[Peristylium] Unerwarteter Kontakt

  • Helena hatte im Garten gesessen, als ihr einer der spärlichen Sklaven ihres Anwesens die Schriftrolle hereinbrachte, welcher der Kurier vorbeigebracht hatte. Sie hatte sich zurückgelehnt und gelesen, wie sie es schon oft getan hatte, seit sie nicht mehr dem Cultus Deorum diente, sondern nur noch den Göttern selbst, indem sie ihnen des Öfteren Opfergaben darbrachte oder auch nur viel erlas und ersann. Sie begann langsam schon fast, sich auch alt zu fühlen, obwohl sie so alt doch noch nicht war. Nachdenklich entrollte sie das Schriftstück. Ihr fielen nicht viele Menschen ein, die ihr schreiben würden. Minervina würde in der Regel ein Siegel der Tiberia verwenden und von den staatlichen Institutionen würde ohnehin nichts unversiegeltes bei ihr eintreffen. Und auch als die Schrift zum Vorschein kam, runzelte sie mehr oder weniger verwirrt die Stirn, denn auch diese kannte sie nicht. Erst als der erste Name genannt wurde, Octavius Nauticus, horchte sie auf. Er hatte einen Sohn? Nagut, natürlich, er war Soldat gewesen und mit Gewissheit nicht keusch, aber dass ihr Onkel sich ‚paarte‘ erschien ihr trotzdem als seltsam. Wäre es früher ebenso gewesen und Nauticus war für sie immer der ruhige Typ gewesen, mit dem sie reden und von dem sie lernen konnte, nie der Abenteurer der er möglicherweise sogar war. „Sowas...“ murmelte sie leise.


    An
    Rediviva Helena
    Casa Rediviva
    Tarraco
    Provincia Hispania


    Salve Rediviva Helena!


    Du wirst mich nicht kennen, ebenso wenig wie ich Dich kenne, aber ich denke, dass Du mir helfen kannst. Mein Vater ist Marcus Octavius Nauticus. Ich hoffe, dass Dir dieser Name etwas sagt. Meine Mutter meinte, dass Du mir etwas über meinen Vater erzählen kannst, weil er Dich als adoptierte Tochter seines Cousins Cicero Octavius Anton wohl sehr gemocht hat.
    Es überrascht Dich sicher, dass er einen Sohn hatte und dass ich mich erst jetzt melde. Es ist eine lange Geschichte, die ich Dir besser erzähle als schreibe. Die letzten XVII Jahre war ich in der Fremde, in und jenseits von Indien.
    Ich würde mich gerne mit Dir über meinen Vater unterhalten und wäre dankbar, wenn Du mir antworten würdest. Du erreichst mich im Museion zu Alexandria, mein Name ist Marcus Achilleos. Einen weiteren Brief werde ich mir wohl nicht leisten können, deshalb bitte ich Dich, mitzuteilen, ob ich Dich eventuell besuchen kann oder Du nach Alexandria reisen kannst. Wenn Du nichts mit mir zu tun haben willst, hätte ich dafür auch Verständnis.


    Marcus Achilleos


    Aufgeregt las sie den Brief zuende und direkt darauf noch ein zweites Mal. Es war lange her, dass sie Kontakt zu diesem Familienzweig gehabt hatte. Recht bald machte sie sich daran, eine Antwort zu verfassen, wobei sie im Garten sitzen blieb und lange über ihre Worte nachsann. Dieser Kontakt war etwas empfindsames und auch besonderes, sie musste genau abwägen und auch für sich überlegen, wie sie damit umgehen sollte. Vermutlich war die nächste Bitte bei irgendetwas Unterstützung zu erhalten. Leise kratzte die Feder über das Pergament...

  • Als Helena den Brief zuende geschrieben hatte, sah sie noch einmal auf ihre fein säuberliche Schrift, die sie auf dem Pergament hinterlassen hatte. Sie hatte wirklich sehr ordentlich geschrieben. Sie hegte gewisses Misstrauen, dass irgendein Fremder versuchte, an Erbe zu kommen oder sonstetwas beabsichtigte. Helena hatte im Laufe der Zeit durchaus auch Feinde gemacht. Abermals las sie ihren Brief.


    Salve Marcus,


    ich hoffe es ist in Ordnung, wenn ich es bei der persönlichen Form belasse, obwohl wir uns noch nicht kennen und noch nicht einmal nahe miteinander verwandt sind. Ja, ich war wirklich überrascht von einem Sohn von ihm zu hören, aber ich freue mich auch. Denn jegliche nahen Verwandten von Einst gibt es nicht mehr. Und ja, natürlich bin ich auch sehr misstrauisch, erst jetzt von einem Sohn zu hören, weiß ich doch nicht einmal, wie alt du bist und wie du aussiehst. Ich würde mich allerdings sehr über einen Besuch freuen. Ich schicke dir diesen Sklaven mit. Er hat Geld für die Reise und ist absolut loyal. Ich vertraue ihm.
    Ich würde mich freuen, dich hier als Gast begrüßen zu dürfen. Ob du wirklich der Sohn des Nauticus bist, werde ich ja feststellen, wenn ich dich sehe. Denn dann wirst du sicherlich Ähnlichkeit mit ihm aufweisen.


    In Erwartung auf ein Bekanntes Gesicht
    Rediviva Helena


    Zufrieden nickte sie und faltete das Pergament säuberlich und rief den Sklaven zu sich, wies ihn in seine Aufgabe ein, und schickte ihn sogleich los. Er hatte schon oft für sie Botengänge erledigt und auch mehr, weshalb sie ihm durchaus vertraute. Er würde nicht fortgehen, dafür hatte er es zu gut. Mit einem Lächeln wandte sie sich einem verdünnten Wein zu.

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