• Nachdem sie die Stadt inmitten der Nacht als Sklaven eines Libitinarius durch die Porta Quirinalis hatten verlassen, marschierten die Flavier - respektive Manius Flavius Gracchus Minor, ältester Spross, Erbe und Hoffnungsträger der Familia Flavia Graccha, Quintus Flavius Flaccus, idealistischer, aufstrebender Nachwuchspolitiker von edler Gesinnung, und Manius Flavius Gracchus, mehr oder minder angesehener Senator, Praetorier und Pontifex Roms - den Karren voll Leichen ziehend und schiebend weiter schweigend hinter dem Bestatter und dem Freigelassenen Quintus Flavianus Luka, welcher die Fackel trug und ihr einziges Licht in der Dunkelheit war. So gut wie nichts trugen sie an ihrem Leibe - ein Paar Schuhe aus dünnem Ziegenleder, deren Untergrund der Bezeichnung Schuhsohle spottete, dazu ein dünnes Hemd aus bleichem Tuch, das stank als hätte es tagelang in den Gossen der Subura gelegen -, ihre körperliche Kraft und Ausdauer waren ob der gänzlich ungewohnten Anstrengung bereits in Mitleidenschaft gezogen, doch immerhin war die Flucht aus der Stadt geglückt. Deplorablerweise jedoch war die Flucht aus Rom nur ein kleiner Bestandteil der geplanten Reise, nur ein kurzer Abschnitt des langen Weges, welcher ihnen bis nach Mantua noch bevorstand.

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  • Die Saturiertheit, welche die erfolgreiche Passage durch das Tor und das tröstliche Brot evoziert hatten, war bei dem Knaben rascher aufgebraucht, als der Geschmack der ungewohnt derben Kost auf seiner Zunge verweilte, zumal ihr Weg nun zu allem Überflusse mitten durch die Grabmäler an den Ausfallstraßen führte. Einem Spalier exerzierender Soldaten gleich erhoben sich links und rechts Mausolea, Columbaria, Tumuli und schlichtere Aediculae, die stumm und doch unheimlich flüsternd vom Ziel ihrer leblosen Fracht kündeten. Aufs Neue verspürte Manius Minor Degout angesichts des bleichen Beines, welches unmittelbar neben seinen Händen aus der Plane ragte und dessen schmutziger großer Zeh beständig drohte, ihn zu touchieren. Obschon jene sinistre Stimmung nicht gerade durch die monotonen Abwehrgebete des Libitinarius gemildert wurden, verspürte der junge Flavius doch Dankbarkeit, da eben jenes die Possibilität bot, dass die Larven sich ihnen dennoch nicht zu nähern vermochten.


    Erst nach geraumer Zeit ließen sie die lange Schlange, welche sich vor der Porta Quirinalis ob der strikten Kontrollen bildete, zurück, während weiterhin die Stätten der Toten sie geleiteten. Hier gleichwohl geschah dem Knaben ein Malheur, als sich sein Schuh, dessen Größe nicht eben seiner Fußlänge adäquat war, in einem Spalt des Pflasters verhakte. Mit einem kurzen Schrei der Überraschung stürzte der junge Flavius vornüber, stieß mit dem Kopf gegen die Kante des Karrens, streifte mit seinem sorgsam durch Schmutz getarnten Antlitz das herausragende Leichenteil und brach endlich gänzlich zusammen. Nun mochte er jene Melange von Furcht, Verdrossenheit, Missfühlen, Ungeneigtheit und Abscheu nicht mehr bei sich zu bewahren, sondern setzte zu einem klagenden, herzerweichenden Weinen an, welches ob der Tatsache, dass seine Lippe derartig hart gegen das Holz geprallt war, dass sie aufgeplatzt und seinen Lebenssaft preisgab, durch reges Ausspeien des Speichel-Blut-Gemisches disturbiert wurde.
    "Vater, ich - kann - nicht - mehr!"
    brachte er unter Weinen und Schniefen hervor, jedwede Achtsamkeit fahren lassend. Keinen Gedanken vermochte er angesichts der kriechenden Kälte, des pochenden Schmerzes und der generell deplorablen, überaus bizarren Gesamtlage an die Gefahr des Aufdeckens ihrer Scharade zu verschwenden!

  • Die Nacht außerhalb der römischen Siedlung war noch weitaus bedrückender als in den durch die Ausgangssperre geleerten Straßen der Hauptstadt, denn hier war die Dunkelheit beinahe vollkommen - wenn auch die Absenz von Helligkeit nicht groß genug war, alle Schatten zu verschlingen -, waren die Sterne über ihnen gleißende Punkte am tiefschwarzen Himmel, und nurmehr selten begegneten sie einem entgegenkommenden Händler, der jetzt noch wollte versuchen, seine Waren in die Stadt zu bringen - selbst wenn, dann suchte dieser durch die Gebete des Libitinarius gewarnt den größtmöglichen Abstand zwischen sich und den Leichenkarren zu bringen. Obgleich Gracchus sich nicht an den Schmerz und das Unwohlsein in seinem gesamten Leibe hatte gewöhnt, so war es doch nurmehr eine einzige, diffuse Wolke, welche samt und sonders ihn umhüllte, das Denken erschwerte und in eine rechte Trance ihn versetzte, in welcher er dumpf und bar jeden eigenen Willens nurmehr dem Signal folgte, welches die Flamme und das Gemurmel voraus ihm sandten, denn sein Vilicus hatte ihm zugesichert, dass der Libitinarius bis zur Abzweigung der Via Tiberina sie würde bringen. Erst der Schrei seines Sohnes löste die Starre aus Gracchus' Gliedern wie aus seinem Geiste, dass das Blut ihm in Wallung geriet wie kaum je wäre sein eigenes Leben in Gefahr. Die Litanei des Libitinarius verstummte im gleichen Augenblicke wie der kleine Tross zum Stehen kam, als Gracchus bereits die Handdeichsel hatte losgelassen und um den Wagen herum zu Minor eilte, welcher weinend am Boden kauerte. Keinen Augenblick verschwendete Gracchus einen Gedanken an die Möglichkeit ihrer Entdeckung durch dieses Geräusch, denn obgleich er bisherig in der Erziehung des Jungen selten dafür hatte Sorge getragen, Trost zu spenden oder Hinwendung zu gewähren, so ließ das Gebaren seines Sohnes doch alle väterlichen Saiten in ihm anklingen, mehr noch da ihm ohnehin bereits alle Nerven blank lagen.
    "Minimus"
    , suchte er den Jungen zu beschwichtigen, kniete sich nieder und umfasste den Oberkörper seines Sohnes mit den Armen, zog ihn an sich heran, dass Minors Kopf an seiner Brust ruhte.
    "Ich weiß, dies alles zehrt an deinen Kräften."
    Augenscheinlich wäre es doch besser gewesen, seinen Ältesten mit seiner Mutter fort zu schicken, denn obgleich auch deren Reise nicht sonderlich kommod mochte sein, so war ein klappriger Wagen doch besser als jene qualvolle Tortur, welche sie zu durchwandern hatten.
    "Doch wir dürfen nicht auf..geben, Minimus, wir müssen uns dem stellen, was die Götter für uns bereithalten."
    Sorgsam strich er Minor über das strohige Haar, suchte jene väterliche Stärke vorzugeben, welche seinem Sohn würde Kraft geben, welche er doch nicht in sich verspürte.
    "Es ist nicht mehr weit bis zum Brandplatz, keine halbe Meile mehr. Dort könnt ihr auf einem Wagen weiter fahren"
    , schalt sich der Libitinarius ein, dessen Stimme schwankte zwischen Unmut und Mitleid. Er streckte seine Hand zu Luka.
    "Gib mir die Fackel und nimm den Platz des Jungen ein. Dann muss er nur sich selbst bewegen, das wird er wohl noch schaffen."
    Mit einem Ruck schob Gracchus seinen Sohn von sich, stabilisierte ihn nur insoweit, dass er nicht würde umfallen, erhob sich und trat nah auf den Bestatter zu, dass sein Gesicht zur Hälfte wurde beleuchtet vom Schein der Fackel, die andere Hälfte im Dunkeln lag. In seiner tiefen Stimme schwang ein Hauch der Kälte mit, die seinen Leib umfasst hielt, denn so tief sie auch mochten in dieser Stunde gesunken sein, sie waren noch immer Flavier und niemand hatte das Recht, in derart despektierlichem Tonfalle über seinen Sohn zu sprechen!
    "Es wird nicht lange dauern bis dass der Tag kommt, an welchem wir wieder an jenem Platze stehen, der uns an..gemessen ist, der uns zusteht. An diesem Tage wirst du es bedauern, dass du uns heute nicht mehr Respekt hast zukommen lassen, ob dessen du allmähli'h damit beginnen solltest, dies zu tun, so dass ich womöglich geneigt sein werde, dein belangloses Leben in seiner Be..deutungslosigkeit unbehelligt zu lassen."
    "Ich habe keine Angst vor dir oder deinen Drohungen, Senator. Denn heute ist euer Leben anscheinend nichts wert - oder aber eine großzügige Belohnung, ganz wie man es betrachtet. Wenn ihr zu verweichlicht seid, Rom zu Fuß zu verlassen, dann hättet ihr in eurer prächtigen Villa darauf warten sollen, dass euch die Praetorianer abholen, vielleicht wären die mit einem Wagen gekommen!"
    Voller Zorn biss Gracchus seine Zähne aufeinander, dass ihm die Kiefer schmerzten, doch er drängte jede Erwiderung in sich hinab. Sie brauchten den Wagen, den der Libitinarius in Aussicht hatte gestellt, denn zu Fuß würden sie nicht vor Morgengrauen bis zur Via Tiberina gelangen. Ohne ein Wort drehte er sich um, trat um den Karren herum und kniete sich noch einmal zu Minor hinab.
    "Komm, Minimus, stehe auf, es ist nicht mehr weit bis zu einem Wagen. Flaccus' Sklave wird den Karren schieben, du kannst neben mir gehen."
    Behutsam fasste er seinen Sohn an den Schultern, um ihm empor zu helfen.

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  • Sich gänzlich seinem Leiden ergebend, blickte er nicht auf, ehe nicht Manius Maior ihm jene Zuneigung darbot, welcher er in diesem Augenblick so schmerzlich bedurfte. Mitnichten vermochte Manius Minor sich zu erinnern, dass sein Vater jemals sich zu einer derartig distancelosen Liebesbekundung hinreißen hatte lassen, weshalb er eine große Satisfaktion verspürte, welche seinen Schmerz und seinen Unwillen in der Tat dämpften. Dennoch war er erfreut, keine direkte Replik auf die parentalen Affirmationen formulieren zu müssen ob der Tatsache, dass es sich noch seiner Kenntnis entzog, ob er wahrhaftig aufstehen und seinen Weg fortführen konnte. Indessen führte er lethargisch seine schmutzige Hand zu seiner blutenden Lippe hin, ertastete den warmen Lebenssaft und begutachtete den im Mondlicht glänzenden, seltsam schwerfällig liquiden Stoff gedankenverloren, ohne die Zurechtweisungen des älteren Gracchus wahrzunehmen. All dies erschien geradezu kurios, mit keinerlei Impression komparabel und weitab jedweder Imagination, zu welcher er vor Stunden fähig gewesen wäre. All dies überextendierte seine Psyche, welche ob dessen sich nach innen wandte, während die korporalen Regungen auf scheinbar automobile Weise reagierte.


    Selbst jene Hand, welche ihn aufrichtete, erweckte ihn nur unvollständig aus der Trance, in welche langsam, doch beständig die Kälte der Nacht kroch und ihm ein Schaudern, schließlich gar ein Zittern, akkomodiert durch ein Klappern der Zähne abverlangte. So schritt er endlich neben seinem Vater her, einem wandelnden Häufchen Elend gleich, sich bisweilen den Lebenssaft von Unterlippe und Kinn wischend, sooft dieser sich seinen Weg gen Erde bahnte, kaum mehr wahrnehmend, was um ihn geschah. Sein Geist hatte sich gänzlich separiert von der physischen Welt, war indessen auch nicht in Träume abgeglitten, sondern hielt sich schlichtweg in einem schwebenden Status, der das Leid augenscheinlich am erträglichsten gestaltete...

  • Luka war er selbst und dennoch nicht. Er hatte die Fackel getragen, weil es ihm seinesgleichen so aufgetragen hatte. Ein freigelassener, der nicht besser oder schlechter war als er. Aber sie waren von ihm abhängig, weshalb Luka nichts sagte, auch wenn er die Qual der Menschen sah, der edlen. Der Familie der Flavier und er konnte nachvollziehen, wie elendig sie sich fühlten, wie sie litten, weil es unter ihrer Würde war. Und fast verspürte er für einen Moment, dass er innerlich grinste. Ja, nun weiss das verwöhnte Pack vielleicht mal, wie es einem ergehen kann. Aber schnell verbannte Luka seine elenden Gedanken, denn er hatte auch wirklich Mitgefühl. Sie kannten es eben anders, waren anderes gewöhnt. Aber es zeigte Luka eben auch, dass doch alle Menschen gleich waren, es kam nur auf die Situation an. Und er wollte nicht grollen.
    Er sah, dass sie litten und wollte helfen. Der Junge war am Ende und sein Vater half ihm. Flaccus sagte gar nicht mehr, auch er musste fertig sein.


    Für Luka war dies alles auch nicht leicht, aber er kannte solche Situationen. Er war im Gegenteil zu den feinen Herren der Flavier solch einer Situation gewappnet. Er war nicht so hauchzart und verletzlich. Aber er wollte nicht urteilen über diese Menschen. Er war nicht besser oder schlechter als sie. Sie hatten einfach unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Nur leider sah man oft in ihm nur einen Sklaven oder nun Libertanus,


    Luka wollte helfen, von sich aus. Er hatte seine Hilfe von sich aus angeboten aber nein, da musste der ach so hohe Herr ja noch über ihn verfügen und nannte ihn den Sklaven von Flaccus. Innerlich grollte Luka. Er war kein Sklave mehr.
    Und für den Moment war er drauf und dran, einfach fort zu gehen und diese Menschen sich selber zu überlassen. Die wussten ja eh am besten, was für sie gutt war. Arrogantes Volk.


    Aber dann tat Luka etwas, was ihm wichtig war. Er trat vor den alten Mann Garrcus und baute sich vor ihm auf. Es war einfach wichtig, zu zeigen was Sache war. Und sehr eindringlich sah er den Mann an, dem anzusehen war, dass ihm das alles hier nicht passte.
    »Werter Herr, ich bin kein Sklave mehr. Ich bin hier um zu helfen. Aber wenn Du mich immer noch als Sklave seht und die Realität verkennt, dann glaubt mit, dass ich mir und deinem Knaben nicht helfen werde. Also sei klug!«


    Luka war innerlich nun schon aufbrausend, hielt sich aber zurück. Er blickte auf den geschundenen Jungen, seinen Zustand und seine Lippen. Der Junge war am Ende. Und Luka wollte helfen.


    Und dann, ohne Worte, nahm Luka dessen Platz ein und schob den Karren. Aber Luka war enttäuscht und dann doch nicht. Er wusste, dass diese Römer alle arrogant waren. Und er erwartete nichts mehr von ihnen ... er hatte sein Schreiben, dass er frei war, in der Tasche, alles andere war ihm egal. Ausser Flaccus. ... Er verdankte ihmn nicht nur viel, nein, Luca mochte ihn ...


    »Kümmere dich um deinen Sohn! Ich werde den Karren schon schaukeln ...« sprach Luka dann und tat dasselbe. Er packte an mit einem Blick kurz auf Flaccus, der gar nichts mehr sagte, volltrunken vom Leid, was ihn wohl ereilte und Luka dachte nur_
    "Was für Schwächlinge allesamt.!"


    Und dann schob Luka einfach nur den Karren und wünschte sich weg von hier. Aber so einfach war das nicht.


    Und dann nieste er, obwohl er sich die Hand vor den Mund hielt. Aber Luka hatte sich erkältet, auch wenn er es nicht wahr haben wollte.

  • Es hatte mitnichten in Gracchus' Absicht gelegen, den Freigelassenen Luka durch seine Titulatur zu erniedrigen, ihm seine jüngst erlangte Freiheit abzusprechen - schlichtweg lagen Standeswechsel solcher Art außerhalb der Verständlichkeit seines patrizischen Weltbildes, und obgleich ihm durchaus war bewusst, dass selbst Seinesgleichen - bisweilen gar Mitglieder seiner eigenen Gens -, sich ab und an aus ihm gänzlich unerfindlichen Beweggründen dazu ließen hinreißen, zu ihren Lebzeiten noch einen Sklaven in bester Blüte in Freiheit zu entlassen, so war dieses Konzept für ihn derart unverständlich und unlogisch, dass die Tatsache, dass Luka, welchen er all die Zeit zuvor - wenn überhaupt - nur als Sklaven um seinen Herrn Flaccus herum hatte wahrgenommen, ihm in diesem surrealen Augenblicke nicht mehr und nicht weniger als dies konnte erscheinen. Gleichwohl war er nicht darauf vorbereitet, dass ein ihm als Sklave Erscheinender nun ebenfalls noch gegen seine Autorität sich auflehnte, selbst als Freigelassener augenscheinlich danach trachtete, ihn zu belehren oder gar zu drohen. Sichtbar, selbst im schemenhaften Dunkel der Nacht, hob sich seine Augenbraue, suchte beinahe über seine Stirne hinaus sich zu erheben, begann in seinem Inneren neuerlich der Vulkan seines Zornes zu brodeln. Keinen Deut scherte er sich um diesen Freigelassenen, hatte ihn nicht gebeten, sie zu begleiten - gegenteilig, Sciurus hatte diese Passage für die drei Flavier organisiert, und hätte nicht Flaccus den Vertrauten mit sich nehmen wollen, so hätte nun zweifelsohne einer der Männer des Libitinarius den Karren geschoben, Minor allfällig von Beginn an die Fackel tragen dürfen. Ein leises Grollen drang aus Gracchus' Kehle empor, doch nicht mehr, denn der Libitinarius setzte bereits den Weg fort, dass sie sich ebenfalls mussten in Bewegung setzten, wollten sie nicht den Anschluss an das Licht verlieren. Tatsächlich dauerte es nicht mehr allzu lange, bis dass sie endlich den Brandplatz neben der Via Flaminia erreichten. Im trüben Schein mehrerer Fackeln war ein Scheiterhaufen aufgerichtet, neben welchem ein schmaler Bursche in einem hellen, weißfarbenen Gewand stand.
    "Da bist du ja endlich! Ich dachte schon, du kommst nicht mehr. Hoffentlich hat sich das Warten wenigstens gelohnt! Was hast du für mich?" drang eine dunkle Stimme durch die Nacht hindurch, welche zweifellos nicht von dem Mann neben dem Scheiterhaufen stammte, sondern einem, welcher noch im Schatten der Nacht war verborgen.
    "Die Stadt ist voller Soldaten, es ist nicht so einfach, den Geschäften nachzugehen, selbst für einen ehrlichen Leichenbestatter wie mich." Der Libitinarius lachte heißer. "Ich habe zwei für dich. Außerdem habe ich noch vier Lebende. Wenn du sie ein Stück mitnimmst, bekommst du die zwei Toten umsonst."
    Eine Gestalt löste sich aus der Dunkelheit, trat in den Kreis der Flammen und kam auf die Gruppe um den Libitinarius zu, so dass in ihrem Feuerschein ein bärtiger Mann sichtbar wurde, dessen Augen von tiefen Schatten waren umrahmt, von welchen Gracchus nicht genau konnte bestimmen, ob diese durch das Licht geworfen wurden oder zu seiner Haut gehörten.
    "Was für Leute sind das?"
    "Das ist nicht wichtig. Sie sind anstelle meiner Sklaven aus der Stadt hinaus, weil niemand ohne Grund nach draußen darf. Nimm sie nur bis zur Via Tiberina mit."
    "Hm. Na gut. Zwei können vorne sitzen, aber zwei müssen nach hinten."
    "Das ist sicher kein Problem. Secundus!" bellte der Libitinarius zu der schmalen Gestalt neben dem Scheiterhaufen. "Hilf mir beim umladen, die hier taugen als Arbeiter nichts!" Wieder lachte der Libitinarius kehlig, während der bärtige Mann nur missbilligend grunzte, sich dann aber in Bewegung setzte. Er befestigte seine Fackel in einer Halterung an einem Wagen, vor welchem im fahlen Schein zwei Pferde sichtbar wurden, und schaute dem Libitinarius und seinem Sklaven zu, wie sie zwei der drei Toten von dem Leichenkarren auf die Ladefläche seines eigenen Wagens luden. Dann winkte er den Flaviern zu.
    "Los, zwei vorne auf den Bock und zwei hinten auf den Karren. Ich hab schon genug Zeit mit Warten verloren."
    Unschlüssig blickte Gracchus auf die Umrisse des Wagens, auf welchem die Leichen verschwunden waren. Hinten auf dem Karren musste zweifelsohne bedeuten, direkt neben diesen Toten zu sitzen. Er schluckte einen Kloß seine Kehle hinab, welcher beinahe ihm den Atem raubte, trat dann zu Minor und Flaccus.
    "Ihr beide geht nach vorne"
    , sprach er leise ohne ihnen allzu lange in die Augen zu blicken, drehte sodann sich zu Luka um.
    "Du, Freigelassener, kannst entweder mit mir nach hinten, oder du gehst deiner eigenen Wege. Ich habe dich nicht ge..beten, mit uns zu kommen, und weder mein Sohn, noch ich bedürfen deiner Hilfe, ebensowenig wie mein Neffe. Wenn du den Wert nicht hast erkannt, welchen dir Flaccus hat zu..kommen lassen, wenn du ohnehin nicht hast durchdrungen, was es bedeutet ein Teil der römischen Gesellschaft zu sein, glei'hwohl du nicht begreifst oder aber dir gänzlich einerlei ist, was hier geschieht und weshalb wir dies tun, so ist es allfällig besser, du nimmst deine Freiheit und ver..geudest sie anderswo, ehedem du noch unserer Familie Schaden bereitest."
    Selbstredend war es ein Risiko in diesen Zeiten, dem Mann derart vor den Kopfe zu stoßen, doch dies war in keinem Augenblicke Gracchus bewusst. Selbst am untersten Bodensatz der Tatsachen angelangt, in den tiefsten, schlammigen Rinnen des Lebens stehend, wie sie tiefer nicht konnten sein, erniedrigt bis auf die bloße Haut konnte er nicht den Grenzen seiner eigenen Welt entkommen, konnte er nicht die - zweifelsohne limitierten - Gefilde seiner Gedankendimensionen verlassen. Er wartete keine Antwort ab, trat hinter den Wagen, um dort seinen Platz zu finden für den nächsten Abschnitt der Reise. Als er dort angelangte, leuchtete der schmächtige Sklave des Libitinarius ihm mit der Fackel, doch Gracchus wünschte sich, er hätte dies nicht getan, denn in dem goldfarbenen Schimmer waren nicht nur die Umrisse jener beiden Leichname zu entdecken, welche sie selbst den gesamten Weg aus Rom bis hierher hatten gezogen, sondern noch einige weitere Korpora , die starr und reglos auf den Brettern lagen. Kurz schloss er einige Herzschläge lang die Augen, mühte sich nicht allzu tief einzuatmen und dennoch irgendwie seinen Verstand zu klären, hielt sich fest an dem, an was er Luka das Interesse hatte abgesprochen, daran, was hier geschah und weshalb sie dies taten. Hernach fasste er den Rand des Wagens und mühte sich umständlich mit Unterstützung des Sklaven hinauf auf die Ladefläche zu kommen. Wie weit würde er sich noch von sich selbst entfernen, wie weit sich noch erniedrigen lassen müssen, bis dass diese Odyssee, welche gerade erst hatte begonnen, endlich ein Ende würde finden? Er wurde nicht müßig, beständig seine Gedanken um diese Frage kreisen zu lassen, und hoffe darauf, dass das anvisierte Ende dieser ersten Etappe ein wenig mehr Hoffnung auf Zuversicht mochte bieten können.

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  • Auch nachdem sie die Stadttore hinter sich gelassen hatten, gestaltete sich das weitere Fortkommen für die Flavier nicht weniger mühsam. In schier unendlicher Monotonität kämpften sie sich vorwärts, einen Zustand höchsten Elends kaum ertragend, bis schließlich der kleine Manius es war, welcher als Erster unter der Bürde der Situation zusammenzubrechen schien. Frierend, völlig erschöpft und dennoch dankbar über die Pause wandte sich Flaccus hin zu seinem Neffen für welchen die Umstände dieser Flucht noch tausendmal schlimmer mochte zu ertragen sein und den sein Vater nun halb tröstend, halb drängend wieder auf die Beine empor zu heben suchte. Von dem Konflikt jedoch, welcher sich zwischen Luka und Gracchus anzubahnen schien, nahm er schlichtweg nichts mehr wahr, da er schon wieder nach vorne blickte und sich anschickte, die elende Reise fortzusetzten, auf dass Tod oder Erlösung das Ziel sein mochten. So fristete er die nächste Zeit in einem Zustand dämmriger Abwesenheit, sein Geist schien seltsam umnebelt, und vermochte nicht zu erklären, ob dieser seltsame Umstand den Geistern der Toten, giftigen Dämpfen aus deren Körpern oder schlichtweg der eisigen Kälte zuzusprechen war. Dennoch schien ihm dieser ungewöhnliche Zustand der Schwebe, in welchem sein Geist sich gegenwärtig befand, gleich einem Geschenk der Götter, drängte er doch die Schmerzen erfolgreich aus seinem Empfinden und schuf stattdessen ein weites Feld vollkommener Leere. - Irgendwann kam der goldfarbene Schein einiger Fackeln in Sicht, in deren Mitte ein Scheiterhaufen aufgeschichtet worden war, um die Körper der Toten von dieser Welt in jene andere zu transferieren. Von Gracchus dazu aufgefordert, nahm er am Bock des Karrens Platz und hatte zum ersten Mal seit dem Aufbruch von der Villa Gelegenheit, die gegenwärtige Situation mit allen Sinnen wahrhaftig zu erfassen. Er spürte ein regelmäßiges Pochen in der brennenden Innenfläche seiner Hände und ein zaghafter Blick zeigte ihm geschundene, von getrocknetem Blut verkrustete und von frischem Blut feuchte Hände, welche er beim besten Willen nicht als seine eigenen zu erkennen vermochte. Seine Zehen schienen durch die Kälte völlig taub, wie er auch am ganzen restlichen Körper bitter fror und deshalb zitterte wie Espenlaub. Nachdem er sich also des miserablen Zustands seines eigenen Leibes bewusst geworden war, nahm er nun auch sein Umfeld erstmals bewusst wahr. Er erblickte den schmalen Burschen im hellen Kleid und den Bärtigen mit der dunklen Stimme. Dann erst traf ihn mit einem Schlag der schreckliche Gestank, dessen Quelle er in seinem Rücken glaubte und ein Blick über die Schulter offenbarte ihm die Ursache. Mit einem Gefühl als würde sein Magen sich nach außen kehren, übergab sich Flaccus vom Karren herab auf den kalten Boden.

  • Luka schluckte leicht, als er sich schliesslich die Standpauke dieses arroganten Römer anhören musste. Und wäre es eine andere Situation, so wie damals in seiner Heimat, hätte er ihn wohl geschlagen. Aber Luka hatte gelernt und wusste, dass er seine neugewonnene Freiheit auch nicht auf das Spiel setzen wollte. Natürlich war er recht direkt gegenüber diesem "Familienoberhaupt" gewesen. Aber es hatte nichts genutzt. Der Mann war zu fertig, zu se.lbstmitleidig, was seine Situation anging. Er hatte Haus und Heim und Familie verloren ... nein noch schlimmer, seinen all zu guten Ruf, wie auch immer der einst aussah.


    Luka stand einfach da, stolz, wie er war und hörte sich die Worte an. Versuchte nicht zu zeigen, wie es ihn aufbrachte, dass dieser alte Mann noch so arrogant sein konnte. Aber so waren eben die Römer. Oder die meisten.
    Und von Flaccus, seinem einstigen Herren erwaartete er auch keine Hilfe, denn Luka BRAUCHTE keine Hilfe. ER hatte in seiner Heimat nicht nur Leichen gesehen, nein, er hatte seine LEUTE tot gesehen, denn das machte einen großen Unterschied. Er hatte seine Kämpfer tot gesehen und dann seine Frau und seine Kinder. Und diese "Adligen hier" kotzten sich schon wegen ein paar fremden Leichen voll ...


    Natürlich war das kein schöner Anblick. Schon gar nicht für wen, der es nicht kannte. Aber Luka wunderte sich, wie ruhig er blieb, nachdem man ihm deutlich sagte, was dieser Gnom von ihm hielt. Und Flaccus war nicht besser. versunken in Selbstmitleid oder sonst was, ergab er sich schliesslich nur, als er die Toten sah und fast war Luka wirklich enttäuscht von seinem ehemaligen Herren. Überhaupt, waren sie nicht geflohen, weil sie Verschwörer waren am Tod des Kaisers? Und nun dieses erbärmliche Bild? Und so etwas hat mal Rom regiert? Oder teilweise? Pfui!


    Da hatte ja Luka mehr Ehre im Leib, auch wenn er mal ein Sklave war. Und er war sicherlich alles andere als ein Superheld. Und so vernahm er die Worte des älteren Mannes, des sich versuchte daran hochzuhalten, dass er mal jemand war und auch wenn Luka am liebsten noch in diese Wunde schlagen wollte vor Argwohn und Wut, unterliess er es. es hatte ja keinen Sinn. Es hatte aber auch keinen Sinn, weiter etwas zu sagen. Oder zu sagen, wie es weiterging, er war ja eh nur in den Augen alle ein Sklave. Dennoch war er kurz davor, hart durchzugreifen. Aber wie? Man nahm ihn eh nicht ernst. Und Flaccus? Einen Menschen, den er verehrte, zeigte nur, dass er vielleicht doch nur eine Memme war?


    Luka wollte nicht so hart sein, denn er selber fand den Anblick und den Geruch der Leichen ja auch schrecklich. Aber warum sollte er noch helfen, wenn niemand da war, der auch ihn unterstützte. War Freundschaft nicht ein Geben und Nehmen? Freundschaft? Luka lachte auf einmal leicht auf, als er sich dies hier alles anschaute. Er mochte ein "Freier" sein und war es dennoch nicht, das hatte Manius Flavius Gracchus ihm schon deutlich gezeigt. Ein sicherlich auf seine Weise weiser Mann ... aber vom wirklichen Leben hatte er keine Ahnung.


    »Ja, du haben Recht. Es waren nicht gut, dich so anzusprechen, Senator, es tun mir leid ...« sprach Luka dann einfach nur und meinte es ehrlich, aber inzwischen war sich Luka klar darüber, dass es eh nichts mehr brachte. Der Mann war zu fertig. Er hatte alles verloren, sein Ansehen, sein Haus, seine Ehre. Leider war er sich nicht mehr daarüber bewusst, dass er sein Leben noch hatte.
    Luka gab heimlich nach. Aber dann wandte er sich nach vorne zu Flaccus, der sich übergab. Luka hatte leichtes Mitleid, aber es reichte ihm langsam. Hier waren einst einflussbare Männer, die sich nun in die Hosen machten. Vielleicht war es gut, was passierte, dass sie flohen. Wer wollte denn solche Memmen schon als Senatoren.


    Luka sah, wie sich Flaccus übergab und trat vorsichtig an ihn heran. »Reiss dich zusammen, Dominus! Und schaue nach vorne. Dein Onkel will das ich gehe. Wenn du das auch willst, tue ich es. Ich will euch nicht im Weg stehen. Aber verdammt noch mal, reiss dich zusammen, egal was passiert ist.« Dies alles versuchte er so leise an Flaccus heranzutragen, wie es ging und reichte ihm ein Tuch, was er zufällig in seinen Dachen fand.
    »Quintus Flavius Flaccus, reiss dich zusammen! « beschwor Luka dann seinen ehemaligen Herren und meinte es gut. Nun würde sich entscheiden, ob Luka blieb oder wirklich sein eigenes freies Leben in die Hand nehmen würde können.
    »Verdammt noch mal!« rutschte es dann Luka so heraus. Er meinte es nicht böse. Er selber hatte doch auch schreckliche Angst. Da war er endlich frei und schloss sich Staatsfeinden an. Aber er hatte Flaccus doch geschworen, ihm bei zustehen. Wenn dieser ihn nun nicht mehr wollte, würde Luka gehen. Wohin auch immer.
    »Flaccus! Komm zu dir!« sprach er auf griechisch und sehr eindringlich und reichte ihm ein Tuch, wegen dem Erbrochenen um seinen Mund und so.
    »Flaccus! Ich bin dein Freund, ich will helfen und für dich da sein, wenn du es annehmen willst ... komm zu dir. BITTE« Luka mochte seinen ehemaligen Herren und wollte alles für ihn tun und versuchte es nun auch.


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    Lukas Freilassung
    Luka heisst nun Quintus Flavianus Luka (mit K statt C)
    Signatur für Luka's Sprache in Posts: Luka spricht griechisch | Luka spricht gebrochen Latein

  • Es entging dem Knaben gänzlich, welche Differenzen der Libertinus und sein Vater austrugen, indessen drängte sich in seinen geschundenen Geist die Frage, aus welchem Grund sich hinter jeder jener grauenerregenden Etappen, welche sie zu durchlaufen hatten, neuerlich blasse, leblose Corpora verbargen, deren abstoßender Odeur nicht nur die Contenance des jüngsten, sondern auch den nächstjüngeren Flavius überstrapazierte, auf. Folglich entleerte auch Manius Minor sich in geradezu solidarischer Weise, als er sich, den Sitz des Wagens erklimmend, Onkel Flaccus beim Vomieren zu beobachten genötigt sah, was einen der Libitinarii ob der grotesk anmutenden Similaritäten zu einem kurzen Auflachen verführte. Jener weitere Körpersaft, welcher sich im Munde des Knaben mit Speichel, Blut und Nasensekret vermischte, verleitete den Knaben zu wiederholtem Ausspeien und ließ ihn mit letzter Kraft einen Wunsch nach
    "Wasser!"
    verbalisieren. All dies überstieg seine Physis wie Psyche beiweitem.

  • Erschöpft blickte Flaccus Luka an, jenen Mann, in welchem er stets weitaus mehr als einen treuen Begleiter gefunden zu haben geglaubt hatte. Er nahm das dreckige Stückchen Stoff, das ihm der Dalmate entgegenhielt und fuhr sich damit nachlässig über das unrasierte Kinn. Man mochte es wohl dem kräfteraubenden Marsch, der unangenehmen Kälte, der späten Stunde, der allgemeinen nervösen Gereiztheit des jungen Flaviers ob des Fehlschlags der Verschwörung und der schlichtweg unzumutbaren gegenwärtigen Situation zuschreiben, doch die wiederholten Worte Lukas, er solle sich verdammt nochmal "zusammenreißen", bewirkten lediglich, dass eine völlig irrationale, in Anbetracht der äußeren Umstände allerdings nicht sonderlich abwegige, Welle der Agression aus seinem erschöpften, überspannten, und verzweifelten Inneren hervorbrach und sich in einer harschen, nie dagewesenen Feindseligkeit über Luka ergoss. "Ich soll mich zusammenreißen?", er klang gereizt und blickte den Freigelassenen direkt an, während Wut und Empörung in seinen Augen funkelten. "Wir sitzen hier auf einem verdammten Leichenkarren und dieser irre Fettwanst hat uns vermutlich schon die Prätorianer auf den Hals gejagt um uns in den verfluchten Hades zu schicken!" Vergessen schien die zart entsproßne Freundschaft, vergessen die Tatsache, dass es Luka gewesen war, der ihm sein junges Leben gerettet hatte. Im gegenwärtigen Moment, an der Klippe zum Abgrund bloßer Existenz war es in erster Linie nackte Furcht, die den Patrizier in ihrem Bann hielt, während sein Gebaren unschöne Züge von Arroganz und Agression annahm. "Wenn Gracchus will, dass du gehst, dann hau' doch ab! Du bist frei, wieso solltest du noch länger hier bleiben?" In einer umfassenden Geste wies er um sich. "Rette dein erbärmliches Leben und verschwinde!", die letzten Worte spie er Luka regelrecht ins Gesicht, während seine Augen beinahe ein irres Funkeln überzog und er wild gestikulierte. Alle Verzweiflung, alle Empörung und Erschöpfung, alle Schmerzen und alle Aggression der letzten Stunden entlud sich in geballter Feindseligkeit gegen Luka, der ihm in dieser schwierigen Situation offensichtlich lediglich als jener Freund zur Seite hatte stehen wollen, den er in dieser düsteren Stunde bitter nötig hatte.

  • Es war nicht so, dass der Anblick der aschfahlen Leichen auf dem Karren Luka kalt liess, aber er hatte so etwas nicht zum ersten Mal gesehen. Damals, in seiner Heimat, hatte er seine eigenen toten Kämpfer vom Schlachtfeld gesammelt und ihre Gesichter gesehen. Doch Luka war sich durchaus bewusst, dass dieser Anblick und besonders der Geruch, welcher von den Toten ausging und das ganze noch unangenehm verstärkte, kein gewohnter Anblick für die drei Flavier war.
    Vielleicht war Luka doch zu hart gegenüber seinem ehemaligen Herren gewesen? Er hatte ihn nicht bevormunden wollen. Er hatte geglaubt, Flaccus aus seiner Lethargie zu stossen, aber es war etwas anderes eingetreten. Etwas, was Luka durchaus betrübte, mehr noch als das. Die Worte seines einstigen Dominus stachen wie kleinen Dolchstösse in sein Herz. Luka schluckte merklich, aber wahrscheinlich nahm dies der Flavier eh nicht wahr.
    Trotzdem hatte er noch mitbekommen, wie der Junge, fast so aschfahl wie die Leichen, leise um Wasser bat.
    Luka hatte selber nicht viel dabei, besaß eh kaum mehr als das, was er am Leibe trug und den Beutel mit seinen wenigen Habseligkeiten. Aber an einen Wasserschlauch hatte er gedacht. Und so reichte er diesen dem Jungen, nickte ihm dabei nur einfach zu, mit einem versucht aufmunternden, aber ernsten Gesichtsausdruck, denn die Worte von Flaccus schnitten sich doch tief in Lukas Seele.
    »Tun behalten den Wasserschlauch, Herr! Du wirst brauchen. « hatte er dann nur noch zu Minor leise gesagt und meinte es nicht arrogant. Er wusste auch wie er sonst an Wasser kam, das war das geringste Problem. Aber gerade dem Jungen musste alles unglaublich schwerfallen und Luka wollte einfach nur helfen. Dann schaute er fast ein wenig traurig zu Flaccus, der sich in seiner Verzweiflung beinahe in Rage geredet hatte.


    Luka aber blieb so ruhig, wie es ihm gerade gelang, denn er ahnte, dass Flaccus es eigentlich nicht so meinte. Nein, Luka WUSSTE es. Warum auch immer. Flaccus war nun einmal ein doch eher "zartbesaiteter Mann", der eher vergeistigt, als hartgesotten war. Und Luka hatte es ja allen drei Flaviern angesehen, wie sehr ihnen dies alles zu schaffen machte. Kein Wunder. Einst lebten sie in Saus und Braus in einer feinen, edlen Villa und waren angesehene Leute gewesen.
    Dies alles hatten sie nun zurücklassen müssen. Luka konnte es ihnen nicht verdenken, dass sie verzweifelt, erschöpft und entmutigt waren. So hatte er sich damals gefühlt, als die Römer ihn gefangen genommen und aus seiner Heimat geschleift hatten.
    Ähnlich musste es diesen Menschen hier gehen, vielleicht sogar noch schlimmer, da sie ein "einfaches" und "hartes" Leben wie Luka nie gelebt hatten.


    Aber es war nicht so, dass Luka mit höhnischer Verachtung oder zynischen Mitleid auf sie herabblickte. Im Gegenteil. Er versuchte wirklich zu verstehen. Dennoch war alles, was sich hier abspielte eine traurige Angelegenheit.


    Luka hatte helfen wollen. Aber niemand wollte seine Hilfe. Und er war deshalb nicht beleidigt, nur enttäuscht, denn schliesslich liess ihn dies hier alles nicht kalt. Aber er schaffte es, seinen Stolz weit nach hinten zu schieben. Vielleicht hätte er das auch schon bei dem älteren Flavier tun sollen. Vielleicht musste er sich selber Zeit geben und der Umwelt, zu sehen, dass er kein Sklave mehr war und eigentlich im herzen immer frei gewesen war. Also schaffte es der Dalmate irgendwie, seine leicht aufkeimende Wut und gekränkten Stolz hinten anzustellen, ja regelrecht zu unterdrücken.


    Dennoch, die Worte, gerade aus Flaccus Mund, taten weh. Aber Luka versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Diese Menschen waren in einen tiefen Abgrund gefallen und gaben sich nun dem Selbstmitleid hin, was Luka versuchte zu verstehen. Und Luka war froh, nicht in ihrer Haut zu stecken.
    So, so, für Flaccus war Lukas Leben also erbärmlich, schob es sich dann dennoch in Lukas Gedanken und er kam nicht umhin, innerlich laut aufzulassen wegen dieser arroganten Boniertheit. Aber schnell schob er seine Gedanken bei Seite. Er nickte Flaccus mit ausdrucksloser Mimik an und kramte in seinem kleinen Beutel nach einem Gegenstand, den ihm Flaccus einst vor der Freilassung geschenkt hatte.


    Er zog den pachtvollen pugio hervor, den Dolch, dessen Griff aus afrikanischem Elfenbein bestand. Es war das kostbarste, was Luka besaß, außer seinem Leben, das ihm heiliger war. Er legte diesem schönen Dolch in Flaccus Schoß, in einer Weise, die keine Widerrede erlaubte. Und Luka tat dies nicht einmal nur aus Selbstlosigkeit. Vielleicht würde Flaccus eines Tages diesen Dolch ansehen, wenn es ihm besser ging und sich erinnern. Wie auch immer. Oder er würde ihn von sich neben den Wagen werfen, aber dann würde Luka ihn später aufsammeln ...


    »Gut, ich werde gehen, Dominus ...« kamen dabei die Worte fast sanft, aber auch leicht betrübt über Lukas Lippen. Er hatte Flaccus extra so angeredet, denn ihm war auch klar, dass die Menschen vielleicht auch so handelten, weil sie selber so sehr am Ende waren, dass es ihnen vielleicht half, andere, die vielleicht noch tiefer gesunken waren, herabwürdigend zu behandeln, damit sie sich selber nicht ganz so schlecht fühlten. Dabei fühlte sich Luka beinahe besser als die Flavier hier, denn er hatte seine Heimat, sein Haus, seine Familie eh schon vor langer Zeit verloren. Er hatte schon auf ähnliche Weise durchgemacht, was diese erst noch leben mussten.
    Aber genau dies war immer Lukas Motto gewesen: Leben! Das war das Wichtigste.


    »Nimm dies, Freund, es wird dir vielleicht gute Dienste erweisen. Und mach es gut. Es wird es!« Auch diesmal hatte Luka seine Worte weise gewählt. Dann blickte Luka seinen ehemaligen Herren an und ein kleines Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. Ein Lächeln, welches nicht zynisch oder arrogant wirkte. Es war ein freundlich gemeintes Lächeln. das zeigen sollte, dass er ihm nicht einmal zürnte, trotz der vorhergegangenen doch recht harten Worte.


    »Können wir nun weiter!!« kam es grob von dem anderen Libertanus. Ein Wunder, dass er nicht schon früher aufbegehrt hatte.


    Luka nickte ihm nur zu und ging dann einfach zurück. Innerlich war Luka unglaublich traurig, aber er fühlte sich auch seltsam seelisch stark, warum auch immer. Denn eines wusste er, auch wenn einstiger Herr es vergessen hatte: Luka hatte ihm versprochen, auch nach seiner Freilassung an seiner Seite zu weilen und ihn zu unterstützen. Trotz der Verschwörung, die nun schief gelaufen war. Luka mochte Flaccus, erinnerte sich sogar daran, wie er einst gemeint hätte, dass er auf Luka doch gar nicht verzichten wollte.
    Was hatte er damals noch gesagt: "Aber natürlich, wie könnte ich nur auf dich verzichten?" Leicht schmunzelte Luka, während er dem Karren und den Lebenden, wie Toten dort den Rücken zukehrte und seiner Wege ging.


    Doch weit würden ihn seine Füsse nicht tragen, denn er hatte vor, dem Karren heimlich und in einigem Abstand zu folgen. So konnte er auch mitbekommen, wenn tatsächlich die Prätorianer ihnen auf den fersen waren und sie vielleicht irgendwie aufhalten.
    Denn eines wusste Luka mit tödlicher Sicherheit: Niemals würde er Flaccus einfach so alleine lassen. Er hatte ihm doch schliesslich etwas versprochen, etwas, was er auch für sich selber nur zu gerne halten wollte, mochte er den Mann doch schliesslich sehr. Trotz seiner fast vernichtenden Worte eben noch, die Luka ihm aber längst verziehen hatte und es auf die grausame Situation des Mannes schob.


    Sim-Off:

    Luka wird dem Karren unauffällig folgen. Notfalls auch im Laufschritt. Er wird euch nicht aus den Augen verlieren. Aber ihr könnt mich dann erst einmal mitschleifen *g* Ansonsten alles weitere per PN.


    ---
    Lukas Freilassung
    Luka heisst nun Quintus Flavianus Luka (mit K statt C)
    Signatur für Luka's Sprache in Posts: Luka spricht griechisch | Luka spricht leicht gebrochen Latein

  • Der Bärtige betrachtete das sich abspielende kleine Drama eines jeden einzelnen Beteiligten mit mürrischem Gesicht. Dies alles kümmerte ihn nicht, er hatte seine eigenen Dramen, welche ihn bewegten, so dass er sich behände auf den Bock setzte als alle, die augenscheinlich würden mitfahren, auf seinem Wagen waren und ein wenig sich zu Flaccus hinbeugte, dass sein Gesicht dicht vor dem des Patriziers hing, sein miefiger Atem dem jungen Mann ins Gesicht schlug.
    "Kein Wort von euch, ich will überhaupt nicht wissen, wer ihr seid, wo ihr herkommt und wo ihr hin wollt! Und kein Gejammer!". Dann zog er an den Zügeln und schnalzte mit der Zunge, dass die Pferde sich in Bewegung setzten. Verkrampft hielt sich Gracchus an der niedrigen Seitenwand des Karrens fest, weniger aus Furcht er könne über die Ladefläche nach hinten hinausfallen, sondern mehr da er fürchtete, er könne bei einem Ruck oder einer Bodenunebenheit weiter zur Mitte des Gefährtes hin fallen, den Leichen entgegen, deren tote Körper mit jeder Bewegung des Wagens mit schaukelten, einem treibenden Boot auf den Wogen des Meeres gleich, suchte gleichsam das Rumoren zu bezwingen, welches auch in seinem Magen wütete. Nur wenige Augenblicke vergingen, dann war der Brandplatz nurmehr eine Ahnung, der zurückgelassene Luka kaum mehr als eine Reminiszenz, ebenso wie der Libitinarius, der sie aus der Stadt hatte hinaus gebracht. Endlos mutete Gracchus der Weg bis zur Via Tiberina an, welcher ihm sonstig stets nur so kurz erschienen war, endlos schien gleichsam gnädigerweise die Nacht, welche ihre Flucht noch immer umhüllte. Er konnte nicht hören, ob und was vorn auf dem Bock gesprochen wurde, denn das Rumpeln der Räder unter seinem Gesäß surrte alsbald ihm in den Ohren, wiegte ihn beinah in einen gefälligen Dämmerzustand, in welchem alles Geschehen nichtig war. Erst als der Wagen mit einem Ruck zu stehen kam, er bedrohlich nah den Leichen zufiel, wagte Gracchus einen Blick um sich her, respektive aus seiner Sicht nach vorn, auf jenen Weg, welchen sie hatten zurückgelegt.
    "Wir sind da, hier biegt die Tiberina ab", drang dröhnend die Stimme des Bärtigen vom Bock, dass Gracchus fürchtete, man würde ihn noch in Rom hören können. Mühsam schaffte er seinen Leib von der Ladefläche des Wagens, schwankte einige Augenblicke als seine Füße den Boden berührten und schloss die Augen, bis dass er sich seiner Balance wieder halbwegs sicher war.
    "Hier, nehmt die mit." Der Bärtige nahm eine Fackel, entzündete sie an der Flamme, die noch immer vorn am Wagen steckte und drückte sie Flaccus in die Hand, nachdem Minor und er den Bock hatten verlassen. Dann schnalzte er und zog an den Zügeln. "Viel Glück", wünschte er ihnen mit einem leisen, kehligen Lachen, ehedem der Wagen mit seinem einsamen Licht langsam in der Nacht verschwand. Gracchus versuchte seinen Sohn und seinen Neffen nicht allzu genau zu mustern, die wie verschreckte Larven ihm gegenüber standen, entschied sich etwa im gleichen Augenblicke, nun auch endlich dem Drängen in seinem Innersten nachzugeben.
    "Wartet einen Augenblick."
    Mit großen Schritten verließ er den Kreis des Lichtscheines, stolperte in ein Feld hinein und ließ sich kraftlos auf seine Knie fallen als er glaubte im Dunkel der Nacht verborgen zu sein. Augenblicklich drängte die Feuchtigkeit des Bodens durch den dünnen Stoff des Gewandes auf seine Haut, doch Gracchus spürte dies nicht mehr, presste nurmehr die Hände auf seinen Bauch während sein Leib suchte sich all der Scheußlichkeit der letzten Stunden zu entledigen. Es war nicht viel, das seinen Magen durch die Kehle hin verließ, denn ob der Aufregung hatte Gracchus am Abend zuvor kaum nur etwas zu sich genommen, dass er alsbald nur mehr würgte, sein Leib sich krampfte unter der sinnlosen Anstrengung. Ein paar Mal sog er schlussendlich tief die kalte Luft in seine Lungen, wischte mit dem Ärmel sich über den Mund, ehedem er sich mit der Linken auf dem matschigen Boden abstützte und umständlich wieder in die Höhe hob. Einige Schritte noch tolerierte er das schwächliche Taumeln seines Körpers, dann rief er sich die Empörung und den Zorn in Erinnerung, welche ihn hatten in diese Situation geführt, und straffte seinen Leib als er in den Feuerschein der Fackel trat, seiner Stimme ein Hauch der Kälte anhaftete, welche um sie her vorherrschte.
    "Was auch immer geschieht, was auch immer noch vor uns liegen mag, niemals darf bekannt werden, wie wir Rom in dieser Nacht ver..lassen haben! Nicht ein Wort darüber darf über eure Lippen dringen, hört ihr? Ni'ht einmal der Anschein einer Andeutung!"
    Gracchus' Blick und die Couleur seiner Stimme wurden milder und er suchte ein Lächeln um seine Lippen zu legen, was jedoch ihm nicht gänzlich wollte gelingen.
    "Das schlimmste liegt nun hinter uns. Seht ihr das Licht dort oben? Dort liegt der Landsitz eines Freundes, dort können wir uns waschen, umziehen und ein wenig ausruhen, ehedem wir mit Pferden und ausrei'hend Verpflegung weiter reisen."
    Die Villa Rustica Cornelia lag etwa ein Stadium von der Straße entfernt auf einer kleinen Anhöhe, welche über einen gepflasterten Weg zu erreichen war. Trotz ihrer Verfassung erreichten sie die umsäumende Mauer wenig später und Gracchus pochte an das gewaltige Tor, über welches der Schein von Fackeln in den Himmel sich empor hob. Es waren einige Geräusche zu hören - eine Leiter wurde an die Mauer neben dem Tor postiert, sodann kletterte jemand diese empor -, ehedem ein ovaler Umriss - der Kopf eines Mannes, der über die Mauer blickte - gegen das Licht sich abhob.
    "Verschwindet!" rief er hinab, nachdem er sie mit wenigen Blicken hatte gemustert. Durch ihre eigene Fackel waren sie zweifelsohne gut zu erkennen. "Oder wir lassen die Hunde nach draußen!"
    Selbstredend hatte Gracchus nicht erwartet, dass man sie ohne Fragen würde einlassen, doch hatte er auch nicht vorausgesehen, welchen Anblick sie bieten mussten, so dass er alle noch in ihm vorhandene Kraft in seine Stimme legte, um ihr die notwendige Auctoritas zu verleihen.
    "Ich bin Manius Flavius Gracchus, Senator und Pontifex der Stadt Rom, und zudem ein guter Freund deines Herrn Cornelius Scapula. Ich ... wir sind in einer überaus wi'htigen Angelegenheit unterwegs. Lasse Tiboetes an die Pforte kommen, er wird meine Person be..stätigen!"
    Der Mann auf der Leiter zögerte, dann verschwand er ohne ein weiteres Wort wieder hinter der steinernen Umfassung. Beinahe glaubte Gracchus bereits, man hätte sie vergessen, doch irgendwann wurde neuerlich die Silhouette eines Kopfes über der Mauer sichtbar.
    "Zeigt euch im Licht!"
    "Tiboetes?"
    Gracchus trat an die Fackel in Flaccus' Hand, dass sein Gesicht beleuchtet wurde.
    "Ich bin es, Flavius Gracchus. Du musst uns einlassen, wir brauchen die Unter..stützung deines Herrn."
    "Ich kann dich nicht richtig erkennen, Herr, und du siehst nicht gerade aus wie ein ehrenwertes Mitglied der Gesellschaft."
    "Dies ist der Grund, weshalb wir hier sind, Tiboetes."
    Gracchus sann kurz nach, ehedem er fortfuhr.
    "Erinnerst du dich an das Armilustrium im letzten Jahr? Dein Herr und ich kamen nach dem Zug der Salier hierher, und Scapula präsentierte mir ein Lied, wel'hes er für seine Geliebte hatte verfasst - du hieltest ihm dabei die Tabula. Nachdem ich ihn davon überzeugte, seinen Text noch einmal zu überarbeiten, musste ich ihm verspre'hen, dies gegenüber niemandem zu erwähnen. Außer uns kann also niemand davon wissen."
    Wieder verschwand der Kopf hinter der Mauer, doch gleich darauf wurde das Tor ein Stück weit geöffnet. Der Verwalter der Villa, Tiboetes, trat mit einer Fackel heraus, und als er nun Gracchus musterte weiteten seine Augen sich in deutlichem Erstaunen. "Mehercule! Du bist es wirklich, Herr! Kommt herein! Kommt ihr aus Rom? Wir hörten vom Tod des Kaisers und dass der Praefectus Urbi die Stadt hat abriegeln lassen."
    Gracchus nickte, so als müsse er auch sich selbst damit bestätigen.
    "Dies sind mein Sohn und mein Neffe. Wir benötigen ein kurzes Bad, neue Kleidung und Schuhe. Hernach brau'hen wir Mäntel, Decken, einige Lebensmittel, Gladii und drei Pferde. Scapula weiß nichts von all dem und ich bitte dich, auch in den nächsten Tagen ihm darüber keine Botschaft zu senden. Falls bekannt wird, dass wir hier waren, so ist es besser, wenn er nicht unterri'htet ist, denn obgleich unbezweifelt ist, dass er mir auch in Gefahr seines eigenen Lebens seine Hilfe nicht würde verwehren, so dient es seinem eigenen Schutz, so wenig darüber zu wissen wie möglich."
    Hinter ihnen schloss ein Sklave das Tor, während Tiboetes sie in die Villa führte, in der eine angenehme Wärme vorherrschte - selbst wenn in Absenz des Hausherrn nicht oder nur selten geheizt wurde, so achteten die Sklaven darauf, dass das Haus nicht auskühlte, da er schlussendlich jederzeit vor der Türe konnte stehen. Schon oft war Gracchus mit Scapula hier gewesen, wiewohl der Verwalter um ihre Freundschaft wusste, dass Tiboetes einige Sklaven anwies, den Flaviern zukommen zu lassen, was immer sie benötigten.

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  • Voll von Dankbarkeit und mit Hast ergriff der Knabe den Wasserschlauch, führte ihn zum Munde und ergoss den Inhalt gierig in sich, sodass das eisige Nass nicht nur seinen Gaumen, sondern auch Kinnd und Wangen, schlussendlich gar die Tunica benetzte. Er setzte ab, spie die Mélange aus Wasser und Sekreten aus, und konnte sich endlich an seinem Präsent erlaben, obschon die liquide Kälte seine Zähne vor Schmerzen pochen ließ. Der Wagen setzte sich in Bewegung, als er genug genommen hatte und den Schlauch achtlos neben sich von jenem herabfallen ließ, um die weitere Reise neuerlich in einem fröstelnden Dämmerzustand zu verbringen, in welchem sich in ihm die Gewissheit nährte, dass sie sämtlich schlichtweg des Todes waren. Schon glaubte er, einem Lemuren gleich durch den Sitz des Wagens hindurch in den Laderaum zu sinken, um sich zu ewiger Ruhe zu betten, welche in dieser Situation nicht unattraktiv erscheinen mochte.


    Doch letztlich nahm auch jene Episode der Flucht ihr Ende. wie der junge Flavius voller Erstaunen erkannte, spürte er die Zehen in dem klammen Schuhwerk nicht mehr, als er auf die Erde sprang und um ein Haar seinerseits in das feuchte Gras gestürzt wäre, doch war es ihm nun endlich erlaubt, das morbide Milieu der Libitinarii zu verlassen. Geduldig erwartete er nun erhebende Worte von parentaler Seite, doch selbst jenem strahlenden Heroen seines Lebens schienen all diese Strapazen in höchstem Maße zuzusetzen, sodass er, wenn auch vergeblich, jener Blümeranz, welche auch der Knabe verspürte, Erleichterung zu verschaffen suchte. Erst danach weihte er ihn wie auch Onkel Flaccus in die weiteren Schritte ein, welche jenem fernen Fackelschein gleich, der von dem sich entfernenden Leichenwagen in die Campagne strahlte, ein Licht am Ende des Tunnels von Mühsal offerierte. Obschon jeder Schritt in diesen untersten Extremitäten ein kaum erträgliches Brennen evozierte, vermochte die Aspettanz eines wärmenden Kohlebeckens, zivilisierter Kleidung und sättigender und zugleich wohlschmeckender Speisen die Moral Manius Minors zum ersten Male an jenem Abend zu heben und das einst grenzenlose Trauen in die Kapazitäten Manius Maiors zu revitalisieren. Zwar mochte die eingängliche Reserviertheit der Sklaven der Villa Cornelia neuerliche Furcht einer Prolongation ihrer Odyssee erwecken, verbunden mit einer neuerlichen Sekurität des lauernden Todes, doch öffneten sich schließlich doch die Tore des Anwesens und der Knabe trat ein in die ihm vertraute Welt der Annehmlichkeiten, welche er so lange Zeit bitterlich hatte missen lassen müssen...

  • Aufgrund der langjährigen Freundschaft des Hausherren mit Gracchus erhielten die Flavier in den kommenden Stunden alles, was sie benötigten, sofern dies im Hause vorhanden war. Während Gracchus dem Vilicus Tiboetes auftrug, wessen sie bedurften, schürten namenlose Sklaven das Feuer des Hypokausten-, sowie des Thermensystems, so dass nicht nur alsbald eine wohlige Wärme durch die Haupträume des Anwesens sich verbreitete, sondern auch die drei Flavier in ein Becken voll warmes Wasser konnten steigen, sich den ungustiösen Gestank der bisher nur kurzen, doch ihnen bereits übermäßig lange erscheinenden Reise von der Haut und ein wenig der Strapaze von der Seele konnten waschen. Da Minor ihm gegenüber recht apathisch wirkte, suchte Gracchus seinen Sohn ein wenig aufzumuntern, indem er ihm mit der Hand ab und an Wasser zuspritzte, doch alsbald wies er die Sklaven an, den Jungen noch einmal ordentlich abzureiben, ihm aus dem Bad zu helfen, zu trocknen und zu ölen und ihn sodann in eines der Gästezimmer zu bringen, dass er dort noch ein wenig Schlaf bis zum Morgengrauen würde finden. Da hernach ihm kaum der Sinn danach stand mit Flaccus über das Geschehen - vergangenes, da er sich die noch frische Erinnerung nicht so schnell noch einmal in den Geist wollte rufen, wie auch zukünftiges, da die Zukunft ihm in seinen Plänen noch zu vage war - zu sprechen, sank er ein wenig tiefer in das wohlige Nass bis dass sein Kinn die Wasseroberfläche berührte und schloss die Augen. Über Stunden, gefühlt gar über Tage hinweg hätte er so in dem Bade verharren mögen, doch für ein ausgiebiges Vergnügen blieb ihnen kaum Zeit, dass auch Flaccus und Gracchus bald dem Wasser entstiegen, von Sklaven getrocknet und eingeölt wurden. Obgleich zweifelsohne jede Spur des Schmutzes von ihm gewichen war, so glaubte Gracchus noch immer den feinen Mief der alten Tunika in seiner Nase wahrnehmen zu können, herrschte noch immer das Gefühl des rauen Stoffes auf seiner öligen Haut vor, wiewohl ihn dünkte, dass die Kälte der Winternacht seine Glieder trotz aller Wärme noch immer nicht hatte gänzlich verlassen. Während hernach Flaccus ein wenig noch sich auf einer der Klinen im Atrium ausruhte, begutachtete Gracchus mit Tiboetes ihre Ausrüstung - einfache, doch warme Tuniken, halbwegs passende Schuhe, Halstücher sowie warme Mäntel für einen jeden von ihnen; drei Decken zusätzlich als Kälteschutz, wiewohl falls sie unplanmäßig nicht in einem Gasthaus würden nächtigen können; drei überaus einfache Galdii - obgleich Gracchus der Gedanke wenig gefiel, dass Minor ein solches sollte bei sich tragen, so sah er doch die Notwendigkeit; dazu gefüllte Trinkschläuche, sowie für jeden ein kleines Paket mit Nahrung - Brot, Hartkäse, Würste und kalte Fleischstücke, getrocknete Pflaumen, Pfirsiche und Äpfel. Nachdem Minor schlussendlich wieder geweckt und sie alle eingekleidet waren, ließ Tiboetes drei Pferde aus dem Stall holen - womit der Restbestand der Landvilla auf gerade mal ein Tier sank, doch Gracchus war sich sicher, dass er irgendwann würde Gelegenheit haben, seinem Freund Scapula die Tiere durch weit bessere zu ersetzen. Die Sonne drängte im Osten bereits alles Sternenlicht vom klaren Himmel, legte einen fahlen Schimmer über die Welt als die Sklaven den Patriziern auf die Pferde hinauf halfen und die Flavier durch das Tor hinaus in die Stille des Morgens ritten, nun auf sich allein gestellt in der ihnen so fremden Heimat Italia.

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  • Es dauerte nicht allzu lange, bis dass sie die halbwegs ihm trauten Gefilde verließen, welche Gracchus vage bekannt waren durch einige Spaziergänge, die er mit Scapula um dessen Besitz herum in Zeiten des Frühlings oder Sommers hatte unternommen, bis dass nurmehr die nichtssagende Straße ihnen ein Gefühl von Italia gab, die quer durch die gesamte Provinz und darüber hinaus in stets gleichen, eintönig akkuraten, geraden gepflasterten Bahnen verlief. Am Abend zuvor, als entschieden war, dass sie Rom würden verlassen, hatte Sciurus fortwährend wiederholend die Namen der kleinen Städte und Ortschaften aufgezählt, welche sie bis Mantua zu durchqueren hatten, dass auch Gracchus sie repetierte, sie fest in sein Gedankengebäude eingliederte, um den rechten Weg zu finden. Zwar hätte er die Hauptstraßen und Siedlungen lieber gemieden, doch war er sich dessen nur allzu bewusst, dass er irgendwo im Gelände alsbald die Orientierung würde verlieren, wiewohl die römischen Straßen nuneinmal dafür waren gebaut worden, schnell das Imperium zu durchqueren - letztlich mussten sie darauf vertrauen, dass sie den Bluthunden des Vescularius stets ein wenig voraus waren, auch wenn Gracchus dies bereits am ersten Tage bezweifelte, diesen Gedanken jedoch nicht vor seinem Neffen oder seinem Sohn aussprach. Schweigen war ohnehin ihr ständiger Begleiter, denn jede aufkommende Unterhaltung, jede Frage oder Klage erstickte Gracchus mit abweisend kurzen Antworten - es fiel ihm schwer genug, sich auf den Weg zu konzentrieren, seine ewig um die Ereignisse kreisenden Gedanken halbwegs im Zaume zu halten und gleichgerichtet auch noch seinen Körper beständig zu persuadieren, nicht einfach alles Leben aus sich zu lassen, dass er schlichtweg keine Kraft mochte haben, sich mit Gesprächen zu befassen, welche ohnehin belanglos waren oder aber derart essentiell, dass es zu gefährlich war, auf dem Weg darüber zu sprechen. Gelangten sie in ein Dorf oder eine kleine Stadt, so ritten sie zügig dort hindurch, außerhalb der Siedlungen verlangsamten sie stets das Tempo ein wenig, so dass die Pferde nicht allzu schnell ermüden würden - denn wo, ob und wie es möglich war, die Pferde unterwegs zu wechseln, dies wusste keiner von ihnen, hatten sie doch um solcherlei lästige Überlegungen sie sich bisherig keine Gedanken machen müssen. Ein wenig nach Mittag erwarb Gracchus in einer Garküche in einer kleinen Ortschaft drei Fladenbrote gefüllt mit einer breiigen Masse aus Gemüse, welche sie - ihre Pferde an den Züglen führend - bis außerhalb der letzten Ansammlung von Häusern in der Hand trugen, um erst drot unter einem kahlen Baum eine Rast einzulegen. Wieder erstickte Gracchus jede Konversation schon im Keime, forderte seinen Sohn auf die Frage nach dem Ziel und der Dauer ihrer Reise hin nur auf, zu essen und sich auszuruhen, bedachte auch Minors spätere Klage über die innkomode Art der Fortbewegung und die daraus resultierenden Schmerzen in dessen Leib nur mit einem Seufzen, welches er nicht hastig genug hatte unterdrücken können, und der ein wenig lieblosen Bemerkung, dass es augenscheinlich in Minors Erziehung einige Lücken zu geben schien, ehedem er sich erhob, um ein wenig sich um die Pferde zu kümmern - immerhin dazu war er in der Lage, denn in jener fernen Jugendzeit mit Caius in Achaia, es schien ihm beinahe nurmehr wie ein verblassender Traum, hatten sie durchaus längere Ausritte unternommen, ganz ohne das Geleit von Sklavenscharen, und selbst für das Wohl der Tiere Sorge getragen. Doch selbst da er sich dieser Ausflüge noch mit pochendem Herzen zu entsinnen vermochte, so erinnerte die Pein in seinem Steiß und seinem Rücken Gracchus doch daran, dass dies Jahrzehnte zurück lag und er dieser Tage nurmehr selten ein Pferd bestieg. Der Nachmittag verlief gleichsam eintönig, in beständigem Ritt über gepflasterte Straßen, vorbei an Feldern und Wäldern, durch kleine Dörfer und Städte hindurch, mit kurzer Rast nur an Quellen oder Brunnen, an welchen sie ihr Trinkwasser auffüllten und die Pferde tränkten, bis dass am frühen Abend die Dunkelheit über das Land brach. Es drängte Gracchus danach noch einige Stunden in die Nacht hinein zu reiten, doch übermächtig war seine Furcht vor der Dunkelheit, vor dem Knacken und Knarzen am Wegesrand, welches zu ihren Seiten hin laut durch das Gelände hallte, vor den Larven und Lemuren, die nun aus dem Boden krochen, welchen sie auf der Straße schutzlos waren ausgeliefert, so dass sie alsbald nahe eines Weilers in einem schäbigen Gasthaus ein kleines Zimmer zur Übernachtung anmieteten - gänzlich überteuert, was Gracchus indes nicht weiter auffiel, da er die üblichen Preise nicht kannte und schlichtweg jeden Betrag bezahlte, welchen man ihm nannte, was zweifelsohne mehr Misstrauen bei dem Wirt erregte als wenn er sich lautstark mit ihm über den unverschämten Wucher hätte gezankt. Doch die Gedanken des Mannes blieben Gracchus verborgen, seine Sorge galt nurmehr seinem Sohn und seinem Vetter Flaccus, welcher selbst für patrizische Verhältnisse überaus blass war und nach dem Aufstieg über eine knarzige Treppe in das Obergeschoss des Hauses sich kraftlos auf das harte Bett fallen ließ, jede Nahrung abwies und bereits in einen unruhigen Schlaf versank, da Vater und Sohn Gracchus noch ein wenig von den Vorräten verspeisten, welche sie von Scapulas Anwesen hatten mitgenommen.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Schwer zogen die großen, goldfarbenen Schlüssel an der Kette um seinen Hals, zogen mit ihrem Gewicht seinen Kopf nach vorn, dass es stets schien als würde er sich verbeugen vor einer unsichtbaren Herrschaft, oder aber als wäre er längst gebeugt durch das Schicksal, hernieder gedrückt durch die Wirren der Zeit. Schwerfällig auch zog er seine baren Füße Schritt um Schritt voran, setzte sie auf das kalte Pflaster der Straße, zwischen matschige Rillen und eisige Pfützen, dass jede Berührung seiner Sohlen mit dem Grunde ihm einen Schauer von Schmerzen durch den Leibe trieb.
    Hierher, Manius, hier bin ich!
    Deutlich vernahm er den Ruf des geliebten Hephaistion, einem Leuchten in der undurchdringlichen Finsternis gleich, dem güldenen Stern am Abendhimmel, welcher durch alle unwägbaren Lande ihn mochte führen, und als endlich der Laut verstummte, stießen seine Zehen hart gegen ein hölzernes Behältnis. Goldfarbene Schlösser prangten daran und sehnten sich nach den Schlüsseln, welche ihn gebeugt hielten, dass er mit zittriger, fahriger Hand Verschluss um Verschluss löste, sich selbst gleichsam von der Last seiner Sehnsucht befreite. Knarzend hob sich der Deckel der Kiste und einen Augenblick lang musste er seinen Blick abwenden, dem gleißenden Licht darin zu entkommen, welches dem Inneren entströmte, bis dass ein keckerndes Lachen ihn zurückblicken ließ.
    Manius, Manius, geliebter Manius!
    spottete der Kopf des Vescularius Salinator aus der Kiste in ein hämisches Grinsen verfallen.
    Versteck dich nur, Kaisermörder, ich finde dich überall! Dich und deine Brut! Überall!
    Dröhnend schallte das Lachen ihm entgegen, dass er erschrocken den Deckel zurückschlug auf die Kiste, doch auch durch das Holz hindurch konnte er das Gelächter des Vesculariers noch vernehmen, dass er sich hastig umwandte und zu fliehen suchte. Die Kette jedoch, die seinen Hals hatte umwunden, zog sich nun um seine Füße, enger mit jedem Schritt, fasste ihn eisernen Händen gleich, dass er alsbald strauchelte, stolperte und der Dunkelheit des Grundes entgegen fiel.

    ~~~


    "Nein!"
    schreckte Gracchus aus unruhigem Schlaf in die Dunkelheit des ihm unbekannten Raumes, atmete einige Augenblicke vernehmlich in die Stille der Nacht, ehedem ihm ein leises, weinerliches
    "Sciurus?"
    entfuhr. Doch der Sklave kam noch immer nicht, ließ keinen Laut vernehmen, dass Gracchus es alsbald dämmerte, wo und in welcher Lage er sich befand. Ein leises Stöhnen von der Seite her brachte letztlich ihn gänzlich zurück in die Realität als sein Neffe Flaccus sich unruhig auf seiner Liege wand. Gracchus atmete tief die kalte Nachtluft in seine Lungen, schlug die dünne Decke der schäbigen Bettstatt zur Seite und setzte seine Füße auf die kalten Bodenbretter. Umständlich erhob er sich, spürte dabei wieder schmerzhaft jede Faser seines Leibes, und schlich ein wenig orientierungslos durch den kleinen Raum hindurch, bis er unsanft die Grenze dessen hatte erreicht als er mit der Zehe gegen die Wand stieß, dass ein leiser Schmerzenslaut ihm entfuhr. Mit zusammengekniffenen Augen suchte er die dämmrige Dunkelheit zu durchdringen und den Riegel zu finden, welcher die Türe verschlossen hielt, tastete einige Augenblicke blindlings an der Wand umher bis er endlich fündig wurde. Vor dem Raum lag der schmale Gang im gelben Lichtschein, welcher aus dem Schankraum sich empor wandte, von wo noch immer das Klirren tönerner Becher war zu vernehmen, das Knarzen der hölzernen Bänke und Hocker auf dem Boden und das Schlurfen schwerer Schritte. Mit einem langgezogenen Seufzen lehnte Gracchus sich an die Wand, ließ langsam sich in die Hocke sinken, bis dass er beinahe auf dem Boden saß, und starrte in das dämmrige Licht. Er wusste, dass sein Leib und sein Geist des Schlafes bedurften um den Weg bis nach Mantua zu überstehen, doch in jeder Faser seiner selbst saß die Furcht, welche ihn wach hielt, welche ihm keine Ruhe gönnte, welche ihn noch in seinen Träumen wusste zu torquieren. Er hatte bisher nicht darüber nachgedacht, doch allfällig wie aus einem bedeutsamen Geiste ein vergöttlichter Genius wurde, so mochte aus einem solchen Geiste auch eine ganz besonders gräuliche Larve entstehen, verglichen mit welcher all jene, die Gracchus bisherig drangsalierten, nur harmlose Spukgestalten waren. Mochte Valerianus im Leben ein apathischer Schmächtling gewesen sein, trotz allem war er der Imperator Caesar Augustus gewesen, und sein Genius mochte nun zu einem um so garstigeren, gefräßigeren Lemuren geworden sein, welcher rachsüchtig all jene verfolgte, die an seinem Tode hatten Schuld getragen. Sie hatten Rom befreit. Sie hatten Rom aufgeweckt aus seinem Dämmerschlaf. Sie hatten Rom aufgerüttelt aus dem Trott, welcher früher oder später es hätte in den Abgrund gestürzt. Früher oder später. Oder niemals. Sie hatten Rom ausgeliefert. Sie hatten es ins Verderben gestürzt. Sie hatten ein Monster erschaffen, das Rom nun in seinen gierigen Fingern hielt, das seine Hände ausstreckte nach ihren Hälsen. Und sie hatten ein Monster geschaffen, das seine knochigen Finger nach ihrem Geiste wandte. Gracchus war sich nicht sicher, welchem der beiden er lieber wollte gegenüber treten, welcher Tod wäre angenehmer zu wählen - die Tortur durch die Hand des Vescularius oder der Wahnsinn durch die Larve des Valerinaus. Ein Schaben am Fuße der Treppe ließ Gracchus zusammen fahren und als noch ein Knarzen sich anschloss mit welchem Schritt um Schritt eine Gestalt sich die Stufen empor hob, drückte er hastig sich vom Boden ab, öffnete mit zittrigen Fingern die Türe zu ihrem kleinen Schlafgemach und trat zurück in die Dunkelheit. Die Nacht war noch lang und er wäre gut beraten, noch ein wenig Schlaf zu suchen, ein wenig Kraft und Ruhe zu schöpfen bis zum Morgengrauen.

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  • Am nächsten Morgen hatte ein leichter Nieselregen sich über das Land gelegt, und selbst Gracchus, welcher sonstig ein überaus großes Talent besaß, das Befinden anderer nicht wahrzunehmen, konnte mit jeder Meile, welche sie auf dem Rücken der Pferde zurücklegen, sehen, wie das Wohlbefinden aus Flaccus' Leibe schwand, wie nicht nur die ungewohnten Entbehrungen und die Strapaze der Reise ihm zusetzten, sondern ebenso eine zunehmende Kälte aus seinem Inneren heraus. Dennoch verwehrte sein Neffe sich dagegen mehr als nur eine kurze Rast zur Mittagszeit hin einzulegen, im rauchigen Dunst einer Garküche ein undefinierbares Gemisch aus Getreide und Gemüse und dazu einen warmen, verwässerten Gewürzwein zu sich zu nehmen, um nicht allzu viel Zeit zu verlieren. Zum Nachmittag hin dann bemerkte Gracchus, dass das beständige, leise Zittern auch auf seinen Sohn hatte übergegriffen, welcher kaum mehr nur ein Wort von sich gab, stumpfsinnig vor sich hinstarrend auf dem Pferd zusammen gesunken war, und es schien ihm beinah als wären Flaccus und Minor bereits in eine andere Welt vorausgeeilt, als würden ihre Leiber nurmehr Schatten gleich ihn auf seinem eigenen Pfad in die Unterwelt hin geleiten. Zu der Furcht vor den Schergen des Vescularius, der Furcht entdeckt zu werden auf ihrer Flucht, gesellte darob alsbald sich zudem die Furcht vor einem raschen, tödlichen Ende ihrer Flucht, dass er bei nächster Gelegenheit ihnen eine Möglichkeit zur Übernachtung suchte - weit noch vor Einbruch der Nacht. Schwankend schleppte Flaccus unter den argwöhnischen Augen der Wirtin sich in das Hinterzimmer der Hospitia, während Gracchus seinen Sohn stützte, der im Delirium des Fiebers immer wieder nach seiner Mutter fragte. Schon mit seinem eigenen Siechtum war Gracchus stets überfordert, doch dasjenige der anderen hatte er Zeit seines Lebens zu ignorieren gewusst, dass ihm nicht viel blieb als sich zu entsinnen, was Sciurus für gewöhnlich tat, wenn er selbst an einem Leiden laborierte. Mit einem feuchten Tuch suchte er vergeblich die Hitze aus den Leibern seiner Verwandten von deren Stirne aufzunehmen, flößte ab und an ihnen Wasser in die trockenen Kehlen, wusste sonstig jedoch nur rastlos auf und ab zu gehen in dem kleinen Raum, in welchem alsbald die Luft ihm stickig wurde, die Hitze unerträglich. Endlos zerrannen die Augenblicke ihm in den Fingern, ergebnislos floss die Zeit an ihm vorbei, während er machtlos sich als Zuschauer der Realität begriff, in welche durch einen Anflug latenter Panik in ihm evoziert sich alsbald Trug und Unwirklichkeit einschlich, ihm das langsame Sterben seines Sohnes vorgab, das Erlöschen des Lebensfunkens in Minimus' jungem Leibe, über dessen Haupte längst die schattige, dunkle Hand des Dis Pater schwebte. Gracchus bemerkte nicht die fiebrige Hitze, welche auch auf seine Stirne allmählich Schweißperlen trieb, nicht das Frösteln, welches auch seinen Leib erzittern ließ, schien ihm seine Kehle doch ausgedörrt vor Angst, schien ihm der Raum nur beengt durch das Nahen der Manen und Penaten, welche gekommen waren, Minors Genius in ihren Kreis aufzunehmen. In nie gekannter Furcht saß er auf der Kante des harten Bettes, hatte seine Arme um den Oberkörper seines Sohnes geschlungen und hielt diesen fest, so fest als würde allein dies ihn in der Welt der Lebenden halten können, stricht beständig über das strohige, dunkle Haar, und murmelte leise Beschwörungen, um die garstigen Schergen des Dis abzuwehren bis dass er selbst neben seinem Sohn in einen unruhigen, fiebrigen Schlaf verfiel.

    ~~~


    Einen ganzen Tag verloren sie an den fiebrigen Wahn, in welchem sie allesamt vor sich hin dämmerten, jeder in seinem eigenen Delirum gefangen. Zuerst glaubte Gracchus, erfrieren zu müssen, dann wiederum zu zerbersten vor Hitze, schlussendlich war ihm schon die Anstrengung, die Lider zu heben, eine unerträgliche Last. Immer wieder glaubte er, sich einer Pflicht entsinnen zu müssen, einer Verantwortung für seine Familie, doch in den Tiefen des Deliriums waren selbst Minor und Flaccus ihm fern, war ihm nur die schwere Dunkelheit des Dahindämmerns ein willkommenes Nest, in welches bereitwillig er sich betten ließ, davon treiben von diffusen Nebeln durch die Zeit.

    ~~~


    Zittrig waren ihre Glieder am darauffolgenden Morgen, fahrig ihre Bewegungen und träge ihre Geister. Flaccus begann als erstes sein Gesicht mit dem kühlen Wasser aus einer Waschschüssel zu benetzen, dass auch Gracchus sich aus dem unbequemen Bett empor zwang, sorgenvoll zu Minor hin trat und dessen Stirn befühlte, die doch - soweit er dies zu beurteilen wusste - wieder mehr oder minder normal temperiert war. Obgleich keiner von ihnen vollends genesen war, obgleich der Schmerz in ihren Gliedern steckte, so entschieden die beiden älteren Flavier doch, nach einem kargen Frühstück wieder aufzubrechen, da sie sich keine weitere Verzögerung konnten leisten, kein Darniederliegen in Krankheit und kein träges Ausruhen und Entspannen. Gelegenheit, sich auszukurieren, würden sie hoffentlich in Mantua erhalten, doch bis dahin mussten sie versuchen, zügig voran zu kommen. Während Flaccus den Raum verließ, um die Pferde vorzubereiten, strich Gracchus sorgenvoll über Minors Haar.
    "Minimus, wache auf. Wir müssen weiter."

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    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Viel zu knapp bemessen war jene Zeit der Rekreation auf dem Landgut des Scapula gewesen, insbesondere für den Knaben, welchem erst das wärmende Bad die Frost der Nacht aus dem Leibe zu treiben vermocht hatte. Dennoch war eine gewisse Indisposition verblieben, hatte die Hitze des Bades sich nicht aus seinem Leibe entfernt, sondern ihn bis in das wärmende Bett geleitet. Am folgenden Morgen hingegen hatte für gewisse Zeit ein Schüttelfrost seinen geschundenen Leib gepeinigt, weshalb der junge Flavius die wärmende Tunicae, Mantel und Halstuch durch eine weitere Decke ergänzt hatte. In seiner überaus malheureusen Verfassung hatte ihn nicht einmal das Schwert, welches zu tragen ihm erlaubt worden war, seinen Esprit neuerlich erwecken können. Stattdessen musste er auch noch seine Inkapazität bei der Fortbewegung zu Pferde offenbaren, sodass Onkel Flaccus das Tier, das auf den klangvollen Namen 'Ajax' hörte, am Zügel führen musste.


    Obschon sich die Reisebedingungen nun signifikant verbessert hatten, mochte auch am folgenden Tage keinerlei Reiselust bei Manius Minor erwachen, was nicht nur der absoluten Mutität Manius Maiors und Onkel Flaccus', welcher ohnehin gänzlich absent erschien und mit glasigem Blick den Hals seines Gefährts anstarrte, sondern auch den Inkommoditäten der langen Fortbewegung auf dem Pferderücken, sowie der völligen Insekurität betreffs Motiv, Anlass und Ziel der Reise geschuldet war. So verkürzten sich die Intervalle zwischen seinem Murren immer mehr, ehe die unwirsche parentale Ermahnung bei ihm einen suffizienten Scham evozierte, aufgrunddessen er sich zu ebenfalls beständigem Schweigen verurteilte. Stattdessen richtete sich seine Appetenz nun gänzlich auf den Schmerz in der Schenkelregion, welcher bisweilen geradezu zu einem Brennen sich wandelte, woraufhin der Knabe sich um eine Änderung der Position bemühte, was fortunablerweise unter seinem Umhang verborgen blieb.


    Nachdem sie endlich das augenscheinliche Ziel der Tagesetappe erreichten und vor einer Herberge zum Halten kamen, stürzte der junge Flavier schließlich gar unter der inzwischen unfamiliären Belastung der Beine, ehe er sich zitternd wieder aufrappelte und den Schmerz seiner Extremitäten mit zusammengebissenen Zähnen ertrug. So ließ er sich eiligst auf eine Bank fallen, nachdem sie den Schankraum betreten hatten, schloss uneingedenk des übrigen Publikums, welches misstrauisch sie beäugte, die Augen und stärkte sich entgegen seiner Routine nur wenig an den verbliebenen Vorräten. Vielmehr nutzte er die erstbeste Gelegenheit, um die Schlafkammer aufzusuchen und eingewickelt in eine der Decken in einen traumlosen Schlaf hinüberzugleiten.


    Beim Erwachen am Folgetag schmerzte nicht mehr nur jedwede Bewegung der Beine, sondern darüber hinaus gar der Hals, welcher es kaum gestattete, in der Wirtsstube das bereitete Brot zum Magen hinab passieren zu lassen, was indessen keine größeren Inkommoditäten evozierte, da das sonst prächtig entwickelte Hungergefühl des Knaben sich gänzlich verabschiedet hatte.

  • Der Tag wurde dem Knaben zu unstillbarer Qual, welche er indessen mit Onkel Flaccus teilte. Fortunablerweise entzog das einsetzende Fieberdelirium gegen Mittag dem jungen Flavius aber jedwedes Gefühl für einzelne schmerzende Regionen seines Leibes oder die Dauer des Sonnenlaufes hinter denen sich im Regen selbst verzehrenden Wolken. Vielmehr präsentierte sich vor dem geplagten Geist ein sich ins infinite erstreckendes Meer des Wahns, in welches er eingetaucht war und das an allen Stellen, welche sein mal eisiges, mal glühendes Nass berührte, brennenden Schmerz erzeugte. Mehrmals bewahrte nur ein erschrecktes Erwachen ihn davor, sein Gefährt auf unsanfte Weise zu verlassen und auf die rutschige Straße zu stürzen.


    Die Mittagspause ließ Manius Minor so mehr über sich ergehen, als aktiv an ihr zu partizipieren und als sie nach einer seines Ermessens nach unendlichen Periode weiteren Weiterschleppens erreichten sie endlich die Station. Was folgte, vermochte der Knabe in der Retrospektive nicht mehr rekonstruieren. Erst als er die väterliche Stimme vernahm und in das unrasierte Gesicht Manius Maiors blickte, kehrte er zurück in das Reich der Lebenden.
    "Mir tut alles weh!"
    klagte er dennoch mit einer Stimme, die seit mehr als einem Tag nicht mehr benutzt worden war, denn noch immer plagte ihn der Muskelkater seiner Beine.

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