area | Abschied in aller Stille

  • Früh am Morgen, noch ehe die Sonne richtig aufgegangen war, begab sich Fhionn mit ihrem Bündel in den Hof. Am Abend zuvor hatte Brix sie davon unterrichtet, daß ihre Zeit in der Villa Aurelia nun gekommen war. Die Abreise nach Sardinien, die eigentlich hätte schon vor gut zwei Monaten stattfinden sollte, war für den nächsten Morgen angesetzt. Völlig emotionslos hatte sie nur genickt und war danach wieder an ihre Arbeit gegangen. Es berührte sie nicht, so sollte man jedenfalls meinen, die Villa verlassen zu müssen. Es war ihre Strafe, die sie akzeptiert hatte. In ihrem Inneren sah es jedoch anders aus. Wieder einmal wurde sie weggerissen, aus einer Umgebung, in der sie so etwas, wie Freunde gewonnen hatte. Hier war sie zwar nicht glücklich gewesen, doch konnte sie die Villa als ihr Heim bezeichnen. Das würde man ihr nun einmal mehr wegnehmen.
    Nach verrichteter Arbeit, packte sie ihre wenigen Habseligkeiten zusammen, die sie ihr eigen nennen durfte. Eine zweite Tunika zum wechseln und ein Paar Sandalen, mehr besaß sie nicht und mehr mußte sie auch nicht einpacken.


    Die Nacht war unruhig. Es hatte lange gedauert, bis sie schließlich einschlafen konnte. Immer wieder musste sie daran denken, was nun auf sie zu kam. Sardinien, eine Insel, wie sie herausgefunden hatte, weit weg von Rom und weit weg von ihrer alten Heimat. Die Aussicht, auf der aurelischen Olivenplantage arbeiten zu müssen störte sie nicht sonderlich. Auch nicht die Schwere ihrer zukünftigen Arbeit. Je härter sie arbeitete, umso besser konnte sie vergessen.


    Im Hof stand bereits ein Wagen bereit, der mit mehreren Kisten und Reisekoffern beladen war. Ein älterer Mann stand dort, neben seinem Sklaven und dem aurelischen Kutscher, der den Wagen nach Ostia bringen sollte. Fhionn dachte sich sofort, dies müsse Corvinus´ Klient sein, der sie nach Sardinien begleiten würde und der sich dort zur Ruhe setzen wollte.
    Der Mann machte einen ungeduldigen Eindruck und sah sich ständig nach der Sklavin um, die er auf seine Reise mitnehmen sollte. "Ah, da bist du ja endlich! Steig auf, wir müssen los! Das Schiff wartet nicht auf uns!"

  • Dass Fhionns Abreise irgendwann bevorstand, war klar gewesen. Jeder hatte gewusst, dass es so kommen würde, seit jenem Abend, an dem Corvinus sein Urteil gefällt hatte. Es war in den letzten Wochen noch aufgeschoben worden, warum, wusste Siv nicht so recht – sie hatte auch nicht nachgefragt, hatte sie doch genug mit sich selbst zu kämpfen gehabt, mit ihrer Situation. Und dann, als Corvinus und sie sich endlich versöhnt hatten, da hatte sie nichts zur Sprache bringen wollen, was wieder an die alten Querelen erinnerte. Sein Urteil stand ohnehin fest, und dass Fhionn in irgendeiner Form eine Strafe verdient hatte, das war auch Sivs Meinung. Nur den Tod, den hatte sie nicht verdient gehabt.


    Brix hatte ihr Bescheid gesagt, gestern, nachdem er bei Fhionn gewesen war und sie von der Abreise informiert hatte. Der Maiordomus wusste, dass Fhionn und Siv etwas verband, seit jenen Vorfällen mit Matho. Siv hätte es ihm übel genommen, hätte er ihr keine Gelegenheit gegeben, sich noch einmal zu verabschieden. Leise schlich sich die Germanin also vor Sonnenaufgang hinaus, nachdem sie Corvinus geweckt hatte, und sah im Hof bereits einen Wagen, einige Kisten, einen Mann – und auch Fhionn. Langsam näherte sie sich der Keltin. Es gäbe so viel, was sie noch sagen könnte, was sie nie gesagt hatte. Dass ihr dankbar war, für ihre Hilfe und Unterstützung, in Germanien und auf der Rückreise. Dass es ihr leid tat. Dass sie sich zu einem Teil mitschuldig fühlte, weil sie nie etwas gesagt hatte, und weil es nie so weit gekommen wäre, hätte Fhionn ihr nicht geholfen. Sie sagte nichts davon. Es war zu spät dafür, das war ihr klar.


    Ein "Hey", war alles, was vorerst über ihre Lippen kam, die sich anschließend kurz zu einem vagen, traurigen Lächeln verzogen. Sie wusste nicht, was sie sonst hätte sagen sollen.

  • Brix als maiordomus war natürlich ebenfalls wach. Er hatte jedem, der es wissen wollte, gesagt, dass Fhionn heute in der Früh abreisen würde. Vermutlich wäre sie Jahre fort, vielleicht sogar für immer. Er konnte diese Entscheidung dem Herrn nicht verdenken angesichts der Tatsache, dass Fhionn Matho getötet hatte. Seiner Meinung nach hatte Fhionn noch einmal Glück gehabt, mit dem Leben davongekommen zu sein. Aber die behielt er schön für sich.


    Brix wechselte einige Worte mit dem Klienten der Familie, dann nickte er ihm ein letztes Mal zu und ging hinüber zu Fhionn. "Ich hoffe, dass wir uns eines Tages wiedersehen werden", sagte er zu ihr und steckte ihr etwas zu. Es war ein helles Leinentüchlein, in das eine kurze hölzerne Flöte eingewickelt war. Brix hatte sie selbst geschnitzt, nachdem das Urteil festgestanden hatte. Fhionn konnte sie als seinen Tribut betrachten. "Wenn du einen Rat willst, dann lerne dort, so viel du kannst, Fhionn. Das erhöht deine Chancen, wieder hierher zu kommen. Und wenn du schreiben kannst, kannst du auch Briefe hierher senden. Der Verwalter schickt regelmäßig Berichte. Gerade Tilla würde sich bestimmt freuen", sagte er. "Na was ist denn nun?" erklang es. Brix sah Fhionn nochmals an. "Dann los. Und viel Glück, Fhionn. Wir werden dich nicht vergessen." In diesem Moment kam Siv. Brix nickte ihr zu und seilte sich ein wenig ab, um die beiden nicht zu stören.

  • Fhionn war gerade im Begriff, auf den Wagen zu steigen, als sie sich noch einmal umwandte. Ein letzter Blick sollte es sein, um dann einen neuen Abschnitt beginnen zu können. Doch das alte Leben wollte sich nicht einfach so gehen lassen. Brix, der sie am Abend zuvor von der bevorstehenden Reise unterrichtet hatte, war in den Hof gekommen und trat auf Fhionn zu mit allem hätte sie gerechnet, nur damit nicht! Wenigstens einer der Sklaven wollte sich von ihr verabschieden.
    Er steckte ihr etwas zu, was sie unter ihrem Umhang verschwinden ließ. Später hinaus, wenn sie auf dem Weg nach Ostia war, würde sie einen Blick auf das Geschenk des maiordomus werfen. Brix´ Worte würde sie in ihrem Herzen behalten. Sie würde seinen Rat annehmen und auch, wenn sie niemals mehr zurückkehren sollte, so würde sie die Zeit nicht vergessen, in der sie hier gewesen war. Alles, das Gute, wie auch das Schlechte würde sie in ihrer Erinnerung behalten."Danke! Ja, ich lernen viel und lernen auch schreiben! Ganz bestimmt!"
    Nun war auch Siv noch in den Hof gekommen. Sie war zu ihr gekommen. Auch wenn man es Fhionn nicht ansah, so freute sie sich sehr darüber, daß auch sie Anteil nahm, an ihrem Abschied. So vieles was noch hätte gesagt werden müssen, stand zwischen ihnen. Doch es war unausgesprochen geblieben. Ein Blick verband sie nun, der vieles sagte, obwohl nicht viel gesprochen wurde. Fhionn erwiderte Sivs trauriges lächeln. Was hätte sie auch sonst sagen oder tun können? Alles was gesagt werden mußte, war bereits gesagt.
    "Hey! Ich hoffe, du sein glücklich mit deinem Kind, so wie ich war mit meinen! Alles Gute für dich!"
    Obwohl die Germanin bisher vermieden hatte, mit der Wahrheit ans Licht zu rücken, hatte Fhionn erkannt, was mit ihr los war. Die ständige Übelkeit, das Wechselbad ihrer Gefühle, den seltsamen Appetit auf diverse Lebensmittel, die eigentlich gar nicht zusammen paßten. Dafür gab es nur eine plausible Erklärung! Über ihre Erkenntnis hatte Fhionn geschwiegen, bis jetzt!

  • Siv blickte Brix nur kurz hinterher, als er sich etwas zurückzog, um sie beide allein zu lassen. Dann wandte sie sich wieder Fhionn zu. Der Keltin schien es ähnlich zu gehen wie ihr, das meinte Siv in ihrem Blick lesen zu können, auch wenn es ihr schwer fiel, ihren Gesichtsausdruck zu interpretieren. Fhionn sah so ernst drein, und unwillkürlich regte sich in Siv das schlechte Gewissen noch stärker. Die Keltin sah nicht so aus, als ob sie sonderlich glücklich über ihre Anwesenheit war. Auf der anderen Seite würde sie selbst vermutlich auch nicht fröhlich sein, wenn sie mehr oder weniger verbannt wurde.


    Fhionns Worte dann überraschten Siv. Mit vielem hätte sie gerechnet, aber nicht damit – dass es so einige gab, die inzwischen vermuteten, was mit ihr los war, war ihr durchaus bewusst, aber dass Fhionn es ansprechen würde, jetzt, wo es doch eigentlich nur um sie gehen sollte… "Fhionn…" Sivs Lächeln wurde etwas stärker, auch wenn die Traurigkeit blieb. "Danke." Im Grunde bedankte Siv sich nicht für die Glückwünsche, sondern vielmehr für die Hilfe, die letztlich dazu geführt hatte, dass Fhionn nun gehen musste. Es fiel Siv schwer, zu trennen – sicherlich hätte Fhionn Matho nicht töten müssen. Sie selbst hätte niemals an so etwas gedacht, und sie hatte unter dem ehemaligen Maiordomus ebenso gelitten, gerade nach ihrem Fluchtversuch. Es war die Entscheidung der Keltin gewesen, diesen Schritt zu tun. Und dennoch konnte Siv das Schuldgefühl nicht wirklich loswerden. Aber wieder sagte sie nichts davon. Sie sagte nicht, welcher Sache ihr Dank wirklich galt. Sie sagte nicht, dass es ihr leid tat. Nie war ihr ein Moment richtig erschienen, um Fhionn diese Dinge zu sagen, und auch dieser schien es nicht zu sein, obwohl Siv wusste, dass es wohl der letztmögliche war, es jemals zu tun. Aber die Worte wollten einfach nicht hinaus.


    Nach einem weiteren Moment des Schweigens, in dem sie Fhionn einfach nur angesehen hatte, trat sie schließlich vor und umarmte die Keltin. "Danke", wiederholte sie wispernd. "Dir auch alles Gute, Fhionn."

  • Dachte Siv vielleicht, sie hätte es nicht gesehen, in welchem Zustand sie war? Fhionn hatte zwar nie viel gesprochen, doch sie konnte zuhören und gut beobachten. Kleine Details waren es, auf die sie achtete, die an manch anderem vorüber gegangen waren. Nur so war sie hinter Sivs Geheimnis gekommen. Wer der Vater des Kindes war, konnte sie auch unschwer erraten, doch sie vermied es, sie darauf anzusprechen.
    Am Abend zuvor hatte sie sich ausgemalt, wie ihr Abschied werden würde. Nie hätte sie daran geglaubt, jemand würde kommen und ihr auf Wiedersehen sagen. Schon lange hatte sie es aufgegeben, sich Illusionen hinzugeben. Dies führte zu nichts! Enttäuschung und Verbitterung waren das Resultat. Sie hatte sich damit getröstet, daß so der Abschied leichter fallen würde, wenn sie sich nicht noch einmal nach jemand umschauen mußte. Als aber nun Siv zu ihr gekommen war, mußte sie zugeben, wie sehr sie sich darüber freute. Ihre Umarmung war so wohltuend. Dieses Stück menschliche Wärme an diesem kalten Morgen und dann das Danke, welches sie leise wisperte. Sie wußte, wofür es war. Gerne hatte sie sich geopfert und sie würde es auch immer wieder tun, um sich das letzte Stückchen Würde zu bewahren.
    "Danke Siv!" Sie strich ihr noch einmal mit ihrer Hand übers Haar und wandte sich dann um, dem Wagen zu. Der Kutscher war schon ganz ungeduldig. Alles wartete nur noch auf sie.
    Fhionn bestieg den Wagen und sah noch einmal zurück, als er sich in Bewegung setzte.


    Rom ließ sie hinter sich, um sich nun einer ungewissen Zukunft hinzuwenden.

  • Als Siv die Keltin umarmte, verlor sich das Gefühl der Unbeholfenheit, das sie, fast ohne es zu merken, bis dahin gespürt hatte. Nicht zu wissen, was sie sagen, wie sie sich verhalten sollte, war ungewohnt für sie. Natürlich verhielt sich die Germanin bei weitem nicht immer richtig, aber das änderte nichts daran, dass sie selten Unsicherheit verspürte. Als Fhionn aber ihre Umarmung erwiderte, schien wenigstens etwas richtig zu sein. Ohne noch ein Wort zu sagen, ließ sie die Keltin schließlich los, lächelte nur noch einmal traurig, als diese ihren Dank erwiderte. Schweigend verschränkte sie die Arme und sah zu, wie Fhionn zu dem Wagen ging, der bereits fertig beladen war, und aufstieg, und schweigend beobachtete sie, wie er sich in Bewegung setzte und den Hof verließ. Als Fhionn sich noch einmal umdrehte und zurücksah, da spürte Siv den Impuls, hinterher zu rennen und den Wagen aufzuhalten, ihr all das zu sagen, was sie hätte sagen sollen und nie über die Lippen gebracht hatte, aber sie rührte sich nicht. Vielleicht wäre es richtig gewesen, vielleicht war es nie zu spät, um solche Dinge zu sagen. Aber sie tat es nicht – ob nun, weil sie zu feige war, oder ob das Gefühl zu stark war, dass es doch schlicht zu spät war dafür, war ihr selbst nicht so ganz klar. Aber es hinterließ einen bitteren Nachgeschmack, und als der Wagen aus ihrem Sichtfeld entschwand, blieb Siv dennoch stehen und rührte sich nicht.

  • Brix hatte nicht geahnt, dass Siv und Fhionn so viel verbunden hatte. Dass Siv die einzige war, die Fhionn auf Wiedersehen sagte, hätte er darüber hinaus auch nicht vermutet. Doch nun war sie fort, die Sklavin, und Er stand mit Siv allein hier draußen. Er ging zu ihr hin, legte ihr brüderlich einen Arm um die Schultern und schob sie zusammen mit sich selbst auf den Eingang der villa zu. "Sei nicht traurig, sie wird irgendwann zurückkommen", sagte er. "Und wenn sie dann wieder da ist, wer weiß, vielleicht kann dein Kind dann schon laufen, hm? ... Sie hat es in jedem Fall besser getroffen als...die Alternative." Er warf ihr noch einen aufmunternden Blick zu, dann verschwand er mit ihr im Haus.

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