[Argiletum] Einmal Schriftrolle zum Mitnehmen!

  • Hephitios war nach jener denkbaren Nacht schon früh auf den Beinen. Er hatte den Auftrag erhalten loszugehen und eine Schriftrolle für seine Herrin, Octavia Flora, bei einem Händler am Argiletum abzuholen, die mit Liebesgedichten und Kleinepen rund um die privat-erotischen Belange mythischer Helden gefüllt war, geschrieben von Catull. Er sollte sich an einen gewissen Gaius Favonius wenden. So nickte Hephitios brav und marschierte zur Vordertür hinaus. Draußen stand schon die Sonne weit am Firmament. Die Vöglein sangen und Hephitios atmete tief durch. Welch ein herrlicher Tag! Und erst die angenehme Kühle! Viel mehr der Mittagshitze vorzuziehen. Kein Wunder, dass sich unten am Forum die Magistrate und Senatoren am liebsten Vormittags um ihre Geschäfte und Gerichte kümmerten, wo man sich noch ausgeschlafen konzentriern konnte, ohne von der Hitze fertig gemacht zu werden. Ganz besonders stolz war Hephitios auch auf seine nagelneue, dunkelgrüne Tunika. Er strich noch einmal über sie und dann setzte er sich in Bewegung.


    Der Sklave wanderte gemächlich den Vicus Patricius hinunter und fühlte sich fast wie ein freier Mann. Die Leute die ihm entgegenkamen, konnten bestimmt unmöglich erkennen, dass er ein Unfreier war. Bestimmt dachten sie sich, dass er ein Peregrinus wäre, trug er ja keine Toga. Das Zeichen eines freien, römischen Bürgers. Viele Entgegenkomende hatten es offenbar nicht eilig. Sie befanden sich immerhin mitten in der Subura. Da saßen an einer Hausecke einige alte Männer beisammen und lästerten über die Jugend, oder dort eilte eine Marktfrau mit einem Gänsekäfig an Hephitios vorbei. Viele verschiedene Gerüche drang in die Nase des Jungen, erzeugt von den vielen Essenständen und Imbissbuden, die seinen Weg säumten. Hephitios' Magen knurrte, doch konnte er sich nichts von all den Leckerein leisten. Er hatte nur das Geld bekommen, was nötig war, damit er die Schriftrolle abholen konnte. Ein großer, fetter Berg von einem Mann rempelte Hephitios plötzlich an. "Hee, pass doch auf!" rief der Fettklops grob und lief weiter. Hephitios rieb sich seine Schulter und blickte dem Grobian böse hinterher. Wenn das nicht einmal römische Höflichkeit war! Beim Zusammenstoß war ihm auch sein Beutel mit Geld abhanden gekommen. Ehe er reagieren konnte, war ein Straßenjunge herbeigeeilt, hatte sich kurz gebückt und den Beutel geschnappt und war schon wieder weg! "Moment! Das ist mein Geld!" rief Hephitios empört und sprang dem kleinen Dieb nach. Hephitios war dank seinem muskulösen Körper in der Theorie schneller, als der Junge, doch kam dieser mit seiner geringen Körpergröße und seiner Ortskenntnis viel besser durch die Menschenmenge. Er hatte alle Mühe, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Er durfte den Dieb nicht entkommen lassen! Wenn er das Geld nicht wiederbekäme, könnte er die Schriftrolle für seine herrin nicht bezahlen! Was wäre dann nur zu tun? Eilig also folgte er ihm immer tiefer in die Subura hinein. Denn der Junge war flux vom großen Vicus Patricius in die engen Nebengassen abgebogen, sobald er das Geld erhascht hatte. Dort zwischen den hohen Insulae, dem Zeug, wie Fässern, das einfach so auf der Straße herumstand und den vielen Urinpfützen wäre es ein leichtes für ihn zu verschwinden. Hephitios hatte wirklich alle Mühe dran zu bleiben. Der Vorteil war, dass sich hier weniger Leute tummelten, als auf den breiten Hauptstraßen, die das Viertel durchzogen. So kam Hephitios seinem Ziel langsam näher und näher. Der Junge blickte sich ein paar Mal um und sah, dass sein Opfer aufholte und beschleunigte nochmal, doch drei Gassen weiter hatte er ihn endlich! Mit einem Hechtsprung packte er den Jungen und stieß ihn zu Boden. "Hab ich dich!" Hephitios entriss ihm den Geldbeutel. Ihnen direkt gegenüber beobachtete ein verdutztes altes Mütterchen diese makabere Szene. Ein großer Muskelmann rannte einem kleinen, unschuldigen Kind nach und stahl ihm einfach so den Geldbeutel! Einen Moment sahen sich Hephitios und die Alte in die Augen, dann machte der Sklave "PAH!" und schon war das Mütterchen vom Fenster verschwunden. Den Jungen stieß er noch einmal in den Staub und stand dann selbst auf und ging langsam zurück zur Hauptstraße. Der kleine Dieb sah ihn noch einmal mit großen Augen und einer blutigen Nase an und lief dann in die entgegengesetzte Richtung davon.


    Ein Glück, dass er das Geld wiederbeschafft hatte, dachte sich Hephitios. Jetzt konnte er endlich seinen Auftrag zuende bringen. So kam er wieder auf seine Herrin zu denken. Was war nur letzte Nacht geschehen? Die Dinge hatten sich deutlich rasanter entwickelt, als gewöhnlich. Doch zum Glück war es am Ende gut ausgegangen. Niemand hatte etwas von diesem kleinen Intermezzo mitbekommen und alles war wieder in bester Ordnung. War es das wirklich? Jetzt wo Hephitios so darüber nachdachte, glaubte er, dass sich seine Herrin Octavia Flora ein wenig in ihn verliebt hatte. Das schmeichelte ihm ungemein, doch war es auch rechtens? Er wusste es nicht. Er mochte sie sehr und hatte im Laufe des gestrigen Tages auch einen Beschützerinstinkt für sie entwickelt, doch verliebt war er nicht. Das hatte er auch nicht zu sein, rief er sich wieder ins Gedächtnis. Er war immerhin ihr Sklave. Wollte sie etwas von ihm, so würde er es ihr ohne weiteres geben. Das war seine Aufgabe als Unfreier. Endlich erreichte er wieder den Vicus Patricius und wandte sich wieder gen Süden. Doch jetzt erschien die Hauptstraße mit ihrem geschäftigen Treiben der Leute nicht mehr so friedlich und angenehm. Hephitios hielt ständig die Augen nach Dieben, Mördern und anrempelten Fettklopsen offen. Er hatte Bekanntschaft mit der dunkeln Seite der Subura gemacht. War diese doch das Sammelbecken der Armen, Besitzlosen und Bettler. Diebe und Mörder tauchten hier genauso unter wie entflohene Sklaven, oder Revoluzzer. Die besseren Römer wie Senatoren getrauten sich normalerweise niemals in diese Viertel der Armen. Man wollte ja immerhin auch noch den morgigen Tag erleben. Hephitios erreichte die Kreuzung, wo der Vicus Patricius in den Argiletum mündete. Hier in einem der vielen Buchläden der Straße befand sich also dieser Gaius Favonius. Zu dumm nur, dass Hephitios nicht lesen konnte! Seine erste Idee war es, am besten einfach jemanden zu fragen. Doch der angesprochene Mann grinste nur hässlich und kratzte sich sein struppiges Kinn. "Wieviel bezahlst du mir dafür, dass ich es dir verrate?" fragte er. Hephitios merkte schon, dass er bei dem Kerl nicht weit kommen würde. Naja einen Versuch war es wert. Er drehte sich am Absatz um und wanderte den Argiletum weiter hinunter, immer in Richtung Forum Romanum. Im Vorbeigehen hörte er, wie zwei Frauen kicherten. "Und erst diese unanständigen Gedichte! Hast du sie in der Auslage gesehen?" fragte die eine ihre Freundin, eine etwas korpulentere Person. "Du meinst die Verse von Meleagros von Gadara? Oh ja! Was für ein Lüstling dieser Gaius Favonius nur ist, dass er solche Texte verkauft!" Hephitios wurde hellhörig. Gaius Favonius? Ihr Götter! Schnell eilte er zu den Damen und fragte sie: "Salvete die Damen. Entschuldigt mein Lauschen, doch ihr erwähntet Gaius Favonius? Wo finde ich sein Geschäft?" Die beiden Frauen sahen ihn ein wenig verwirrt und argwöhnisch an, doch dann antwortete die Dicke: "Drittes Buchgeschäft links von hier, immer die Straße weiter." "Danke!" schrie Hephitios sie beinahe schon an und lief wie von den Furien verfolgt in die angegebene Richtung davon. Die beiden ratlosen Damen sahen ihn nur kopfschüttelnd hinterher. Ja, heute hatte sich Hephitios bei so manchem Bewohner des Argiletums und der Subura unvergesslich gemacht.


    Endlich fand er den besagten Buchhändler und trat etwas keuchend ein. "Ist das hier der Laden von Gaius Favonius?" fragte er atemlos. Der Verkäufer (ebenfalls ein Sklave) nickte nur gelangweilt, ohne von seiner Tabula aufzusehen. Hephitios trat an das Pult und sagte: "Octavia Flora schickt mich. Ich soll für sie eine Schriftrolle von Catull abholen." Beinahe schon lahm hob der Sklave ihm gegenüber den Kopf und starrte ihn dumpf an. Dann schlurfte er ins Hinterzimmer und erschien nach einer Ewigkeit dann wieder mit einer großen, scheinbar neuen Schriftrolle. "Das macht dann acht Sesterzen." maulte der Sklave. Hephitios bezahlte und nahm die Rolle entgegen. Beim Verlassen des Ladens machte er sofort vorsichtige Blicke nach links und rechts. Jetzt durfte ihm nichts mehr zustoßen! Jedem Passanten ausweichend, arbeitete sich Hephitios die Straße zurück, bis zur Kreuzung in Richtung Casa Octavia. Dann noch den Vicus Patricius wieder hinauf und hinein in die gute Stube. Dort suchte er nach Flora zu allererst in ihrem Cubiculum, ehe er sie im Garten des Anwesens vorfand.

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