Decima Flava

  • Als Flava das erste Mal ihr Cubiculum betrat, begann sie gleich damit, es zu inspizieren. Da war das Bett und noch eine Kline, die zum Verweilen einlud. Ein kleiner Tisch stand am Fenster, an dem bunte Blumen blühten. Flava ging zu ihnen, um einmal an ihnen zu riechen. Ihr Duft war schön, und durch das Fenster kam viel Licht und frische Luft herein. Ihre Truhen standen noch beieinander, und Flava kommandierte die beiden Sklaven, die noch warteten, herum, bis ihre Truhen da standen, wo sie sie wollte.
    Danach erbat sie sich etwas Tusche und Papier, und setzte sich an den Tisch. Sie hatte beschlossen, ein paar Briefe zu schreiben. Zunächst einmal an die Großeltern, dass sie gut angekommen waren. Bestimmt machte sich Großmutter schon furchtbare Sorgen, sie war immer so ängstlich. Und Flava wollte ihr daher gleich berichten, dass es ihr und ihrem Bruder gut ging und wie herzlich sie aufgenommen worden waren. Leider konnte sie ja keine erfreulicheren Nachrichten anfügen, denn ihr Vater war nicht da. Auch davon wollte sie schreiben, vor allem, weil es Großvater interessieren würde.
    Der andere Brief wäre schon schwieriger. Sie wollte ihn Meridius mitgeben, damit er ihn an ihren Vater geben konnte, wenn er ihn gefunden hatte. Vielleicht war es eine fixe Idee von Flava, aber da sie wohl kaum selbst mitreisen konnte, war es die nächstbeste Möglichkeit, den Vater sofort zu begrüßen. Wenn Meridius ihm erzählen würde, dass er zwei Kinder hatte, wollte er sicher mehr darüber wissen. Und auch wenn es vielleicht eine dumme Idee war, so wollte Flava doch ihr bestes tun, um eine gute Tochter zu sein. Vielleicht freute er sich ja dennoch über ein paar Zeilen.
    Nur gestaltete sich das Schreiben sehr schwer. Sie fand nicht einmal einen Anfang. „Werter Vater“ klang zu kalt, während „Geliebter Vater“ übertrieben klang. Nur „Vater“ klang, als wolle sie etwas von ihm. Also saß Flava vor dem Papier, den Federkiel in der Hand, und überlegte, wie sie es am besten beginnen sollte.
    Vielleicht hatte Flavus ja eine gute Idee? Bestimmt würde er noch zu ihr herüber kommen, nachdem sein Zimmer eingerichtet war. Ja, sie würde ihn fragen, wenn er vorbeikam. Vielleicht sollte sie sich während dessen schon mal Gedanken um den Rest des Textes machen.

  • Die Sklaven hatten während des Gesprächs mit Meridius bereits das Gepäck der beiden Geschwister auf ihre zugewiesenen Zimmer gebracht. Marcus hatte lediglich kontrolliert ob alles vorhanden war, und öffnete die Truhen. Das musste für den Anfang reichen. Er war sich immer noch nicht ganz sicher, ob seine Schwester tatsächlich hier in Rom bleiben wollte und beschloss daher, vorerst aus den Truhen zu leben. Nachdem er sein neues Zimmer bezogen hatte, wollte er sofort nach seiner Schwester sehen. Das Haus war ziemlich groß, wesentlich größer als das Haus seiner Großeltern in Britannia und hatte unzählige Räume und Gänge. Es war gar nicht so einfach sich auf Anhieb zu Recht zu finden doch zum Glück lang das Flavas Zimmer nur wenige Schritte den Gang hinunter. Nachdem er weder Sklaven, noch Flavas Kisten vor der Türe sah, ging er davon aus, dass auch sie bereits ihr Cubiculum bezogen hatte. Vermutlich war sie gerade damit beschäftigt alles sorgsam einzuräumen. Flava war in dieser Hinsicht sehr selbstständig. Am liebsten kümmerte sie sich selbst um solche Dinge, als es von Haussklaven erledigen zu lassen. Anders als Marcus – er ließ alles was nur möglich war von Sklaven erledigen. Er blieb einen kurzen Moment vor der Türe stehen und lauschte. Es war nichts von drinnen zu hören. Langsam hob er seine Hand, ballte sie zu einer Faust und klopfte zaghaft an. War das auch wirklich das richtige Cubiculum?

  • Schließlich hatte Flava den Text an den Vater beiseite gelegt und statt dessen doch lieber noch einmal über den Brief an die Großeltern geschaut. Vielleicht fiel ihr ja so eine passendere Formulierung für den einen oder anderen Satz ein. Immerhin wollte sie nicht unwirsch oder müde klingen, und auch für den Brief an den Vater waren vielleicht ein paar gute Wendungen dabei, die sie übernehmen konnte.
    Schließlich klopfte es an der Türe. „Intra“, sagte Flava, ohne die Stimme groß zu erheben, aber dennoch laut genug für einen Besucher. Sie erkannte Flavus schon an der Art, wie er die Tür öffnete, und lächelte ihr Bruderherz an.
    Marcus, wie gefällt dir dein Zimmer? Ist es zu deiner Zufriedenheit?
    Sie wollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen wegen dem Brief. Flavus war vorhin schon so komisch gewesen bei dem Gespräch mit Meridius. Beinahe unfreundlich. Dafür würde sie noch ein ernstes Wörtchen mit ihm reden müssen, aber nicht sofort.

  • Die Stimme die aus dem Inneren des Raumes kannte Marcus nur all zu gut und konnte daher sofort darauf schließen, dass es sich um das richtige Zimmer handelte. Er öffnete die Türe und trat ein. Seine Schwester schenkte ihm sofort ein Lächeln, dem er einfach nicht widerstehen konnte und daher seine Mundwinkel ebenfalls langsam nach oben wanderten, auch wenn er über diese neue Situation nicht ganz so Glücklich war wie sie.


    "Ja, das Zimmer ist in Ordnung. Nichts besonderes, aber in Ordnung. Und du? Was machst du gerade?"

  • Bescheiden wie immer, ihr Bruder. Flava schüttelte über ihn nur leicht den Kopf und setzte sich lächelnd wieder so hin, dass sie schreiben konnte.
    Ich schreibe Briefe. Den an Großvater hab ich schon fertig. Willst du noch mal drüber lesen? Ich hab auch von dir Grüße und dergleichen übermittelt.
    Sie nahm den fertigen Brief und hielt ihn ihrem Bruder hin. Wahrscheinlich würde er zwar wie meistens abwinken, aber immerhin bot sie es ihm an.

  • Flavas Briefe an die Großeltern waren immer extrem fröhlich geschrieben und vor allem voll gestopft mit ausführlichen Erzählungen über Nichtigkeiten. Darauf hatte Marcus nun kein besonderes Verlangen. Hundertmal zu lesen wie schön es hier ist und wie aufregend die Reise war und wie gern Flava die Großeltern hatte….. Nein Danke! Und sie wussten ohnehin das Marcus diese Grüße nicht persönlich ausrichten ließ. Dazu kannten sie ihn einfach zu gut. Er schüttelte daher verneinend den Kopf.


    "Nein danke! Du wirst ihnen schon alles Notwendige geschrieben haben."


    Er folgte ihr zwar mit seinen Augen in Richtung Tisch und sah direkt auf den Brief, machte aber keine Anstallten sich darüber zu beugen und ihn zu lesen. Statt dessen ging er in Richtung Bett und ließ sich mit ausgebreiteten Armen wie ein nasser Sack nach hinten fallen.


    "Hast du dir schon Gedanken gemacht wie es jetzt weitergeht? Wollen wir hier nun wirklich die ganze Zeit auf die Rückkehr des Alten warten? Wer weiß wann das sein wird"


    Ob es überhaupt jemals sein würde, verkniff er sich dabei.

  • Flavus hatte schon wieder gute Laune. Aber irgendwie war Flava froh, dass ihr Brüderchen sie nicht direkt nach dem anderen Brief gefragt hatte, den sie schrieb, sonst würde er jetzt nicht so friedlich auf ihrem Bett herumliegen. Und wenn er seinen Willen durchsetzen wollte, war er manchmal ganz schön laut und grob. Zwar nicht zu ihr, aber man musste es ja nicht herausfordern.


    Ich weiß nicht. Ohne Vaters Zustimmung muss ich wohl erst einmal warten, bis ich mich zur Priesterin ausbilden lassen kann. Was meinst du, wie lange das dauern könnte? Ein, zwei Jahre? Ist eine lange Zeit um rumzusitzen.
    Flava überlegte, ob sie ihn in dem Brief gleich um Erlaubnis fragen sollte. Es war zwar albern, da er den ja auch nicht früher erhalten würde und es damit nicht schneller ging. Aber immerhin war es besser als gar nichts machen.

  • Irgendwie hatte er das Gefühl, dass ihr Bett weicher und angenehmer war, als sein eigenes. Das er durch diesen Sprung in ihr Bett alles durcheinander gebracht hatte, kümmerte Marcus sehr wenig. Sein Blick haftete weiter an die Decke des Raumes, während er mit seiner Schwester sprach.


    "Ach bitte! Du willst doch nicht wirklich warten. Dein Wunsch war es schon immer Priesterin zu werden und nun bist du endlich hier in Rom, wo du mit deiner Ausbildung beginnen könntest. Wer weiß wie lange es dauert bis wir ihn sehen oder von ihn hören."


    Das auch der Fall eintreten konnte, dass sie nie wieder von ihn sehen oder hören konnte, ließ Marcus erstmals außen vor. Schließlich wollte er seine Schwestern nicht unnötig beunruhigen. Aber auf unbestimmte Zeit zu warten und hier Tag ein Tag aus herumzusitzen war auch keine Lösung für den jungen Decimer.


    "Morgen gehen wir uns erkundigen. Ich begleite dich wenn du möchtest und du hast mein Einverständnis wenn du unbedingt eines brauchst."


    Beim letzten Satz musste er verschmitzt grinsen. Er wusste genau, dass seine Schwester sehr viel Wert darauf legte immer alles richtig zu machen und genau aus diesem Grund ließ er keine Gelegenheit ungenutzt, sie damit aufzuziehen.

  • Wolltest du nicht morgen selber losgehen, und dich um deine Karriere kümmern?“
    Flava wusste, dass Flavus nicht der Mensch dafür war, herumzusitzen und nichts zu tun. Er hatte eine innere Unruhe in sich, die sie gerne als Ehrgeiz bezeichnete, andere allerdings manchmal gemeinerweise als Ungeduld. Natürlich würde Flava nie so etwas über ihren Bruder denken. Er hatte lediglich die ganze Entschlossenheit, die ihr fehlte, ebenfalls im Mutterleib mitbekommen, davon war sie überzeugt.
    Allerdings war sie sich auch ziemlich sicher, dass ihr Bruder nicht so einfach locker lassen würde. Und sie wollte ja auch wirklich Priesterin werden und eigentlich wollte sie nicht warten, bis ihr Vater zurückkehren würde. Das konnte noch ein Jahr dauern, vielleicht zwei. Bis dahin war sie fast schon zu alt, mit der Ausbildung anzufangen. Wenn Vater dann heimkehren würde, würde seine Sorge wohl vornehmlich dem gelten, sie möglichst schnell zu verheiraten, ehe sie auch dafür zu alt wäre und nur unter ihrem Stand noch verheiratet werden konnte. Nein, da hatte Flavus schon recht, Warten war suboptimal.
    Meinst du denn, dein Einverständnis würde genügen? Also, wenn wir ein Schreiben aufsetzen und ich das mitnehme…
    Ein wenig zweifelte Flava, dass das wirklich so einfach nun sein sollte. Immerhin waren sie um die halbe Welt gereist, damit sie ihren Vater um Erlaubnis für genau diese Sache fragen konnte. Und nun sollte es wirklich so einfach gehen?

  • "Aber natürlich wird das genügen!"


    Mit einem schnellen Ruck schoss Marcus aus seiner liegenden Position in Flavas Bett in die Höhe und sprang aus dem Bett. Er eilte zu ihr und warf einen kurzen Blick auf ihren Schreibtisch. Da sie zuvor noch den Brief an die Großelter verfasst hatte, lag alles was er brauchte bereits bereit. Er nahm eine leere Seite Papyrus und einen Griffel zur Hand, tunkte selbigen kurz in das Schälchen mit Tinte und begann ein kurzes Schreiben aufzusetzen.


    Ich, Marcus Decimus Flavius, gestatte meiner Schwester, Decima Flava, in meiner Funktion als ihr Tutor und Vormund (bis zur Rückkehr oder Bestätigung des Todes unseres Vaters Marcus Decimus Livianus), den Beitritt zum Cultus Deorum und die Ausbildung zur Priesterin der Diana.


    Gez. Marcus Decimus Flavus


    Seine eigene Unterschrift bereitete ihm die meisten Probleme. All zu oft war Marcus noch nicht in die Verlegenheit gekommen etwas unterschreiben zu müssen. Als er fertig war, überflog er es noch einmal rasch, legte den Griffel wieder auf seinen Platz und schob das Stück Papyrus zu Flava, so dass sie es sich ansehen konnte. Eigentlich hätte er auch kein wirkliches Problem damit gehabt als Decimus Livianus zu unterschreiben. Der Scriba, der dieses Dokument in die Hand bekam, kannte bestimmt nicht die Unterschrift des Alten und somit konnte auch keiner die Fälschung bemerken. Aber er entschied dann doch es vorerst einmal auf diesem Weg zu versuchen.


    "Ich danke das sollte reichen. Damit sollte es keine Probleme geben und ich muss vermutlich wirklich nicht mitkommen. Und wenn es wirklich Probleme gibt, dann fragen wir einfach den Triumphator ob er dir ein solches Schreiben aufsetzt."

  • Er wollte deswegen gleich zu Meridius laufen? Flava hatte da doch ein paar Skrupel, ihren neuen Verwandten da gleich um sowas zu bitten. Vor allem, da er doch demnächst losziehen würde, da musste sie ihn doch wirklich nicht mit so etwas behelligen. Sie kam sich dabei vor, als würde sie seinen guten Ruf ausnutzen, und sie hatte nichts getan als Teil dieser Familie, um das zu dürfen. Nein, Meridius wollte sie lieber raushalten. Zumal sie ihn ja auch noch um einen anderen Gefallen bitten wollte.
    Ich glaube, wir versuchen es erstmal ohne Meridius’ Hilfe. Ich meine, Vater hat uns noch nicht einmal als seine Kinder angenommen, da kommt es mir irgendwie falsch vor, seinen Cousin gleich für uns einzuspannen. Zumal ich mir ohnehin überlegt habe…
    Gleich würde Flavus böse werden, das konnte Flava fast schon spüren. Oder vielleicht nicht böse aber… er würde eben Flavus sein, und nicht unbedingt ihr liebender Bruder. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass er ihre Idee auch gut finden würde.
    … ihm vielleicht einen Brief an Vater mitzugeben. Damit er schon etwas von uns hat, wenn er gerettet ist, und uns vielleicht etwas kennenlernen kann, bevor er wieder hier ist.

  • Langsam wurden Marcus Augen schmäler, als er die Worte seiner Zwillingsschwester hörte. Da Flava auf ihrem Stuhl saß, er hingegen neben ihr bzw. ihrem Schreibtisch stand, sah er ohnehin schon auf sie herab, was seinen Gesichtsausdruck bestimmt noch bedrohlicher erscheinen ließ. Er wollte ihr gerade noch erklären, dass in Rom das wichtigste der Name und die verschiedenen einflussreichen Kontakte waren, als sie plötzlich mit diesem Brief begann. Den Alten einen Brief schreiben?! Phaa! Er sollte nur kommen und vor die vollendeten Tatsachen gestellt werden. Er sollte hören, dass er seine Frau und seine Kinder im Stich gelassen und stattdessen die Legio und seine Karriere vorgezogen hatte. Und hoffentlich traf ihm der Schock seinen beiden Kindern gegenüberzustehen so sehr, dass er am besten gleich tot umfiel. Noch besser wäre es natürlich gewesen, wenn er überhaupt schon in Pathia zu Tode gefoltert worden war. Nein! Von ihm würde er bestimmt keinen Brief bekommen. Dementsprechend ablehnend und schnippisch klang auch seine Antwort.


    "Einen Brief willst du ihm schreiben? Wofür? Er wird schon sehen das er zwei Kinder hat, wenn er erstmal in Rom angekommen ist. Du glaubst doch nicht wirklich das er etwas von uns haben will oder deinen Zeilen auch nur den geringsten glauben schenkt. Ich sag dir eines Flava. Am besten wird es sein wenn wir seine Abwesenheit nutzen und uns hier in Rom mit seinem Namen eine Existenz aufbauen. Denn wie du gerade richtig gesagt hast – wer weiß nimmt er uns überhaupt als seine Kinder an."

  • Flava sah mit ihren Hundeaugen zu Flavus hoch. Natürlich hatte er irgendwo recht, aber sie wollte das nicht hören. Das war nicht das, wie sie von ihrem Vater denken wollte. Und so, wie sie es aus den Beschreibungen bisher herausgehört hatte, war er auch nicht so, wie Flavus ihn sich wohl gerne vorstellte.
    Meridius wird ihn doch nicht im Dunkeln darüber lassen, dass ihn zwei Kinder hier erwarten. Wenn er gerettet ist, wird er es doch schon wissen. Und meinst du nicht, es wäre gut, da schon die Initiative zu ergreifen und sich ihm schon vorzustellen? Wenn er uns erst einmal kennt, vielleicht erreichen ja ein paar geschriebene Worte sein Herz? Es muss doch etwas liebenswertes in ihm sein, sonst hätte Mutter ihn sicher nicht geheiratet. Und vielleicht hilft so ein Brief dann ja, dass er uns annimmt?
    Das waren zumindest die logischeren Gründe, warum Flava den Brief gut fand. Sie wusste, mit Logik konnte sie bei Flavus wohl mehr erreichen als mit Gefühl, vor allem, da seine Gefühle so ablehnend waren. Ihre hingegen waren gänzlich anderer Natur. Sie wollte gerne endlich einen Vater haben, ihn kennen lernen, ihn wie eine Tochter lieben und von ihm wie eine Tochter geliebt werden. Das hieß ja nicht, dass sie deswegen ihre Großeltern weniger liebte oder ihnen ihre Erziehung nicht dankte und alles, was sie für sie getan hatten. Aber ein richtiger Vater, das wäre schon ein Stück Traum für die junge Römerin.

  • Noch während Flava sprach wandte sich ihr Zwillingsbruder von ihr ab und schlenderte zurück zu ihrem Bett, wo er sich, wie bereits zuvor hineinfallen ließ und an die Decke starrte. Dennoch hatte sie seine volle Aufmerksamkeit und er überhörte keines ihrer Wörter. Dieses Thema war viel zu wichtig, um sich einfach taub zu stellen und nichts zu sagen. Seine Antwort viel dennoch recht Trotzig aus.


    "Von mir aus schreib ihm diesen blöden Brief. Aber erwarte nicht, dass ich auch nur einen Satz dazuschreibe."


    Vielleicht war er ja wirklich schon tot. Dann war dieser Brief ohnehin vollkommen egal. Sollte sie ihn mitgeben und ihr Gewissen damit beruhigen. Alles weitere würde sich ohnehin erst herausstellen, wenn der Alte zurück in Rom war. Und bis dahin wollte Marcus die Zeit nicht ungenutzt lassen.

  • Das hatte Flava auch gar nicht erwartet, dafür kannte sie ihren Bruder viel zu gut. Oh, sie würde ihn sehr wohl in ihrem Brief erwähnen und natürlich hinein schreiben, dass auch er den Vater grüßen ließ, das gehörte sich einfach. Aber dass er wirklich selbst etwas schreiben würde, das hatte sie von Anfang an nicht erwartet.
    Dann nehme ich wohl richtig an, dass du mir nicht dabei helfen magst?
    Eigentlich wollte sie ihn ja nach dem passenden Anfang fragen, weil sie sich damit etwas schwer tat. Aber bei seiner jetzigen Laune ließ sie das lieber bleiben, da würde wohl nichts Vernünftiges bei heraus kommen. Ob er unter besserer Laune eine größere Hilfe wäre, mal dahingestellt. Aber Flava fühlte sich einfach sicherer, wenn er in der Nähe war und ihr half.
    Flava sah zu ihrem Bruder hinüber, der ihr Bett mit seinem wiederholten Hineinfallen ganz durcheinander gebracht hatte. Flava bevorzugte lieber Ordnung, aber sie sagte nichts. Bei jedem anderen hätte sie eine freundliche Möglichkeit gefunden, ihn darauf hinzuweisen, dass dieses Verhalten nicht wünschenswert war. Einzig ihr Zwilling hatte eine unendliche Narrenfreiheit bei ihr, sie war ihm noch nicht einmal richtig böse deswegen.
    Und weißt du schon, was du machen möchtest hier in Rom?“

  • Ob Flava sein verneinendes Kopfschütteln mitbekam, konnte er nicht sehen. Nicht im Traum dachte Marcus daran auch nur einen Satz auf dieses Pergament zu schreiben, geschweige denn seiner Schwester bei einer freundlichen Formulierung zu helfen. Er konnte auch nicht verstehen warum sie so versessen war ihm diesen Brief zu schreiben. Was erwartete sie sich? Das er in Freudentränen ausbrach oder ihr gar eine Antwort zurück schrieb. Ach! Es hatte keinen Sinn sich weiter den Kopf darüber zu zerbrechen. Falva wechselte ohnehin das Thema, was ihrem Bruder sehr gelegen kam. Er überlegte kurz und gab ihr schließlich Antwort.


    "Nunja. Ich habe mich bereits nach einigen Namen einflussreicher Römer erkundigt, die auf irgendeine Art und Weise mit unserer Gens verbunden sind oder zumindest mit dem Namen Decima etwas anfangen könnten. Wusstest du zum Beispiel, dass der Praefectus Praetorio, einer der mächtigsten Männer im ganzen Reich, ein Klient des Alten ist? Ich habe gehört das sie gemeinsam in der gleichen Legio gedient haben. Vielleicht könnte sich das als Vorteil erweisen."


    Marcus dachte jedoch weniger daran die Freunde seines Vaters aufzusuchen, sondern sich eher bei seinen Gegnern beliebt zu machen. Bestimmt gab es den einen oder anderen politischen Gegenspieler, der höchst erfreut darüber wäre, den Sohn Senator Livianus als seinen Klient in den eigenen Reihen zu haben. Doch er wollte noch ein wenig nachforschen, wer ein geeigneter Kandidat für eine solche Überlegung war.


    "Morgen möchte ich bei Aelius Quarto, dem Magister Domus Augusti vorstellig werden. Vielleicht kann er mir dabei helfen einen Posten am Kaiserhof zu erhalten."

  • Ob es Flavus wohl weh tat, Decimus Livianus einmal als Vater zu bezeichnen? Flava zumindest tat es weh, ihn immer mit soviel Hass von ihm sprechen zu hören. Zwar kannte sie ihn genauso wenig wie ihr Bruder, aber dennoch fühlte sie sich mit ihm verbunden. Er war ein Teil dessen, was die Mutter geliebt hatte, also liebte Flava ihn auch, obwohl sie nichts von ihm wusste. Den unendlichen Zorn des Bruders dann zu spüren fiel ihr schwer, aber sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Flavus würde es nur weh tun, wenn sie traurig war, und er würde dann nicht mehr über das Thema mit ihr sprechen. Aber sie wollte es mit ihm bereden.
    Nein, das wusste ich noch nicht. Ich muss mich erst noch informieren, wer alles zu Vaters Freunden und Klienten zählt. Aber ich bin mir sicher, mein Brüderchen hilft mir gerne dabei.
    Sie schenkte ihm ein Lächeln, wobei er das so auf dem Bett liegend vermutlich nicht sehen konnte. Aber an ihrer Stimmlage hatte er sicher den Scherz erkannt.
    Flava schob die Gedanken an den Brief erstmal beiseite und ging zu ihrem Bruder hinüber. Sie setzte sich auf den Rand des Bettes und schaute zu ihm herunter. Am Kaiserhof wollte er dienen? Das war sicher eine sehr exzellente Startmöglichkeit hier in Rom. Aber als cubicularius konnte sie sich ihren Bruder beim besten Willen nicht vorstellen. Erst recht nicht, als sie sah, in welcher Unordnung ihre Bettdecken und Kissen nun waren.
    Hast du schon einen Posten ins Auge gefasst, oder möchtest du ihn erst einmal nur pro forma um Hilfe bitten?

  • Flavus rutschte etwas zur Seite als seine Schwester sich zu ihm aufs Bett gesellte und sah zu ihr auf. Auch wenn er nicht wirklich begeistert davon war mit ihr nach Rom zu gehen, so war er froh, nun bei ihr zu sein. Eigentlich konnte er es sich gar nicht wirklich vorstellen von ihr getrennt zu sein. Sie waren ihr Leben lang beieinander gewesen und Flava war so der wichtigste Teil in Marcus Leben geworden. Er wollte immer für sie da sein, auf sie acht geben und sie vor allem Bewahren, dass schlecht für seine Zwillingsschwester sein konnte. Bei der neuen Umgebung und vor allem bei Flavas Wunsch ihren Vater kennen zu lernen, war er da noch nicht ganz sicher. Aber die Zeit würde es zeigen und er wollte rechtzeitig da sein um sie vor dem Schlimmsten zu bewahren. Doch nun freute er sich zuerstmal über ihr Interesse und sprach weiter.


    "Nunja. Genaueres habe ich natürlich noch nicht ins Auge gefasst, aber wer könnte besser bescheid wissen, was im Palast derzeit gesucht wird, als der oberste Hofbeamte. Irgendein interessanter Posten in der Verwaltung vielleicht. Als Sohn eines Senators sollte das bestimmt kein Problem sein. Vielleicht in der kaiserlichen Hofkanzlei oder als rechte Hand eines hohen Beamten. Ich werde halt versuchen mich so gut wie möglich zu verkaufen. Du musst mir auf jeden Fall die Daumen halten."


    Er grinste sie an und ließ seinen Kopf wieder nach hinten auf das Bett sinken.

  • Ich kann ja mitkommen, wenn du magst“, gab sie ihm lächelnd seine Bemerkung von vorhin wieder zurück.
    Dann lachte sie und legte sich neben ihn ins Bett. Da hatte sich Flava noch nie etwas dabei gedacht, mit ihrem Bruder in einem Bett zu liegen. Als sie klein war, war sie immer zu ihm ins Bett gekrochen und hatte sich im Schlaf an ihn gekuschelt. Und auch jetzt, wo sie an der Schwelle des Erwachsenseins stand, hatte sich an der Selbstverständlichkeit nicht viel verändert. Natürlich wusste sie, wie das für andere aussah und war daher sehr darauf bedacht, sich dabei nie erwischen zu lassen. Aber auch auf der Reise nach dem ein oder anderen Alptraum war sie zu ihrem Bruder gekommen und hatte sich an ihn gekuschelt, um wieder einschlafen zu können. Es war ihr Bruder, und sie fühlte sich bei ihm sicher, da gab es keine weiteren Hintergedanken.
    Sie stützte sich leicht auf einem Ellbogen auf, den Kopf in die Hand gestützt, und sah zu ihm herüber. Sie war ja so froh, dass er bei ihr war, sie konnte sich gar nicht vorstellen, von ihm getrennt zu sein. Wäre er in Britannia geblieben, sie wäre auch dort geblieben.
    “Dann muss ich dir auf jeden Fall die Daumen drücken. Am Kaiserhof hast du auf jeden Fall die besten Chancen überhaupt. Das wäre wundervoll, wenn du dort gleich einsteigen könntest.

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