[Atrium] Der Innenhof

  • Meridius betrat das Atrium und blickte sich um. Die Fläche war weitläufig genug um hier das Training stattfinden zu lassen. Wenn er selbst seinen Offizieren und Soldaten als Vorbild vorangehen wollte, dann musste einiges geschehen. Durch die viele Verwaltungsarbeit hatte er in seinen Leibesübungen etwas nachgelassen. Das sollte sich nun ändern. Die Frage war nur, mit welchem Soldaten er die täglichen Fechtübungen durchführen wollte. Und er brauchte einen kräftigen Kerl für die Ringkämpfe. Er müsste mal den Primus Pilus beauftragen, ihm geeignete Legionäre abzustellen.

  • Erschöpft stellte Amatheia die Kiste ab, die sie gerade von draußen herein getragen hatte. Es war eine der Letzten, die noch ins Haus gebracht werden mussten. Falls jemand vorbei kommen sollte, würde sie sie schnell wieder aufnehmen, aber jetzt brauchte sie eine kleine Pause.
    Ausgerechnet ein Umzug nach Germanien, war die erste Aufgabe, die sie als Sklavin für ihren neuen Herren mitzuerledigen hatte, natürlich nicht allein, aber trotzdem war so ein Umzug anstrengend. Wochenlang waren sie mit den Sachen unterwegs gewesen und während die Unterbringung im Servitriciuum sonst schon nicht viel Platz und Privatsphäre bot, hatten sie unterwegs noch enger zusammenrücken müssen und die Unterbringung war auch schlechter gewesen. Nach der Anstrengung der Reise musste, jetzt auch noch alles eingeräumt und geputzt werden, sie hoffte inständig das in den nächsten Wochen etwas Ruhe einkehren würde. Wehmütig, dachte Amatheia an Rom zurück, hätte sie nur dort bleiben können, sie hätte sicher weniger Arbeit, aber ganz offensichtlich war sie für den neuen Haushalt hier in Germanien gekauft worden. Einer der anderen Sklaven trug eine weitere Kiste an ihr vorbei. Es half nichts, wollte sie die anderen nicht unnötig verärgern, musste sie weitermachen. So nahm sie ihre Kiste wieder auf und trug sie in einen der angrenzenden Räume.

  • Livianus war gerade dabei in Richtung Principia zu gehen und seinen heutigen Dienst anzutreten, als er einer Sklavin über den Weg lief, die gerade dabei war, eine Kiste in einen der angrenzenden Räume zu tragen. Dabei fiel ihm ein, dass heute die restlichen Kisten und Sklaven aus Rom eingetroffen waren. Endlich! Nun sollte wirklich alles übersiedelt sein. Zum Glück hatte sich der Decimer selbst nur wenig bis gar nicht um diesen Umzug kümmern müssen, da sein überaus verlässlicher Maiordomus sich dieser Angelegenheit angenommen hatte.


    Als Livianus im vorbeigehen die Sklavin betrachtete viel ihm auf, das sie ihm nicht wirklich bekannt vor kam. War sie eine seiner Sklavinen? Wann ja, warum kannte er sie nicht? Diesen Fragen musste er auf den Grund gehen. Er wurde daher von Schritt zu Schritt langsamer und blieb schließlich ganz stehen.


    "Warte einen Moment. Bist du eine meiner Sklavinen?"

  • Überrascht blieb Amatheia stehen und drehte sich zu dem Mann um. Sie hatte überhaupt nicht damit gerechnet angesprochen zu werden und so kam ihr als erstes auch nur die Antwort über die Lippen, die ihr in all den Jahren als Sklavin inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen war und die sie vermutlich auch noch geben konnte, wenn man sie nachts aus dem Schlaf riss.


    "Ja dominus."


    Denn das der Mann vor ihr, ihr neuer Herr war, daran zweifelte Amatheia nicht im Geringsten. Wer sollte ihr sonst hier eine solche Frage stellen, während sie Umzugskisten schleppte.


    "Der maiordomus hat mich in Rom gekauft, vermutlich für den neuen Haushalt hier. Ihr wart zu diesem Zeitpunkt schon abgereist."


    Zumindest hatte man ihr, das damals in Rom erzählt. Abwartend schaute sie ihren Herren an, vielleicht hatte er noch weitere Fragen oder ihm reichte die Antwort nicht.

  • Tatsächlich eine neue Sklavin, die auch sofort stehen blieb und prompt antwortete. Der Maiordomus hatte sie also in Rom gekauft. Ein guter Mann. Ja, auf ihn war verlass. Seit vielen Jahren diente er bereits dem Haus Decima und hatte Livianus noch nie enttäuscht. Vor allem hatte er schon oft ein außergewöhnlich gutes Händchen für Sklaven bewiesen und auch bei dieser Sklavin hatte er den Geschmack seines Herrn getroffen. Auch wenn sie auf den ersten Blick etwas älter wirkte, als die sonst eher jungen Sklaven, die der Maiordomus sonst zu kaufen pflegte. Zumindest sah sie gesund und kräftig aus, so wie sie hier gerade die Kisten durch das Atrium schleppte.


    "Ich verstehe. Und wie ist dein Name?"

  • Genauso wie der Decima sie zu mustern schien, musterte Amatheia ihn auch, wenn auch mit einer anderen Intention. Ihr ging es nur darum, in Erfahrung zu bringen ob er mit ihr halbwegs zufrieden war und das traf offenbar zu. Zumindest konnte sie kein Anzeichen für das Gegenteil finden.
    Aber da war ja noch immer die Antwort auf die ihr Gegenüber wartete.
    Einen kurzen Moment überlegte sie, ob sie nur seine Frage beantworten sollte oder doch mehr von sich erzählte. Nun sie konnte zwar manchmal durchaus vorwitzig sein, aber jetzt war sicher nicht der geeignete Moment um dies zu zeigen. So blieb sie vorher nur bei der Beantwortung seiner Frage.


    "Man nennt mich Amatheia, meine frühere Herrin hat alle ihre Sklavinnen nach Nereiden benannt"


    Erklärte sie auch wenn es nicht gefragt war. Früher hatte sie einen anderen Namen gehabt, aber sie war noch relativ jung gewesen als ihre frühere Herrin sie gekauft hatte, darum hatte man es nicht als sonderlich problematisch angesehen, sie umzubenennen. Seitdem waren viele Jahre vergangen und sie hatte sich an den Namen gewöhnt. Genauso wie an die Exzentrik ihrer Herrin, die sich nicht nur in der Namenswahl gezeigt hatte, vermutlich ein Grund warum sie heute hier stand.

  • Livianus konnte sich ein kurzes schmunzeln nicht verkneifen. Beim Vergleich dieser jungen Frau mit einer Nymphe konnte er durchaus Gemeinsamkeiten finden, vor allem was das ansprechende Aussehen betraf. Es war nicht ungewöhnlich das Herrschaften ihren Sklaven derartige Namen gaben. Vermutlich war die Vorbesitzerin von Amatheia eine große Bewunderin von Homer, der über die Nereiden in seinem Werk Ilias geschrieben hatte. Auch wenn es sein Recht gewesen wäre, so sah der Decimer keinen Anlass die Sklavin umzubenennen. Nun wo er den Grund kannte, merkte er sich diesen Namen bestimmt. Doch seine Neugierde war noch nicht befriedigt. Ganz im Gegenteil hatte die Offenheit der Sklavin ziemlich neugierig gemacht. Sie zeigte keine Anzeichen von Verängstigung, wie dies oft gerade bei neuen Sklaven vorkam, sondern sprach mit fester Stimme zu ihren neuen Herrn.


    "Und woher stammst du ursprünglich?"

  • Langsam wurde die Kiste in Amatheias Händen doch schwer und sie merkte wie die Kanten in ihre Handflächen einschnitten. Da die Unterhaltung mit ihrem Dominus offensichtlich noch etwas länger dauerte, entschloss sie sich die Kiste erstmal auf dem Boden abzustellen. Sogleich entspannten sich ihre Arme und Schultern, ja das fühlte sich schon viel besser an.


    "Sie ist im Laufe der Zeit doch etwas schwer geworden." erklärte sie mit einem Lächeln, obwohl sie nicht glaubte das es Livianus wirklich interessierte oder er sich gar daran stören würde. "Ich komme aus Illyricum genauer gesagt aus Dalmatia, allerdings habe ich dort nur gelebt bis ich acht war, dann wurde ich als Sklavin verkauft und kam erstmals nach Rom."


    Sie erzählte das ganz ruhig und sachlich. Es war alles schon so lange her, dass es sich manchmal anfühlte als gehöre es eigentlich gar nicht zu ihrem Leben und es wäre jemand anderem passiert. Vielleicht hatte sie auch nur versucht sich innerlich davon zu distanzieren und das Kapitel für sich abzuschließen, um besser damit umgehen zu können.

  • Der Decimer nickte interessiert. Das die Sklavin während ihrer Antwort die Kiste zu Boden stellte war für weder ungewöhnlich, noch machte er sich groß Gedanken darüber. Die Decimer waren seit jeder bekannt ihre Sklaven mit großer Güte und auch mit einem gewissen Respekt zu behandeln. Livianus selbst war ein großer Vorreiter dieser Rolle, hatte er in seiner frühesten Jugend sogar selbst große Gefühle für eine Sklavin gehegt. Nun kam er zu der Frage, die ihn gleich zu Beginn ihres Gespräches beschäftigt hatte.


    "Und wie alt bist du Amatheia?"

  • Kurz fragte sich Amatheia, ob ihr neuer Herr eventuell einen Hintergedanken bei dieser Frage hatte oder nur aus reiner Neugier fragte.
    Im Gegensatz zu einer römischen Bürgerin die die Frage vermutlich etwas unhöflich gefunden hätte, sah Amatheia sie als durchaus berechtigt an, schließlich musste er sich über seinen neuen Besitz informieren und ihrer Meinung nach hatte sie ohnehin nichts zu befürchten, sie war noch nicht so alt, dass sie sich deswegen Sorgen machen musste und vermutlich war sie gerade auf dem Höhepunkt ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit. So beantwortete sie seine Frage relativ frei mit:


    "Ich bin 21, dominus."


    Leider war es nicht üblich das Sklaven ebenfalls Fragen an ihren neuen Herrn richten durften, so musste sie mit den wenigen Informationen leben, die der maiordomus ihr gegeben hatte und dem was sie vielleicht im Laufe der Zeit herausfinden würde.

  • 21 also. Das war nicht gerade das übliche Alter für neue Sklavinnen die der Maiordomus kaufte, in den meisten Fällen waren sie jünger und dadurch noch anpassungsfähiger oder formbarer, wie es der Maiordomus gerne ausdrückte, doch hier musste er wohl eine Ausnahme gemacht haben. Die Gründe waren für Livianus unwichtig. Sein Maiordomus war niemand, der das Geld unnötig hinauswarf, daher würde er auch beim Kauf dieser Sklavin irgendwelche Vorteile gesehen haben. Für das erste Kennenlernen reichten Livianus diese Informationen. Draußen warteten bereits einige Stabsoffiziere, die ihn ihren frühmorgendlichen Bericht abliefern wollten.


    "Gut. Dann möchte ich dich nicht weiter aufhalten. Auch ich muss zum Dienst."


    Mit diesen Worten eilte der Legat weiter.

  • Im Atrium waren die Sklaven gerade dabei die Ahnenmasken der Gens Decima aufzuhängen und einige Statuen aufzustellen, die einen wichtigen Bezug zur Gens oder zur Vergangenheit des Legaten hatten. Livianus hatte sich diese wertvollen Gegenstände, die erst vor wenigen Tagen eingetroffen waren, gesondert nachschicken lassen.


    "Wie du siehst ist hier allgemein noch einiges zu tun um das Praetoium etwas wohnlicher zu gestalten, aber ich muss auch zugeben, dass ich mir bisher kaum Zeit für diese Dinge nehmen wollte. Ich überlasse das meiste meinem Maiordomus. Er kennt mich und meine Familie schon seit vielen Jahren und ist ein zuverlässiger Mann.


    Doch nun habe ich so viel über mich erzählt. Ich möchte auch dich ein wenig kennenlernen. Was gibt es über dich, dein bisheriges Leben und deine Zukunftspläne zu erzählen?"

  • Zweifelsohne war Mogontiacum weit entfernt von Rom. Auch bestand keinerlei Zweifel darin, dass man die entfernteren Provinzen nur zu gern als eine Art „Strafkolonie“ nutzte und zweifellos besaß der ältere Senator die nicht zu unterschätzende Fähigkeit selbst in einer misslichen Lage noch das Gute zu sehen. Cara versuchte zwischen den Zeilen zu lesen, jene Worte zu erhaschen, die der Mann nicht offen aussprach. Es war nicht seine Idee gewesen, nach Germania zu kommen, weil er anderen „unliebsam“ war oder, die zweite These, er hatte freiwillig die Flucht ergriffen, um eben seinen Widersachern, von denen es anscheinend einige gab, für eine Weile zu entkommen. „Eine Weile“ würde dabei dieses Mal wohl länger ausfallen.


    Die junge Iulia kam nicht umhin zu schmunzeln, als er die harten germanischen Winter erwähnte. Es hatte Jahre gegeben, da hatte sie als Kind in meterhohen Schneehaufen gespielt und sich mit den Nachbarsjungen wilde Schneeballschlachten geliefert, eine gelbe Mütze auf dem Kopf. Wenn sie an ihre Kindheit zurück dachte, dann gehörten diese Erinnerungen zu den intensivsten.


    Einen raschen Seitenblick warf Cara dem Mann an ihrer Seite zu, als er Parthia erwähnte; Die schmalen Brauen überrascht erhoben, war es letztlich Verwirrung, die Oberhand über ihre Empfindungen gewann. Der Sarkasmus, in welchem seine Stimme förmlich ertrank, entging ihr nicht…aber es war das schon „fröhlich“ zu nennende Lächeln seiner Lippen, die ihn in diesem Moment unlesbar für Cara machte. >Es scheint ihn noch zu beschäftigen…andernfalls hätte er es nicht erwähnt…< Sein Vergleich wiederrum konnte nur bedeuten, dass er nicht freiwillig nach Germanien gekommen war.


    Sie kamen ins Atrium. Geschäftiges Treiben hing in der Luft, denn eine Hand voll Sklaven war damit beschäftigt einige fein gearbeitet Masken an die Wände anzubringen und Statuen an geeignete Orte zu verteilen. Vorsichtig schoben zwei kräftige, etwas kurz geratene Männer, ein marmornes Kunstwerk auf einen Sockel. Es war eine Frau, deren Gestalt weitestgehend von einem fließenden Gewand umhüllt wurde. Neugierig blieb Cara stehen, neigte den Kopf aufmerksam zur Seite, während sie des Decimer´s Worte weiterhin lauschte. Es war ein schönes Stück, geschaffen von einem Künstler, der wusste, was er zu tun hatte, um das Kunstwerk aus einem Block kalten Marmors zu befreien. Der Legat besaß Geschmack, auch wenn es bei ihm, einem Mann des Militärs, wohl eher zufälliger und nicht begründeter Natur war.


    „Du magst den Winter wohl nicht – die Kälte meine ich“, eröffnete Cara und wandte sich zu ihm um. Da stand sie und lächelte ihn an. „In der kalten Jahreszeit kann der Schnee hier meterhoch liegen. Wir Kinder haben dann immer gern Schneeballschlachten veranstaltet“, Sie schwieg einen Moment, sich dessen wohl bewusst, dass sie ihm auswich und gleichzeitig einen weitaus tieferen Einblick gab, als für sie gut war. Wie konnte er sie nur nach der Zukunft fragen – ahnte er die Antwort nicht ohnehin? Es gab nur eine Antwort, die öffentlich vertretbar war. Decimus war ein Fremder. „Natürlich möchte ich wie jede junge Frau nur das Beste für meine Familie. Sie wird mir meine Zukunft weisen…“, antwortete sie mit einem verschmitzten Lächeln, das sich auch auf ihren Augen wiederspiegelt und eine leise Verheißung dessen war, was dahinter lag.

  • Livianus kam nicht umher die neugierigen Blicke der jungen Frau zu bemerken, als sie gemeinsam das Atrium betraten. Vor einer der kleinen Statuetten blieb sie sogar einen Moment lang stehen und betrachtete sie. Es war das Abbild von Livianus verstorbener Frau Aemilia, dass er nach ihrem Tod anfertigen hatte lassen. Auch er verharrte einen Moment ruhig und betrachtete das Abbild, ehe Cara wieder das Wort ergriff und sich dem Decimer zuwandte. Livianus schmunzelte, da ihm die erste Antwort der jungen Frau äußerst Naiv erschien und er ihr sofort erwiderte


    "Für Kinder mag ein Winter mit viel Schnee etwas wunderbares sein, für einen Soldaten ist es alles andere als erfreulich."


    Damit war für ihn auch alles gesagt, was dazu gesagt werden musste. Als Tochter eines Soldaten der sich bis zum Lagerpräfekt hochgedient hatte, war es Cara bestimmt bewusst, dass das Leben in einem Legionslager nicht immer einfach für die Männer war und vor allem der Winter stark an ihnen Zehren konnte. Die nächste Antwort hingegen kam wieder äußerst überraschend und der Decimer wusste sie im ersten Moment nicht wirklich einzuschätzen. Zum einen klang der Satz ein wenig auswendig gelernt und zu schön um wahr zu sein, zum anderen deutete ihr verschmitztes Lächeln darauf hin, dass er vielleicht nicht ganz so ernst gemeint war, wie es geklungen hatte.


    "Deine Familie soll dir also den Weg weisen? Ich verstehe. Nun das ist eine sehr ehrenvolle Einstellung, die man heute nicht mehr oft bei einer jungen Frau in deinem Alter findet. Die meisten ziehen es vor selbst über ihre Zukunft zu entscheiden und ihren weiteren Weg auszuwählen."


    Welche der beiden Frauentypen Livianus bevorzugte, erwähnte er selbstverständlich nicht. Dennoch fragte er interessiert und ein wenig verwundert nach.


    "Du würdest dich also jeder Entscheidung deiner Familie fügen? Ganz ohne Widerspruch?"

  • Er hielt sie für naiv, kindisch. Die Iulia sah es aus der Art, wie er seine Mundwinkel zu einem Schmunzeln verzog und sie mit einem nachsichtigen Blick bedachte, der normalerweise für Großväter und deren Enkel vorbehalten war. Die Erfahrung, die sie beide trennte, wurde ihr schlagartig wieder bewusst. Nicht, dass sie ihn für einen alten Mann hielt. Allenfalls für einen reifen Herrn. Jahre, Jahrzehnte trennten sie und damit Erfahrung. Verwundert stellte Cara fest, dass es sie störte, dass er sie für naiv hielt. Denn normalerweise gab sie darauf nicht viel, denn sie war jung und wollte sich auch so verhalten dürfen. Jung und lebendig und neugierig und wollte den Duft der unbekannten, neuen Welt tief einatmen, entdecken und ihre ganz eigenen Erfahrungen Schritt für Schritt tun. Wenn Cara ganz ehrlich war, dann konnte es ewig so gehen, konnte die Adoleszenz warten, bis sie grau wurde. Nur liefen die Dinge leider nicht so, wie sie es gern haben wollte. Hätte sie den Hintergrund dieses Besuchs erahnt, hätte sie wohl erschreckt festgestellt, dass die Pläne um ihre Zukunft rein gar nicht ihren eigenen Vorstellungen entsprachen und sie herzlich wenig dagegen tun konnte. Aber auch ohne dieses Wissen war Cara bewusst, dass sich ihre Zeit der kindlichen Freiheit allmählich gen Ende neigte.


    Sie verzichtete dann auch darauf, ihm noch etwas zu erwidern. Als Soldatentochter kannte die Iulia auch die andere Seite der Medaille. Es bedurfte keiner weiterer Worte. Allerdings hatte sie keine Zeit über die leise Bitterkeit nachzusinnen, die Cara in seiner Stimme subtil mitschwingen zu hören glaubte. Das Gesicht des Legaten zerfiel in offenkundige Überraschung. >Ist es nicht das, was sie alle hören wollen? Artig vorgetragen?< Ihre Antwort war genau jener Wortlaut, den man ihr, dem man jedem Mädchen in ihrem Freundeskreis, von klein auf eingebläut hatte. Decimus sorgte nun seinerseits dafür, dass sich ihre Brauen in Erstaunen hoben, als er auch noch nachhakte. Er musste doch wissen, dass es eine leere Phrase war. Wie konnte er es wagen – er als fremder Mann – nachzufragen, ihr so nahe zu treten? Er brachte sie dazu innerlich überrascht einen Schritt zurückzutreten. Abstand zu nehmen. >Weiß er denn nicht, dass Schein und Sein zwei vollkommen unterschiedliche Dinge sind, die selten zusammen gehen> Vor allem als Frau waren sie selten kongruent. >Warum ist es ihm überhaupt wichtig?<, tauchte der Gedanke unvermittelt aus dem Nichts auf, ehe er sogleich wieder versank und sich ein andere an die Oberfläche ihres Bewusstseins schob >Die Erziehung muss in seiner Familie ganz anders laufen…< Es weckte ihre Neugierde. Cara besann sich. Er hatte eine Frage gestellt. Wer sich als Fremder, zudem als männlicher Fremder, soweit vorwagte, der hatte eine Antwort verdient.


    "Hast du Töchter, Legat?", erkundigte sich Cara lächelnd mit einer Gegenfrage.

  • Mit einer Gegenfrage hatte Livianus nicht gerechnet und auch das Cara einen Schritt zurück trat irritierte ihn für einen kurzen Moment. Hatte er etwas Falsches gesagt oder war er mit seiner Frage gar zu weit gegangen? Erst als er sich diese Frage stellte merkte er wie töricht es gewesen war die junge Iulia mit so unbedachten Aussagen auf eine Spur zu locken die er eigentlich vermeiden wollte. Er besann sich daher und antwortete rasch auf die gestellte Frage, die ihn ebenso unvorbereitet erwischte, wie vorhin seine Frage an Cara.


    "Ja, ich habe eine Tochter. Sie wird etwa in deinem Alter sein. Doch leider war es mir bisher nicht vergönnt sie kennen zu lernen. Sie lebt bei ihren Großelter mütterlicherseits in Britannien und mein Verhältnis zu meinen ehemaligen Schwiegereltern ist nicht gerade das Beste."


    Weiter wollte Livianus nicht mehr ins Detail gehen. Es war ihm bereits unangenehm genug derart offen über diese Angelegenheit zu sprechen, doch hatte er nicht vor Cara zu belügen. Dies wäre alles andere als ein guter Start gewesen. Auch das Eingeständnis, dass die Iulia ungefähr das Alter seiner Tochter hatte, war etwas unangenehm für den Legaten. Er sorgte sich, dass es umso mehr dazu führen könnte, dass Cara in ihm einen alten Mann sah und sich letztendlich tatsächlich einfach nur der Entscheidung ihrer Familie fügen könnte, sofern es zu einer Heirat kam. Eine Vorstellung, die ihm nicht gerade behagte, da er es sein Leben lang vorgezogen hatte das Herz einer Frau zu erobern und nicht aufgrund familiärer oder politischer Interessen zu agieren. Als Senator konnte er sich das auch leisten, war er dadurch schließlich an der Spitze der römischen Gesellschaftsschicht angekommen. Eine junge Frau wie Cara hingegen hatte da wohl wesentlich weniger Freiheiten und musste sich, so wie bereits angedeutet, notfalls für ihre Familie aufopfern. Nun wo er bereits damit begonnen hatte, sah es der Decimus als günstigen Zeitpunkt an, Cara über seine Familienverhältnisse aufzuklären.


    "Ich war bereits einmal verheiratet. Es liegt jedoch schon lange zurück. Ihr Name war Aemilia und sie entstammte dem Geschlecht der Didia. Wir waren beide noch recht jung und dachten damals, dass wir noch das ganze Leben vor uns hatten. Als ich in den Krieg zog ging sie zu ihren Eltern nach Britannien. Wie ich später erfuhr starb sie dort auf dem Kindbett. Sie hat mir einen Sohn und eine Tochter zur Welt gebracht, Mein Verhältnis zu den beiden ist nicht besonders gut."


    Man konnte deutlich merken das es Livianus nicht leicht viel mit der jungen Frau, die er eigentlich noch als Fremde betrachtete, über diesen sehr intimen Geschichten aus seinen Leben zu sprechen. Es war daher auch nicht verwunderlich, dass er seine Erzählung hier auch wieder abbrach.


    "Doch lass uns wieder über etwas anderes sprechen."


    Damit lag es wieder bei Cara ihm auf seine zuvor gestellte Frage zu antworten, oder gänzlich das Thema zu wechseln.

  • „Es tut mir wirklich Leid“, In den blauen Augen stand ehrliches Mitgefühl und sie ließ sich sogar dazu hinreißen, ihn rasch am Arm zu berühren, als wollte sie ihm damit Solidarität bezeugen. Dass er seine Frau verloren hatte, dass hatte er ihr ja bereits ausgeführt, dass sie aber ihr Leben für seine Kinder gegeben hatte, die wiederum nicht viel auf ihren Vater zu geben schienen, das war neu und machte die Situation für ihn in ihren Augen nur noch bitterer. Ihre innere Stimme, ihre Intuition sagte ihr, dass er kein schlechter Mensch war und solche Menschen hatten es nicht verdient, von den Göttern so abgestraft zu werden. Kein Wunder, dass er seinen Glauben verloren hatte.
    Entgegen seiner Sorge, bewirkte er mit jenem Altersvergleich nicht, dass er ihr noch älter vorkam. Ihre Gedanken nahm andere Wege. >Jung war er, hat er gesagt...wenn seine Tochter dann in meinem Alter ist...dürfte er etwa doppelt so alt sein wie ich...Himmel! 20 Jahre war er dann ohne Frau!< Als sie ihn jetzt ansah, sah sie keinen alten, sondern vielmehr einen einsamen Mann, der sich in seine Arbeit und seinen Dienst vergraben hatte. >Er muss sie wirklich geliebt haben...Was für eine treue Seele...< Ihr Blick glitt hinüber zu der Statue der Didia und dann zurück zu ihm.
    Eigentlich hatte Cara ihn noch fragen wollen, ob er jemals den Versuch unternommen hatte, Kontakt zu seinen Kindern aufzunehmen, doch offensichtlich wollte er lieber das Thema wechseln. Es war durchaus verständlich, konnte es doch unmöglich zu seinen Lieblingsthemen gehören. Überraschend offen war er ihr gegenüber zudem gewesen. Eine Offenheit, die sie von ihm nicht erwartet hatte, deshalb umso mehr honorierte und die ihn ihr sympathisch machte. Sie mochte es, wenn Menschen nicht um Dinge herumschwatzten – auch wenn sie das manchmal auch selbst tat.


    „Ich schulde dir noch eine Antwort“, meinte sie schließlich. Jetzt mehr als zu vor hatte Cara den Eindruck, dass sie ihm jene schuldete. Vertrauen war ein Tauschgeschäft und der Decimer hatte den Anfang gemacht. „Jeder Mensch hat zwei Gesichter. Das eine, das er in der Öffentlichkeit trägt, das andere, das für den inneren Kreis bestimmt ist. Nach außen hin gilt: Unterwirf dich dem Wohl deiner Familie, sie gibt den Weg vor“, führte sie aus, ehe ein plötzliches, fast spitzbübisches Lächeln ihr Gesicht erhellte: „Aber du kannst mir glauben. Nach innen würde ich mich wie eine Löwin zur Wehr setzen, würde meine Familie etwas von mir verlangen, dass im extremen Kontrast zu meinem Gewissen oder meinen eigenen Vorstellungen steht.“


    Unvermittelt hakte sich die Iulia bei dem Senator unter. „Du wolltest mir noch das triclinum zeigen...“, erinnerte sie ihn an ihren Rundgang. Als sie an der Statute vorbei schritten, warf sie der steinernen Frau noch einen letzten Blick zu. >Eine wirklich schöne Frau...<, ging es ihr durch den Kopf und fühlte in ihrer Brust so etwas wie Bedauern, dass sie längst vergangen war.

  • Gerade als der Decimer sich an den neuen Abstand zwischen den beiden gewöhnt hatte, trat Cara erneut einen Schritt auf ihn zu und legte dabei sogar ihre Hand auf seinen Arm. Auch wenn Livianus diesen großen Verlust bereits weitestgehend verschmerzt hatte, lag er doch fast zwei Jahrzehnte zurück, freute er sich über diese Geste, denn sie zeigte, dass die junge Iulia ein einfühlsamer Mensch war. Eine wichtige Charaktereigenschaft wie er fand. Daher lächelte er kurz und suchte bereits nach den passenden Wörter, um sich für das Mitgefühl zu bedanken, als Cara weitersprach.


    Nun war sie also doch mit der Wahrheit heraus gerückt. Livianus hatte zwar nichts anderes erwartet, denn bisher hatte er die Iulia als äußerst selbstsicheres und offenes junges Mädchen kennengelernt, doch das sie nun in dieser Deutlichkeit antwortete, ließ ihn doch einen kurzen Moment stocken. Ihre Wörter klangen wohl überlegt und keinesfalls unbedacht oder naiv, wie man es bei einer jungen Frau in ihrem Alter annehmen konnte. In diesem Moment musste sich Livianus eingestehen, dass er beeindruck war von Cara die so wirkte, als würde ihre Lebenserfahrung weit über ihr Alter hinausgehen. Erneut musterte er sie zurückhaltend. Jung, schön und intelligent. Kein Wunder, dass Centho ausgerechnet sie geschickt hatte. Doch dieser Augenblick mischte sich auch mit den ersten Bedenken. Würde eine solche Frau ihr Leben tatsächlich mit einem alten Kriegshelden verbringen wollen, der ihr trotz all seines Vermögens hier nichts weiter bieten konnte als ein großes Haus in mitten eines Castellums umgeben von Soldaten? Livianus wollte keinesfalls wie manch anderer Legat enden, dessen Frau sich in Rom vergnügte und das Geld ihres Mannes verprasste, während dieser in irgendeiner fernen Provinz seinen Dienst versah und dort vor Einsamkeit versauerten. Bei diesen Gedanken kam ihm auch Avarus in den Sinn. Wann war Lucilla das letzte Mal in Rom gewesen? Er konnte sich nicht mehr erinnern. Für den Germanicer musste diese Situation ähnlich sein, auch wenn sie andere Hintergründe hatte.


    Doch da wurde er auch schon wieder aus seinen Gedanken gerissen. Achja! Das Triclinium. Darauf hatte Livianus fast vergessen. Er legte seine freie Hand auf die ihren Arm, den sie mittlerweile bei ihm eingehackt hatte und lächelte freundlich, als wäre nichts gewesen.


    "Natürlich. Gleich hier vorne. Lass uns weitergehen."

  • Wieder war sie hier, durchschritt den schweißgetränkten Staub, hörte die Rufe der Männer um sich herum, die unter dem nur allzu oft mit Wolken bedeckten Himmel Germanias ihre Pflichten taten.


    Das Castellum. Allein das Wort hinter ihrer Stirn zu formen, stürzte sie hinein in einen Sturm aus Gefühlen, Cretica hasste es; hasste es mit der Inbrunst eines zutiefst verwundeten Herzens, das keine Vernunft mehr kannte. Und sie hasste dieses Land mit seinen grünen Wäldern, den saftigen Wiesen, den Hügeln. Das Castell dafür, dass es ihren Ehemann hierher gelockt und das Land dafür, dass es ihn ihr genommen hatte.


    Doch das war nur die halbe Wahrheit. Denn so sehr sie Ort und Land auch hasste, so sehr liebte die alte Frau es auch. Zumindest verhielt es sich so mit der Provinz. Hier hatte sie einen Großteil ihres Lebens verbracht, hatte hier geheiratet, ihren Kindern das Leben geschenkt, hatte geweint und gelacht, gekämpft, gelitten, genossen, geliebt und gehasst, hatte bedauert und Zufriedenheit erfahren; Hier hatte sie gelebt.
    „Hatte“ – Noch war es nicht soweit, doch die ältliche Aquilia ahnte, dass das Plusquamperfekt schon, wenn auch noch undeutlich, über ihrem Kopf schwebte. Sie spürte es in ihren Knochen, die mit jedem Winter, der verstrichen war, schwerer geworden waren. Aber das machte nichts. Es war der Lauf der Welt. Das Alte musste vergehen, um dem Neuen Platz zu machen. Niemals ging das Alte dabei ganz verloren. Es bestand weiter im Neuen, bildete dessen Grundfeste. Ja, sie würde due Zeit schon überdauern. Zumindest irgendetwas von ihr. In ihrem Sohn, in ihrer Tochter, zu der sie gerade unterwegs war. Die stattliche Villa war schon in Sicht


    Cara. Das Mädchen war nie die Tochter gewesen, die sie sich gewünscht hatte. Irgendwie hatten sie nie zueinander gefunden. Doch machte Cretica dafür nicht ihr Kind verantwortlich. Nein, sie allein – Aquilia Cretica – trug die Schuld. Es war ihr Fehler und sie musste alles in ihrer Macht stehende tun, um das Mädchen auf die richtige Bahn zu bringen. Mochte es auch gegen Caras Willen gehen, so wäre es doch zu ihrem Besten. Das würde Iulia schon einsehen. Irgendwann. Und es ihr dann danken. Sie jedenfalls war nicht bereit von dieser Welt Abschied zu nehmen, bevor sie ihre Tochter nicht an der Hand eines ehrenwerten, ruhm- und einflussreichen Mannes wusste. Wer konnte ihr sonst garantieren, dass das Mädchen auf den rechten Weg fand.


    Der Sklave, der sie begleitet hatte, trat vor, um am Tor des Praetoriums anzuklopfen. Das Warten auf den Türsteher gab ihr Zeit sich zu ordnen und ihre Gedanken unter ihre Kontrolle zurück zu zwingen. Abwesend strich sie sich einige braune Strähnen unter ihrer cremefarbenen Stola zurecht. Ein Kopf erschien in dem Türspalt, der jetzt geöffnet wurde. Ein Glatzkopf, wie sie mit leisem Erstaunen bemerkte; Das war sehr ungewöhnlich für diese Region, in welcher die römische civitas vorwiegend auf gallische oder römische Sklaven zurück griff. Wie sollte es auch anders sein?Schon wurden sie ins Innere des Gebäudes geführt.


    -
    Schmetterlinge schwirrten zwischen den Rosenumwachsenen Säulen umher, als der Sklave zu ihr kam.
    „domina – deine Mutter wartet im atrium auch dich…“, informierte der glatzköpfige Mann. Seine Nase trat scharf aus seinem Gesicht hervor. Caras Brauen hoben sich in Überraschung. Beiläufig legte die junge Iulia die Schriftrolle beiseite, in welcher sie soeben gelesen hatte. „Meine Mutter?“
    Der Mann nickte. „Kann ich euch eine Erfrischung bringen?“, Einen Moment lang war Cara versucht abzulehnen, während sie sich von der Bank erhob, auf der sie gesessen hatte. Wenn Cretica es sich nicht gemütlich machen konnte, würde sie vielleicht schneller wieder gehen. Andererseits konnte sie eine ältere Frau schon nicht aus Respektgründen auf dem Trockenen sitzen lassen – auch wenn es sich bei jener um ihre Mutter handelte. „Saft wäre nicht schlecht…“, erwiderte sie und war schon auf dem Weg ins Atrium, um Cretica gegenüber zu treten.
    -


    Sie stand inmitten des Atriums und besah sich der Totenmasken der Decima, die an den Wänden hing und ihre Geschichten, ihre ausgehauchten Leben, leise in den Raum wisperten. Sie. Ihre Mutter. Aquilia Cretica. Sie trug ein flachsfarbenes Kleid mit braunem, breiten Ledergürtel um die Hüfte; eine Stola bedeckte, die wirren braunen Locken. Unverkennbar hatte die junge Iulia ihren Geschmack für Mode von der Mutter geerbt. Eine der wenige Gemeinsamkeiten, die sich Mutter und Tochter teilten. In dunkelhaariger Mann ragte wie ein zweiter Schatten hinter der Aquilia auf. Als sie Cara das Atrium betreten hörte, sah Cretica auf.
    „Mutter. Was machst du hier? Solltest du dich nicht ausruhen?“, Caras nüchterner Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass ihr junges Herz nicht gerade Sprünge machte, ihre Mutter zu sehen. Nicht nur, weil sie es als recht unvernünftig empfand, dass die ältere Dame trotz ihres angeblich schlechten gesundheitlichen Zustandes den Weg auf sich genommen hatte, sondern vor allem, weil sich Cara von ihr beobachtet und kontrolliert vorkam, sobald ihre Mutter in der Nähe war.
    „Aber, aber“, Ein schräges Lächeln verzog Creticas Mundwinkel, „Was ist denn das für eine Begrüßung, Cara? Ich meine dir doch etwas anderes beigebracht zu haben.“ Sie zwang ihre Tochter in eine Umarmung und spürte, wie sich Cara unter dieser Berührung versteifte. Widerspenstig wie eh und je. „Darf eine Mutter nicht nach dem Rechten sehen?“, entgegnete sie, entließ die Iulia aus ihren Armen und reckte sich dann, als suche sie etwas.
    „Wo ist Corona? Ist deine Cousine nicht da?“
    „Doch...Ich habe sie vorhin kurz gesehen; Da war sie auf dem Weg zu Bibliotheca. Ich nehme an, sie liest."
    „Und Phocylides?“ Es gefiel der Aquilia nichtm dass sich Lucius´ maior domus nicht in der Nähe der beiden Mädchen aufhielt, um über ihre Ehre und nicht zu letzt Caras ausgeprägten Sinn Dummheiten anzustellen, zu wachen. Der Legat war zweifelsohne ein rechtschaffener Mann – auch wenn man neuerdings von Verhandlungen gegen ihn aus Roma hörte -, aber Kontrolle war bekanntlich besser als Vertrauen. Ihrer Tochter traute sie nahezu jede Leichtsinnigkeit dieser Welt zu.
    Die Iulia hob kritisch eine Braue. „Soll das ein Verhör werden oder was?“, gab sie verstimmt zurück. „Wo soll ich wissen, wo er sich herum treibt?!“
    „Nein...Neeeeein....“, beeilte sich Cretica abzuwinken, als sie Argwohn auf Caras Zügen aufflammen sah. „Es hat mich nur interessiert...“ Aber etwas in Caras Augen sagte ihr, dass ihre Tochter in einem alarmierten- misstrauischen Zustand verharrte. Warum konnte sie nicht einfach so ein kopfloses Ding sein, anstatt hinter jeder ihrer Aussagen eine Finte zu vermuten? „Na, möchtest du deiner alten Mutter nicht zeigen, wo ihr Mädchen für die Dauer eures Aufenthaltes wohnt? Ich war hier noch nie“, versuchte Cretica das Gespräch daher in eine andere Richtung zu lenken. Und tatsächlich, nach kurzem Zögern, ging Cara darauf ein. „Wenn du es möchtest, warum nicht“, antwortete sie, indem sie sich bei ihrer Mutter unterhakte. „Hier entlang.“



    Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, zog das stattliche Anwesen die alte Aquilia in seinen Bann, war es doch mehr als doppelt so groß wie die heimische Casa Iulia und deutlich prachtvoller gestaltet. Gründlich aber zügig, schließlich wollte sie ihrer Mutter nicht länger als nötig die Anstrengung des Gehens zu muten – oder besser gesagt, wollte sie vermeiden, dass Cretica in einem der Räume Wurzeln schlug und sie noch bis zum Morgengrauen herumständen, während Cretica mit in den Nacken gelegten Kopf selbst die kleinsten Ritzen in der Decke inspizierte -, Gründlich aber zügig führte die Iulia ihre Mutter also durch das Gebäude und beantwortete geduldig Fragen, zumindest so weit ihr eigener Wissensstand reichte. Eine gute später, Cretica hatte sich um geschätzte hundert „Ooooh“s und „Aaaaaah“s erleichtert, kamen sie dorthin zurück, wo sie ihren Rundgang begonnen hatten.


    „Hach, so ein schönes Anwesen...“, schwärmte die Aquilia „Du kannst wirklich den Göttern danken, dass euch der Legat hier aufgenommen hat – ich hätte euch ja lieber bei mir gehabt“, Die Iulia nickte lächelnd, obwohl sie eigentlich genau das Gegenteil dachte >ich danke den Göttern dafür, dass sie es verhindert haben...< Das wäre ja noch schöner gewesen! Sie versuchte etwas ihre Gesichtsmuskeln zu entspannen, die ob des steifen halblebendigen Lächelns, das sie sich extra für ihre Mutter aufgezwungen hatte, doch allmählich weh taten. Ein untrügliches Zeichen, dass es nun Zeit war, dass sich Cretica dazu entschloss den Weg nach Hause anzutreten.
    „Decimus Livianus ist nicht zu gegen, wie?“ >Hat sie etwa immer noch nicht genug? Bona dea!<
    „Nein...“, entgegnete Cara gedehnt, bemüht darum ihre innere Ungeduld zu überspielen. Würde Cretica spüren, dass sie sie abwimmeln wollte, dann würde sie bestimmt noch länger bleiben – allein des Trotzes wegen. „Er arbeitet sehr viel. Bestimmt sitzt er noch in seinem officium. Meistens verpasst er sogar die cena, so beschäftigt ist er....“, schob Cara vorsichtshalber diese kleine Unwahrheit nach, um zu verhindern, dass die Aquilia auf die Idee kam auf ihn zu warten. Diese Information hatte gesessen. Das Gesicht ihrer Mutter verfinsterte sich ein wenig, die Furchen ihres Lebens wurden ein wenig tiefer. Cara widerstand dem Impuls sie zu fragen, ob sie nicht müde sei und nicht doch lieber nach Hause wollte. Vermutlich hätte das die ältere Dame nur argwöhnisch gemacht und ihr Boden gegeben, ihr vorzuwerfen, sie wolle sie los werden – was ja offenkundig auch stimmte.
    „Zu Schade...“, seufzte Cretica und zuckte bedauernd die Schultern. „Aber vielleicht dann das nächste mal...“ Zu gern hätte sie sich noch mit dem Mann unterhalten, zwar wohl wissend, dass es für eine Entscheidung seinerseits noch zu früh war. Aber einen ersten Eindruck musste er inzwischen bereits von ihrer Tochter gewonnen haben. Und wer konnte schon wissen, ob ein wenig Zureden ihrerseits die Dinge nicht etwas beschleunigte.
    „Ja...wirklich...“, imitierte die Tochter ihren Tonfall. „Ich werde ihm ausrichten, dass du da warst...“, Die Aquilia nestelte ihr Kleid zurück und schien tatsächlich Anstalten zu machen, zu gehen. „Oh, du willst schon gehen?“, Jetzt war es Cara, die einen bedauernden Ausdruck auflegte.
    „Ja, ich wollte nur ganz kurz herein schauen“, erklärte ihre Mutter und verzog das Gesicht. >Ha, den richtigen Ton und die richtige Mimik erwischt!<, ging es der Iulia triumphierend durch den Kopf, als sie am Mienenspiel der Älteren erkannte, dass ihre kleine Manipulation fruchtete und ihren Abgang beschleunigte. „Du kannst mich ruhig auch einmal besuchen kommen, Tochter. Zusammen mit Corona...“ Cara nickte und fasste sie beim Arm, um sie mit sanftem Druck hinüber zur Tür zu geleiten. >Nur nicht zu schnell....<

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