[Atrium] Eine verwirrte Seele (Graecina et Maximilla)

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    - Wonga -


    Mit ruhigen Schritten führte der Nubier die junge Valeria und ihren Sklaven durch die Porta und hinein in die Domus Iulia. Wenn er sich nicht irrte, dann müsste sich Domina Iulia Graecina zu dieser Zeit im Atrium der Domus Iulia aufhalten. Und genau dorthin führte der Nubier den Gast seiner Domina.


    “Domina Iulia Graecina? Domina Valeria Maximilla ist erschienen.“


    Dabei deutete der Custos Corporis auf die zierliche Römerin. Senkte seinen massigen Schädel und wartete ab, ob noch weitere Anweisungen an sein Gehör dringen würden. Wenn nicht würde er sich wieder an die Porta begeben. Die natürlich während seiner kurzen Abwesenheit nicht unbewacht war. Nicht in diesen schwierigen und schrecklichen Zeiten.

  • Maximilla bedankte sich nicht bei einem Sklaven, der seine Pflicht tat. Früher hätte sie das durchaus getan, aber mittlerweile versuchte sie, sich damenhaft zu benehmen. Sie nickte nur freundlich.


    Iulia Graecina, eine Iulia, die sie nicht kannte, die aber bestimmt war wie alle Frauen der Gens, die sie bisher kennen gelernt hatte: Elegant, gebildet, musisch, eloquent.
    Maximilla zupfte an ihrer Tunika. Sie fühlte sich linkisch und ein wenig wirr im Kopf.
    Sie sagte: „Salve Iulia Graecina“, dann sah sie, dass sie ja im Atrium stand, wo sie kürzlich mit Iulius Caesoninus geredet hatte. Ohne dass sie es wollte, stiegen ihr die Tränen in die Augen.

  • Eine bleierne Schwere lag auf dem Haus und auch auf seinen Bewohnern. Die Stille, die seit dem Tod der beiden Iulier herrschte, war erdrückend. So empfand es zumindest Graecina. Immer wieder ertappte sie sich dabei wenn sie in Gedanken war, dass ihr Vetter sogleich aus seinem Officium ins Atrium gelaufen kam oder dass Phoebe um die Ecke kam und ihr etwas über die neuesten Modetrends der urbs aeterne erzählen würde. Caesoninus und Phoebe waren nicht mehr und auch wenn sie sich nicht zum einzig wahren Gott bekannt hatten, betete Graecina regelmäßig für sie.


    Die junge Iulia war noch immer in ihrer schwarzen Trauerkleidung gehüllt. Mit dem Tod ihrer Verwandten, hatten sich einige Veränderungen ergeben. Sie hatte sich um Dinge kümmern müssen, die sie zuvor kaum tangiert hatten. Doch glücklicherweise fand sie im Maiordomus des Hauses eine große Hilfe. Im Atrium hatte sie ihn angetroffen und mit ihm einige Worte gewechselt, welche Aufgaben noch zu erledigen waren. Als dann jedoch Wonga erschien, der eine Besucherin ins Atrium führte, sah Phocylides kurz auf, verbeugte sich vor der Iulia und verschwand dann.


    Auch Graecina sah sich um und erkannte die junge Valeria Maximilla, die der Custos ins Atrium geführt hatte. Sie machte ein paar Schritte auf die junge Frau zu und begrüßte sie. „Salve Maximilla!“ Dann wandte sie sich an den nubischen Sklaven. „Vielen Dank, Wonga! Du kannst nun gehen!“


    Mit einem Lächeln wandte sie sich wieder der jungen Valeria zu. „Es freut mich, dich in dieser schweren Zeit zu sehen! Aber bitte, nimm doch Platz!“ Sie deutete auf zwei Klinen, auf denen sie sich niederlassen konnten. Breda, eine junge Sklavin, die offensichtlich vom Maiordomus ins Atirum geschickt worden war, erschien. „Oh Breda, bitte bring uns doch etwas frisches Obst und verdünnten Wein!“

  • Valeria Maximilla erinnerte sich nun gut an die Iulia, sie hatte sie damals auf der Werkschau des Dolios in Begleitung des gutaussehenden Ritters mit den blauen Augen und dem dunklen Haar erblickt und noch gedacht, welch schönes, elegantes Paar. Elegant war Graecina noch immer, aber in Trauerkleidung und bleich.
    Die Valeria ließ sich auf der Kline nieder. Wieder klang ihre Stimme dünn und gepresst in ihren Ohren, als sie sprach:
    „Ich danke dir, Iulia Graecina, dass Du mich empfängst. Ich wollte nur noch einmal persönlich kondolieren….“
    Sie brach ab. Eine Träne rollte ihre Wange hinab und zog eine Spur durch das sanft aufgetragene Bleiweiß.
    „Ich habe Iulia Phoebe und Caesoninus beide gekannt, wenn auch nicht für lange Zeit.“, fuhr sie fort.
    Wieder rauschte es in ihren Ohren. Seit sie von dem Tod der beiden Iulier erfahren hatte, war die Welt für sie wie gedämpft. Und sinnlos.
    Und nun dachte sie wieder daran, dass Caesoninus, der bereits den Cursus Honorum beschritten hatte, vielleicht im Elysium weilte, aber Iulia Phoebe, die weder Kinder noch etwas Großartiges für Roma geleistet hatte, sich vom dunklen Fährmann über den Styx in den grauen Hades fahren lassen musste. Alleine war sie dort, ein Schatten.
    Da gab es so gar keine Hoffnung.


    „Da gibt es so gar keine Hoffnung“, sagte sie laut. Gleich merkte Maximilla, dass sie laut gedacht hatte. Sie schlug beide Hände vor den Mund.
    Was fiel ihr ein, so etwas zu sagen? Graecina musste sie für taktlos und vollkommen überdreht halten.
    Aber solche Missgeschicke passierten Maximilla gerade andauernd. Erschrocken sah sie Graecina an und wurde so rot wie ein Granatapfel.
    Nahm wahr, dass eine nette junge Sklavin verdünnten Wein und einen Obsteller servierte.

  • Graecina nahm auf der gegenüberliegenden Kline Platz. Die Stimme der jungen Maximilla klang sehr niedergeschlagen. Der sinnlose Tod der beiden Iulier hatte auch sie sehr mitgenommen. Unfassbar – das war gewiss die beste Umschreibung der Geschehnisse, die sich zugetragen hatten. Umso dankbarer war die Iulia nun über den Besuch der Valeria.
    „Das ist sehr freundlich, Valeria Maximilla!“, entgegnete Graecina.


    Dann bemerkte sie, wie der jungen Frau eine Träne entwich. Die Iulia war sehr gerührt über ihre Anteilnahme, denn soweit sie wusste, war die Valeria keine sehr enge Freundin ihrer Cousine gewesen. Doch im weiteren Gespräch begann Graecina zu verstehen, woher diese tiefe Betrübnis herrührte. Valerias Äußerung stammte aus ihrem tiefsten Inneren, welches ich scheinbar unbewusst entwichen war. So jedenfalls deutete es Graecina.
    „Es gibt immer Hoffnung, Liebes!“, entgegnete sie ihr und berührte sie sanft an ihrer Schulter. „Selbst in der dunkelsten Stunde unseres Daseins gibt es sie!“
    Sie, die sie die Liebe Gottes erfahren hatte, sprach aus voller Überzeugung. Keiner der römischen Götter hatte ihr und allen Menschen ein solch wertvolles Geschenk gemacht, wie Gott. Doch woher sollte Valeria, dieses junge und unerfahrene Mädchen denn wissen?


    Eine Sklavin war inzwischen zu ihnen gekommen und hatte sie mit dem Obst und dem verdünnten Wein versorgt. Graecina nahm den Becher und nippte daran. „Bitte, greif doch zu!“, sagte sie und deutete auf die Obstschale, die nun auf einem Tischchen zwischen ihren beiden Klinen stand.

  • „Danke“, erwiderte Maximilla und griff tatsächlich zu, wobei sie so in Gedanken war, dass sie nicht wahr nahm, was sie sich in den Mund schob: Ein Stückchen Melone oder eine Traube vielleicht.
    Aufmerksam schaute sie Graecina an. Wie lieb und gut die Iulia plötzlich aussah, als sähe sie etwas Wunderschönes in der Ferne. Und sie berührte sie so sanft an der Schulter.
    Maximilla beschloss sich ihr anzuvertrauen:
    „Seit einiger Zeit ist alles so dunkel in mir, als hätte nichts mehr einen Sinn.“, gestand sie: „Ich bete zu Iuno und sogar zu Frigg, so heißt Iuno in Germanien hat mir meine Ziehmutter erklärt, aber meine Gebete spenden mir keinen Trost. Ich dachte früher immer, ich sei eine tapfere Römerin, aber ich fühle mich nicht mehr tapfer.
    Ob ich Angst vor dem Tod bekommen habe? Vor der Dunkelheit und dem Vergessen?
    Ich lese was ich in die Finger kriegen kann über von Philosophen und Priestern über das Jenseits, aber nachts, wenn keiner da ist, wache ich auf und habe das Gefühl, die Wände und die Decke kommen näher, und ich kann nicht mehr atmen. Dann will ich um Hilfe schreien, aber ich weiß schon, dass keiner kommt und keiner der Götter mich hört.“

    Sie senkte den Kopf:
    „Eine Schande für die Valerier bin ich.“, murmelte sie: „Und anstatt Trost zu spenden, erzähle ich dir von meinen Problemen. Verzeih mir, liebe Graecina! Ich sollte gehen….“
    Sie rieb sich die Augen und verwischte die aufgetragene Farbe.

  • Graecina verzichtete vorerst, sich auch am Obst zu bedienen, um sich ganz der jungen Valeria zu widmen. Sie war eine Suchende, die sich im tiefsten Dunkel befand. Sie betete zu ihren falschen Götzen, doch nichts konnte ihr Frieden bringen. Graecina erkannte sich selbst in Maximillas Worten. Es war erst wenige Jahre her, seit dem sie das Licht der Welt entdeckt hatte. Ihre Sklavin Sulamith hatte dabei einen nicht geringen Teil dazu beigetragen. Durch sie war sie an die Lehren des Nazareners, wie sie es immer nannte, gekommen. Nun saß ihr diese junge Frau gegenüber, die regelrecht darum bat, zum Licht geführt zu werden. Graecina aber war sich auch bewusst, dass sie vorsichtig sein musste. Sie musste einen Weg finden, wie sie Maximilla helfen konnte, aber dabei nicht als Chrsitin enttarnt zu werden. Eine schwierige Aufgabe, die da vor ihr lag!


    „Nein, du bist keine Schande für deine Familie, liebe Valeria! Du bist, wie ein Kind, das auch der Suche ist nach Antworten, die du in deinen Tempeln nicht finden wirst! Glaube mir, es gibt ein Licht in der Finsternis, Valeria!“, begann sie und ihre Augen strahlten dabei, als sie es sagte. „Du musst es nur finden. Doch du musst an der richtigen Stelle suchen.“ Nicht bei den falschen Götzen durfte sie suchen. „Stell dir vor, es gäbe jemanden, der für sich das größte Opfer auf sich genommen hat. Wie würdest du dich fühlen?“

  • Maximilla schaute Iulia Graecina fragend an. Sie kannte sich in Religionslehre nicht so sehr aus, aber etwas an dem, was die Iulia sagte, klang so ganz anders als alles, was man sie gelehrt hatte:
    „Wer nimmt ein Opfer auf für uns?“, fragte sie: „Ein Gott? Es ist doch genau umgekehrt: Wir Menschen müssen den Göttern opfern, damit sie etwas für uns tun. So hat Iuppiter Rom groß gemacht, zumindest hat man mir das beigebracht! Aber dieses Licht in der Finsternis, wer ist das?
    Die despotischen Priester in ihren Tempeln machen mir Angst, ich traue mich nicht, hinzugehen, um sie zu befragen? Darf ich dich etwas fragen, Iulia Graecina:
    Hast du das Licht gefunden? Du siehst so… in dir ruhend aus. Deine Augen leuchten in einem wunderschönen Glanz. Ich will das Licht auch finden und endlich wieder ruhig schlafen können! Wo muss ich suchen?“


    Maximilla setzte eine entschlossene Miene auf. Wenn sie ihren Wolfshund und ihren Sklaven Remigius mitnehmen durfte, würde sie nichts und niemanden fürchten und selbst in der Subura nach dem Licht suchen. Oder meinte Iulia Graecina am Ende gar keinen realen Ort, sondern so etwas wie die Lehren der Vorväter oder das eigene Herz. Nur - da hatte sie schon gesucht. Da hatte die Valeria keine Antwort gefunden. Sie brauchte ein Gegenüber.

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