[Trans Tiberim] Herberge zum Salamander – Refugium des Decimus Serapio


  • Das einzig gute an der Bude war die Aussicht. Ich hatte eben das erstbeste genommen, nachdem ich das Haus meiner Familie verlassen hatte, an dem Tag, als mein Vater sein Konsulat antrat. Jetzt lagen nicht nur unsere Differenzen sondern auch der Tiber zwischen uns. Trans Tiberim, das Viertel der Fremden, der Reisenden und der Aussenseiter hatte mich... wiederum... aufgenommen.


    Die Herberge war groß, die beiden unteren Stockwerke aus Stein, darauf noch zwei aus Holz aufgebaut. Das oberste hatte ich komplett gemietet, für mich und meine Sklaven. Es war alles ziemlich runtergekommen, die Konstruktion nicht gerade vertrauenserweckend, die Küche schlecht... aber ich war viel zu gleichgültig und zu kraftlos, um mir nochmal irgendwas neues zu suchen. Sowieso verbrachte ich kaum Zeit in den Räumen... ich hatte ein Problem mit Wänden, beziehungsweise damit, sie so beklemmend eng um mich herum zu haben... und hing statt dessen die meiste Zeit oben auf der dazu gehörenden Dachterasse herum. Es war zwar scheußlich kalt... trotz der Kohlebecken, die meine Sklaven ständig am Glimmen hielten... aber dafür war es... weit und hell und luftig und ich konnte in den Himmel hinaufsehen. Wie die Wolken dahintrieben. Wie Vogelschwärme sich im Aufwind wiegten. Wie morgens die Sonne aufging. Wie sie abends hinter dem Horizont versank.


    Ich hatte ein altes Zelt dort aufgeschlagen, und wohnte und schlief darin, dort oben auf dem Dach. Ohne Mauern um mich herum ging es sogar etwas besser mit dem Schlafen. Die Terasse war durch Bastmatten gegen Blicke von unten abgeschirmt. Manchmal saß ich stundenlang nur da, rauchte, in Decken gehüllt, ganz langsam eine Opiumpfeife und betrachtete den Himmel oben, und den träge dahinströmenden Tiber, und das Treiben unten in den belebten Strasse, auf den Plätzen und Höfen und niedrigeren Dächern. Von hier oben... war das genau der richtige Abstand. Manchmal spazierten Ringeltauben über die Dachtraufe und gurrten. Rrruuu... rrruu... Dann warf ich ihnen ein paar Krumen hin.
    Meine Custodes war natürlich Tag und Nacht wachsam. Aber es kam niemand um mich zu ermorden. Um genau zu sein, kam überhaupt niemand. Ich hatte ja alle Brücken abgebrochen. Und offenbar drehte die Welt sich auch ohne mich weiter.

  • Um ehrlich zu sein... waren es nicht komplett alle Brücken, die ich abgebrochen hatte. An jenem Tag zum Beispiel – der Himmel war von einem klaren Aquamarin, und der Wind wehte frisch von Westen her – da schickte ich Icarion los, um ins Haus meiner Familie zu gehen, und ein paar Sachen zu holen, die ich bei meinem abrupten Auszug dort vergessen hatte. Ausserdem sollte er meiner Schwester bescheid geben, dass ich noch immer unter den Lebenden weilte, und sie sich bitte keine Sorgen machen sollte.
    Während er fort war, saß ich, da oben auf dem Dach, im Schneidersitz auf einem Ziegenfell vor meinem Zelt, und versuchte ein bisschen zu lesen. Ich hatte eine Schriftrolle mit dem "Kriton" auf den Knien, aber die Worte gelangten immer nur bis zu meinen Augen, nicht in meinen Geist. Ich konnte mich partout nicht konzentrieren, die Unruhe, mein ständiger Begleiter, ließ es nicht zu. So rollte ich das Ding wieder zusammen, und drehte ein paar Runden auf dem Dach. Beobachtete eine Barke auf dem Tiber, die vom Frachthafen aus flußabwärts trieb... ein Rudel von Kindern, das lärmend durch die Strassen tief unter mir tollte... eine Frau, die in ihrem Hof bunte Tücher auf die Wäscheleine hängte, und wie diese sich tänzerisch im Wind wiegten...


    Darauf nahm ich mein Gladius, das schöne aus der Gardetribunen-Zeit zur Hand, und begann, es sorgsam mit einem Schleifstein zu schärfen. Eigentlich war es ja bereits so scharf wie es nur werden konnte... denn ich hatte es erst gestern geschliffen, und vorgestern auch, und auch zuvor viele Male... doch diese Tätigkeit hatte so was beruhigendes... sie hielt irgendwie... die Lemuren im Schach. Während ich den rauhen Stein über den kühlen Stahl zog, wieder und wieder, das schrille Schaben in den Ohren, den metallischen Geruch in der Nase... gab es nur noch dies hier. Erst als ich das Schwert zurück in die reichverzierte Scheide steckte, und es wieder an die Stange am Eingang des Zeltes hängte... trat die beschissene Welt wieder an mich heran und grinste mir höhnisch ins Gesicht. Na Faustus? Wieder mal zu feige gewesen die Sache zu Ende zu bringen?


    Ich beschloß, mir etwas Opium zu gönnen. Als ich in der Kiste nach den Utensilien kramte, fiel mir dann zufällig, in dem ganzen, vom Packen durcheinandergewürfelten, Zeug, meine alte Flötensammlung in die Hände. Ich zog die Hirtenschalmei hervor. Es war Jahre, wirklich viele Jahre her, dass ich zuletzt darauf gespielt hatte. In Parthien hatte ich häufig die Kameraden damit unterhalten. Und später auch mit meinem Centurio zusammen musiziert (der ja, was man bei so einem Haudegen gar nicht gedacht hätte, ein heimlicher Künstler auf der Kithara war.)
    Später dann, als ich selbst die höheren Ränge erklomm, und die Fassade immer wichtiger wurde, hatte ich es nicht mehr gewagt, diesem (leider als furchtbar unrömisch und unmännlich verschrienen) Vergnügen nachzugehen.
    Aber jetzt... jetzt war ja sowieso keine Würde mehr übrig, die ich hätte bewahren müssen, und so rieb ich die Flöte an meinem Ärmel blank, setzte sie an die Lippen, pustete sie durch, befeuchtete das Mundstück und spielte einen langgezogenen Ton. Das war... seltsam, ein bisschen als würde ich einem uralten, ewig nicht gesehenen, aber noch immer vertrauten Freund begegnen. Ich versuchte mich an einer kleinen Melodie, aber da machten mir leider meine Finger einen Strich durch die Rechnung. Nicht nur, dass ich völlig ausser Übung war, und ob des Messerschnittes noch immer einen schmalen Verband um die Handfläche trug, es war einfach allgemein das Problem mit meinem rechten Arm, der seit der Verwundung bei Tasheribat zwar wieder ziemlich gut, also deutlich besser als erwartet, geworden war, aber die alte Feinbeweglichkeit der Finger war, ebenso wie die alte Stärke, doch nur zum Teil wieder zurückgekehrt.
    Kurz, meine Finger haschten steif, hölzern und vergeblich nach den richtigen Positionen, und es klang schrecklich. Ich verzog das Gesicht, und legte die Schalmei zurück.
    Aber: da war auch meine alte Syrinx... das Instrument des Pan. Dafür brauchte man keine geschmeidigen Finger. Ich versuchte es mal mit ihr. Setzte sie an die Lippen, blies die Tonleiter, dann eine ganz einfache kleine iberische Weise, die ich tatsächlich noch im Kopf hatte. Naja. Klang gar nicht so schlecht.

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    Klient - Decima Lucilla

  • Ton für Ton versuchte ich, noch mehr der Lieder, die ich früher drauf gehabt hatte, wieder zu rekonstruieren. Es ging so la la... aber seltsamerweise bemerkte ich dabei kaum wie die Zeit verging. Ich war überrascht, als Icarion auf einmal schon zurück war. Er brachte mir, ausser dem Bündel mit den verlangten Sachen, auch eine Tabula aus der Casa mit.
    "Hier ist deine Post."
    "Vom wem?" fragte ich ungläubig. Die Welt hatte mich abgeschrieben, wer sollte denn bitte mir noch einen Brief schicken?
    "Marcus Iulius Dives." antwortete mein Icarion mit einem leisen Lächeln.
    "Oh."
    Das... hätte ich beileibe nicht erwartet. Nach allem was ich auf dem Rückweg aus den lucullischen Gärten erfahren hatte... war der schöne Iulier gerade erfolgreich in den Cursus Honorum eingestiegen und ausserdem hatte er sich wohl... verlobt. Und zwar, laut Ravdushara (!), mit einer echt scharfen Braut, und noch dazu vor aller Augen bei den Spielen. Und auf allen Wänden hatte es auch gestanden. Wie im Bilderbuch. Oder besser noch, im 'Handbuch für den erfolgreichen Politiker von heute'. Wahrscheinlich würde es nicht mehr lange dauern, dann war er Senator, hatte sieben Kinder (und wurde fett, weil sein geliebtes Eheweib so gut kochte. Oder so.)


    Nicht, dass mich das noch irgendwas angegangen wäre. Ich konnte ja (leider) nicht erwarten, dass jeder, den ich mal aufgerissen hatte, sich für den Rest seines Lebens in unsterblicher, immerwährender, nimmerwankender Liebe zu mir verzehrte. Trotzdem war es echt mies, das zu hören... Dives war so umwerfend... es war so heiß gewesen, mit ihm... und diese Neuigkeiten waren ein häßlicher Fingerzeig darauf, wie ewig lange ich in Gefangenschaft gewesen war... wie grundlegend sich die Dinge in der Zeit geändert hatten... wie wunderbar die Welt auch ohne mich auskam... und nicht zuletzt weckte es unschöne Erinnerungen an gewisse andere Liebhaber in meiner Vergangenheit, die sich auch irgendwann in einem Anfall von Geschmacksverirrung von irgendwelchen dummen Weibern den Kopf hatten verdrehen lassen... und mich deshalb abserviert hatten.


    "Soll ich es vorlesen?" fragte unschuldig Icarion.
    "Mmh...ja..." murmelte ich skeptisch. Und versuchte mich innerlich zu wappnen gegen... was auch immer da an weiteren Tiefschlägen meiner harren mochte...

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    Klient - Decima Lucilla

  • "Dives Serapioni amico salutem plurimam dicit" las mein Gesellschafter, und verlieh mit seiner melodischen Stimme sogar dieser ganz gewöhnlichen Grußfloskel eine besondere Wärme.
    "Es fühlt sich an wie eine halbe Ewigkeit, dass wir uns.. dass ich dich zuletzt gesehen habe."
    Das konnte man laut sagen. Es war in einem anderen Leben gewesen...
    "Viel ist seither passiert, Gutes wie Schlechtes."
    Mir fiel zwar nur Schlechtes ein, aber sein Dasein war ja jetzt anscheinend eitel Freude und Sonnenschein.
    "So habe ich unter anderem deine alte Wirkungsstätte kennenlernen dürfen und ich sage dir ganz ehrlich, ich vermisse sie nicht. Oder gab man mir nur den falschen Führer durch den Komplex, von dem ich in Summe nur wenige Räumlichkeiten, die dafür aber umso genauer "erkunden" durfte?"
    Erstaunt furchte ich die Stirn. Er war auch eingesperrt gewesen? Aber wieso denn das?! Dives hatte doch nie ein Hehl aus seiner Abneigung gegen Vescularius' Herrschaftsstil gemacht, und - anders als die ganze Duckmäuser, die nun von sich behaupteten, von der ersten Stunde an heimlich für die Aufständischen gearbeitet zu haben – anders als sie hatte Dives es sogar gewagt, seine Kritik, verpackt ins künstlerische Gewand des Theaters, offen zu formulieren.
    Oder verstand ich das falsch? Komisch.
    "Ich hörte, dass deine Reise in den Norden letztlich keine schönen Augenblicke zu bieten hatte."
    Gelinde ausgedrückt.
    "Schützten die Unsterblichen nicht deinen Weg?"
    Den Unsterblichen ging mein Weg am A... vorbei.
    "Dabei habe ich für dich gebetet und deinem Namenspatron sogar ein weißes, kein dunkelbraunes Opfer dargebracht!"
    Er hatte für mich gebetet. Das war.... süß. Nein. Es war viel mehr. Ein befremdliches Gefühl kroch in mir hoch und kratzte ganz zaghaft an der nebulösen Wand von Taubheit, die noch immer zwischen mir und der Welt stand. Ich schluckte... und konzentrierte mich schnell auf was anderes. Auf die seltsame Formulierung, mit dem weißen, nicht dunkelbraunen Opfer... damit wollte er mir wohl sagen, dass er Serapis in seinem Aspekt als Himmelsgott, nicht als chtonischen Herrn der Tiefe angerufen hatte. Oder?
    "Und dennoch sagt man, dass - nur um ein Haar - dein hispanisches Feuer erloschen wäre. Ich bin froh, dass dem nicht so ist!"
    Ich biss mir auf die Lippen, und sah an meinem Vorleser vorbei in die Weite des Himmels. Warum war es mir bei diesen Worten, als würde ich von irgendwo Musik hören...? Als würden die Dinge um mich herum, wie von einem Zauberwort erweckt, mit einem mal klingen und singen, und mir ein Lied trällern, vom Leben und was das doch für eine großartige Sache war. Blödsinn.
    "Du hingegen wirst vermutlich weniger froh sein über die Dinge, die man derzeit über mich erzählt und schreibt."
    Jap.
    "Vielleicht gibst du mir aber trotzdem wenigstens die Chance dazu, mich dir zu erklären."


    An der Stelle unterdrückte mein Vorleser ein Grinsen.
    "Warum lachst du?" fragte ich ihn, ziemlich streng weil ich nicht zeigen wollte, wie sehr mich die paar Zeilen da aufgewühlt hatten.
    "Verzeih mir Serapio" bat Icarion mit noch immer vor Heiterkeit funkelnden Augen, "aber sagt man nicht auch, 'sich jemandem erklären' dafür, jemandem einen Heiratsantrag zu machen?"
    Wider willen musste ich ein bisschen grinsen. (Mein Gesicht zersprang fast bei dieser völlig ungewohnten Mimik.) Vielleicht hatte der Schöne ja schon genug von seinem scharfen Frauchen und beschlossen, doch lieber einen aussätzigen Kriegsversehrten zu ehelichen. Die unendliche Absurdität dieses Gedankens lies das Grinsen noch ein bisschen breiter werden, und ich lachte, nur zum Teil bitter, auf.
    "Lies weiter Icarion."
    "Mögen Fortuna und Apoll ihren Weg zu dir zurück finden und dir die Möglichkeit geben, deinen Blick trotz allem der Zukunft zuzuwenden."
    Fortuna die Hure konnte mir sowas von gestohlen bleiben. Überhaupt gab ich keinen Pfifferling mehr auf die angebliche Macht der "Götter"... Und von 'Zukunft' konnte hier echt nur jemand sprechen, der die Augen ganz fest vor der beschissenen Realität zukniff.
    "Vale bene, Marcus Iulius Dives, Decemvir."


    Ich hatte tatsächlich den Atem angehalten. Jetzt stieß ich heftig die Luft aus.
    "Der schreibt mir doch nur noch aus Mitleid!" urteilte ich grob. "Was soll ich mit Erklärungen... ich kenn die Erklärungen... 'das Bild in der Öffentlichkeit zählt' wird er mir sagen, und 'was soll ich denn machen, ich muß auch an meine Familie denken', und 'es war nett mit uns aber nur eine Phase, die jetzt hinter mir liegt' wird er mir sagen..."
    Verrat... Unaufrichtigkeit... überall Verrat, im großen wie im kleinen... zornig funkelte ich meinen Sklaven an.
    "Da ist noch was" sagte er sanft.
    "Hm?!" schnaubte ich.
    Er kniete sich neben mich und legte mir die Wachstafel in die Hände.
    "Wenn du dir die Worte ansiehst, die ein bisschen anders geschrieben sind, hier und hier..."
    Er wies mit dem Finger darauf. Ich las halblaut. Und setzte zusammen.
    "...ich...vermisse...deine... schönen...Augen... dein... dunkelbraunes.... Haar... dein hispanisches Feuer..."
    Mir schoß die Röte ins Gesicht. "Bei Eros und Anteros!" flüsterte ich ungläubig. Sah Icarion ganz verstört mit großen Augen an. "Der... der meint es doch nicht etwa....... ernst...?"

  • Icarion war fort, mit meiner Botschaft, eine ganze Weile schon....
    Ruhelos blickte ich über die Stadt, seine Wiederkehr... halb... mit rasender Ungedud erwartend... halb mich davor fürchtend. Denn sobald er mit dem Brief abgezogen war, war mir natürlich klargeworden, wie blödsinnig es von mir gewesen war, mich in diesen Zeilen so... zu offenbahren... dass es dermassen einsam und verzweifelt klang. Ganz toll, gut gemacht Faustus, genau darauf standen ja die jungen Schönen. Auf die kaputten Typen, auf die Verlierer......
    ".....so erbärmlich...." flüsterte ich in den Wind. Und sah wieder hinab in die Gasse, die von hier zur Via Portuensis führte, und durch die mein Bote zurückkehren müsste. Fröstelnd schlug ich den Mantel enger um mich. Unten streunte ein Köter vorbei. Dann ein Lastenträger, schwergebeugt unter einem Riesenbündel Feuerholz. Dann zwei Weiber mit Wasserkrügen.
    Das war ja nicht auszuhalten...! Unwirsch wandte ich mich ab, und ging zum Zelt. Es stand im Windschatten eines grob gezimmerten Stückes Wand, Teil begonnener doch nie beendeter Aufbauten für noch ein weiteres Stockwerk. Daneben lag mein Kram herum, Felle, Decken, Feuerschalen, und eine Amphore bester Massiker, die ich Ravdushara heute gleich hatte besorgen lassen, nur so für den Fall dass.....
    Ich seufzte schwer. Wahrscheinlich war es sowieso besser, wenn ich den Iulier nicht wiedersah. Das ersparrte es mir nämlich, die Enttäuschung in seinen Augen zu sehen, wenn er mich erblickte. Oder, noch schlimmer: das Mitleid. Ich hockte mich auf einen Balken, und versuchte mich mit meiner Syrinx abzulenken. Spielte ein melancholisches iberisches Hirtenlied... versuchte dann, die fremdartige Melodie dieses seltsamen ägyptischen Liedes zusammenzubekommen, das mir in letzter Zeit so oft im Kopf herumging... gefolgt von einer weiteren, mindestens ebenso trübsinnigen Hirtenklage...

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    Klient - Decima Lucilla

  • Es war schon eine Überraschung gewesen, als plötzlich ein Bote Ser... Faustus' mit einer von diesem persönlich zu überbringenden Nachricht ins iulische Officium eingetreten war. Und nun, nicht allzu sehr viel später, war es an Dives für eine Gegenüberraschung zu sorgen. Das zumindest war ihm auf dem Weg hierher aufgegangen, während er diesem Icarion hierher gefolgt war und über dessen Reaktion in der Basilica Ulpia nachgedacht hatte. Dann trafen sie an der Herberge zum Salamander ein, in dessen oberster Etage - natürlich, denn Treppenlaufen in der Toga, die der Decemvir logischerweise noch immer trug, machte ja so einen riesigen Spaß - Faustus nun also wohnen sollte. Folglich nur vergleichsweise langsam, Stufe für Stufe kam der Iulier, der am liebsten einem kleinen Jungen gleich hinaufgestürmt wäre, nach oben... in die erste Etage. Anschließend folgte die zweite Etage. Hernach ging es in die nurmehr hölzerne dritte, bevor er endlich auch die vierte erreichte!


    Hinter diesem Icarion betrat Dives letztlich die Unterkunft des über so lange Zeit sehnlichst Vermissten, übersah die nicht gerade sonderlich stabil aussehende Kontruktion, die mehr schlechte als rechte Einrichtung und überhaupt alles und jeden. Seine Augen suchten nur den Einen, sonst keinen. Von der Dachterasse drang traurige Musik...
    "Faustus!", kam es dem Iulier im Türrahmen nach draußen stehend sodann über seine Lippen, die von einem freudigen Lächeln umspielt wurden. Erst jetzt, in just diesem Augenblick, war der Krieg, der für Dives persönlich an jenem einen Abend auf dem decimischen Anwesen zu Ostia begonnen hatte, hier nun für ihn zu Ende. Sein Glück kaum fassen könnend stand er zunächst nur reglos da, abgestützt am Türrahmen, den Blick fest auf Faustus ruhend und müsste dessen Stimme erst noch hören, dessen Körper erst noch fühlen, bevor er es tatsächlich glauben könnte.

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    DECURIO - OSTIA
    INSTITOR - MARCUS IULIUS LICINUS
    IUS LIBERORUM
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    Klient - Marcus Vinicius Hungaricus

  • Der Inhalt des Liedes, die Geschichte zur Melodie, war die alte, immer neue, Leier: Der Hirte war schwerst verliebt. Die Nymphe, die er anbetete, wollte nichts von ihm wissen, sie floh ihn und verhöhnte seine Liebe. Drum klagte der Hirte, einsam und allein sein Leid nur den Wäldern, den Bergen, und dem Abendstern. Tja. Seine Problemchen wollte ich haben, dachte ich gallenbitter. Solange der Hirte noch nicht erlebt hatte, wie das war, wenn einen die "einzig wahre große Liebe" nach Strich und Faden belog, benutzte, verriet und im Kerker verschimmeln ließ... sollte der Hirte doch einfach den Schnabel halten...!


    Ich ließ die Panflöte sinken, denn das Spielen zog mich nur noch mehr runter. Ausserdem meinte ich, Schritte zu hören, von unten... die Stiegen knarrten, dann die Türe. Ich wandte mich dorthin, in der Erwartung, Icarion zu erblicken... vielleicht sogar mit einer Antwort für mich?! -
    Wie groß wurden meine Augen, als hinter dem Sklaven der schöne Iulier höchstpersönlich seinen Auftritt hatte. Die Flöte schlitterte unbeachtet zu Boden, als ich aufsprang – und mich dann schnell am nächsten Balken festhalten musste, weil mir schon wieder schwarz vor Augen wurde. Wenigstens ebbte es gleich wieder ab. Bleich löste ich mich von dem Halt, und ging unsicheren Schrittes auf den Iulier zu. Bona Dea, wenn ich gewusst hätte, dass er einfach gleich mitkommen würde, dann hätte ich... Was hättest du, Faustus? Einen Palast für seinen Empfang erbaut? Eine hübschere Tunika angezogen? Dir von Narcissus das Gesicht restaurieren lassen? ....Nein letztlich machte es auch keinen Unterschied. Die Spuren meines Falls waren in jeder Hinsicht zu tief um sie zu übertünchen. Wozu es also überhaupt versuchen.


    Icarion war diskret in den Hintergrund gerückt. Ich blieb vor Dives stehen, einen Schritt vor ihm, lächelte nervös und reichte ihm meine kalte magere Hand.
    "Marcus Dives... Das... ist ja eine Überraschung."
    Wie eine Erscheinung, die nicht ganz von dieser, oder jedenfalls nicht ganz von meiner Welt war, stand er vor mir. Jung, strahlend, lächelnd.
    Er war so schön, dass es weh tat...
    Bang wartete ich auf den Moment wenn sein ehrliches, freudiges Lächeln umschlagen würde in... etwas anderes. Denn das würde es. Das würde es ganz gewiss.

  • Der Iulier hatte das gespielte Lied gehört und dessen bedrückenden Charakter gespürt; und dennoch war es irgendwie an ihm vorbeigegangen. Er hatte das leichte Schwanken Faustus' bemerkt, als dieser zu schnell aufstand; und es dennoch übersehen. Und auch die nurmehr magere Gestalt des großen Helden hatte er gesehen; und dennoch war sie ihm entgangen. Denn all dies wurde in just diesem Augenblick schlichtweg überstrahlt von der ihm immer bewusster werdenden Tatsache, dass Iuppiter Serapis sein Wort gehalten und seinen Schützling zumindest einigermaßen glimpflich durch den Bürgerkrieg geführt hatte. Faustus lebte - und war frei!


    Der Gefallene streckte dem Iulier die Hand zur Begrüßung entgegen und zunächst nur vorsichtig, um diesen Traum nicht plötzlich zerplatzen zu lassen, berührte Dives behutsam die decimischen Finger. Keinen ganzen Augenblick später dann griff er zu, zog Faustus zu sich und sich zu Faustus, legte seinen linken Arm über dessen rechte Schulter und drückte den Vermissten nur sehnsüchtig fest an sich. Er schloss die Augen, schmiegte seinen Kopf an den seines Gegenübers und erinnerte sich einmal mehr an das letzte Bild, welches er aus Ostia vom Decimer hatte. Wie oft hatte er in der seither vergangenen Zeit an Faustus gedacht? Wie oft hatte er ihn in seiner Erinnerung vor dem wärmenden Feuer liegen sehen? Wie oft hatte er im Nachhinein befürchtet, dass es wohl das letzte Mal gewesen sein könnte, dass er den Geliebten gesehen hatte? Wie häufig hatte er sich vorgeworfen, dass er ihn nicht hätte schlafen lassen düfen oder hätte bleiben sollen bis zum nächsten Morgen, um noch einmal Faustus' Stimme zu hören, noch einmal seine Worte in sich aufzusaugen, ihm noch einmal gehört zu sagen, wie sehr er ihn mochte. Der Iulier schluchzte, während sich das Wasser in seinen Augen sammelte. Denn nichts von all dem hatte er getan und trotzdem nun das Glück Faustus hier wiederzusehen.
    "Du hast mir gefehlt." Und wieder zog er die Nase hoch. "Ich hab dich so unglaublich vermisst.", zitterte seine Stimme ein wenig und die erste Freudenträne bahnte sich ihren Weg, während Dives die Umarmung nicht imstande war zu lösen. Zu groß erschien die Gefahr Faustus wieder für so lange Zeit zu verlieren.

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  • Wie hypnotisiert klebte mein Blick an seinen Lippen. Noch lächelte er. Noch. Ich war vollkommen damit beschäftigt, mich innerlich zu wappnen... oder es jedenfalls zu versuchen... gegen den unausweichlichen Umschwung zur Enttäuschung, der da kommen mußte – und fand mich mit einem Mal in seinen Armen wieder. Innig umarmt! Ich erstarrte, komplett überrumpelt, meine Schultern spannten sich fest an... dies hier war zu plötzlich, zu nah, und... - verdammt, war das ein Schluchzen, das da von ihm kam? - es war eine geballte Welle von wahrhaftigem Gefühl, die da von ihm aus gegen mich brandete und die dumpfe Barriere, die mir diese schützende 'Entfernung' zu dem ganzen Elend gab, zu unterspülen drohte, in ihren Grundfesten ins Wanken brachte... und sein Atem den ich spürte, und sein goldweiches Haar, warme Haut... und die Feuchtigkeit einer Träne... und die feste Kontur seiner Schulter, und sein guter Geruch, wie damals als das Glück mich höher und immer höher zu tragen schien, und seine Arme, von denen ich gehalten, umschlossen... gefangen war – Mir trat der Schweiß auf die Stirn, die Beklemmung schnürrte mir die Kehle zu – und zugleich war mir völlig klar, wie bescheuert das war, und das jetzt eindeutig der Moment gewesen wäre, meinerseits die Arme um ihn zu legen und ihm zu sagen wie schön es war ihn wiederzusehen, was für ein wunderbares Geschenk..... aber das zu wissen half mir einen Dreck.
    "Lass mich... bitte los." flüssterte ich gepresst, und befreite mich zittrig aus seinen Armen. Atmen. Tief. "... entschuldige..." Konfus fuhr ich mir mit der Hand über das Gesicht. Mein Blick hing an einer, in ihrem Schwung gebrochenen Togafalte auf seiner Schulter. Ihm in die Augen zu sehen, das ging gerade nicht. Ich suchte nach Worten, aber kein Genius war zur Stelle um mir welche einzugeben, die etwas hätten erklären können was ich selbst nicht verstand, und was mich selbst verstörte.
    "Du weißt schon..." sagte ich dann unsicher, um überhaupt irgendwas zu sagen, räusperte mich und setzte neu an, "...also, dir ist schon klar, dass ich sowas wie schlechter Umgang für dich bin, ja?"
    Für einen jungen aufstrebenden Politiker wahrscheinlich so ziemlich der schlechteste.

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  • Und doch befreite sich Faustus aus seinen Armen, während Dives sich erst jetzt des zusätzlichen Wassers in seinen Augen gewahr wurde. Bei den Göttern, wie peinlich! Mit der rechten Hand strich er sich erst übers linke, dann übers rechte Auge und versuchte weniger weichlich seine Gefühle in den Griff und vor allem wieder unter Kontrolle zu bekommen. Das allerdings gestaltete sich nicht ganz leicht hier und jetzt, Faustus endlich nach der langen Zeit des Krieges wiedersehend.


    "Nein.", antwortete der Iulier, während er seine rechte Hand auf Faustus' linke Wange legte und sanft über diese strich. "Nein, das ist mir nicht klar. Denn wie kannst du ein schlechter Umgang für mich sein, wenn es der Terentius war, der den Consular Tiberius ermordete? - Wie kannst du ein schlechter Umgang für mich sein, wenn es mein Onkel Victor war, der den Bruder meines Patrons im Auftrag des Ungeheuers anklagte? - Wie kannst du ein schlechter Umgang für mich sein, wenn es diese widerwärtigen Skythen des Scheusals selbst waren, die das grausame Todesurteils vollstreckten? - Wie kannst du ein schlechter Umgang für mich sein, wenn sogar der Cornelius scheinbar keinen Grund dazu sieht dich weiter festzuhalten?", stellte Dives rhetorische Frage für rhetorische Frage. Unterdessen erreichte seine rechte Hand Faustus' Kinn und während sein Daumen es sich nicht nehmen lassen konnte auch einmal über die Unterlippe des Geliebten zu streichen, versuchte die restliche Hand den decimischen Blick in die vom Gesagten überzeugten iulischen Augen zu wenden.
    "Wie kannst du ein schlechter Umgang für mich sein, wenn selbst Iuppiter Serapis mich offenbar erhörte und dein Leben bis heute beschützte? - Wie kannst du ein schlechter Umgang für mich sein, wenn es mir viel schlechter ohne dich ging? - Wie kannst du ein schlechter Umgang für mich sein, wenn die Nähe zu dir mein Herz stets höher schlagen lässt? - Und wie kannst du ein schlechter Umgang für mich sein, wenn... wenn nicht du dich, sondern dein Vater sich einst seiner Verantwortung entzog und Roma und dir den Rücken kehrte?", fragte er unentwegt weiter, bis er merkte, dass ihm die Fragen ausgingen. So beendete er seinen letzten Satz dann auch vergleichsweise riskant mit einem implizierten Schluss, der ihm aus einem Gespräch mit seinem Patron in Erinnerung geblieben war: Wie konnte man einen Nicht-Politiker, sondern Soldaten durch und durch, politisch für auch nur irgendetwas zur Verantwortung ziehen wollen?! Zumal doch selbst der Senat letztlich - und zwar VOR der Ernennung Faustus' zum Praefectus Praetorio, soweit der Iulier sich erinnerte - den Vescularius zum (unrechtmäßigen) Imperator Caesar Augustus gemacht hatte! Wer erwartete da bitte, dass sich ein Vollblutsoldat gegen die in kaiserloser Zeit höchste politische Instanz stellte?! (Obgleich der damals noch als Tribun der Praetorianer tätige Faustus ebendies in Ostia sogar schon irgendwie einmal getan hatte...)

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  • Er ließ einfach nicht locker. Und es war völlig verrückt, was diese Hand an meiner Wange mit mir anstellte. Ich setzte zu einem zaghaften Lächeln an.
    "Ach du..." murmelte ich... und dann war mir das Lächeln schon wieder restlos vergangen, denn was ich jetzt zu hören bekam, war eine Kostprobe genau der schlechten Lügen, die mich dazu gebracht hatten, hierher nach Trans Tiberim zu fliehen. Und jetzt verfolgte diese Pest mich sogar bis in meine Zuflucht! Mein Gesicht wurde hart, und seine Berührung fühlte sich mit einem mal gar nicht mehr so toll an.
    So ein schöner Mund und so häßliche Propaganda, die er da nachplapperte. Jaja, schlimm war das...der eine arme unschuldige Consular vom bösen Prätorianerpräfekten dahingemeuchelt, der andere arme unschuldige Consular vom bösen Onkel angeklagt und von den bösen Skythen des bösen Scheusals umgebracht.
    Dives war echt ein Paradebeispiel dafür, wie sich auch intelligente Menschen bereitwillig das Gehirn waschen ließen, wenn die Lügen von ganz oben kamen! Ich biss die Zähne zusammen, um jetzt nicht das auszusprechen was ich so in etwa dachte, denn das hätte ich bestimmt gleich darauf schon bereut. Und immerhin... doch das bemerkte ich erst einen Atemzug später... hatte Dives sich die Lügen zu einer Version zurechtgezimmert, mit der er mich rein von Schuld sprach...


    Iuppiter Serapis mich beschützt?! Ich lachte höhnisch auf. Er hatte ja keine Ahnung... - Es war zuviel gerade, alles deutlich zu viel für mich der Welt und der Gesellschaft anderer und der Konversation... und der Berührungen sowieso ... entwöhnten Eremiten. Kaum drang zu mir durch, dass sein Herz höher schlug – wegen mir.... und dass er mich anscheinend auch ohne Macht, Ruhm und schicken Streitwagen noch ganz gut leiden mochte...
    ... da sagte er schon wieder was anderes und reizte mich jetzt aber ganz entschieden zum Widerspruch.
    "Lass meinen Vater aus dem Spiel!" fauchte ich erbost. "Mein Vater war der einzige, der es gewagt hat, im Senat offen Kritik an Vescularius zu üben, als alle anderen Senatoren einen auf Zwerghasen gemacht haben! Mein Vater wurde deswegen ins politische Exil getrieben! Bona Dea, mein Vater ist gerade jemand, der sich nicht scheut, Verantwortung zu übernehmen, und - " Moment. Warum verteidigte ich Livianus hier eigentlich, trotz des Zerwürfnisses und alledem?! (Naja. Warum wohl. Weil er halt mein Vater war.)
    "Ich habe..." Ich seufzte trübsinnig. "Ich habe... ziemlich Ärger mit ihm... Aber zu behaupten, er hätte sich in der Vergangenheit der Verantwortung entzogen, das ist..." Mir lag schon wieder etwas böses auf der Zunge, aber Dives enorm blaue Augen hatten auf mich diesen... sagen wir, 'entwaffnenden Effekt', und es wurde nur ein zahmes: "...das stimmt einfach nicht."
    Und der Rest noch viel weniger. Ich presste die Lippen zusammen und fixierte ihn entschlossen.
    "Mhm. - Und zu deinen sonstigen Theorien kann ich nur sagen: Marcus Iulius Dulcis Dives, du hast keine Ahnung, wirklich keine Ahnung was wirklich geschehen ist. Aber ich schätze, du willst es gar nicht wissen."
    Und ich war es müde... so müde... immerzu gegen diesen reißenden Strom zu schwimmen. Ich machte eine wegwerfende Geste, dann fasste ich wieder nach Dives Hand und umschloß sie mit der meinen, streichelte ein wenig mit dem Daumen seitlich darüber. Nervös war ich, und kam mir schrecklich ungelenk dabei vor.
    "Komm..." sagte ich leise und machte Anstalten, ihn zum Rand des Daches zu führen, zu der Stelle wo man die wirklich fabulöseste Aussicht auf die Stadt hatte.

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    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

  • Tja, woher auch sollte Dives besseres Wissen besitzen, das seinen Mund verlassen könnte? Letztlich waren doch diverse Acta-Artikel genauso nur Informationen aus zweiter Hand, wie auch eine öffentliche Rede des Corneliers letztlich nicht mehr als dessen Worte waren. Insofern ja, konnte er nur die eine oder andere Propaganda nachplappern, konnte sich gegebenenfalls noch eine Version derer zurechtargumentieren, die der eigenen Wunschvorstellung zumindest in Teilen möglichst nahe kam. Mehr allerdings vermochte er heute genauso wenig zu entschlüsseln, wie er bereits vor mehreren Jahren nicht herauszufinden vermochte, ob ein gewisser Ulpius Probus noch lebte und wann und wie er, der sonst nach beiden Testamenten der rechtmäßige Augustus wäre, gegebenenfalls gestorben war. Was folglich blieb, war damit wohl nur der folgende einfache Satz: 'Götter, gebt mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.'


    Bewusst hatte Dives davon gesprochen, dass Iuppiter Serapis 'nur' das Leben Faustus' und nicht Faustus selbst beschützt hatte. Denn wenn man wollte, dann konnte man zwischen beidem durchaus einen Unterschied machen, den Faustus in seiner aktuellen Situation jedoch scheinbar nicht sehen konnte oder wollte. Doch akzeptierte der Decemvir die wenig heiter lachende Reaktion des Decimers und fuhr einfach fort mit seinem Worten, bis ihm letztlich tatsächlich aktiv widersprochen wurde. Ob der vergleichsweise energischen Worte des sonst doch nicht mehr ganz so kräftig und energiegeladen wirkenden Geliebten in der Tat überrascht, zog der Iulier seine rechte Hand zurück und ergab sich sogleich mit beiden knapp über die eigenen Schultern erhobenen Händen. Er war schließlich nicht hier, um zu streiten.
    "Der Ärger mit deinem Vater tut mir Leid.", erwiderte er nur halblaut und verkniff sich die Frage, wo Decimus Livianus denn war, als sich die Nachricht vom Tod des Valerianus verbreitete. Er unterdrückte die Erkundigung danach, wo Decimus Livianus war, als sein Sohn Faustus zum Praefectus Praetorio des Mannes ernannt worden war, wegen dem er also ins politische Exil gedrängt worden war. Und er ließ in der Folge auch den resultierenden Schluss unausgesprochen, dass Faustus' Vater vielleicht als erster und einziger im Senat betreffs des zweifellosen Scheusals Verantwortung hatte übernehmen wollen, es jedoch spätestens mit dem Tod des Valerianus und der Ernennung seines Sohnes zum neuen Praefectus Praetorio versäumte diesen Schritt zum entsprechenden Zeitpunkt auch tatsächlich zu gehen. Die Wirklichkeit war eben, wie beinahe immer, nicht schwarz und nicht weiß, sondern grau.


    Nicht minder entschlossen wie sein Gegenüber blickte Dives diesen mit leicht zusammengekniffenen Augenbrauen an, während er getroffen von der soeben gehörten Unterstellung die richtigen Worte zu finden versuchte. Denn selbstverständlich war der Iulier - wie vermutlich jeder andere Mensch auch - grundsätzlich an der Wirklichkeit und Wahrheit interessiert. Mit halboffenem Mund dastehend und widersprechen wollend überlegte sich der Decemvir jedoch auch, dass er hier vor einem Gewissenskonflikt stand: Als Duumvir von Ostia hatte er im Bezug auf eingangs erwähnten Ulpier ganz bewusst verzichtet Faustus als Praetorianer mit Möglichkeiten darauf anzusprechen. Denn wie hätte es ausgesehen, wenn er erst mit ihm schlief, um wenig später einen Gefallen von ihm einzufordern? - Nein, er hatte sich nicht prostituieren wollen, war stets bemüht gewesen, Privates und Geschäftliches, wie man so schön sagte, von einander zu trennen. Und nun?
    Nun wurde er, bevor er weiter denken konnte, gegriffen und erst durch ein Streicheln, das seinen entschlossenen Blick nur allzu schnell wieder erweichte und ihm ein Lächeln entlockte, abgelenkt. Im Anschluss führte Faustus ihn, der er sich selbstredend völlig widerstandslos führen ließ, zum Rand des Daches, wo Dives nach dem Decimer ankam, sich ganz dicht hinter ihn stellte, mit seinen Armen Faustus umfassend und mit seinen Händen die decimischen Äquivalente suchend, seine rechte Wange an die linke seines Vordermannes legend und auf die vielen Dächer der Ewigen Stadt schauend. "Es ist schön hier.", murmelte Dives. "Hier bei dir.", wiegte er sich leicht in dieser beinahe etwas schläfrigen Umarmung und versuchte den Ausblick zu genießen, während er überlegte, ob er vom einen unbequemen Thema nun durch Anschneiden des zweiten ablenken sollte. Doch da es ja fast schon eine Schande war in dieser Situation überhaupt an die Sergia denken zu müssen, entschied sich Dives einfach zu schweigen und die Nähe Faustus' nur stumm weiter auszukosten.

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    CIVIS
    DECURIO - OSTIA
    INSTITOR - MARCUS IULIUS LICINUS
    IUS LIBERORUM
    VICARIUS DOMINI FACTIONIS - FACTIO VENETA

    Klient - Marcus Vinicius Hungaricus

  • Doch selbst wenn er es nicht wissen wollte...... war es doch meine Pflicht, ihm die Wahrheit zu sagen, ihm die Augen zu öffnen. Oder?! Oder war es ungebührlich von mir, die Menschen, die selige Ignoranz gewählt hatten, mit der schroffen Realität zu belästigen? "Viele Fragen, die nur einer hööören will/ der stööören will..." trällerte eine sarkastische Stimme in meinem Kopf. Nein... es war schon meine Pflicht, allein schon weil der schöne Iulier das Recht hatte zu wissen, welche Gefahr damit verbunden war, sich mit mir einzulassen. Aber ich war einfach zu müde... müde in jeder Hinsicht. Zu erschöpft, um mich in eine Diskussion zu begeben, mit Rede und Gegenrede, Zweifeln und erhobenen Stimmen, und zu überdrüssig, schon wieder die Namen des dreckigen Verschwörerpacks in den Mund zu nehmen, die doch eigentlich nur Verachtung oder einen Sturz vom Tarpeiischen Felsen verdient hatten, und nicht, dass bessere Männer als sie ihre Worte und Gedanken an sie verschwendeten.
    Diese Zuflucht, dieses elende Dach in Trans Tiberim, war gut für mich, gerade weil ich hier Abstand hatte zu der ganzen Schweinerei.
    "Schön ja... schön weit weg von dem Sumpf der Lügen da drüben..." murmelte ich leise. Ja... ich mußte und ich würde es Dives alles sagen. Aber nicht jetzt. Jetzt umarmte er mich.


    "Schön mit dir" sagte ich entschlossen. Es klang etwas sehr abrupt, fast kämpferisch. Und auch mein Körper war noch immer unheimlich angespannt, erfüllt von einem tiefsitzenden Argwohn, der es nicht erlauben wollte, sich auf diese Nähe einzulassen.
    "Ach zum Hades!" fluchte ich. Biss mir auf die Lippen und sah über die Hügel in die Ferne, wo sich alles in unbestimmtem Blaugrau verlor. Versuchte es nochmal...
    "Dives...? Es... ist wirklich sehr schön mit dir." Das klang schon etwas besser. Ich erwiderte den Druck seiner Hände, und vorsichtig, fast... scheu... lehnte ich mich ein ganz kleines bisschen in diese Umarmung, ein ganz kleines bisschen an ihn. Jetzt spürte ich, wie er atmete. Ruhig... Ganz langsam ging ein klein wenig von dieser Ruhe auch auf mich über. Meine Schultern wurden weniger hölzern. Ich spürte die Wärme, die von ihm ausging. So standen wir lange.
    "Schön" widerholte ich irgendwann leise, und gestand ihm: "und... ziemlich unglaublich....." Unglaublich schön. Zu schön um wahr sein sein.


    Vielleicht... dachte ich ungeheuer philosophisch... vielleicht war das ja die eine, einzige, mir bisher völlig verborgene, gute Sache an der ganzen Scheiße, die mir widerfahren war. Dass ich jetzt wußte, wer meine wahren Freunde waren, wer mir auch in der Not beistand. Und in wem ich mich bitter getäuscht hatte.
    Ganz vorne in dieser vielköpfigen Galerie falscher Freunde stand natürlich:Manius. Wie hatte ich nur so lange so blind sein können, und so bescheuert, meine Augen vor seinem Anteil an den infamen Verbrechen zu verschließen?! (Ja, die verblödende Macht des Nicht-wissen-wollens hatte ich durchaus auch schon am eigenen Leibe erfahren.)
    Mein Blick ging zum Quirinal. Auch wenn es natürlich viel zu weit war, meinte ich, seine feudale Villa dort ausmachen zu können. Dann, ihn selbst zu sehen, wie er dort zusammen mit seinen patrizischen Verschwörerkumpanen den Erfolg ihrer Ränke feierte, wie sie die Posten und Pfründe unter sich aufteilten und sich neue Lügen ausdachten, um den Widerstand gegen ihren blutigen Staatsstreich noch weiter zu diffamieren und Leute wie mich in den Dreck zu ziehen.
    Meine Augen wurden schmal. Viel zu lange hatte ich die Gedanken an Manius einfach nur von mir weggeschoben, weil sie mich zu sehr schmerzten... aber in diesem Augenblick... als ich da mit Dives stand, Dives, der mich nicht im Stich gelassen hatte, Dives, der seine Arme um mich gelegt hatte... da wollte ich eine Bestie sein, die ihre Klauen in Manius' Fleisch schlug, ihn zerfetzte, ihm das antat, was er mir angetan hatte. Und ich beschloß – ja, genau das würde ich tun. Mich rächen. Ihn spüren lassen, wie es sich anfühlte, belogen zu werden, benutzt und verraten zu werden von einem den man liebte. Oder geliebt hatte. Basta. Und dann würde ich endlich ganz frei sein, frei von ihm, frei von dieser... sagen wir nicht Liebe, sagen wir lieber "fatale Anziehung", oder "törichtes Verfallen-sein" oder "wahnwitzige Raserei". Alleine schon, diesen Entschluß zu fassen, war bereits eine Befreiung. Wie im Fortunatempel, nach meinem Werk der Zerstörung. Als könne ich mit einem mal leichter atmen.


    Wenn mir dies alles nicht widerfahren wäre... so kehrten meine Gedanken von dem wilden Racheentschluss wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurück... hätte ich nie herausgefunden, wie sehr ich Dives unterschätzt hatte. Damals hatte ich ihn doch für nicht viel mehr als einen süßen Jüngling gehalten, der viel zu schön war um nicht oberflächlich zu sein, und der es eben scharf fand, es mit dem Prätorianerpräfekten zu treiben, nichts weiter und nichts dahinter. Beziehungsweise... ich hatte auch gar nicht versucht, dahinter zu sehen, obgleich er mir schon damals so einige Zeichen gegeben hatte, wie viel mehr in ihm steckte.
    Schuldbewusst steichelte ich seine Hände, sanft, seine warme Haut spürend, die Linien und Konturen, glatt und rauh, die kleinen Bewegungen, das Spiel der Sehnen unter der Oberfläche. Ich wandte meinen Kopf, nur ein wenig, so dass unsere Wangen leicht aneinander rieben. Das Herz schlug mir bis zum Hals, und ich kam mir schon ausgesprochen kühn vor, als meine Lippen nur sacht seine Wange streiften.

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    Klient - Decima Lucilla

  • Ob Faustus es überhaupt schon wusste? Vielleicht... nein, ziemlich sicher sogar war das wohl eine absolute Wunschvorstellung, dass er nicht schon auf die eine oder andere Weise davon erfahren hatte. Erst diese unglaublich öffentliche, man mag es fast mediengeile Verlobung nennen. Dann die Sergia selbst mit ihrem Wahn derlei auch noch aktiv in den iulischen Wahlkampf zu werfen. Sobald sich Faustus also auch nur bei einem seiner sicherlich wenigstens noch hier und dort vorhandenen Kontakte aus seiner Zeit als Praefectus Praetorio nach Dives erkundigt hätte, wäre ihm diese Information nahezu garantiert mit ins Netz gegangen...
    ... Der Sumpf der Lügen da drüben? Den Tiber keineswegs als Grenze auffassend, sondern 'drüben' eher als die Ewige Stadt selbst interpretierend stimmte es natürlich zweifellos, dass die Gerüchteküche wohl nirgendwo größer war, als im Zentrum der Welt, in Roma. Dass Gerüchte wiederum der perfekte Nährboden auch für die Verbreitung von Lügen waren, musste sicher nicht extra ausgeführt werden. Vielleicht also hielt Faustus es letztlich ja sogar nur für ein Gerücht? Immerhin war Dives jetzt hier. Und der promigeile Pöbel, ohne dabei implizieren zu wollen, dass Dives und/oder die Sergia zu den A-, B- oder C-Promis ihrer Zeit gehörten, redete ja mitunter schnell mal von dieser oder jener Pärchenbildung, wenn zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts sich auch nur einigermaßen vertraut miteinander blicken ließen (und beide unverheiratet waren). - Bei Apoll, dem Gott der Wahrheit, der selbst nicht lügen konnte: Glaubte Faustus dies tatsächlich, so wäre Dives einmal mehr dazu gezwungen dem Decimer reinen Wein einzuschenken! Der Iulier nahm, indem er tief einatmete, ein erstes Mal Anlauf.


    Doch just in diesem Augenblick wurde er von Faustus gestoppt, sodass er die angesammelte Luft nur leise wieder durch den Mund entweichen ließ, während sich ein stummes Lächeln auf seinen Lippen abzeichnete. Ja, schön war es hier bei Faustus ohne jeden Zweifel. Wenn nur das Damoklesschwert der eigenen Verlobung mit der Sergia nicht unentwegt hier über dem Iulier schweben würde und nicht ständig damit drohen würde, das ihn mit Faustus verbindende Band im Herabfallen unwiderruflich zu zertrennen! - Zum Hades, das traf es ganz gut... Und schon wurde aus Marcus, denn das hatte der mit Faustus unterzeichnete decimische Brief ja impliziert, wieder nur noch Dives.
    Nein, das konnte der Iulier jetzt einfach nicht zerstören! Er schob seine die olle Sergia betreffenden Gedanken möglichst weit weg. Am besten er packte sie (die Gedanken ^^) in eine kleine Kiste, die er wiederum in eine Kiste legte, die er abermals in eine Kiste steckte. Und das ganze versenkte er dann gedanklich im Tiber - gleich dort drüben, wo gerade ein Schiff ablegte; nur weiter in der Flussmitte und nicht so nah am Ufer. "Ich bin froh, dass es dich gibt.", erklärte Dives im Anschluss daran und drückte den Umarmten für einen kleinen Augenblick noch ein bisschen fester. 'God Damn You're Beautiful!', ging es ihm dabei durch den Kopf, während sie beide einfach nur da standen und mehr noch als den fabelhaften Ausblick ihre Zweisamkeit genossen.


    Dann, irgendwann, Dives stand nurmehr mit geschlossenen Augen da, um die gegenseitigen Berührungen intensiver wahrnehmen und sich besser auf den kontinuierlichen Herzschlag Faustus' konzentrieren zu können, da schien es, als setzte Faustus zu einem Kuss an. Ohne nachzudenken wandte auch der Iulier seinen Kopf, um ihre Lippen zu vereinen, bevor nur kurz darauf sich die imaginäre Kiste aus dem Tiber einer lange toten Leiche gleich aller Beschwerungen zum Trotz an die Oberfläche auftauchte. Ein schlechtes Gewissen machte sich in Dives breit, noch während seine Zunge in fremde Gebiete vorstieß mit ihresgleichen zu ringen in einem Kampf, der keine Verlierer kannte. Wenn er jetzt schwieg, so ging es ihm durch den Kopf, und immer weiter schwieg und schwieg, würde er Faustus und dessen potenziellen Glauben an ein bloßes Gerücht um eine iulisch-sergische Verlobung nicht womöglich ausnutzen, den Decimer vielleicht gar nur benutzen? - Andererseits hatte sich Dives nun so lange nach diesen Lippen gesehnt, kostete nur zu gerne von ihnen, als dass er sich jetzt einfach so von ihnen losreißen könnte... Doch er musste.
    "Ich... ich muss dir noch etwas sagen, Faustus.", begann er, nachdem er seine Stirn so gegen die decimische gelegt hatte, dass ihre Münder keine Chance mehr hatte einander zu begegnen. "Ich... ich bin an jemanden geraten, die mich erpresst. Jemanden, mit der ich jetzt verlobt bin, damit sie schweigt.", rang er sich letztlich ab, während er sich weiter mit seinem Kopf an den decimischen lehnte und nur hoffen konnte, dass jener sich ihm nicht im nächsten Augenblick schon entzöge.

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    Klient - Marcus Vinicius Hungaricus

  • Es war ja nur ein ganz schüchterner Impuls von meiner Seite gewesen – aber er sprang sofort darauf an, und dann - oh bei allen unsterblichen Göttern (an die ich nicht mehr glaubte), oh bei Eros und Anteros (an die ich noch immer glaubte)! - dann war ich mit einem Mal mitten drin, in einem echten, einem heißen und tiefen Kuss... und wußte gar nicht wie mir geschah. Es war so lange... so unendlich lange her, dass sowas wie Küssen zu meinem Leben gehört hatte... es waren, und das nicht nur gefühlt, Jahre seitdem vergangen.... und Aton war der letzte gewesen den ich so geküsst hatte, damals zum Abschied, bevor wir aufgebrochen waren und alles den Bach runter ging und ich fiel und fiel... aber jetzt... jetzt waren es Dives' warme Lippen, Dives' forsche Zunge, und sein Atem, und seine Arme um mich... ich hielt mich an ihm fest, denn mir wurde ein wenig schwindelig... und ich mich durchzuckte der komische Gedanke, er habe mich "aufgefangen"... und ich hatte das Küssen nicht verlernt, nein, es kam ganz von alleine wieder zurück, und es war so überwältigend, wie Regen in der ausgedörrten Wüste, und zugleich war es beängstigend wie meine Distanz einfach so dahinschmolz, all diese Gefühle auf mich einströmten, und meine Knie ganz weich wurden...


    So ging das – bis sich ein Mißklang hineinmischte... als ich bemerkte, dass dieser Kuss zwar mir gerade den Boden unter den Füßen wegreissen wollte – aber er, er war gar nicht mehr richtig bei der Sache. Kaum war mir das bewußt geworden – war es auch schon wieder vorbei mit dem Kuss.
    Ausser Atem stand ich da, meine Stirn an seiner, und hörte bebend seine Offenbahrung.
    "Meiner Treu!" murmelte ich aufgewühlt, "Das ist... - ich... ich glaub ich muß mich mal.... hinsetzen..."
    Zittrig sank ich auf den Boden, da saß ich, mit angezogenen Knien, und schüttelte nur noch den Kopf.
    "Oh Dives." flüsterte ich innig. "Liebster Dives..." Ich umschlang alles, was ich von ihm so zu fassen bekam und drückte ihn mit heftig aufflammender Zärtlichkeit. "Ich bin ja so froh! Als ich von der Sache hörte, da dachte ich schon, du wärst abtrünnig geworden! Hättest gar dein Herz an irgend so ein ödes Frauenzimmer verschenkt! Aber wenn es nur eine Erpressung ist.... Verzeih mir wenn ich schnöde klinge, aber... solche Harpien kann man sich auch wieder vom Leibe schaffen. - Wie bin ich erleichtert!"
    Mir fiel wirklich ein großer grauer Felsbrocken vom Herzen, und polterte rasant den Abhang hinfort. Ich atmete tief ein, richtete den Oberkörper gerade auf und fragte dann ganz geschäftsmäßig:
    "Also, was hat sie gegen dich in der Hand? Was ist das für eine Frau? Was hat sie für Schwachpunkte? Und hast du bereits selbst etwas in der Hand, um es gegen sie einzusetzen?"

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    Klient - Decima Lucilla

  • Dass sich Faustus erst einmal hinsetzen musste, war wohl nur verständlich, sodass Dives seinen Kopf vom decimischen löste. Es war nur logisch, dass Faustus nach diesem Stimmungskiller wieder etwas Abstand zwischen ihnen beiden brauchte. Dennoch bereute der Iulier nicht, dass er an dieser Stelle die Wahrheit eingeworfen hatte, statt den Geliebten womöglich im Unwissen lassend einfach auszunutzen, auf dass der sich im Nachhinein dann belogen und betrogen fühlte - auch ohne, dass man ihn dafür aktiv anlog. Und so kniete sich Dives in der Folge vor die angezogenen Beine des Decimers und legte seine Hände auf dessen Knie. Er bereitete sich darauf vor, sich zu dem, was auch immer Faustus gleich sagen würde, zu rechtfertigen und um seinen Gegenüber zu kämpfen.
    "Faustus!", widersprach er daher beim erneuten, diesmal geflüsterten 'Dives'. Verzweifelt schaute er dem Geliebten dabei in die Augen. Doch der blieb zunächst beim 'Dives', bevor er den Iulier nach eigener Aussage 'froh' umarmte. Leicht verwirrt erwiederte der Decemvir folglich auch erst mit kurzer Verzögerung die Umarmung, während er anhörte, was Faustus erzählte. Feststellung Numer eins: Er hatte es gewusst! Der Decimer hatte von der Verlobung gewusst. Aber dennoch hatte er bis eben nicht ein Sterbenswörtchen darüber verloren. Warum? Hatte er erwartet und darauf gewartet, dass Dives selbst den Schritt ging und es zur Sprache brachte, wie er es nun getan hatte? War es vielleicht sogar ein Test, um zu sehen, ob der Iulier derlei Informationen von sich aus teilte oder sie einfach zurückzuhalten versuchte? Falls dem so wäre, war dies dann das erste Mal, dass dies passierte oder lediglich das erste Mal, dass dem Decemvir dergleichen auffiel? Feststellung Nummer zwei: Auch der Praefectus Praetorio in Faustus hatte den Bürgerkrieg überstanden und überlebt. Fragen über Fragen stellte er, sodass sich Dives in der Tat beinahe einem Verhörten gleich vorkam und sich erneut auf den decimischen Knien abstüzend ebenfalls wieder aus der Umarmung lösend zurücklehnte und seinen Oberkörper aufrichtete. Kurz schwieg er. Dann wandte er seinen Kopf zur Seite ab.


    "Sie weiß Bescheid... über uns. - Also nicht explizit von dir, aber eben von mir. Sie hatte mich an diesem einen Abend unentwegt angegraben und mir keine Ruhe gelassen... Und ich wollte einfach nur noch meine Ruhe vor ihr haben; wollte, dass sie ablässt von mir; wollte hier, bei dir sein.", blickte er vorsichtig wieder zu Faustus und hoffte, dass der ihn nun nicht dafür verurteilen würde. "Ihr Name ist Sergia, Sergia Fausta. Sie ist eine Nichte des Senators Annaeus Modestus, arbeitet seit geraumer Zeit für den Cursus Publicus in Roma und besitzt ein nahezu grenzenloses Selbstbewusstsein.", machte er eine erneute kurze Zäsur. Schwächen... "Vermutlich ist das auch eine ihrer größten Schwächen. Und streitsüchtig ist sie, sag ich dir. Vor allem dann, wenn sie ihren Willen durchsetzen will. Sie hat selbst einen Schreiber im Eheofficium, wo wir unsere Verlobung eintragen ließen, wegen eines bloßen Datums arg bedroht, von den zahlreichen Drohungen gegen mich ganz zu schweigen.", berichtete der Iulier, dem damit auf der anderen Seite glasklar war, dass beispielsweise Zielstrebigkeit wohl recht sicher zu den Stärken der Sergia gezählt werden müsste. Nicht daran zu denken, was sie überhaupt allgemein zu tun bereit wäre, um ihren Willen zu bekommen. Wer eigentlich neutralen Personen schon drohte und sie erpresste, was tat der dann erst mit Widersachern und persönlichen Feinden?
    "Und selbst in der Hand gegen sie habe ich nichts - nichts außer der Zusage, dass es sie wohl nicht stören würde, wenn ich einen... mehr oder weniger... festen Freund hätte.", wandte er seinen Blick halb verlegen, halb beschämt wieder von Faustus ab. Er wusste tatsächlich nicht, wie er ohne Gesichtsverlust aus dieser Nummer wieder herauskommen sollte. Er konnte die Sergia ja schließlich nicht einfach umbringen oder umbringen lassen. Denn erstens war er nicht der Typ dafür und zweitens käme dergleichen jemals ans Tageslicht, so wäre seine politische Karriere genauso vorbei, wie im Falle eines Scheiterns eines Anschlags auf Fausta. Zu guter Letzt war sich Dives nicht einmal sicher, ob es überhaupt so schlecht wäre, wenn er demnächst heiratete. Denn früher oder später müsste er eh einmal eine Frau ehelichen. Und bei dieser hier könnte er es sich dann wenigstens in den vier Wänden des eigenen Cubiculums sparen, die von der Gesellschaft erwartete Scharade aufrecht zu erhalten...

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  • "Ausgerechnet eine Fausta..." murmelte ich.... durch dieses kleine Detail über die Maßen verstimmt. Wenn das kein Omen war, dass dieses... dieses Weib letztendlich doch drohte, mich aus dem Leben des Marcus Iulius Dives zu verdrängen!
    'Wollte hier, bei dir sein' hatte er gesagt – aber konnte das denn wahr sein? Konnte er wirklich all die Zeit, all die lange düstere Zeit, in der ich eingekerkert, wie vom Erdboden verschluckt, seiner Welt unendlich fern gewesen war... die Gedanken an mich bewahrt haben? Ich... hätte ihm das wirklich gerne geglaubt... und früher hätte ich es ihm wahrscheinlich auch abgenommen, aber nach allem was ich erlebt hatte, nach all den Lügen und all dem Verrat, erschien mir dies einfach... zu märchenhaft. Ich schluckte.... und sagte mir, dass es doch schon unglaublich genug war, dass er sich offensichtlich an mich erinnert hatte, und jetzt, in diesem Augenblick, hier bei mir war, und dass ich besser daran tat, nicht zu hinterfragen, mit wem er in der Zwischenzeit...... Naja. Wie das eben so ist, mit solchen Gedanken, sobald sie einmal entfesselt sind...
    Unwillkürlich wurden meine Lippen schmal. Dives war zu mir gekommen, in meine Verbannung, in die häßliche graue Einsamkeit wie.... wie ein Sonnenstrahl nach endloser Nacht. Und mit einem Mal... stieg die Angst in mir auf, davor, ihn gleich wieder zu verlieren.


    "Mit diesem Senator ist nicht viel Staat zu machen," begann ich das Weib in leichthin spöttischem Ton gleich mal rundherum schlechtzumachen: "als ich bei der Prima diente, da war der Mann schon das Gespött der gesamten Legion, weil er ein Gladius nicht von einem Pilum unterscheiden konnte, und sich nicht mal als Tribun im Kastell von seinem Haustier – einem ungeheuer fetten Pfau – trennen konnte. Der Legat Tiberius Vitamalacus selbst war so verzweifelt über seine Unfähigkeit, dass er ihm tatsächlich eine Grundausbildung verordnet hat, wie einem dahergelaufenen Tiro, um ihm etwas militärischen Schliff zu verpassen. Hat aber nichts genützt... Und selbst als der Annaer sich dem Aufstand des Giftmörders angeschlossen hat, hat er bekanntlicherweise nur dadurch von sich reden gemacht, dass er ausnahmslos alles was zu tun war, seinen Tribunen überlassen hat..."
    (Bekanntlicherweise, wenn man die Berichte der Spitzel kannte. - Ich muß betonen, dass meine Geschichten, mögen sie auch ein wenig übertrieben gewesen sein, allesamt einem wahren Kern hatten! An den Pfau zum Beispiel – auch wenn er vielleicht nicht wirklich ganz so fett und eigentlich sehr hübsch gewesen war - konnte ich mich noch sehr gut erinnern.)


    Eine Postangestellte... und streitsüchtig.....cholerisch....
    "Na, da kannst du ja nur hoffen, einen mehr oder weniger festen Freund zu finden, der ebenso gleichgültig über die Furie an deiner Seite hinwegsieht!" erwiderte ich, viel zynischer als ich wollte, und funkelte ihn, der gerade so unschuldig verlegen zur Seite blickte, zornig an.
    "Dives! Willst du denn dein Lebtag unter der Sandale einer solchen Xanthippe stehen?! Du mußt sie loswerden solange du noch kannst. Es gibt drei Möglichkeiten..." Ich zählte sie an den Fingern ab: "Primum – Du spielst weiter das Opfer und forschst sie währenddessen fleissig aus, solange bis du etwas gefunden hast, mit dem du ihre Erpressung kontern kannst. Secundum – du setzt jemanden auf sie an, um sie auszuforschen, zu beschatten oder sogar... sagen wir, zu etwas zu provozieren, das ihren Ruf massiv schädigen würde, wenn es bekannt wird. Bei einer Frau, die sich nicht mit ihrer traditionellen Rolle begnügt, ist es wirklich nicht allzu schwer, da etwas zu finden oder wenn nötig zu konstruieren..." Die Leute waren ja so leichtgläubig, immer bereit das schlechteste anzunehmen.
    "Tertium –" Ich zwinkerte ihm zu, und schlug scherzhaft vor. "Ich engagiere einen zuverlässigen Sicarius, der ihr die Zunge abschneidet." Ganz so scherzhaft war mir in Wirklichkeit aber nicht dabei.

  • Einen Faustus und eine Fausta auf Dives 'anzusetzen' war in der Tat... wohl typisch für die Venus, auf die als Göttin der Launenhaftigkeit, Liebe und Täuschung das Verschaukeln und Veralbern von Freunden, Bekannten und Verwandten am ersten April zurückging; typisch für die Venus, die ausgerechnet an einem solchen ersten April dem Verliebten und (mit einer anderen) Verlobten die Augen öffnete; typisch für die Venus, zu deren Symboltieren unter anderem auch Tauben aufgrund ihres liebestollen Gurrens gehörten - Tauben, wie die iulische Taube. Doch darüber zu sinnieren, dafür hatte Dives an dieser Stelle keine Zeit. Stattdessen lauschte er stumm den decimischen Worten über den Annaeus und stellte fest, dass Faustus wohl in der Tat ziemlich verletzt ob der Geschichte mit der Sergia war. Denn um dies auszumachen, musste der Iulier hier nicht wissen, welche Teile der Erzählung vielleicht etwas ausgeschmückt waren und welche nicht, sondern brauchte lediglich zu hören, dass Faustus zur verbalen Bekämpfung des mit der Sergia in Verbindung stehenden Annaeus ausgerechnet einen Tiberius ins Feld führte... Dives, der dazu inhaltlich nichts groß zu sagen vermochte, ließ seinen Blicke vom Geliebten abgewandt, konnte diesem nicht in die Augen sehen.


    Es folgte ein Satz, der es in der Tat in sich hatte und der mit großer Leichtigkeit etwas einriss, das allem Anschein nach wohl noch immer nur für den Iulier hier überhaupt wenigstens im Ansatz, im Fundament existierte. 'Dives', hieß es dann wieder und ebenjener Dives nahm seine linke Hand, seine Augen vor den Blicken Faustus' zu schützen. So verharrte er dann, bis der Redende ausgeredet hatte, bevor er kurz wartete, ob das für den Augenblick auch wirklich alles war. Dann senkte er seine Hand und setzte mit wässrigem Blick hörbar in verzweifelterweise aufgebracht selbst zu einer Antwort an:
    "Ja. Ja, weißt du was? Da kann ich wahrscheinlich wirklich nur hoffen, dass ich IRGENDWANN einmal so jemanden finde, der weiß, was er will und sich entweder mir gegenüber zu mir bekennt oder es eben von vornherein ganz sein lässt! Faustus, was willst du eigentlich von mir, hm? Darf ich dich überhaupt so nennen? Faustus? - Deinen Brief hattest du so unterzeichnet, während du mir hier nun einerseits zu verstehen gibst, dass ich noch immer, obwohl ich dir schon dereinst am Festtag der Fors Fortuna meinen Praenomen anbot, nur 'Dives' für dich bin!", öffnete der Iulier die Arme zu einer Geste, die auf den Punkt gebracht wohl ausrufen wollte: 'Was soll mir das sagen?!' "Gleichzeitig scheint dir meine Verlobung dann aber doch wieder nicht ganz egal zu sein, wenn du mir sogar vorschlägst, der Sergia die Zunge herausschneiden zu lassen." Auf dass sie dann mit den Händen schrieb und auf diese Weise ihre Botschaft verbreitete. In der Tat konnte Dives dieser Variante folglich nicht sonderlich viel abgewinnen. "Das heißt: Oder geht es dir letztlich in erster Linie um DICH? Geht es dir darum, dass DEIN Name nicht bis zu ihr vordringt? Wenn es nur das ist: Da kann ich dich beruhigen! Ich habe bisher nichts gesagt und werde auch weiterhin nichts sagen. Ja, keine Sorge. Dein 'Dulcis... DIVES' schweigt, wie er künftig auch gerne darauf verzichten wird für dich zu opfern und..." Nein, die Sache mit dem Tempel behielt er an dieser Stelle auch weiterhin für sich. Das würde Faustus nicht zuletzt wohl nämlich deutlich mehr treffen, wenn er derlei später auf anderem Wege erfuhr. "zu beten, sich in Zeiten der Not bei Verwandten wie meinem Großonkel Licinus oder guten Bekannten wie Senator Sedulus für dich einzusetzen!", sprudelten solche Worte aus Dives heraus, von denen er selbst schon kurz darauf nicht mehr wusste, ob er sie tatsächlich so meinte oder nicht. Er atmete einmal durch, um etwas ruhiger zu werden.


    "Ich meine, siehst du nicht die Chance, die diese unsägliche Erpressung durch die Sergia hier trotzdem in sich birgt? Oder willst du einfach nur deine Augen davor verschließen? - Denn damit meine ich nicht nur, dass meine Gens sich damit dem Annaeer und auf diesem Wege dem Cornelier annähern würde, um die vescularische Zeit endlich mehr und mehr hinter sich zu lassen! Nein, ich rede hier nicht nur von einem solchen Opfer für meine Gens! Ich spreche hier auch davon, dass ein JEDER Politiker früher oder später den Bunde der Ehe eingeht, ja eingehen MUSS!" Oder wieviele einflussreiche Senatoren kannte Faustus, die unverheiratet - nicht nur geschieden oder verwitwet - waren? Um Missverständnisse zu vermeiden: Römische Senatoren waren damit gemeint; keine halben Barbaren (so sehr Dives seinen duccischen Mitklienten sonst auch durchaus schätzen mochte).
    "Faustus!", griff Dives mit seiner rechten Hand die Schulter seines Gegenübers, während der Sturm der Worte nun auch zu einem immer weiter steigenden Pegel in seinen Augen führte. "Siehst du nicht, dass jede andere Ehe mich noch viel mehr zu einer Marionette machen würde? Siehst du nicht, dass ich hier wenigstens in meinen eigenen vier Wänden MEIN Leben leben könnte; mein Leben mit wem ich möchte? Was kümmert es mich da von der Sergia erpresst zu werden, wenn ich gleichzeitig die Freiheit bekomme zu leben, mit wem ich will, und zu lieben, wen ich will?", endete der Iulier und legte seine rechte Hand von der Schulter sanft um auf den Hals des Decimers, um die unbedeckte Haut seines Gegenübers zu spüren und sich ihm wieder näher zu fühlen. "Siehst du das nicht?"

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    INSTITOR - MARCUS IULIUS LICINUS
    IUS LIBERORUM
    VICARIUS DOMINI FACTIONIS - FACTIO VENETA

    Klient - Marcus Vinicius Hungaricus

  • Ich hätte das nicht sagen sollen. Das mit dem mehr oder weniger festen Freund. Ich hatte in ein Wespennest gestochen, und konnte nur noch.... die Zähne zusammenbeißen, als mir seine Worte um die Ohren flogen.... und mich trafen. Empfindlich trafen. Aber ich war selbst schuld.... hatte ich ihn doch selbst zu mir eingeladen, in meine Zuflucht, und zugelassen, dass er die Barriere zwischen mir und der Welt durchquerte, und mir nahe kam... obgleich ich doch eigentlich genau wusste, dass es in Schmerz und Enttäuschung enden würde.
    "Ich sage 'Dives' zu dir, weil es so ein schöner Name ist," verteidigte ich mich erschrocken. Ich hatte ja keine Ahnung gehabt, dass ihm das so wichtig war. "......und so einzigartig wie du, wohingegen Marcus – ich kenne hundert die Marcus heißen, aber nur einen Dives... " Das war die reine Wahrheit! 'Dives' glitt weich und klangvoll von der Zunge, hatte den Anklang des Divinen, und ließ sich so schön treffend zu einem 'Dulcis Dives' ergänzen...
    "Um mich?! Du verstehst gar nichts, GAR NICHTS verstehst du!" fauchte ich, voll bitter aufwallendem Zorn. "Ich habe NICHTS mehr zu verlieren! NICHTS! Ich habe schon alles verloren – ALLES! - weil ich mich gegen die Dreckschweine gestellt habe, die erst den Kaiser vergiftet, und dann das Reich in den Bürgerkrieg gestürzt haben, die Dreckschweine, an die du dich jetzt unbedingt anbidern willst! Um den Preis, dein Leben zu einer einzigen Lüge zu machen!"
    Bei Licinus für mich eingesetzt?! Allein den Namen dieses falschen Freundes zu hören... (Dass Dives sich ausserdem sogar an diesen furchtbaren Germanicer gewandt hatte, war – eigentlich – ziemlich amüsant, bei der Vorgeschichte, die mich mit diesem Tonto verband, aber ich hatte gerade so gar nicht den Kopf dafür, dieses Witz zu würdigen.)
    "Ich spucke auf Licinus!!" fuhr ich ihn blindwütig an, "Er war mein Freund, mein Kamerad, ich hätte ihm mein Leben anvertraut! Und er hat mich eiskalt verraten, vergessen, sich von mir abgewandt, in einer Zeit als ich wirklich... wirklich einen Freund gebraucht hätte... ein feiger Mitläufer ist er, nicht den kleinen Finger hat er für mich krumm gemacht!"
    Meine mageren Hände waren zu Fäusten geballt, die Fingerknöchel weiß, und weißglühend auch der Zorn, der brutal aus mir herausbrach.
    "Sprich mir nicht von 'Freiheit'!!! Du willst dich in einen Käfig der Lügen einsperren lassen, von einem herrischen Weib, und von dem, was heuchlerisch die Gesellschaft verlangt, und von dem beschissenen Blödsinn, den Cornelius' Mörderbande euch allen zu glauben vorschreibt -"
    Ich schob seine Hand von mir weg, und erhob mich wackelig auf die Beine, streckte anklagend die zitternde Hand gegen ihn aus.
    "Dann tu's! Dann lass dich doch einsperren! Geh zu deiner Fausta, hüll dich in die Lügen ein, und ...lass mich allein. Was willst du überhaupt noch von mir?! Warum bist du gekommen?! Ich bin ein Wrack. Ich sollte besser tot sein! Den Präfekten deiner Träume gibt es nicht mehr, und es hat ihn auch nie gegeben. Mit mir ist nicht mehr anzufangen! Und ausserdem bin ich Gift für deine Karriere unter dem Mörder-Regime!!!"
    Aufgelöst fuhr ich mir mit der Hand übers Gesicht. Meine Stimme erstarb zu einem Flüstern.
    "Ich hab die Schnauze so gestrichen voll von den ganzen beschissenen Lügen."

  • Er kannte nur einen einzigen Dives? Wäre der Iulier an deser Stelle etwas weniger von den Worten seines Gegenübers bewegt gewesen, hätte er diese Behauptung vermutlich als solche einfach so hingenommen. Allerdings war er eben durchaus noch aufgewühlt, sodass er ungläubig den Kopf schüttelte ob jener hier aufgetischten Geschichte. Nur ein einziger Dives... Den Namen des Triumvirn Licinius Crassus Dives verdrängte Faustus hier wohl ebenso wie den des Senators Matinius Agrippa Censorinus Dives Felix - und letzterer kandidierte immerhin noch kurz vor Kriegsaubruch zum Consul! (Natürlich konnte man sich durchaus über die Bedeutung der Agnomen bei jenen beiden Spontanbeispielen streiten, zu gut passte diese Deutungsvariante jedoch in die Wahrnehmung des Iuliers in just diesem Augenblick.)
    Allerdings blieb keine Zeit, um auch nur einen jener Gedanken vorwurfsvoll zur Sprache zu bringen. Denn nach dem eigenen Wortschwall war es nun zunächst an der Zeit, dass auch Dives selbst dergleichen über sich ergehen ließ, so schwer dies auch war. Insbesondere nämlich als sich Faustus erhob und seine Hand so... so derartig ausstreckte, als hätte er Dives nur hierher eingeladen, um ihm einmal gehörig die Meinung zu sagen... da musste sich der Iulier in der Tat äußerst zurückhalten, um seinem Gegenüber nicht energisch ins Wort zu fallen. Andererseits jedoch fehlten ihm zeitgleich eh auch ein wenig die Worte bei der Aufforderung zur Sergia zu gehen und Faustus damit hier sich selbst zu über- und im Stich zu lassen.


    "Ob du es glaubst oder nicht, hat es NIE einen Präfekten meiner Träume gegeben!", ergriff Dives letztlich doch noch das Wort, während auch ihn nun nichts mehr auf dem harten, kalten Dachboden hielt. "Doch gab es in meiner Welt einen Faustus - ja, einen FAUSTUS meiner Träume! Hätte ich dir sonst dieser Tage noch geschrieben? Hätte ich ansonsten alles stehen- und liegengelassen, um mich sogleich nach deiner Antwort hierher bringen zu lassen?", fragte er rhetorisch. "Warum also bin ich wohl hier? Wegen deines Ranges? Wegen deines Namens? - Ich bin hier wegen DIR!", antwortete er letztlich.
    "Aber was erwartete mich nun hier; mich, der ich so dankbar und froh bin, dich hier LEBENDIG wiederzusehen? Du erklärst, dass du ausnahmslos ALLES verloren hättest - ja, alles und JEDEN!", rann eine Träne über die rechte iulische Wange, während Dives jenes nur unterbewusst wahrnehmend unbeeindruckt davon weitersprach. "Du behauptest, dass mein Held - und um ein solcher zu sein, braucht niemand eine schwarze Rüstung, eine Paradeuniform oder irgendeinen Titel! - nur ein Wrack wäre, dass besser tot sein sollte!" Er trat mit verständnislos zusammengezogenen Augenbrauen an Faustus heran, bevor er etwas ruhiger aber noch immer sehr eindringlich fortsetzte:


    "Doch ich sage dir, dass es auch in der Vergangenheit schon stets mehr gebraucht hat als ein paar niederwerfende Worte von dir, um mich willentlich von dir fernzuhalten! Und auch durch das Verspritzen irgendwelchen Gifts gegen meine Verwandten und insbesondere meinen Großonkel Licinus, ohne den du dich hier und heute alleine streiten könntest, ohne den ich vielleicht gar selbst im Krieg geblieben und zum Kriegsopfer geworden wäre, wirst du es nicht vermögen mich vom Glauben an meinen Helden abzubringen!", verteidigte Dives seine Gefühle wie auch seinen Großonkel zumindest aus eigener Perspektive ähnlich intensiv, wie zuvor sein Gegenüber den decimischen Consul in Schutz genommen hatte. Denn in der Tat war dem Iulier sein eigentlich ferner Verwandter in der Nachkriegszeit zu einem vergleichsweise Vertrauten geworden - nicht zuletzt aufgrund des großen Vertrauensvorschusses, welchen Licinus ihm direkt nach der Befreiung aus den Castra Praetoria hatte zukommen lassen. So ging er dann auch auf irgendwelche Vorwürfe eines feigen Mitläuferdaseins auch nicht ansatzweise ein, da er überzeugt war, dass Licinus gleich Faustus lediglich das getan hatte, was ihm Ehre und Pflicht als Militär geboten. Welche Wahl hatte der dereinstige Primus Pilus der Prima bezüglich der beiden Kriegsparteien auch schon gehabt? Wenn der Legatus Legionis sagte 'hü', dann machte auch Licinus in militärischer Treue nicht einfach 'hott'. Genauso, so die divitische Sicht auf die Dinge, hatte auch Faustus die Befehle des Scheusals schließlich militärisch richtig umgesetzt, statt sich mit den Schwarzröcken politisch richtig gegen den Crassissimus zu erheben. (Das war kein Vorwurf gegen auch nur einen der beiden, sondern der decemvirischen Meinung nach lediglich das Anlegen gleicher militärischer Erwartungsmaßstäbe an beide Soldaten.)
    "Und du sagst, ich würde mich von der Sergia in einen Käfig der Lügen einsperren lassen? Da frage ich dich, sind wir alle - du genauso wie ich - nicht längst schon im Lügennetz der Gesellschaft eingewickelt und gefangen? Oder hast du dich etwa jemals öffentlich zu einem anderen Mann bekannt? Hast du jemals, wann immer du selbst einen festen Freund hattest, der Öffentlichkeit erklärt, dass du fortan vom Heiratsmarkt wärst? - Ja, oder hast du dich mit ihm vor den wachsamen Augen der Welt verborgen und versteckt, hast Freunde, Bekannte und Verwandte durch Nichtaufklärung einer solchen Begebenheit auch selbst belogen und betrogen und dich auch selbst damit nur allzu eigens in den soeben kritisierten Lügenkäfig begeben?" Derlei, dass dem nicht so wäre, konnte sich Dives kaum vorstellen. "Drum sag mir, der ich NICHT aus meinem Glashaus heraus mit Steinen werfe, was so falsch daran ist, wenn ich in der Gefangenschaft der gesellschaftlichen Norm beibend eine Ehe einzugehen gewillt bin, die meinen Käfig nicht noch enger macht, als er jetzt eh bereits ist - die ihn durch die mehr oder weniger gewollte Einbeziehung dieser Sergia stattdessen nahezu auf aktueller Größe belässt?", näherte er sich Faustus so weit, dass nurmehr eine Handbreite ihre beiden Nasenspitzen trennte. "Mi casa es tu casa.", erklärte Dives leise in aufgrund falscher Betonung hörbar nicht nativ gesprochenem Iberisch. "Das ist es, was ich dir ehm... also, was ich irgendwann einmal irgendjemandem sagen können will." und was er dann auch einmal genau so meinen wollte - anders als bei der Sergia, die als seine Gattin ja ebenfalls in absehbarer Zeit einen Wohnsitz in der Casa Iulia finden würde.

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    CIVIS
    DECURIO - OSTIA
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    IUS LIBERORUM
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