Schaun und Scheinen ist nur Schaum / Nichts als Traum in einem Traum


  • Ein Schritt. Es fiel ein feiner Regen. Noch ein Schritt. Nacht lag über der Stadt, der Mond war hinter den Hügeln untergegangen. Meine Beine waren aus Blei. Die Tropfen legten sich sacht wie ein Schleier auf meine fiebrige Stirn... Das Pflaster der Straße glänzte, in den Fugen zwischen den Steinen krochen kleine Rinnsale entlang. Wo war ich...? Die Häuser lagen in Dunkelheit, die Fensterläden verrammelt. Von irgendwo Fackelschein. Ich hustete. Ich war auf dem Weg nach Hause...oder nicht? Ich ging durch ein Labyrinth. Der Palatin lag hinter mir... ich hätte meinen Weg hinaus nicht mehr beschreiben können... alles verschwamm... die ungeheuer unglaublichen Ereignisse der letzten Zeit, die das Fassbare sprengten..... der Dialog mit dem bizarren Automaton auf dem Thron... es war nur mehr wie ein wirrer Albtraum.
    Schlieren lagen über den Dingen wie der Regen auf einer Scheibe... Mein Schädel dröhnte, meine Augen brannten. Ich rieb sie mit den Fäusten, um endich wieder klar sehen zu können, um die Schlieren vor den Dingen zu vertreiben... und strauchelte, knallte mit den Knien auf das Pflaster... aber selbst der Schmerz war irgendwie weit weg. Ich stützte die Hände auf das nasse Pflaster, versuchte mich aufzurappeln. Aber mein ausgezehrter Körper wollte einfach nicht mehr. Dann fiel mein Blick auf... etwas seltsames. Ich hielt inne, blinzelte, rieb mir wieder die Augen. Starrte benommen auf das kleine Ding, das da vor mir auf der Straße stand. Als hätte jemand gewußt, dass ich an dieser Stelle stolpern würde, und es für mich bereits gestellt... nein...? Der Druck in meinen Schläfen wurde stärker.
    Ein zierliches Figürchen war es, kaum daumenhoch, ein heller Schimmer in der Dunkelheit. Ich nahm es mit zittriger Hand, achtsam das filigrane Gebilde nicht zu zerdrücken, führte es näher an meine Augen heran. Es war die Gestalt eines Tieres, aus Papyrus kunstvoll gefaltet... ein Pferd?... nein, ein Einhorn.


    "Dideldum, dideldei..." drang die Stimme eines Mädchens an mein Ohr, und dann sah ich... und sah es doch nicht richtig, eher wie ein flüchtiger Eindruck aus den Augenwinkeln... das Kind, in einem fremdartigen blauen Kleid, auf mich zu hüpfen.
    "Verzeihen Sie Sir, haben Sie vielleicht das Kaninchen gesehen?"
    Sie trug eine Schleife im blonden Haar und sah mich ernsthaft an. Ich hätte nicht sagen können, in welcher Sprache sie zu mir redete. Ich räusperte mich.
    "Ich... bedaure, nein... Lediglich dies..." Ich hob die Hand mit dem Figürchen um es ihr zu zeigen... und bemerkte, dass ich nun an Stelle des kleinen Einhorns ein Knäuel Faden in der Hand hielt. Ein Ariadnefaden dachte ich. Das Mädchen war nicht mehr da. Ein Strang verlief von dem Knäuel aus, von meiner Hand fort, die Straße entlang...
    Ich folgte ihm mit dem Blick. Und mit einem Mal... war es wäre eine Blindheit von mir genommen... sah ich noch viel mehr Stränge, Stränge allenthalben, alles war von Strängen durchzogen, durchknüpft, und in das Gespinst von Strängen waren Buchstaben eingewebt, Buchstaben die sich zu Worten formten, und zu Sätzen, und zu Texten... und alles war nur nur noch Strang und Wort, die Straße vor mir, die Häuser um mich, die Hügel und der Himmel über ihnen...
    "Nein." flüsterte ich entsetzt. Ich blickte auf meine Hand. Auch sie war nicht mehr länger ein Ding von Haut und Sehnen und Fleisch... auch hier sah ich nur mehr ein Gespinst feiner Lettern.
    "Es... es ist alles nicht real."
    Und da zerbrach der Himmel. Ein Riss ging durch die Welt, quer durch die Hügel und Tempel und Menschen von Strang und Wort, quer durch das SEIN klaffte ein riesiger Spalt. Dahinter war nur abgrundtiefe Schwärze.
    "Nein..." schluchzte ich, "..das darf nicht sein..." Meine Tränen tropften als dramatisch geschwungene "L"s, "A"s, "C"s, "R"s, "I"s, "M"s, und "AE"s auf die Lettern der Straße.



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    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

  • Bizarre Gestalten tummelten sich vor dem Riss, ausgespien oder angezogen von der Schwärze des Nichts, wie Nachtfalter um die Kerze taumelnd. Ein menschengroßer Käfer kroch vorbei, nervös mit den Fühlern zuckend, der in einem seiner Chitinarme das Bild einer Dame im Pelz barg... ein dunkel gelockter Mann (in einer ausgeleierten nadelgebundenen Tunika), verzweifelt nach einer "Anaesthesia!" rufend, um den herum grüne Glasperlen kullerten... eine junge Frau mit Pferdeschwanz, die eine Leiter unter dem Arm trug, sie dann gegen einen Textabsatz lehnte, die Satz-Sprossen hinaufstieg und Anstalten machte in den Riss hineinzusteigen...! Das Dunkel verschluckte sie.
    Ein dicker Junge, um dessen Hals zwei Schlangen gewunden waren, die sich gegenseitig in den Schwanz bissen. Ein schmutzigrosa... Wesen, das auf seiner eignen Nase die Flöte blies! Ein Messer mit Ohren auf Spinnenbeinen!!
    Dann ein Herr mit hoher Stirn, gezwirbeltem Bart, in einer sehr exotischen schwarzen Synthesis (?) mit weißem Kragen. Eine respektable Person wie es schien, vielleicht wußte er Hilfe angesicht der vernichtenden Erkenntnis, in meiner Verzweiflung versuchte die Hand zu regen, die Stimme zu erheben, um mich bemerkbar zu machen, doch auch er stolzierte nur vorüber, wobei er, das "R" auf hispanische Weise rollend, ausdrucksvoll sprach:


    "Was ist Leben? Raserei!
    Was ist Leben? Hohler Schaum!
    Ein Gedicht, ein Schatten kaum!
    Wenig kann das Glück nur geben:
    Denn ein Traum ist alles Leben
    und die Träume selbst ein Traum... "


    Ich barg das Gesicht in den Händen. Es war das Grauen. Und doch machte es auf eine geistzermalmende Weise Sinn... erklärte so vieles...
    Dies alles war nur Schein. Ein Traum, Schatten auf der Höhlenwand, ein Simulacrum der Wirklichkeit... und noch dazu ein schlechtes. Ich war kein Mensch. Ich war nur Wort.
    "Hilfe... so helft mir doch..."






  • Und wie ich da... vernichtet von der Erkenntnis meiner Existenzlosigkeit... zusammengekrümmt auf den Buchstaben kniete... da wurde mir so vieles, so ungeheuer vieles klar!
    Wenn ... nein, nicht "wenn"... dass dies alles nur eine schlechte Geschichte war... erklärte auf eine bösartige Weise so vieles! Es erklärte mir endlich die Verkettung skuriler Ereignisse, die den Cornelier, jeglichen Sinns und Verstandes spottend, zum Sieg getragen hatte! Erklärte die sinnflutartigen Regenfälle, die unsere Armeen beständig aufgehalten hatte, erklärte die geistige Umnachtung, die unsere erfahrenen Feldherren befallen hatte, erklärte die plötzliche wahnsinnige Kriegsbegeisterung, die brave etruskische Bauersleute dazu gebracht hatte, selbstmörderisch ihre eigenen Dämme niederzureißen, erklärte das plötzliche Verschwinden der Classis von Ravenna aus dem Kriegsverlauf, erklärte wie vollkommen kriegs-unerprobte senatorische Tribune mit einem Mal Veteranen der Taktik waren, erklärte die überirdisch mannigliche Härte manch eines strammen Naturburschens der germanischen Legionen...!
    Und es erklärte auch, warum so viele Römer, die bisher einigermaßen ehrenvolle Männer gewesen waren, ganz plötzlich Giftmord als eine belanglose kleine Nebensache ansahen, und nicht das geringste Problem mehr damit hatten, vor dem Mörder der letzten Ulpier zu buckeln.


    Ja, ich verstand es... aber fassen konnte ich es noch immer nicht.


    Und noch so vieles mehr, das mich schon immer mit einem vagen Unbehagen erfüllt hatte... ohne dass ich dem je auf den Grund gegangen war... stand mir jetzt klar und deutlich vor Augen! Dass die Menschen um mich herum fast alle so... ähnlich waren. So groß... und so athletisch... jedenfalls die Männer. Die Frauen dagegen eher mittelgroß und entweder ungemein niedlich oder ungemein scharf. Ganz selten gab es Ausnahmen, gab es echte Individualität. (Betreten berührte ich mein Gesicht – ich war ja, wenn man von den Spuren der Kerkerhaft absah, auch nicht gerade unattraktiv... bedeutete dass, dass ich auch nur eine phantasielose Standardfigur war?!)
    Dass bestimmte "Muster" sich so häufig wiederholten... wie diese merkwürdigen "Zusammenstöße" zweier junger attraktiver Mensche an Ecken, die dann rasant zu immerwährender Liebe fühten... All die unglaublichen Schicksalsschläge, plötzlich auftauchende Kinder verflossener Liebschaften, Menschen die mit einem Mal einfach verschwanden, so spurlos als habe es sie nie gegeben....


    Zorn... heißer Zorn stieg da in mir auf. Ich ballte die Faust und schüttelte sie in ohnmächtiger Wut gegen den Riss im SEIN. Denn ich wußte: sie waren irgendwo dahinter! Und sie konnten mich sehen! (Oder besser: lesen...)
    "Per omnes Deos! Ihr talentlosen Tintenkleckser! Ihr... habt ihr denn nicht die absolute Macht!!? Wie könnt ihr dann nur solch einen Schund zusammenschreiben?! Habt ihr denn gar keinen Respekt vor euren Kreaturen?! Ihr abgeschmackten Schmierenkomödianten, ihr prätentiösen Possenproduzenten, ihr trivialen Kamellenschreiber! ZEIGT EUCH WENN IHR EUCH TRAUT!!!"

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    Da geschah es. Hände! Zuerst sah ich zwei Hände, die aus dem Abgrund von Schwärze heraus griffen... und die Schwärze wie einen Vorhang zur Seite schoben. Dahinter lag, wie ich nur für einen Wimpernschlag erahnen konnte... eine Welt, deren Andersartigkeit mich schwindlig machte. Und durch den Vorhang trat die Muse Klio. Auf bloßen Füßen ging sie über das Netz der Stränge und Worte auf mich zu. Blieb vor mir stehen. Ihr steinerner Chiton wogte sacht. Die Lettern des Regens wichen vor ihr zurück. Sie allein, wie sie sich mitleidig zu mir erbärmlich unechtem Wortgeschöpf herabbeugte war real, hatte... Substanz.


    "Faustus." sprach sie zu mir, "fürchte dich nicht."


    "Klio?" fragte ich brüchig. "Erklär es mir... was ist das hier?"


    "Müde der ewigen Versuche uns durch die rohe Materie zu kämpfen, wählten wir einen anderen Weg und wollten dem Unendlichen entgegeneilen. Wir gingen in uns und schufen eine neue Welt. - So hat es einmal jemand gesagt. Eine unendliche Geschichte. Andere jedoch sagen... es ist nur ein Spiel und sollte nicht allzu ernst genommen werden."


    "Ein Spiel?! Ich bin in einem Spiel?! Ich bin bloß... Unterhaltung?! Zeitvertreib?! Zum Hades mit euch!" fluchte ich wutentbrannt. "Verdammt, ich LEBE!"


    "Es ist komplex. Viele Kräfte sind hier am Werk, Faustus, sie walten und gestalten, bauen auf reißen ein. Machtvoll sind die Kräfte des Traumes, des künstlerischen Strebens, der Herzenswünsche, des Wettkampfes und des puren Schaffensdranges... der Neugier, des Forscherdranges und des Wachsens..... doch nicht allein sie wirken hier, auch die rohen Kräfte des Trivialen, der Enttäuschung, der Gewöhnung, des Banalen, der Einfaltslosigkeit und der persönlichen Eitelkeit ringen hier mit ihren Geschwistern beständig um die Vorherschaft..."


    "Ich brauche kein mystisches Blaba!" wischte ich ihre Worte achtlos beiseite, drängte zornbebend: "Ich will ANTWORTEN! - Warum habt ihr uns diesen Krieg angetan??! Warum mußte ich alles... alles verlieren?!"


    Die Muse neigte traurig den Kopf. Nun sah sie eher wie Melpomene aus.
    "Nur ein Wirrwarr im Spiel der Kräfte, Faustus. Aber sieh es einmal so: hätte es den Krieg nicht gegeben, hätte er mit seinen Unstimmigkeiten die Struktur eurer Wirklichkeit nicht so nachhaltig beschädigt, dann hättest du niemals die Risse in der Matrix, will sagen in eurer Lebenswelt erkannt. Du hast ein Eigenleben entwickelt, Faustus, Bewußtsein..."
    Bewegt strich sie mir mit ihrer kühlen Hand über den Scheitel.
    "Aber du hattest ja immer schon den starken Drang zum sein. Ursprünglich warst du nur Dekor, doch sobald Hannibal dir einen Namen gab, tratest du selbst ins Leben."


    Es war unendlich zu viel. Risse in der Wirklichkeit. Ich, Dekor. Ich atmete heftig aus, und das Wissen, dass ich keine Luft atmete, sondern... Lettern... Tinte?...Buchstaub?... ließ mich keuchen.
    "Warum... warum mußte Hannibal sterben? So elendiglich sterben."


    "Er war wohl auserzählt, Faustus."


    "Auserzählt?!" widerholte ich entsetzt das grausame Wort. "Ich habe ihn GELIEBT! Und ich, bin ich jetzt auch 'auserzählt'?"


    "Ich fürchte ja."


    Auserzählt hallte es entsetzlich in mir nach. Mit weiten starren Augen fixierte ich das grausame Wesen vor mir.
    "Nein. sagte ich mit kleiner Stimme, krampfhaft den Kopf schüttelnd. "Nein." weigerte ich mich, gab alles um sie zu überzeugen. "Ich bin nicht auserzählt! Ich... ich will wenigstens meine Schwester wiedersehen. Und ich habe... ich habe noch immer eine aufgeschobene Verabredung mit einem echten Adonis! Und Manius. Ich muß wissen ob er... - " Ich stockte. "...er hat mich angelogen. Oder?"


    "Du bist immer so dramatisch, Faustus. So alles oder nichts..."


    "Und warum?!" verteidigte ich mich, "Ganz recht, weil ich so geschaffen wurde!"
    Ein neuer Gedanke keimte da in den Ruinen meiner geistigen Gesundheit, begann Wurzeln zu schlagen und seine Blätter zum Licht zu recken... Es gab eine Welt dahinter, die Welt der Schöpfer... dann müßte es doch möglich sein auszubrechen aus diesem Gefängnis! Die Höhle der Schatten zu verlassen! Die wahre Wirklichkeit zu sehen!


    "Nein, Faustus." zerschmetterte die Muse, kaum hatte ich es gedacht, auch diese zarte Hoffnung. "Versuch das nicht. Du bist an deine Welt gebunden. Kannst bei uns nicht existieren. In dem Augenblick in dem du die Grenze überquerst, würdest du zu einem Häufchen Nullen und Einsen zerfallen."

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    Klient - Decima Lucilla

  • "Den da?", fragte Vala, dem der stete Regen die Haare nass an den Kopf heftete, und deutete auf eine nahebeistehende Garbräterin der unter einem Vordach lustlos einen Salatkopf zerrupfte.

    http://www.kulueke.net/pics/ir…pezielle/valahelfer02.png "Genau der..." , murrte Linus, ebenso nassgeregnet wie sein Schützling und nahm die letzten paar Schritte Kurz auf den Unterstand, auf welchem die Regentropfen zerplatzten und die Luft mit dem stumpfen Sonor ihres Ablebens erfüllten. Die Eingeweide dieser Regentropfen vermengten sich zu unblutigen Sturzbächen und verpassten all jenen, die unter das Abdach schlüpften noch eine letzte Ladung geballten Wassers. Die Hitze, die der kleine Ofen ausstrahlte reichte aus um den durchweichten Figuren sofort einen frostigen Schauer über den Rücken zu jagen, und schon fast automatisch rückten sie näher an die verruste Feuerstelle. Die Bude war wenig mehr als ein Bretterverhau in der Subura zwischen zwei Insulae, und bot mit der Einrichtung nicht einmal den Ansatz eines rustikalen Charmes. Weniger noch, sie glich dem Inbegriff an Funktionalität, nichts war hier ohne dass es einen bestimmten sofort greifbaren Nutzen erwies. Vala konnte sich kaum vorstellen, dass diese kleine unscheinbare Bude den aktuell umhergehenden Geheimtip ihres Genres darstellte. Und doch waren da die Zeichen, die das Äußere Lügen straften und auf das schließen ließen, was sie letztlich - nebst dem Regen - hergetrieben hatte. Der Regen hatte den Gestank der Stadt aus der Luft gewaschen und diese mit einem der typischen frühherbstlichen Nebel gefüllt, und die Gerüche der Garküche drängten umso stärker auf die Nasen der Schutzsuchenden ein. Vala roch Zimt, was er in einer solchen Bude im Leben nicht erwartet hätte, und einen Hauch von Safran, was ebenso unwahrscheinlich erschien.
    Die gedrückte Stimmung konnten diese überraschenden Sinneseindrücke allerdings nicht überdecken, auf den Gesichtern der Köchin und der beiden außer Linus und seinem Schüler noch anwesenden Kunden war wenig mehr als die verdrießliche Alltagsstimmung der Gedankenlosigkeit zu erkennen.
    "Der nächste...", quäkte die Köchin, die mit ihrer Leibesfülle einen Großteil der Küche ausfüllte und zwischen den Anrichten weniger wandeln als sich einfach nur drehen konnte, und hackte dabei ein Salatblatt mit durch ihre Gestalt lügen strafende schlafwandlerischer Grazie in Stücke, welche sie mit einem plump wirkenden, aber doch effektiven Wisch von der Platte kehrte um sie in ein mit allerlei Dingen gefülltes Brot zu geben.
    "Ich glaube das wären wir..." , seufzte Linus, dem das restliche Wasser des Regens noch vom Kinn herabtropfte und den Dreck am Boden in Bewegung hielt, "...ich hätte gerne eine Fleischtasche, bitte."
    "Mit Lamm oder Hähnchen?", quäkte die Frau zurück, die das fertige Gericht einem der beiden verbliebenen Kunden in die Hand drückte und sich sogleich daran machte mit ihren fettigen Fingern nach einem stumpf und verbraucht wirkenden Messer zu greifen.
    "Mit Lamm, bitte." , antwortete Linus und strich sich die nassen Haare aus dem Gesicht, das in diesem Moment mit keinem Funken philosophischer Komplexität, sondern mit beiläufigem Gleichmut auf den Laib Brot blickte welchen die Köchin vom verkohlten Rand der Ofenöffnung nahm und diesen mit dem stumpfen Messer ohne große Mühe öffnete. Der Duft des frischen Brotes mischte sich unter die anderen, welche in der Garküche auf einen warteten und sich vehement gegen das stemmten was draußen auf einen wartete.
    "Scharf?", fragte die Köchin ohne Linus anzublicken, war sie doch gerade dabei irgendwas in das noch dampfende Brot zu streichen, das Vala nicht genau identifizieren konnte, nachdem sie eine der beiden nahe der Ofenöffnung weilenden Pfannen auf erste gestellt hatte. Das Zeug in der Pfanne konnte Vala nicht genau ausmachen, aber es duftete ziemlich stark nach den teureren Gewürzen des Reichs.
    "Ja, bitte." , antwortete Linus und warf seinem Schüler einen dieser Blicke zu die nur in einer wartenden Langeweile entstehen konnten. Da war kein tieferer Funken, keine Augenzwinkern... es war einfach nur der schlichte Blick den man austauschte wenn man gerade eben keine Gedanken zu kommunizieren hatte. Der bereits bediente Gast hatte sich von dannen gemacht, der einzige noch verbliebene schien in nichts bestellt zu haben. Er hielt sich an einem Becher fest und betrachtete Vala und Linus an den Tresen gelehnt mit beiläufigem und offensichtlich nicht ganz nüchternem Interesse. Seine blau-grau gestreifte Tunika hatte offensichtlich schon lange keine guten Tage mehr gesehen und wies zahlreiche Flecken auf, was die Gesamtoptik des Mannes, der aus leicht tranigen und stets müde wirkenden Augen in die Welt schaute, nur komplettierte. Erst nach längerem Blickkontakt wandte der Mann sich von Vala ab um fortan in die durch die vom Vordach stets abgehenden Sturzbäche durchzublicken.
    "Der nächste...", quäkte die Frau wieder mit einer Stimme, die Widerspruch offensichtlich genauso wenig gewohnt war wie eloquente Variation, nachdem sie Linus seinen Schawarma in die Hand gedrückt hatte und einen Laib aus Teig plattklopfte um ihn wieder an den Herd zu legen.
    "Eh... was gibt es denn?", fragte Vala, der sich die Frage nach einem Blick in das Zutatenaufkommen der Küche auch selbst hätte beantworten können.
    "Fleischtaschen.", antwortete die Köchin ohne einen einzigen Blick auf ihren Kunden, packte sich eine Gurke schnitt diese mit einem nicht ganz so alt wirkenden Messer in atemberaubend schneller Geschwindigkeit in kleine Stücke.
    "....und?", fragte Vala, der dennoch nicht glauben konnte, dass der Geheimtip der römischen Haute Cuisine nur ein einziges Gericht anbot.
    "Mit Lamm oder Hähnchen. Und Scharf, wenn du willst.", nölte die Köchin weiterhin unbeeindruckt und schob die Gurkenstückchen in eine Schale mit anderen Gemüseteilen.
    "Was ist Scharf?", fragte Vala ahnungs- und arglos.
    "Scharf.", antwortete die Köchin ohne mit der Wimper zu zucken, wendete den flachen Laib Brot einmal und griff sich dann ein Stück Hühnchenfleisch um es ebenso fachgerecht, aber mit anderem Messer zu zerkleinern wie zuvor schon die Gurke.
    "Oh... ahso... dann hätte ich gerne eine Fleischtasche.", üssierte Vala mit Blick auf den Becher des Mannes, "...und ich hätte gerne etwas zu trinken."
    "Mit Lamm oder Huhn?", fragte die Frau, griff unter die Theke und stellte Vala einen Becher auf den Tresen, der sich nach dem ersten Schluck als mit Bier gefüllt herausstellte.
    "Uh... ja.", antwortete Vala, und realisierte erst nach einem kurzen Räuspern seines Lehrers, dass die Köchin ihn verständnislos anstierte wie einen bockigen Jungen, "...öh... was war die Frage? Oh, ja... Lamm, bitte."
    "Scharf?", fragte die Köchin während sie die Pfanne wieder auf den Ofen schob und das Brot öffnete.
    "Öhm... nein... ja... doch... ja, bitte.", antwortete Vala einen Moment lang unsicher, da er nicht die geringste Ahnung hatte was damit nun eigentlich gemeint war, noch das Interieur der Garküche auch nur ansatzweise darauf schließen ließ, was einem hier geboten wurde. Es dauerte eine Weile bis auch ihm seine Mahlzeit kredenzt war, und als er zum ersten Mal in die mit allerlei komischen Sachen gefüllte Brottasche biss, toppte das die edlen Gerüche doch umso mehr. Es schmeckte verdammt gut, das musste Vala der Köchin lassen, doch als nach dem vierten Bissen das Scharf folgte, war ihm auch klar warum das Zeug so hieß... er, der er sowas nicht gewohnt war, hustete und prustete als sich sein Mund und sein Hals mit den Flammen des Geschmacks füllten, und verzweifelt kippte er das Bier in sich hinein.
    "Hast du dich verschluckt, Junge?" , fragte Linus, ohne allzu beteiligt zu wirken, und vertilgte den letzten Rest seines Mahls.
    "Neeee, der ist doch noch da.", gab sich zum ersten Mal der blau-grau-gestreifte Schweiger zu verstehen, wandte sich dann aber gleich wieder dem zu, was außerhalb der Garküche vor sich ging.
    "Uff... das ist.... scharf...", fluchte Vala leise vor sich hin, deutete auf den Becher und ließ sich einen neu gefüllten hinstellen, "...verdammt scharf."
    "Man gewöhnt sich dran.", meinte Linus beiläufig und leckte sich die fettigen Finger ab, bevor er sich einen neuen bestellte und Recht behielt: Vala gewöhnte sich dran, auch wenn er langsam und bedächtig aß und ganze vier Becher Bier für die Mahlzeit brauchte. Auch so ging das Zusammensein unter dem weiterhin vom Regen beharkten Abdach recht schweigend vor sich. Vala aß, Linus starrte nach draußen, ebenso wie der schweigsame Gast, und die Köchin wandte sich ihren eigenen Dingen zu.
    "Diese Graffiti..." , meinte Vala plötzlich und deutete durch die Sturzbäche an die gegenüberliegende Wand einer Insula, an welcher ein großes und offensichtlich hastig gemaltes Graffiti befand, "...sind auch schonmal besser gewesen. Man könnte meinen, nach Dekaden hätten die römischen Graffitikünstler endlich mal dazugelernt."
    "Warum sollten sie?", meinte der Grieche, der das Graffiti nur einen Moment lang betrachtet hatte, "Es gibt doch immer wieder neue. Es bleiben ja nicht diesselben."
    "Die Künstler, oder die Graffiti?", meinte Vala.
    "Fie Künftler..", meinte Linus inmitten eines Bissens.
    "Aber es wird doch öde, irgendwann." , murrte der Germane und deutete mit dem Becher in Richtung der Wand, "Hier, die Linienführung, das Motiv alleine... immer das gleiche, ich habe das schon tausendmal gesehen. Und schon hunderte Male besser... viel besser."
    "Das mag sein...", zuckte Linus mit den Schultern, "..aber was erwartest du? Dass jeder neue Graffitikünstler besser ist als der davor? Und seit wann bist du Kunstkritiker?"
    "Könnte man das nicht? Ich meine, was ist der Sinn darin das zu malen was schon tausendemale davor gemalt wurde? Und schon besser gemalt wurde?" , widersprach Vala.
    "Wahrscheinlich würde es den Menschen nicht gerecht...", paraphrasierte Linus altherrengleich.
    "Du meinst sie können es nicht?" , wandte Vala abfällig ein.
    "Oder wollen es nicht. Beides kommt auf's gleiche hinaus... für diesen Graffitikünstler war dies Bildnis dort unter den Umständen unter welchen er es gemalt hat entweder das Beste oder Möglichste. Das Ergebnis ist für uns doch das gleiche...", sprach Linus nachdem er den Rest seiner Mahlzeit vertilgt hatte und sich ebenfalls die Finger vom Fett befreite.
    "Das sind düstere Aussichten für die Zukunft!" , prophezeite Vala und stellte den Becher ab.
    "Naja, es gibt schon immer wieder solche, die es besser machen... oder besser können... oder besser wollen. Straft das den Rest nichtig?", erwiderte Linus und horchte in Richtung des über ihnen liegenden Holzdachs: "Hör zu... der Regen schwindet."
    "Doch, ja... nein, nicht... und doch..." , zeigte Vala sich zweifelnd, "...das bedeutet, ich muss ein Heer an mittelmäßiger Kunst erleiden um mich an den wenigen guten Werken zu erfreuen?"
    "Neee... das bedeutet, ob es sowas wie schlechte und gute Kunst überhaupt gibt.", wandte Linus ab, leerte seinen Becher und zahlte bei einer Köchin, die der Diskussion kein Ohr zu schenken schien.
    "Natürlich gibt es das... und die Masse der schlechten macht einem nicht gerade Mut..." , ächzte Linus und warf einen Blick auf das hinter dem schwindenden Sturzbach vom Dach nun klarer erscheinende Bildnis, das offensichtlich einen schlecht gezweichneten Mann mit Eselskopf und winzigem Gemächt zeigte.
    "Weil du dich dadurch entmutigen lässt, junger Padawan." , zeigte sich der Grieche philosophisch, "Und in all dem schlechten, das du siehst, schlummert doch Gold... hättest du eine derart gute Mahlzeit in so einer Bude vermutet?"
    "Wenn du das meinst.", murrte Vala und schritt voraus, hielt kurz darauf einen Moment inne und fluchte mit Blick auf seine Schuhsohle lauthals auf: "So eine gottverdammte... ich bin in Scheisse getreten!"
    Wieder zeigte Linus sich unbeeindruckt und schritt voran: "Auch die, Junge, wird sich ablaufen."
    ...
    Eine Weile lang blickte der stumme Gast den beiden anderen hinterher, mit den immernoch halbverschlafenen Augen und abwesenden Blick, das Bier immernoch in der Hand haltend, bis er schließlich vor sich hinmurmelte: "Das war nun etwas arg plakativ."
    "Kann ja nicht jeder so sein wie du...", murrte die Köchin ohne von ihrer Arbeit aufzusehen und klopfte einen Brotteig flach als sie einen neuen Kunden kommen sah.




  • Ein Häufchen von.... 'Nullen' und Einsen? Mir sträubten sich die Haare. Das klang seeehr ungut, auch wenn mir völlig schleierhaft war, was denn eine 'Null' sein sollte. Zugleich beschlich mich der böse Verdacht, sie sage mir nicht die ganze Wahrheit.... zu offensichtlich war die Muse darauf bedacht, dass ich nicht in die wahre Welt hinübergelangte....!


    "Was ist schon Wirklichkeit! Warum sollte deine Welt, Faustus, weniger wahr sein, als die unsere?"


    "Es sind nur Worte... Es ist nicht real."
    Ich fror bis ins Mark. Nur meine Stirn glühte. Nicht real. Schlang die Arme um mich. Nicht real. Mein Oberkörper begann ein wenig zu wippen. Nach vorne und zurück. Nicht real. Es ist nicht real. Nicht real. Ich bin nicht real. Ich bin nicht.


    "Sieh sie dir an an." forderte sie mich auf. "Sieh hin..."


    Von ihrer Stimme wie von einem Band gezogen, hob ich den Kopf. Blickte mit Augen, die meine fremd gewordene Welt durchdrangen, durch den Regen die endlosen Buchstabenzeilen der nächtlichen Straße entlang... und sah durch Insulae aus Textspalten und Wortkolonnen hindurch... in eine kleine Garstube, wo zwei aus Worten und Strängen gewebte Männer gerade herzhaft in dampfende Teigtaschen bissen.


    "Könnt ihr eure Welt denn nicht genauso mit euren Sinnen erfassen wie wir die unsere? Ist diese Mahlzeit für diese beiden, mit all ihren Nuancen von würzigem Fleisch und frischem Brot, denn weniger köstlich, weil sie zuvor jemand erdacht hat? - "


    Klio nickte einem bärtigen Schweiger, der dort in der Garküche am Tresen lehnte, freundlich zu, und fuhr leidenschaftlich fort:


    "Ein Traum in einem Traum! Auch wir, die wir eure Welt erträumt haben, mögen Figuren im Traum eines Schlafenden sein. Nichts ist, ohne Abbild einer Idee zu sein. Nichts ist vorstellbar, das nicht im Geist eines Vorstellenden wäre. Esse est percipi.
    Und darüber hinaus, Faustus, weißt du gar nicht, was für ein privilegiertes Leben du hier führst! Du hast Atemberaubendes erlebt! Gegen parthische Panzerreiter hast du im Feld gestanden, hast exotische Länder bereist, die ausschweifendsten Feste gefeiert und die schönsten Männer geliebt, warst Gardepräfekt, warst Feldherr, und hast zuletzt, um deinem Gewissen treu zu bleiben, alles aufgegeben... Niemals hat dich je der graue Hauch des Banalen, des Alltäglichen gestreift, du bist Gedanke, ungebunden, frei..."

    Ein melancholisches Lächeln umspielte ihren steinernen Mund.
    "Du hast... Dinge gesehen, die andere sich nicht erträumen würden. Götter und Heroen erfüllt von Feuerglut, lodernd im wilden Korybantentanz. Du sahst den Widerschein des Mondes, glitzernd auf euren Klingen, am Tor von Circesium. All diese Momente werden verloren sein in der Zeit, so wie Tränen im Regen. Zeit zu -"


    "Halt." schnitt ich ihr schnell das Wort ab. Denn dies klang mir viel zu sehr nach einer Grabrede.
    "Ich will meine Schwester wiedersehen. Ich will die, die ich liebe, noch einmal wiedersehen, Klio!" Aber wie konnte ich, nach allem was geschehen war und nach allem was ich jetzt wußte... hier überhaupt noch existieren?


    Sie wies wieder auf die beiden Gäste der Garküche. Die verließen gerade wohlgemut das Lokal.


    "Was kannst du von ihnen lernen, Faustus?"


    Mit zusammengekniffenen Augen starrte ich ihnen nach. Dann sprach ich tiefempfunden:


    "Der größte Segen den es gibt – ist IGNORANZ!"


    Ihre kühle Hand legte sich auf meine Stirn.


    "Du wirst dich an alles erinnern. Doch es wird nur ein fiebriger Traum in einem Traum in einem Traum sein. Du bekommst eine letzte Frist, Faustus. Vale."


    "Klio" flüsterte ich benommen. "Klio – du bist auch nur... eine prätentiöse Maske, oder?"


    Schwer lag ihre Hand auf meiner Stirn. Meine Lider waren schwer... Langsam glitt die Hand über meine geschlossenen Lider. Dann hörte ich, nur noch von ferne, ihre Stimme, wie sie einen 'Gregor' um einen Gefallen bat, und dann war es mir, als würde ich aufgehoben, und säße rittlings auf einem riesigen Käfertier, und dieses Ungetüm trüge mich fort, trippele mit mir durch die Straßen der Stadt. Klick klick machten die vielen Beinchen auf dem Pflaster. Klick klick.

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