die Zeit vertrich, die Nacht brach herein. Die Sklaven wurden in Käfige gezerrt, die fest für die Nacht verschloßen wurden. Und trotzdem wurden die männlichen Sklaven mit Argusauge bewacht. Aber auch die Frauen, doch eher vor äußeren Einflüßen. Die Nacht wurde sehr viel kühler als der Tag und in den späten Nachstunden fiel der Tau auf die Sklaven herunter, die bar jeglichen Komforts wie Decke oder auch nur einen Umhang waren. Vor den Käfigen saßen die Sklavenaufseher um ein kleines Feuer versammelt, tranken, aßen und rißen ihre Witze über die Menschen in den Käfigen. Doch auch jene Nacht fand ihr Ende und der morgen brach herein. Hektisches Treiben begann. Der klebrige und geschmacklose Morgenbrei wurde an die Sklaven verteilt. Die ersten Sachen zusammen gepackt. Kurze Zeit später wurden die Sklaven auf Fesseln und Ketten überprüft und dann wieder zusammen getrieben. Der Aufbruch stand bevor.


    Syagrius kam schließlich auch wieder zu den Sklaven. Flüchtig sah er über die Ware, dann blieb er ruhig stehen bis eine Sänfte in den kleinen Hof getragen wurde. Eine fleischige Hand schob den Vorhang zur Seite und der Sklavenhändler sah hinaus.


    "Syagrius! Ist alles bereit?"


    Syagrius trat eifrig an die Seite seines Herren und verneigte sich tief. Seine nasale Stimme schnurrte nun wie eine Katze und er schien seinem Herren nicht in die Augen sehen zu wollen.


    "Herr! Es ist alles bereit...bis..."


    Das Gesicht des Sklavenhändler erschien. Mißmutig sah er zu den Sklaven und dann zu Syagrius. Scharf befragte er Syagrius:


    "Bis auf...WAS?"


    Syagrius warf Rutger einen finsteren Blick zu und hustete verlegen.


    "Der Patrizier...er hat das Geld noch nicht geschickt!"


    Langsam und etwas träge, kaum verärgert, sah der Sklavenhändler ebenfalls in Rutgers Richtung. Ein gleichgültiges Schulterzucken war seine Antwort.


    "Dann verkaufen wir ihn an die Arena in Rom. Dort bringt er auch um die 300 Sesterzen ein. Besonders für die Tierhatzen! Die brauchen dort immer Frischfleisch! Wir brechen auf!"


    Sein Gesicht verschwand wieder hinter dem Vorhang der Sänfte. Syagrius atmete erleichtert auf und sah nochmals zu Rutger. In seinen Augen war Wut zu sehen. Anscheinend kreidetete er es Rutger an, daß er vor seinem Herren in eine solche Verlegenheit gekommen war. In seinen Augen lag außerdem eine unausgesprochene Drohung, daß Rutger während der Reise dafür büßen würde. Gerade wandte sich Syagrius um als ein Mann in Soldatentunika auf ihn zutrat. Der Mann sah auf die Sklaven herunter, sein Gesicht verfinsterte sich.


    "Bist Du der Sklavenhändler Lucius oder Lucianus?"


    Syagrius sah ihn musternd an. Erst nach einigen Sekunden schüttelte er den Kopf. Ehe jedoch sich der Soldat wieder umwandte, fügte er schnell mit seinem vulgären Latein an.


    "Aber das ist mein Herr! Schickt Dich der Patrizier?"


    Der Soldat musterte Syagrius voller Verachtung und rümpfte angewiedert die Nase.


    "Ja, er hat mich gebeten, Dir dies zu bringen. Das ist das Geld und dort die Nachricht für den neuen Besitzer! Hier nimm schon...!"


    Syagrius griff eiligst nach dem Geld. Bei dem Brief zeigte er nicht einen so großen Eifer. Der Soldat ließ noch mal seinen Blick über die Sklaven schweifen, dann drehte er sich zackig um und verließ den Hof wieder. Syagrius wandte sich an Finn und nickte ihm zu.


    "Los gehts! Treib sie zusammen...wir müssen heute noch zum Haupttroß zustoßen. LOS!"


    Sich zufrieden den Geldsäckel betrachtend, steckte er die Sesterzen ein und ließ sich einen Esel bringen, auf den er aufstieg. Die Sklaven wurden mit Stockhieben und der Peitsche zum Aufstehen gezwungen und aus dem Hof hinausgetrieben. Auf den Straßen wurden die Gestalten von den Bewohnern der Stadt kaum beachtet und schnell hatten sie die Stadt verlassen. Eine lange Reise über die Alpen und nach Italia stand ihnen bevor.

  • Unter tiefhängenden Wolken zog die Sklavenkaravane dahin, zwischen dunkel bewaldeten Hügeln, aus denen fahler Dunst aufstieg. Die Straße war nassgeregnet und übersät von schlammigen Wasserlachen.
    Das Knallen der Peitschen mischte sich mit dem Klirren der Ketten, den Seufzern der Versklavten und dem Rhythmus der Tritte auf dem Pflaster zu einer schaurigen Melodie.


    Bleich und frierend schleppte Rutger sich dahin, Schritt für Schritt, vorbei an einem Feld, auf dem der Emmer tief die tropfenden Ähren hängen lies.
    Stetig scheuerten die kantigen Eisenringe seine Fußknöchel wund.
    Aus dem Korn flog krächzend ein Schwarm Krähen auf, und verschwand schnellen Fluges in den Regenschleiern.
    Rutger sah ihnen schwermütig nach. Weit in der Ferne zeigten sich einen Augenblick lang die felsigen Hänge des Lodfyrberges - dort hatte Rutger erst neulich einen Rehbock erlegt... Jorun hatte sich über das Fell gefreut... was sie jetzt wohl tat... was, wenn er seine Familie nie wieder sah...


    Rutgers Augen wurden ein wenig feucht, aber das konnte auch der Regen sein. Da traf ein beißender Peitschenhieb seinen Rücken - er stolperte vorwärts -
    "Lauf zu, du fauler Hund!"
    Und Schritt für Schritt entfernte Rutger sich weiter von seiner Heimat, einem ungewissen Schicksal entgegen...

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