Am Tiber entlang: Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt

  • Wie jeden Abend (auch schon vor meiner Zeit im Merkur-Tempel) schlug ich den Weg am Tiber entlang ein. Das war nicht der kürzeste Weg nach Hause. Ich hatte noch was zu erledigen. Hinter der Stadtmauer hockten sie wie jeden Abend: Alte, Obdachlose und Invaliden. In meinen Gedanken nannte ich sie "die Vergessenen". Denn das waren sie. Männer und Frauen ohne Familie, ohne Halt und ohne Zukunft. Männer und Frauen die für Rom nicht existierten. Und um die sich niemand kümmerte und an die nie jemand dachte. Auch nicht ihre Götter, denen die meisten immmer noch vertrauten.


    Aila hielt schon nach mir Ausschau und lachte ihr zahnloses Lachen als sie mich erkannte. Was ziemlich spät geschah weil sie auch kaum noch sehen konnte.
    Ich gab ihr ein Stück von einem besonders weichen Opferkuchen. "Hier, Aila, lass es dir schmecken. Und denk dran, die hier das Leid erdulden wird der Herr um so reicher beschenken im Paradies! Wenn du möchtest komm heute Abend, übliche Uhrzeit."
    "Jaja, guter Junge ..." schmatzte sie zwischen zwei Bissen mit denen sie den Kuchen gierig verschlang. Ich wusste sie würde nicht kommen. Aber das machte nichts. Ich gab ihr noch ein Stück bevor ich mich wieder von ihr verabschiedete.

  • Ich drehte meine Runde und verteilte Kekse und Kuchen. Die meisten hier kannte ich. Nur ein alter Mann war mir neu. Er hatte kaum noch Haare auf dem Kopf und ein eingefallenes Gesicht. Zumindest seine Kleider wirkten noch halbwegs ordentlich.
    "Salve! Ich bin Volusus. Hast du Hunger?"
    "Ja." Er sah argwöhnisch auf. "Aber kein Geld."
    "Ach, das macht nichts. Der Herr ist gütig zu all seinen Kindern."
    Ich zog drei Dinkelkekse aus dem Beutel und reichte sie ihm. Er zögerte.
    "Gott ist gütig zu all seinen Kindern." wiederholte ich und legte die Kekse in seinen Schoß.
    "Hast du einen Schlafplatz für die Nacht?"
    "Ja." Er biss zaghaft einen Keks an.
    "Gut!" Ich lachte zufrieden und ließ ihn in Ruhe. Wenn er öfter kam würde ich ihn einladen.


    Am Ende meiner Runde war mein Beutel leer bis auf den besonderen Kuchen und die Münzen. Zeit, nach Hause zu gehen.

  • Meine Runde führte mich wie immer am Tiber entlang. Aila freute sich über Brot und einen Keks. Die Trauben Iehnte sie ab.
    "Ich bin so alt und vertrocknet mir reicht das Brot. Gib das Obst dem Mutus. Der ist jung und kann es brauchen."
    "Gebt, so wird euch gegeben. Oder eben umgekehrt. Wem gegeben wird, der gibt." lachte ich fröhlich. "Der Herr wird es dir lohnen, Aila!"
    Sie biss in ihr Brot und murrte vor sich hin. Aber ich wusste, dass sie ein guter Mensch war. Und zwischen dem Brot schimmerte auch ein Lächeln durch.


    Mutus war echt jung. Fast noch ein Kind. Ich hatte ihn einmal zum Waisenhaus der Binah gebracht. Aber er blieb nicht lange. Er schlug sich lieber allein durch. Das war bestimmt nicht einfach. Er war taub und stumm. Die anderen erzählten, dass er sich mit kleinen Diebstählen über Wasser hielt. Nicht immer sehr erfolgreich. Aber im Carcer gab es immerhin Essigwasser und Brot. Nicht viel, aber zum Überleben genug.
    Wenn er nicht erfolgreich war und sie ihn nicht schnappten hockte er am Tiber wie die anderen.


    Er beobachtete mich schon und winkte als ich zu ihm ging. Ich winkte zurück und zog die Trauben aus den Beutel. Er lachte.
    "Die hier leiden werden selig sein im Paradies."
    Er hörte mich natürlich nicht. Aber ich bildete mir ein, dass er die Worte des Herrn spüren würde. In seinem Herzen. Er nahm die Trauben und legte sie neben sich. Dann nahm er meine Hand und tätschelte sie. Das war seine Art Danke zu sagen.
    Ich gab ihm auch noch ein Stück Brot. Obst allein würde ihn nicht satt machen.


    Dann sah ich den Alten, der seit einigen Tagen neu hier war.

  • Ich näherte mich dem alten Mann. In der einen Hand hielt er ein Holz, in der anderen ein Messer. Als ich näher kam erkannte ich dass er einen Löffel schnitzte.
    "Hast du Hunger?" fragte ich ihn obwohl ich die Antwort schon kannte.
    "Ja." lächelte er schwach.
    Ich gab ihm Brot und ein Stück Dinkelkuchen. "Der Herr sorgt für all seine Kinder."
    "Dein Herr ist sehr großzügig" ging er zum ersten Mal auf meine Worte ein.
    "Oh ja" strahlte ich. "Er ist der eine Gott, der seine Kinder liebt. Der sie liebt ohne dass sie ihn dafür bestechen müssen. "
    "Aber ich bin kein Kind mehr" warf er ein.
    "Das Alter ist Gott nicht wichtig. Auch du kannst zu seinen Kindern gehören. Möchtest du das?"
    Er nickte. "Ich glaube schon."
    "Gut. Er muss aber dein einziger Gott sein. Denn neben ihm gibt es keine Götter."Der Alte zuckte mit den Schultern. "Die Götter haben mir eh nichts geschenkt."
    Ich nickte verständig. Wem hatten die 'Götter' je etwas geschenkt außer den Reichen und Mächtigen? "Dann komm, ich werde dich unserer kleinen Gemeinde vorstellen." Ich reichte ihm meine Hand und gemeinsam gingen wir nach Hause.


    Numerius, so hieß er, lauschte in den nächsten Tagen gespannt Philotimas Weisheiten. Danach blühte er zusehends auf. Auch er hatte viel zu erzählen aus seinem langen Leben und vor allem die Kinder in Binahs Waisenhaus freuten sich über die vielen Fabeln die er kannte. Und die Holzlöffel die er ihnen schnitzte. Trotz seines Alters hatte er noch viel zu geben. Und es zeigte sich wieder: Wem gegeben wird, der gibt.

  • Sein Herr hatte ihn nicht nur verstoßen, er hatte ihn umgebracht. Sciurus, langjähriger Sklave des Manius Flavius Gracchus - Leibsklave, Vilicus, Privatsekretär, Vorleser und Rezitator, Bettgenosse, Handlanger, Vorkoster, Leibwache. Alles. Er hatte alles getan für seinen Herrn. Er hatte alle Gefahr von ihm abgehalten, hatte ihn beschützt - bis zuletzt. Doch Manius war verhext, verflucht, verblendet durch den falschen Schein des Decimus Serapio, und hatte Sciurus geopfert.


    Er war gefallen, den Abhang der Schlucht hinabgerutscht, der Fels hatte ihm seine Haut aufgerissen, und nach einem harten Aufprall auf eine verkrüppelte, schief gewachsene Pinie war er halb in den Fluss gefallen. Womöglich hätte er sich mit Kraft an das felsige Ufer ziehen können. Doch Sciurus hatte keine Kraft mehr. Sciurus war tot. Er übergab seinen Leichnam den Strömen des Flusses, der ihn kalt und unbarmherzig umfing und mit sich riss, warf sich in die Tiefe, seine Seele reinzuwaschen, die hinabsank in tiefe Dunkelheit.


    Doch Wasser war schon immer gleichgültig gegen das Leben. Was man hineinwarf, tauchte irgendwann wieder auf. Und so spie der Fluss auch den geschundenen Leib wieder aus, der gestorben und neu geboren zugleich war, die Hülle eines toten Sklaven, angefüllt mit einem rachsüchtigen Geist. Einen Tag, oder zwei, oder drei lag er am seichten Ufer, viele Meilen entfernt von der Jagdhütte des Voluptarianus Suavis, ernährte sich von dem Brennen in seinen Rippen, dem inneren Feuer des Hasses und seiner Verwirrung. Einen weiteren Tag, oder zwei oder drei vegetierte er im Wald, kroch über den Boden, aß Beeren, Kräuter und Wurzeln, um wieder zu Kräften zu kommen. Die herbstliche Natur war gnädig, versorgte ihn mit allem, was er brauchte, die Montes Lucretili gewährten ihm die Schonung, derer er bedurfte, und die Einsamkeit nährte in ihm die Rachsucht, die ihn am Leben hielt. Insbesondere die Einsamkeit war endlos und nahrhaft.


    Halbwegs bei Kräften folgte er dem Fluss und gelangte zum Tiber. Einem Bauern, der auf seinem Feld arbeitete, stahl er den Mantel und den Mittagsproviant. Ansonsten hielt er sich von Menschen fern. Sciurus war tot, doch sein Leib trug noch immer das flavische Brandmal, im Alltag zwar unsichtbar, doch bei einer eingehenden Überprüfung nicht zu übersehen. Erst in der Nähe Roms wagte er sich am späten Nachmittag aus seiner Deckung. Er musste den unterirdischen Kaiser finden, den Mann mit der Vogelmaske. Nur er würde ihm helfen können seine Rache auszuführen.
    Am Tiberufer, dort wo die Aussätzigen und Ausgestoßenen vegetierten, verschmolz er mit dem Bodensatz der Gesellschaft und wartete er auf den Anbruch der Nacht.



  • Heute hatte ich Brot, Kekse, Trauben und Äpfel aus dem Tempel in meinem Beutel als ich zum Tiber kann. Und natürlich ein paar Münzen wie immer. Aila empfing mich mit ihrem Lächeln und freute sich über ein weiches Stück Brot. Das Obst lehnte sie wie immer ab.
    "Gib es den Jungen. Die brauchen ihre Kraft. Vor allem heute Nacht. Es wird starker Regen kommen, das spüre ich in meinen Knochen."
    Na prima! Ich mochte keinen Regen. Nasse Füße, klamme Kleidung und das Dach im Waisenhaus war noch nicht dicht! Leider war auf Ailas Regenvorhersagen Verlass.
    "Hast du ein Dach über dem Kopf?" fragte ich sie. Sie schlief mal hier und mal dort. Oft unter freiem Himmel oder unter Säulengängen bis sie verjagt wurde.
    "Ja, mach dir um mich keine Sorgen. Aber da drüben der ist neu. Sitzt schon eine Weile da. Und schaut gar nicht gut aus."


    Ein Stück entfernt sah ich die neue Gestalt auf einem Stein sitzen. Wenn Aila mich nicht auf in hingewiesen hätte hätte ich ihn übersehen. Ich verabschiedete mich von ihr und ging zu dem Neuen.
    "Salve! Ich bin Volusus. Hast du Hunger?"
    Ich reichte ihm etwas Brot und erhaschte einen Blick auf das Gesicht unter der Kapuze. Aila hatte recht. Er sah ziemlich zerschunden aus.
    "Hast du einen Schlafplatz für die Nacht? Es wird regnen, das wird ziemlich ungemütlich hier draußen."

  • Er hatte nicht erwartet, angesprochen zu werden. Hastig senkte er den Blick, in den sich eine Hand mit einem Kanten Brot schob. Er wusste, dass bisweilen mildtätige Bürger Speisen an die Armen verteilten, doch dass sie dazu selbst an den Tiber kamen, war ihm neu. Er nahm das Brot und biss hungrig hinein, denn er hatte seitdem er den Bauern bestohlen hatte nur ein paar Wildkräuter gegessen. Ein Bissen Brot würde ihn zu nichts zwingen.


    Der Mildtätige - Volusus - fragte ihn nach einer Unterkunft. Misstrauisch linste er unter der Kapuze des Umhangs hervor. Sein Auge, das der Decimer ihm beinahe ausgestochen hatte, war noch immer rot geändert und von einem grün-gelblichen Bluterguss gerahmt, und an seiner Lippe und seinem Kinn zeigte sich Schorf von den Abschürfungen, die er sich bei dem Sturz in die Schlucht zugezogen hatte. Im Palast des Vogelmannes würde ihn eine warme Mahlzeit und ein trockenes Lager empfangen, doch es gab keine Garantie, dass er in dieser Nacht noch Einlass erhielt. Der Palast wechselte regelmäßig seinen Ort, nur Eingeweihte kannten die Zugänge, und Sciurus hatte seine Kontakte zu lange vernachlässigt. Er schluckte den Bissen hinab.
    "Nein", antwortete er ehrlich, doch weiterhin misstrauisch.



  • Ich erschrak als ich mehr von seinem Gesicht sah (vielleicht zuckte ich sogar kurz zurück). Der Fremde sah aus als hätte ihn jemand verprügelt. Damit kannte ich mich leider aus. Unsere Brüder und Schwestern die sich offen bekannten erlebten so etwas zu oft. Sein Anblick rührte deswegen etwas in mir. Ich zögerte nur kurz. Öffnete nicht der Barmherzige sein Herz fremder Not, machte sein Gegenüber durch barmherziges Handeln zu seinem Nächsten, den es zu lieben galt wie sich selbst?


    Wie Lichter in der tiefsten Nacht, so ist es an uns zu leuchten und auch unseren Nächsten Licht zu spenden. Das hatte Philotima uns gepredigt .
    "Wenn du möchtest gebe ich dir ein Obdach. Ich lebe in einer Gemeinde Gottes in der jeder willkommen und gleich ist. Wir können auch deine Wunden behandeln."
    Da ich wusste dass das auf manche anfangs befremdlich wirkte fügte ich gleich hinzu. "Es kostet dich nichts. Der Dienst am Menschen ist Teil unseres Glaubens. Und niemand zwingt dich zu bleiben oder zu sonst irgendwas. Du kannst jederzeit wieder gehen."

  • Aller guten Dinge sind drei. Er hielt nichts von solch platten Sprichwörtern, doch in diesem Falle lag ein Funken Wahrheit darin. Dreimal hatte der mildtätige Volusus ihn überrascht. Eimal als er ihn ansprach, ein zweites Mal mit der Gabe des Brotes. Und nun bot er ihm zu alledem eine Unterkunft für die Nacht an. Er blickte empor, durchbohrte mit dem Blick seiner eisig graublaufarbenen Augen sein Gegenüber als könne er in dessen Gedanken hineinsehen. Der junge Mann sah nicht aus als hätte er den harten Drill der Stadtwachen durchlaufen, nicht als würde er jene von der Straße haschen, die keiner vermisste, um aus ihrem Fett Seife und ihren Knochen Leim herzustellen - eher wie ein verweichlichter Knabe aus der Verwaltung, der in seinem mildtätigen Abenteuer am Tiber eine Flucht vor der Langeweile seines Lebens suchte.


    Und er lebte in einer Sekte - eine Gemeinde Gottes, der Dienst am Menschen -, Christen vermutlich. Sciurus hatte sich intensiv mit seinem Herrn mit den Auswüchsen dieser Sekte beschäftigt, denn Manius hasste die Christen zutiefst. Sciurus waren sie stets gleichgültig gewesen. Doch nun hasste er Manius zutiefst, und der Feind seines Feindes war sein Freund, respektive ein möglicher Pflasterstein auf seinem Weg der Rache. Darüberhinaus waren diese Menschen wie Geister - verbargen sich in den Ritzen der Stadt und boten manchesmal gar ob ihres Glaubens verurteilten Verbrechern ein Versteck. Ein sicheres, warmes Obdach umringt von schwächlichen Christen war allemals besser als ein ungewisses, warmes Obdach umringt von den skrupellosen Klienten des Vogelmannes. Aus dem mildtätigen Nest heraus konnte er noch immer beginnen, seine nächsten Schritte zu planen.


    Er senkte seinen Blick. "Ich wäre dir sehr dankbar", lies er leise, ein wenig unterwürfig vernehmen.



  • Bei Gott, als der Mann aufschaute packte mich der Zweifel! In seinem Blick lag so viel Kälte dass mich direkt ein Schauer überkam.
    Unsinn, Volusus, das ist nur die blasse Farbe seiner Augen! Und die Augenfarbe sagt absolut nichts über den Menschen aus. Sein geschundenes Äußeres trug außerdem auch noch zu diesem Eindruck bei.
    Barmherzigkeit! Das Herz gegenüber denen in großer Not öffnen! Ja, und der hier war wirklich in großer Not!


    Weil er dann ganz zögerlich mein Angebot annahm waren alle Zweifel auch schon wieder weggeblasen. Ich strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Wenn man sich der Barmherzigkeit öffnete war das ja auch was schönes.
    "Dann komm! Wir gehen einen kleinen Umweg, aber nicht zu weit."


    Im immer geschäftigen Rom achtete niemand auf uns. Durch kleine Seitenstraßen näherten wir uns der Casa Didia.

  • Einen Korb voller Brotfladen hatte Sulamith dabei. Damit hatte sie sich alleine auf den Weg zum Tiberufer gemacht, da sich die junge Iulia an diesem Abend nicht ganz wohlgefühlt hatte. So hatte sie die Hebräerin alleine losgeschickt. Dorthin, wo sich die von Elend und Armut gezeichneten des Abends tummelten. Sie alle waren Verstoßene, Vergessene und Verdammte. Verstoßen und an den äußersten Rand der Gesellschaft gedrängt. Vergessen und unsichtbar. Verdammt zu einem menschenunwürdigen Leben in Unrat und Not.
    Doch gänzlich vergessen waren sie nicht! Allabendlich erinnerten sich einige gute Menschen der armen Kreaturen und bedachten sie mit mitgebrachten Speisen, die sie unter den Bedürftigen verteilten.


    Nach ihrem Besuch in der Casa Didia war auch Sulamith in Begleitung ihrer Herrin und Freundin hierhergekommen. Jedes Mal hatten sie Essen oder auch manchmal Medizin dabei. Meist waren es Salben, mit denen man Schürfwunden oder Ekzeme behandeln konnte. ‚Gebt, so wird euch gegeben.‘ Wie viel Wahrheit doch in diesen Worten steckten! Ein Lächeln auf einem Gesicht, das fast schon vergessen hatte, wie man lächelt. Das Gefühl, etwas richtig gemacht zu haben. In einer Welt, in der es nur so von Gier, Hass und Gewalt wimmelte. Das war es, was die beiden jungen Frauen antrieb.


    Sulamiths Ankunft war bereits schon erwartet worden. Ein paar Kinder in verdreckten Lumpen kamen ihr entgegen gelaufen. „Hast du etwas für uns?“, fragte das eine Mädchen, das wohl nicht älter als fünf oder sechs Jahre alt war. Sein Gesicht und die kleinen Händchen waren schmutzig, das Haar war ganz struppig und zerzaust. „Aber ja!“, rief die Hebräerin lächelnd und zog ein paar Fladen aus ihrem Korb. „Hier, lasst es euch schmecken! Möge der Herr euch segnen!“. Die kleinen Hände rissen ihr gierig das Brot aus den Händen und begannen sofort daran zu nagen. Ja, die dankbaren Blicke und das Wissen, ein wenig die Not für diesen Abend gelindert zu haben, war wohl die größte Gabe, die ihr gegeben wurde.

  • Noch immer wirkte Eireann äußerst skeptisch, als sie der Ancilla folgten. Zum Glück war Tiberios an ihrer Seite. Denn wenn die Dunkelhaarige ehrlich zu sich selbst war, dann vertraute sie der Ancilla nicht. Diese Gedanken ließ sie sich jedoch nicht anmerken. So beäugte Eireann die Sncilla mit einemmisstrsuischen Glanz in ihren Augen. So folgte sie der Ancilla weiterhin. Unbemerkt hatte sie dabei nach Tiberios Hand gegriffen. Beinahe so als wollte sie dadurch nach Schutz und Zuversicht suchen.
    “Wo glaubst du wohnt diese unbekannte Frau?“
    Fragend musterte Eireann den Blondschopf und wartete auf Tiberios Antwort.
    “Ich hoffe, diese Frau kann meine Fragen beantworten. Sonst wird das Dominus Antoninus nicht gefallen.“

  • "Sie hat uns zum Tiberufer gefühlt. ", Tiberios schnupperte, der unverkennbare Geruch von Wasser und Unrat drang an seine Nase:
    Hier gibt es nur Obdachlose und anderes Gesindel. Genauso habe ich mir Christen vorgestellt . ", flüsterte er zurück :
    "Bestimmt schwimmt in dieser trüben Brühe auch noch ein Fischkopf, den sie anbeten können !"
    Als Eireann den dominus Antoninus erwähnte, wurde er ernst :
    "Ich halte die ancilla für harmlos , du siehst ja selbst, dass sie den Verstand eines Kindes hat. ", sagte er:
    "Doch sei bitte vorsichtig bei deiner Befragung. Wenn die Christen wirklich schuldig sind , sind sie vielleicht doch gefährlich !"

  • Zitat

    Original von Sulamith


    Sulamiths Ankunft war bereits schon erwartet worden. Ein paar Kinder in verdreckten Lumpen kamen ihr entgegen gelaufen. „Hast du etwas für uns?“, fragte das eine Mädchen, das wohl nicht älter als fünf oder sechs Jahre alt war. Sein Gesicht und die kleinen Händchen waren schmutzig, das Haar war ganz struppig und zerzaust. „Aber ja!“, rief die Hebräerin lächelnd und zog ein paar Fladen aus ihrem Korb. „Hier, lasst es euch schmecken! Möge der Herr euch segnen!“. Die kleinen Hände rissen ihr gierig das Brot aus den Händen und begannen sofort daran zu nagen. Ja, die dankbaren Blicke und das Wissen, ein wenig die Not für diesen Abend gelindert zu haben, war wohl die größte Gabe, die ihr gegeben wurde.[/FONT]



    Tiberios blieb stehen und hielt Eireann an ihrer Hand zurück.
    Mit dem Kopf wies er auf eine Frau. Sie war jung und schön , ihr dunkles Haar glänzte im Mondlicht.
    Sie stand inmitten einer Kinderschar - was tat sie ?
    Sie verteilte etwas aus ihrem Korb , mmer wieder, schien zu lächeln und zu nicken .
    Sie gab diesen armen zerlumpten Kindern Brot.
    Tiberios konnte nicht verstehen, WAS sie sagte, doch ihre Stimme klang liebevoll.


    Die ancilla war mit drei Sprüngen bei der Fremden, nahm ihre Hand und küsste sie.
    "Die gute Frau", rief sie voller Freude aus , dann bekam sie auch Brot, was sie hungrig aß , während sie immer wieder versuchte, sich an die Fremde zu schmiegen.


    "Was tut sie da?" , fragte Tiberios.
    Auch er war zur ancilla freundlich gewesen und hatte ihr zu essen gegeben, weil seine Erfahrung ihn gelehrt hatte, dass man mit Freundlichkeit oft wertvolle Informationen bekam.
    Aber weshalb verteilte diese Frau , die gut genährt schien und vielleicht eine liberta oder eine Sklavin aus gutem Hause war, Brot an diese kleinen nutzlosen Geschöpfe?


    "Beobachten wir, was diese Frau hier treibt ? ", schlug er Eireann vor: "Oder wie möchtest du vorgehen?"

  • Dominus Antoninus wollte Antworten. Und diese Antworten würde ihm Eireann auf dem Silbertablett präsentieren. Aber musste dies ausgerechnet sm Tiberufer sein? Vielleicht hatte sich die Ancilla auch geirrt und sie beide an einen völlig falschen Ort geführt? Für einen kurzen Augenblick glimmte Misstrauen im Blick der iulischen Sklavin auf. “Glaubst du wirklich das wir hier richtig sind?“ Flüsterte Eireann an Tiberios gewandt. Bevor sie ihren Blick über die zerlumpte Kinderschar gleiten ließ. Aber wieso sollte die Ancilla die beiden Sklaven in die Irre führen wollen?
    Schweigend beobachtete Eireann wie die Ancilla das Brot entgegen nahm. Dann ließ Eireann ihren Blick über die Frau gleiten und trat schließlich näher. “Entschuldige. Aber.. dieses Mädchen meinte, du wüsstest etwas über die Christen?“ Dabei blickte Eireann mit großen Augen zu der jungen Frau empor. Wobei sie unbewusst nach Tiberios Hand griff und diese leicht drückte.

  • Neben den vielen Kindern, die größtenteils Waisen oder Verstoßene waren, gab es auch noch die Alten und Kranken, für die Sulamith sorgen wollte. Ihr Korb war immer noch gut gefüllt. Gerade als sie sich von der Kinderschar verabschieden wollte um zu den anderen Bedürftigen zu gehen, kam das kleine Mädchen, dass alle nur Ancilla nannten, angerannt. Armes Ding, nicht einmal einen Namen hatte sie der kleinen Sklavin gegeben! Kinder waren nichts wert. Dabei waren sie doch so wertvoll! Jeschua bar Joseph* hatte dies erkannt. Er hatte Kinder geliebt und in ihnen die Reinheit gesehen, die jeder Mensch anstreben sollte.


    Natürlich wollte die Hebräerin nicht gehen, bevor sie nicht auch der kleinen Ancilla ein Fladenbrot und etwas Obst zugesteckt hatte. „Hier meine Kleine! Möge der Segen des Herrn über dir leuchten!“ Sulamith lächelte das Mädchen freundlich an. Doch dann bemerkte sie erst, dass sie nicht allein gekommen war. Eine junge Frau und ein junger Mann hatten sie begleitet. Plötzlich kam die junge Frau auf sie zu und sprach sie an. Offenbar hatte sie die Hebräerin nicht sofort erkannt, da es schon langsam dunkel wurde und Sulamith die Kapuze ihres Umhangs aus Vorsicht nicht entdeckt zu werden, tief ins Gesicht gezogen hatte.
    Sulamith aber hatte die junge Frau sofort wiedererkannt, als sie in ihr Gesicht geblickt hatte. Es war diese neue Sklavin, die seit einigen Wochen im Hause der Iulier lebte. Eben diese hatte sie nach den Christen gefragt. Ihr stockte der Atem. Wie weit konnte sie Eireann trauen? Und weshalb war sie überhaupt hier? „Die Christen?“, echote Sulamith und versuchte dabei ihr Unbehagen zu unterdrücken. „Was sollte ich mit den Christen zu schaffen haben? Ich bin Jüdin!“


    *= aramäischer Name von Jesus von Nazareth

  • Der drückende Geruch raubte Eireann beinahe den Atem. Am liebsten hätte sie sich einfach herumgedreht und wäre den Weg zurück gegangen, den sie auch gekommen war. Doch die Worte des Dominus Antoninus hallten noch immer in ihren Ohren nach. Sie sollte an Informationen über diese neue Gruppierung, diese Christen herankommen. Und das kleine Mädchen hatte gesagt das sie hier die gute Frau treffen würde. Doch wie sollte sie diese gute Frau nur ausfindig machen? Für einen kurzen Augenblick furchte sich Eireanns Stirn und ein nachdenklicher Ausdruck huschte über das Gesicht der Keltin. Was war wenn sie hier nicht fündig wurde? An wen sollte sie sich denn dann wenden?


    Diese Gedanken behielt die Dunkelhaarige jedoch für sich und ließ ihren Blick langsam über die Kinderschar gleiten. Irgendwie taten ihr diese Kinderlein Leid. So dass Eireann hart schluckte und sich unbewusst auf die Unterlippe biss. Als Sulamiths Stimme erklang und sie das Fladenbrot an die hungrigen Kinder verteilte, verkrampfte sie ihre Finger miteinander. “So viele obdachlose Kinder?“ Murmelte die iulische Sklavin und ertappte sich dabei wie sie einem der verwahrlosten Kindern sanft über den Kopf streichelte.


    Das ihr die gute Frau nicht unbekannt war, war Eireann nicht bewusst. Jedoch kam ihr die Stimme bekannt vor. Und so musterte Eireann die unbekannte Frau. “Ich... ich habe gehört das die Christen ihr Symbol des Fisches überall verbreiten. Da bin ich neugierig geworden.“
    Murmelte Eireann mit geröteten Wangen und leiser Stimme.

  • Tiberios wartete ab und hörte dem Gespräch der beiden Frauen zu, seine grauen Augen auf die Beiden gerichtet, ihm entging nichts.
    Er war sich ziemlich sicher, eine dieser Christinnen vor sich haben, auch wenn die Fremde sagte, sie sei Jüdin. Aber zumindest in Alexandria waren die jüdischen Nachbarn respektabel gewesen. . Sie trieben sich nicht in anrüchigen Gegenden herum und es fiel ihnen auch nicht ein, eine Meute Hungerleider durchzufüttern.
    Auch nach Opfern in den Tempel, wurden die Opfergaben zuweilen an Notleidende verteilt. Aber hier am Tiberufer gab es bestimmt keinen Tempel.


    Nun , es war Eireanns Auftrag, mit Christen zu sprechen, und er, Tiberios , hatte ihr dabei helfen können.
    Das war ein Freundschaftsdienst. Er selbst hatte gar nichts gegen diese Leute .
    Er war freilich neugierig und hatte eine Menge Fragen im Kopf. Vielleicht konnte er die irgendwann noch loswerden .



    Die ancilla hielt immer noch die Hand ihrer Wohltäterin. Ab und zu hustete sie , doch ihre Augen in ihrem ausgemergelten Gesicht strahlten, als würden sie nicht Elend und Traurigkeit, sondern etwas Schönes und Gutes sehen.

  • Innerlich focht Sulamith einen Kampf mit sich aus. Sie hatte die, mit denen sie zusammen glaubte verleugnet und Ausflüchte gefunden. Zwar hatte sie sich noch nicht taufen lassen, doch konnte sie von sich behaupten, inzwischen eine Gläubige zu sein. Andererseits konnte man in diesen Zeiten nicht vorsichtig genug sein. Die Stimmung dir in Rom gegen die Christen herrschte, war aufgeheizt. Ständig wurden neue Beschuldigungen und Verleumdungen gegen sie in die Welt gesetzt. Es war nur eine Frage der Zeit bis die Jagd auf die Christen wieder begann, bis man sie in Gefängnisse und Kerker steckte und sie am Ende ans Kreuz schlug oder sie in die Arena schickte. ‚Die Christen vor die Löwen!‘ So hatte es vor langer Zeit schon einmal geheißen.


    Daher war es nur verständlich, dass die Hebräerin auf Nummer sicher ging und so tat, als wüsste sie nichts von der Christengemeinschaft. Aber vielleicht täuschte sie sich ja auch in der jungen Frau. Offenbar war sie auch von dem Elend der Kinder schockiert. Vielleicht wollte sie ja auch helfen.


    „Du bist auf der Suche nach Fischen?“, fragte sie vorsichtig. Die kleine Ancilla hielt noch immer ganz andächtig Sulamiths Hand. „Kennst du denn die Bedeutung des Fisches?“ Nur wenn sie und ihr Begleiter Eingeweihte waren, konnten sie auf diese Frage eine Antwort haben. Natürlich hatte es mit dem Fisch eine besondere Bewandtnis. Er war das Erkennungszeichen der Christen, dem ein Akronym zu Grunde lag. Nur die Anhänger der Christengemeinden kannten die Bedeutung, wofür das griechische Wort ICHTYS * stand.



    Sim-Off:


    *
    Ichtys - Fisch
    Iesous - Jesus
    Christos - der Gesalbte
    Theou - Gottes
    Hyios - Sohn
    Soter - Retter oder Erlöser

  • Der Fisch ist also nicht nur ein Erkennungszeichen, er hat sogar eine geheime Bedeutung , dachte Tiberios
    Hinter diesen Christen steckt mehr , als ich dachte. Aber ich kenne die Bedeutung des Fischsymbols nicht .


    In welcher Sprache sollte das überhaupt sein ?
    Die Juden in Alexandria und im Osten des Imperiums sprachen selbstverständlich die Koiné , doch sie hatten ja auch noch ihre eigene Sprache .


    "Ichtys?" , sagte Tiberios in seiner giechischen Muttersprache zu Sulamith"Das heißt Fisch auf Griechisch, kyria, nicht wahr ? . Was es für die Christen heißt , ist mir leider nicht bekannt, doch würde ich es gerne lernen. Bitte erklär du mir die Bedeutung "


    Die ancilla starrte ihn an, immer noch die Hand der jungen Frau umklammernd, sie fröstelte vor Fieber.
    Tiberios las in ihren trüben Augen einen Vorwurf.
    Er fing an, sich unwohl zu fühlen. Als wäre er im Begriff, etwas Schlechtes zu tun .
    Er schüttelte den Gedanken ab : Er war neugierig ,und im übrigen hielt er die Christen auch gar nicht für schuldig an irgendwelchen Missetaten.
    Zumindest nicht diese junge dunkelhaarige Frau, die von den armen Kindern umringt wurde. Sie würde bestimmt nie einen Anschlag oder etwas Ähnliches verüben.


    Wenn sie ihm nun antwortete , sie hätte keine Ahnung ,von was er redete , dann wollte er sie in Ruhe lassen, auch wenn ihm klar war, dass sie log.


    Er war gespannt, was sie antworten würde.

    ir-servus.png

    SKLAVE - IUNIA PROXIMA

    Einmal editiert, zuletzt von Tiberios ()

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