[Trans Tiberim] Der alte Serapistempel: evigilatio, anastasis, obturbator, pater, enkoimesis


  • Im Stadtteil Trans Tiberim, am Südhang des Janus-Hügels, steht ein alter Tempel, der der Verehrung des Serapis geweiht ist. Verschachtelte Gebäude und Gärten schließen sich auf mehreren Ebenen an ihn an, sie beherbergen die Kultgemeinschaft, sowie eine Bibliothek und ein kleines Armenhospital.
    Der Tempelkomplex stammt noch aus den letzten Jahren der Republik, einer Zeit in der der Kult von Isis und Serapis durch Senatsbeschlüsse immer wieder ausserhalb des Pomeriums verbannt wurde. Mittlerweile ist der Kult längst offiziell anerkannt, einige seiner Feste sind Teil des römischen Festkalenders geworden, und er hat großen Anklang in der römischen Gesellschaft gefunden. Vielleicht weil er den Gläubigen ein ganz anderes, ein mystisches und viel persönlicheres Verhältnis zu ihren Göttern bietet, als die geschäftsmäßigen Rituale des römischen Staatskultes.
    Unter den flavischen Kaisern, die den Kult besonders förderten, entstand eine prachtvolle Tempelanlage von Isis und Serapis auf dem Marsfeld (und diese erfreut sich insbesondere unter den wohlhabenden Römerinnen so großer Beliebtheit, dass Ovid in seiner 'Ars Amatoria' jene "weihrauchduftenden Altäre" einem jeden, der auf der Suche nach einer Geliebten ist, wärmstens empfiehlt.)


    So groß und prunkvoll wie sein jüngeres Gegenstück auf dem Marsfeld ist das Serapeion auf dem Ianuculum bei weitem nicht, und selbstverständlich schon gar nicht zu vergleichen mit dem legendären Serapeion von Alexandria.
    Zur Zeit seiner Erbauung stand der Tempel frei, von Pinien und Zypressen umrahmt, doch mittlerweile ist die Stadt den Hang hinauf gewuchert, und der Tempelkomplex ist umgeben von Gassen und Wohnhäusern, zur Rechten bedrängt von einem Mietsstall, zur Linken von einer städtischen Wassermühle, wo sich beständig knirschend das Mahlwerk dreht...


    Wenn man das Hauptportal der Anlage durchschreitet, gelangt der Besucher auf den grob geplasterten Vorplatz des Tempels, wo ein reges Treiben herrscht, von Gläubigen (meist Leute aus dem Viertel), und von Händlern, die Opferzutaten, Blumenketten, Amulette und heiße Würstchen feilbieten, von Menschen die auf der Suche nach Rat und Weissagung sind und von Kranken die sich Heilung erhoffen. Hin und wieder verirren sich auch ein paar Touristen aus der Provinz hierher, verlassen den volkstümlichen Tempelkomplex aber schnell wieder, um spektakulärere Bauwerke zu besichtigen.


    Vor dem eigentlichen Tempel, an der Stirnseite des Vorhofes, erhebt sich ein kleines Exemplar eines Obelisken, ganz verwittert, die schwarze Oberfläche ist abgegriffen von den unzähligen Händen die über den Stein gestrichen haben, und die Hieroglyphen darauf sind nur noch zu erahnen.
    Aus roten Ziegeln ist der Tempel gemauert, und von seinem halbkreisförmigen Giebel herab lauert, direkt über dem Altar, mit gefletschten Zähnen ein schauriges Untier mit drei Köpfen – der eines Löwen, der eines Wolfes, und der eines Hundes.
    Durch die Tempeltüre, die jeden Morgen rituell geöffnet wird, und erst bei Sonnenuntergang wieder geschlossen, sieht man im Allerheiligsten die Standfigur des Gottes, umgeben von Votivgaben. Auf hellenistische Weise ist Serapis dagestellt als bärtiger Gott der Ewigkeit, gekrönt mit dem ährenumwundenen Kalathos, in der Hand hält er den Schlangenstab.


    Jede Stunde werden die Hymnen zu seinen Ehren gesungen. Eine Schar von Priestern mit kahlgeschorenen Schädeln, gekleidet in weiße Leinengewänder, sowie von Mysten auf verschiedenen Stufen der Initiation, versieht den Tempeldienst, kümmert sich um die Gläubigen, vollführt Rituale und deutet Träume. Einige, die den Serapis in seinem Aspekt als Gott der Heilung besonders verehren, betreiben in einem flachen Nebengebäude ein kleines Hospital, welches vor allem von den Armen der Umgebung aufgesucht wird (denn bei jenen, die es sich leisten können, ist es ja bekanntlicherweise üblich, sich bei Krankheit einen Medicus nach Hause zu bestellen).


    An die Rückseite des Tempels schließt sich die Bibliothek an, sowie die Unterkünfte der Kultmitglieder und die Gärten. Dort befinden sich auch, teilweise unterirdisch liegend, die nichtöffentlichen und nichtzugänglichen Bereiche der Verehrung, von denen niemand, der die Weihen nicht erfahren hat, wissen kann was dort geschieht. Während jene, die es wissen - darüber schweigen.

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    Ich übergab den leblos scheinenden, blassen Körper an die Priester, sie würden sich um ihn kümmern, auf die Frage wer wir sind, lautete die Antwort. „Ich bin nur ein Träumer, dieser Mann hier braucht eure Hilfe und die der Götter.“ Noch bevor weitere Fragen gestellt werden könnte, verschwand ich in Richtung der Subura. Was mir blieb war die Hoffnung auf die Götter des Römers und darauf, das ich ihn eines Tages – Träumer unverbesserlicher Träumer...

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    ....das erste, woran ich mich wieder erinnern kann... als das schwarze Loch mich ausspie... das ist der Geruch. Es roch nach Valetudinarium - Krankheit, bittere Arznei, Körperdünste, schwärendes Fleisch– scheußlich, ich hasse diesen Geruch! Vermischt mit... Weihrauch. Und Stimmen, gedämpft, wie von fern... darunter ein Rauschen und Grollen und Schaben... und monotoner Gesang.
    Der Geruch wurde stärker, mit jeden Atemzug. Ich atmete durch den Mund, um ihm zu entgehen... berührte mit der Zunge meine Lippen, die trocken und rissig waren... spürte unter meiner Wange rauhen Stoff, die spärliche Weichheit einer dünnen Matte. Was... wer.. wie kam ich.... Panik stieg in mir auf. Wie ein Schiffbrüchiger, der an fremde Gestade gespült wurde, schlug ich die Augen auf, fuhr hoch, sah mich blinzelnd um, desorientiert, ohne einen blassen Schimmer wo ich war, wie ich da hin kam, was geschehen war, und ob auf dieser Insel kannibalische Zyklopen oder blutgierige Sirenen oder grausame Kynokephalen meiner harrten?!!!!


    Eine dünne Gestalt näherte sich. "Ja?" Er beugte sich zu mir, fühlte meinen Puls. Der Mann sah nicht aus wie Zyklop. Eher wie ein gastfreundlicher Phäake. Er war jung, trug eine birkengrüne Tunika, hatte das Haar geschoren bis auf eine seitliche Locke.
    "Wo bist du?" fragte er mich.
    Ich sah ihn groß an. "Das wollte ich gerade fragen." Meine Stimme war schwach, wie eingerostet. Hektisch sah ich mich um, und ja, ich lag auf einer Pritsche in einem Hospital, aber um mich waren keine Soldaten... Die Gallerie von Elendsgestalten, die hier meine Mit-Patienten waren, hätte jeder thessalischen Schauergeschichte alle Ehren gemacht: eine alte Frau, aus deren Fratze milchig trübe Augen blöde starrten, ein Kind, das von oben bis unten in Verbände gewickelt war, ein grindiger Krüppel – ich wandte den Blick schnell wieder ab. Statt dessen sah an mir runter, noch immer verständnislos, nahm Stück für Stück wahr: Ich trug eine ganz einfache beige Leinentunika. Ich war verdammt mager, und so schwach wie ein ausgelaugter alter Lappen. Aber immerhin, alle meine Gliedmaßen waren noch dran. Um meinen Hals hing, als ich danach tastete, noch immer mein altes Serapis-Amulett, das war so ziemlich das einzige das mir hier vertraut war. An meinen Händen war kein Ring. Um mich herum waren mehrere Papyrusstreifen mit Hieroglyphen darauf an das Holz der Pritsche gepinnt.
    "Keine Ahnung?"
    "Nein..." murmelte ich beklommen.
    "Du bist im Hospital des Serapeions, auf dem Ianushügel." erklärte mir der Geweihte, und schob mir einen Wasserbecher zu, den ich benommen austrank.
    "Warum?!"
    "Vergiftung."
    "Wie das?" Doch noch während ich das fragte... brachen die Erinnerungen auf wie Wunden ... Dives, wie er mich stehen lässt, Dives, wie er meinem Blick ausweicht, Dives, wie er die Hand seiner Braut ergreift, und die Menge, wie sie skandalgierig die Nüstern blähte, das hämische Tuscheln, und Licinus, der vorgibt mich nicht gesehen zu haben... und all das zuvor und immer so weiter. Gequält schloß die Augen.


    "Du hast es mit dem Opium deutlich übertrieben" fuhr der Mann munter fort, "doch Serapis Asklepios hat dir beigestanden, und wir haben dich kuriert, mit abessinischem Theriak und gründlicher Bestreichung durch das Alicorn, mit den Glyphen der Macht und Asa foetida und Faulbaumrindenklistier, anfangs täglich, dann.... -"
    "Schon gut..." So genau wollte ich das nicht wissen. Aber ganz schön viel Aufwand betrieben die hier.
    "Wir haben dieses Gespräch übrigens vor zwei Tagen schon einmal geführt" informierte der Geweihte mich freundlich. Er wies auf eine Wachstafel, die da neben meiner Pritsche lag. Ich nahm sie, klappte sie auf, und las, verblüfft, in meiner eigenen Schrift geschrieben: 'Serapeion Trans Tiberim, bin seit einer Woche hier, der Myste heißt Loquex, sie haben mir Theriak gegeben, wer ist der Träumer?, in Zukunft fleischlos'
    "Du hast Glück, dass dein Freund dich gleich hierhergebracht hat. Es geschieht nicht selten, dass wir Patienten aus dieser unseligen Opiumhöhle da drüben bekommen..." erklärte Loquex(?), kopfschüttelnd irgendwohin deutend, "Wenn es nach mir ginge, sollte man den freien Verkauf dieses Zeugs schlichtweg verbieten – es gehört nur in Experten-, nicht in Laienhand!! - und ebenso strengsten verboten gehört die Geißel des Glücksspiels und die käufliche Liebe! – Ja, wieviel Tote, Ruinierte und von Geschlechtskrankheit zerfressene, wieviel trauernde Witwen und arme Waisen sich diese Stadt doch ersparen könnte, wenn die Menschen allesamt etwas vernünftiger wären... - Du solltest dies als Warnung nehmen und in Zukunft die Finger von dem Zeug halten, die Entgiftung liegt hinter dir, die Entwöhnung ist nun essentiell, auch rate ich dir zu nahrhafter, jedoch fleischloser Kost, einen Diätplan haben wir bereits erstellt - und das wichtigste: TRINKEN. Trinken, trinken, trinken, MINDESTENS zwei Kannen Wasser täglich..."


    Und auf diese Weise redete er mir armem Wehrlosen noch lange ins Gewissen.
    "- Welcher Freund?" fragte ich schließlich, als der redselige Diener meines Namenspatrons mich endlich auch mal zu Wort kommen ließ – "...der mich gebracht hat?" – doch da konnte er mir auch nicht weiterhelfen: Dunkelhaarig sei er gewesen. Und so schnell wie er gekommen sei, sei er auch wieder verschwunden.

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    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

  • Das Fries oben an der Wand, über meiner Pritsche, bestand aus einem Grundmuster von Palmbättern, die gebündelt waren, sich oben auffächernd, wie Garben nebeneinander gestellt, überlagert von einem verschlungen geschwungenen Band. Die grünen und goldgelben Farben waren bereits verblasst und an manchen Stellen abgebröckelt, es hätte eine Auffrischung vertragen können. Immerzu hörte ich den Hymnengesang aus dem nahem Tempel, während ich da im Hospital lag und darüber sinnierte, dass ich wahrscheinlich der erfolgloseste Selbstmörder aller Zeiten war. Wobei es mir nun, so im Nachinein, schon etwas, gelinde gesagt, schnöde vorkam, dass ich mich - auch wenn der Rest der Schweinebande mir gestohlen bleiben konnte - nicht mal von meiner Schwester verabschiedet hatte. Und dann dieser Träumer, dessen Mandelaugen mir als zauberisches Gaukelbild, eben wie ein halberinnerter Traumfetzen, im Kopf herumspukten – war der wirklich gewesen? War da wirklich jemand gewesen, der mich gar nicht gar nicht kannte, und doch bei mir geblieben war, und mir beigestanden hatte, trotzdem ich da, im Abgrund meiner Verzweiflung, etwas vollkommen ungeheuerliches von ihm verlangt hatte...? Wenn es ihn gab... und anscheinend hatte er mich hierhergebracht, also mußte es ihn doch geben – oder? - dann wollte ich zumindest wissen wer er war und mich.. nun ja... bedanken...
    Wie kaum verwunderlich, war ich noch ziemlich durch den Wind, und hatte auch so ein paar Probleme, mir Sachen zu merken. Loquex und die anderen Geweihten gaben mir dann haufenweise Verse zum Auswenig lernen ("Üben, Üben, Üben!" – "Und das trinken nicht vergessen – aber nur klares Wasser!")
    Ich war nicht in der Position mich dem zu widersetzen. Und sie waren alle... so nett. (Ehrlich jetzt.)


    Als es mir ein bischen besserging, schleppte ich mich hin und wieder dann mal an die frische Luft, spazierte in meiner unkleidsamen Krankentunika durch die Gärten... Und natürlich zog es mich auch in den Tempel, da saß ich oft stundenlang auf dem Boden vor dem Götterbild, in weihrauchgeschwängertem Halbdunkel, zwischen anderen Mühseligen und Beladenen und Suchenden, umhüllt von ihrem Murmeln, dem Singen der Initiaten und den leisen Knistern der Kerzenflammen. Das war schon ganz was anders hier, als in einem normalen Tempel. Lange hing ich meinen Gedanken nach. Zum einen... war es ja klar, dass Serapis mich gerettet hatte... aber wozu der ganze Aufwand, das war mir schleierhaft!
    Ich dachte auch an meine Eltern, dankbar dass sie mir diesen Namen gegeben und mich damit zum Schutzbefohlenen des Gottes gemacht hatten... ich wußte dass meine Mutter mich ursprünglich anders hatte nennen wollen, und ich fand es traurig, dass ich gar nicht wußte, was meinen Vater mit dem Kult verbunden hatte, was es ihm bedeutet hatte, mich so zu nennen – oder hatte ihm vielleicht nur der Klang gefallen? – zugleich wurde mir bewußt, um wieviel jünger mein Vater gewesen war, als er in Mauretanien gefallen war, als ich es nun war... und was man dergleichen so denkt, losgelöst von der Vergangenheit, losgelöst von allem Äusseren, das sonst betäubend auf die Sinne einstürmt... wenn die Gedanken und Erinnerungen wie große Meerestiere aus der Tiefe auftauchen, manche unerwartet, andere wohlvertraut, manche banal, manche grausig, andere sehr schön... Und manche, vom Krieg, die ich schleunigst zurück in die Abgründe, aus denen sie gekommen waren, zurückverbannte.


    An einem dieser Tage war es, als ich da so saß, zwischen den anderen, die Beine untergeschlagen... da geschah es, dass die Gedanken, die sich so zahlreich um mich getummelt hatten... langsam davonzogen, wie Wolken vor dem lichten klaren Himmel... und eine wundersame Leere in mir zurückblieb. Beschreiben kann ich das nicht, mit Worten...
    Eine der Tempelkatzen kam herbeigeschlichen und rieb ihren Kopf an meinem Knie. Selbstvergessen streichelte ich das geschmeidige kleine Tier, spürte das weiche getigerte Fell, und zugleich hörte ich den Priester erzählen. Oder bessergesagt... ich hatte ihn eigentlich schon die ganze Zeit gehört, es war ein älterer Mann mit einer großen Nase, der schon eine Weile in der Vorhalle zu seinen Schülern sprach, aber nun waren meine Ohren mit einem mal auf eine ganz andere Weise offen, und ich vernahm wie er die Geschichte erzählte, von Osiris (der auch Serapis war) und seinem teuflischen Bruder Sethos, von dem perfiden Mord an Osiris und der langen Irrfahrt der Isis......


    [Blockierte Grafik: http://www11.pic-upload.de/10.07.14/u3q8wliigplj.jpg| Der Serapispriester Anastasius


    ...und wie sie nach viele Umwegen und Gefahren endlich den Sarg ihres Bruder-Gatten fand, an der syrischen Küste, verborgen im Gezweig des riesigen Tamariskenbaumes.


    "Als Isis nun auf die Lade mit ihrem toten Gemahl blickte, versank sie wieder in allergrößter Trauer. Sie setzte sich auf die Lade und ihr Klagegesang war so schrecklich, dass einer der Söhne des des Königs von Byblos vor Angst dahinschied. Schließlich nahm Isis die Lade mit dem Körper ihres toten Mannes, lud sie auf ihr Schiff und segelte wieder Richtung Heimat...."


    Wie sie ihn trauernd über das Meer brachte, erzählte der Priester mit seiner ruhigen, volltönenden Stimme, und die Worte der uralten Geschichte trugen mich mit sich, so dass ich dabei war, als Isis, angekommen in Ägypten die Lade öffnete und Osiris' Körper noch unversehrt fand. Ich sah auch, wie der niederträchtige Sethos erneut sein Werk vollbrachte, wie er Isis fortlockte und sich an die Lade heranschlich, wie er den Leichnam des ermordeten Osiris zerfleischte und zerstückelte, und alle vierzehn Teile über das ganze Land verstreute. Ich sah die treue Isis, wie sie zusammen mit dem schakalköpfigen Anubis auf einem Papyrusboot den Nil entlang fuhr, und die Leichenteile alle bis auf eines wiederfand, wie sie den Körper mit ihren zauberischen Kräften neu zusammensetzten, wie Isis das fehlende Glied selbst neu erschuf...


    "So sang sie die Wärme in den Körper des Osiris zurück, und mit ihren Flügeln hauchte sie ihm erneut den Atem des Lebens ein. Er kehrte zurück zu ihr, sie lagen beieinander und Isis empfing den Götterfalken Horus, der wie ihr wisst auch Harpokrates ist."
    Er erzählte von der Götterversammlung, die dem Osiris zusprach, wieder König zu sein – jedoch nur in der Unterwelt, als Herrscher des Totenreiches – und beschrieb das Aufwachsen des Horus, beschützt von Skorpionen, in den Sümpfen des Nildeltas versteckt vor Sethos Bosheit.
    "... doch wie er zuletzt aus den Schilfwäldern heraustrat, und als Rächer seines Vaters Osiris gegen den Sethos antrat... werde ich euch an einem anderen Tag erzählen." schloß der Priester die ewige Geschichte.


    Ich stand auf und ging zu ihm. Um ihn war eine Ruhe, fast greifbar (nebenbei bemerkt: ähnlich wie bei diesem ungewöhnlichen Mann damals in der Spelunke, wo die Urbaner sich so dicke getan und ich mir den Kater meines Lebens geholt hatte), und aus seinen Augen sprach eine ungeheure Wachheit und Klarheit, als er mich ansah.
    "Ich habe eine Frage... nein, eigentlich mehrere....." sagte ich leise.
    "Nur zu."

  • Alle glücklichen Familien gleichen einander.
    - Moment! ... Wie in aller Welt komme ich jetzt darauf?! Vielleicht, lieber Leser, weil es über die darauffolgende Zeit wenig zu berichten gibt... obgleich sie für mich so unendlich bedeutsam war. Ich hatte den Weisen meines Vertrauens gefunden, und wir führten lange Gespräche. Ich meditierte im Tempel. Ich half ein bisschen im Garten mit. Ich machte meine kleinen Erinnerungs-Übungen. Ich lernte eine Menge neues – zum Beispiel, dass ich einen Stier in mir trage. Nein - da irrst du lieber Leser! - nicht so wie der Stier von Tarraco! :D Ich meine den APIS-Stier, den heiligen Stier von Memphis, der sich noch immer verborgen in S E R A P I O wiederfinden lässt.


    Die Wochen wurden zu Monaten, das Gras vergilbte, die Sommerhitze legte sich über die Stadt. Doch für mich war diese Zeit, wenn ich das so sagen darf, der Sommer meiner ganz persönlichen Wiederauferstehung. Und irgendwann ließ es sich beim besten Willen nicht mehr leugnen, dass ich als im Rahmen des Möglichen "geheilt" gelten mußte. Im Hospital gaben sie mir ein kleines Bündel zurück, mit den persönlichen Besitztümern, die sie anfangs in Verwahrung genommen hatten – meine Kleider (gewaschen zum Glück), meine (unangetastete!) Börse, mein Eques-Ring. Und ein roter Turbanschal, der mir gar nicht gehörte, war auch dabei... das war der Beweis: den Träumer gab es wirklich!
    Das Geld spendete ich gleich mal dem Tempel, bis auf ein paar As. Mit denen kaufte ich mir bei einem der Essenstände am Haupteingang eine wunderbare gefüllte Teigtasche (ohne Fleisch, aber herrlich duftend und genau richtig gewürzt). Im Schatten der Mauer auf einem Stein sitzend verzehrte ich diese köstliche Mahlzeit andächtig. Ich bot auch einem der herumstreichenden Tempelkätzchen einen Bissen an, aber sie hielt nichts von fleischloser Kost.
    Und nun?


    Ich mußte nicht lange überlegen. Hier an diesem Ort hatte ich zum ersten Mal wieder so etwas wie Frieden gefunden und... etwas Größeres. Ich fädelte den Ring auf ein Stück Schnur und hängte ihn mir um den Hals, verborgen unter der Tunika... Faltete den blutroten... mohnroten...leidenschaftlich roten... Schal zusammen und verstaute ihn in meinem Bündel. Darauf ging ich zu Anastasius und sagte ihm, dass ich bleiben und der Kultgemeinschaft beitreten wollte. Er war einverstanden – obgleich er mittlerweile natürlich um meine Identität wußte – verlangte jedoch, dass ich erst eine Zeitlang mit den Initiaten zusammenleben und deren Leben erproben müsse, bevor ich das erste Mysterium erfahren dürfe.
    Mir war das recht. Ich versprach ihm, keine Wolle zu tragen, weiterhin kein Fleisch zu essen und mich rein zu halten, und durfte bleiben. Ab da wohnte ich in einem der Schlafsäle, mit vielen anderen Jüngern (und deutlich jünger als ich waren sie fast alle), von denen verwirrend viele auch 'Serapio' hießen, (weil sie diesen Namen bei ihrer Initiation gewählt hatten), nahm am den kultischen Unterweisungen teil, und am Tempeldienst. Bisweilen spielte ich auch die Syrinx als Teil der musikalischen Begleitung der Zeremonien... das gefiel mir am besten. Und so gewöhnte ich mich langsam auch wieder daran, dass da Menschen um mich waren, die mir gar nichts Böses wollten. Ich freundete mich sogar flüchtig mit zwei anderen Tempelmusikern an.
    Was meine Vergangenheit anging, so hielt ich mich natürlich trotzdem bedeckt... und abgesehen davon, dass ich meiner Schwester endlich einen Brief schrieb, hielt ich mich von der Aussenwelt ganz entschieden fern...

  • Seit dem vorangegangenen Nachmittage bereits war Gracchus' Magen in Aufruhr, war sein Leib durchzogen von Nervosität, seine Gedanken durchzogen von sich in endlosen Kreisen drehenden Überlegungen. Er hatte die allabendliche Cena vermieden, und als er endlich ein wenig Schlaf hatte gefunden, wirr geträumt, wiewohl er sich nur noch jenes Traumes konnte entsinnen, welchen er kurz vor dem Aufwachen hatte durchlebt: in einer leeren Gasse war er Serapio gegenüber getreten, welcher sein Gladius gezückt und ihm entgegen gehalten hatte. Er hatte ihn an den Schultern gefasst, im ersten Augenblicke im Glauben, dass er Faustus damit zum Innehalten wollte zwingen und auf Abstand halten, doch alsbald war ihm klar geworden, dass es nur die Berührung war, nach welcher er sich sehnte. Er hatte ihn spüren wollen, ihn riechen und schmecken und Faustus an sich herangezogen, dass das Gladius zwischen ihnen in seinen Leib eingedrungen war - doch der Tod war ohne Bedeutung, solange er nur Faustus in seinen Armen konnte halten. Und während ihre Herzen ganz nah aneinander hatten geschlagen, er Faustus' Atem an seinem Hals hatte spüren können, war sein warmes, rotfarbenes Blut aus seinem Bauch getropft, hinab zwischen seine Beine. Als Gracchus schlussendlich erwacht war hatte er feststellen müssen, dass es eine andere Flüssigkeit war, welche zwischen seinen Schenkeln klebte, und dies war ihm überaus unangenehm - zum einen, da er kein lüsterner Jüngling mehr war, zum anderen, da er nicht wollte zulassen, dass seine Neigung zu Serapio noch immer derart groß war nachdem dieser in der Saturnaliennacht seiner Familie hatte gedroht. Für den Vormittag dann hatte er Sciurus alle anstehenden Pflichten absagen lassen - die Salutatio, sowie einen Besprechung mit seinen kultischen Liktoren und einem Scriba des Collegium Pontificum ohne Nennung von Gründen, einen Termin mit Senator Cartilius ob dringender persönlicher Belange. Die freie Zeit hatte er dazu genutzt, einen äußeren Schein aufzubauen - während ein Tonsor sich um seine Haare hatte gekümmert, hatte ein weiterer Sklave ihm Finger- und Zehennägel gekürzt, hernach hatte er ein Bad genommen, sich abschaben und mit Ölivenöl, welches mit einem Hauch von Mandelduft war versetzt, einölen, schlussendlich in eine Tunika aus einem Wolle-Seidengemisch - abgesehen von der Beschaffenheit des Materials indes eher schlicht, einfarbig in dunklem Grün gehalten - kleiden lassen. Letztlich war der äußere Schein alles, was zählte - dies lernte ein jeder Patrizier bereits im Kindesalter: es zählte nicht, was jemand war, sondern was er darstellte, nicht wie jemand sich fühlte, sondern wie er sich gab, nicht was er dachte, sondern was er sagte und tat. Gracchus war ein Verschwörer, Mörder und Lügner, er fühlte sich verloren in den Wirren der Realität, schuldig und desperat, und er dachte, dass er all dies nicht tun wollte - doch er würde Manius Flavius Gracchus, Senator und Pontifex pro magistro, aus dem patrizischen Geschlecht der Flavii Romuli, darstellen, sich überzeugt und selbstsicher geben, und ohne Zögern den Weg bis zu Faustus Decimus Serapio gehen. Zumindest bis zu diesem Punkt hegte er keine Zweifel der Durchführbarkeit, hatte Sciurus am vorigen Nachtmittage ihm doch berichtet, dass er Faustus endlich in einem Tempel in Trans Tiberim hatte ausfindig gemacht. Was indes sein Vorhaben anbelangte sobald er Serapio würde gegenüber stehen, so fürchte Gracchus doch, dass all dies, was er je hatte gelernt, sich gänzlich würde verflüchtigen. Als er nun seinem Ziel bereits zum Greifen nahe das Hauptportal der Anlage des Tempels des Serapis durchschritt - den Weg durch die Menge von Sciurus gebahnt -, gemahnte er sich ob dessen noch einmal daran, dass sein vorrangiges Ziel musste sein, seine Familie zu schützen, dass er nicht würde zulassen dürfen, dass Serapio seine Kinder in Gefahr brachte - um jeden Preis. Jeden Preis. Jeden. Unheilvoll schaute Gracchus schlussendlich zu dem dräuenden Untier am Giebel des Tempels hinauf - jedes einzelne der drei Mäuler schien ihn verschlingen zu wollen - und wandte sich sodann an einen der Kultmänner des Tempels.
    "Salve, ich bin auf der Suche nach Decimus Serapio. Ich bin ein ... Freund."
    Noch war seine Stimme fest, sein Auftreten bestimmt, und obgleich er nicht die toga praetexta trug, so war ihm doch zweifellos anzumerken, dass er nicht nur ein dahergelaufener Niemand und darüber hinaus gewohnt war, nicht um Dinge bitten zu müssen.

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Als ich das Innere des Tempels zum ersten Mal betreten hatte, da hatte ich nur Augen für das majestätische Standbild des Serapis gehabt. Doch es gab da noch viel mehr – Andachtsbildnisse, Statuetten und kleine Nebenschreine... soviele Aspekte der Allgott in sich vereinte, soviele verschiedene Stätten des Gebetes gab es hier. Mindestens.
    Soeben stand ich in einer der Seitennischen, im Halbdunkel, dem Gemurmel, dem Duft von Weihrauch und Bienenwachs, und wechselte die Kerzen vor dem Schrein der göttlichen Familie. Isis, Serapis und Harpokrates waren hier als Halbrelief aus bunt glasiertem Ton dargestellt, der Kerzenschein huschte über einen erhobenen Arm, ein gefälteltes Gewand, ein mildes Antlitz... Die alten Kerzen waren beinahe heruntergebrannt, ich entzündete eine der frischen, wechselte sie aus, entfernte die Kerzenstümpfe, und steckte die neuen an. Ganz in diese einfache Tätigkeit versunken, wanderten meine Gedanken ruhig... hin zu etwas, von dem ich mich zu erinnern meinte, dass es der Träumer gesagt hatte, und ich es als 'Binsenweisheit' abgetan hatte – ich war mir aber nicht sicher, womöglich hatte ich es mir auch nur eingebildet, nämlich die Worte: "Wer nach Frieden strebt wird Streit finden". Worte, deren Tiefe und Bedeutungen sich mir erst hier, in der Stille, langsam zu erschließen begannen... (Ich meine nicht die Stille der Lautlosigkeit, Lärm gab es auch hier, eher die Stille einer unbewegten Wasseroberfläche... nur wenn sie glatt, ohne Kräuselung vor einem liegt, kann man einen Blick in die Tiefe des Gewässers werfen und das Profunde erkennen...)
    ...Wenn ich aber nun... überlegte ich...während ich mit einem kleinen Spatel das alte Wachs von den Steinen abkratzte... nur mein eigenes Spiegelbild an der Oberfläche sehe, und es fälschlich für einen Blick in die Tiefe halte? Ich sammelte die Wachsreste in einer Schale (sie wurden eingeschmolzen und neue Kerzen daraus gezogen) –


    - und das war der Moment, in dem ein großer Stein in hohem Bogen in mein metaphorisches Gewässer hineinpolterte, das Wasser aufstob, die Wellen ans Ufer brandeten, und das Bild (mochte es Weisheit oder reine Selbstbespiegelung gewesen sein), das ich eben noch fassen zu können geglaubt hatte, in amorph hinfortflirrende Teile zerstob...
    Als erstens: mein Name – und zweitens: Seine Stimme an mein Ohr drangen. Vom Eingang her. Im höchsten Maße erschrocken, drehte ich mich langsam auf der Stelle... hoffend, dass ich mich nur verhört hatte!! Aber auch – und das war ja das irrsinnige daran: hoffend, dass ich mich nicht verhört hatte.
    Nein. Hatte ich nicht. Da stand er. Manius. NEIN... Ich wollte zurück in die Nische fliehen, und mich im Dunkeln verstecken, ich wollte mit der Mauer verschmelzen und mich hinter den Rücken der göttlichen Familie für immer verbergen vor allem was er durch sein Kommen mit sich brachte und wieder heraufbeschwor... Ich wollte auf ihn zutreten, aufrecht und stark, und ihm nur eines sagen: "RAUS!", ihn in hohem Bogen rauswerfen aus diesem Tempel, der mein Überlebensort war, und wo er nichts verloren hatte, ich wollte... ich sollte...
    ...ich....
    ......
    ...stand da nur wie eine Salzsäule...
    ... und hörte wie der Myste, der dort die Besucher empfing und den Strom der Gläubigen in die richtigen Bahnen lenkte, Manius und seinem Begleiter freundlich zur Antwort gab:
    "Seid willkommen im Tempel des Ewigen." Und "Decimus Serapio?" wiederholte er unschlüssig – "Es tut mir leid, doch meines Wissens gibt es hier keinen. Wir hatten mal einen Decrius Serapio, doch der tut jetzt Dienst im campinischen Serapeion."
    Meine Zähne bissen fest aufeinander – Manius zerschlug mir hier gerade mein Incognito! Und nun... kroch flau die Angst in mir empor, dass er mich aufgespürt hatte um mir zu schaden, um mich, und damit auch das was ich wußte, unschädlich zu machen.... und dass er und seine skrupellosen Verschwörerkumpanen auch denen, die mir so geholfen hatten, schaden würde.
    Ruhig Blut Faustus. Ich stellte mir vor, wie ich mich in Kühle hüllte, schneige Kühle, die Kühle des Weisen, der um die angesichts des Ewigen nur allzu flüchtige Natur allen menschlichen Strebens weiß, und trat aus dem schützenden Tempel-Zwielicht in die Vorhalle auf ihn zu.


    "Frater" wandte ich mich ruhig an den Mysten, "ich weiß, wen die Herren meinen. Lass mich ihnen helfen."
    Dankend wandte er sich den nächsten Besuchern zu – ob er Verdacht geschöpft hatte? Ich konnte es nicht sagen. Zum Glück war viel los, hoffentlich ging es einfach nur unter.
    "Salvete. Folgt mir doch bitte." brachte ich (äusserlich......) kühl wie eine Hundeschnauze über die Lippen, und führte Manius und seinen fischäugigen Sklavenanhang ein Stück abseits, zum Rande der Vorhalle.


    Dort, im Schatten, zwischen zwei Säulen, blieb ich stehen und wandte mich ihm voll zu, sah ihn zum ersten Mal richtig an, blickte ihm direkt in die Augen und fragte kalt:
    "Was willst du?!"
    Leider konnte ich dabei nicht umhin zu bemerken: Der verdammte Mistkerl sah...... einfach nur verdammt gut aus. Und mit einem Mal... war ich mir meines ausgesprochen schlichten Äusseren überaus bewußt. Ich trug, wie die anderen Anwärter und Jünger auch, eine Tunika aus ganz normalem ungebleichtem Leinen, mit einem geknüpften Band gegürtet, und Sandalen. Bisher war ich damit völlig zufrieden gewesen... doch angesichts seiner, von verhaltener Eleganz durchdrungenen, und bis ins Letzte einfach nur mühelos noblen Erscheinung... und angesichts dessen, dass sein Sklave zehnmal besser gekleidet war als ich... wandelte sich meine Tunika – Zack! - zum lumpigen Bettlergewand.

  • Mit einem Male stand er vor ihm.
    "Faustus ..."
    , flüsterte Gracchus und augenblicklich stieg eine Reminiszenz an seinen morgendlichen Traum in ihm empor und evozierte in ihm das Verlangen, Faustus' nahe zu sein - viel näher noch als er es bereits war. Er konnte sich dieser Anziehung schlichtweg nicht entziehen, diesem Gefühl, welches zu Serapio ihn hin zog, gleich was zwischen ihnen stand oder geschehen war - als wäre diese Liebe zu Faustus die Charybdis mit ihren Felsenmäulern, von deren scharfkantigen Zähnen die Gischt tropfte, welche mit ihrem todbringenden Sog unaufhörlich ihn in ihr gieriges Maul zog, vor welcher es kein Entrinnen gab gleich wie sehr er mit den Armen ruderte, mit den Füßen strampelte oder all seine Kraft Aufwand, dem zu entkommen. Allfällig war Faustus auch wie eine betörende Sirene, denn obgleich Gracchus wusste, dass er ihn hasste, ihn töten wollte, obgleich er die Gefahr vor sich sah, so sehnte er sich doch so sehr nach dieser Seele, nach diesem Geist und diesem Leibe, welche ihm einst so nahe gewesen waren. Doch Serapio durchbrach dieses Verlangen zumindest ansatzweise durch seine kalte und abweisende Art, ganz so als wäre Gracchus nur ein lästiger, zufälliger Passant, wodurch es jenem leicht wurde eben dies zu sein, zumindest bis sie einen etwas abgelegeneren Bereich des Tempelareales hatten erreicht - ein durchaus rationaler Zug, wie Gracchus eingestehen musste, war es doch kaum von Vorteil was auch immer geschehen mochte allzu publik geschehen zu lassen. Mit einem Nicken wies er Sciurus an, ein wenig fort zu treten, die Umgebung im Auge zu behalten und dafür Sorge zu tragen, dass sie nicht gestört wurden, ehedem er einen Augenblick die von Düften verschiedenster Art durchzogene Luft durch seine Nase einsog und suchte sich auf sein Ansinnen zu konzentrieren - obgleich es tausende gute Gründe an und um Faustus gab, auf all dies schlichtweg zu vergessen.
    "Vorerst möchte ich dich nur bitten, dass du mir zuhörst"
    , ersuchte Gracchus, fuhr indes sogleich - wenn auch nicht allzu laut - fort, ehedem Serapio sich dem konnte verweigern.
    "Ich kann nicht mehr ändern, was geschehen ist, dies alles ist meinem Griff en..tronnen, viel schneller als ich auch nur danach konnte greifen, viel zu schnell wurde aus dem kleinen Stein, welchen wir in Bewegung setzten, eine Lawine, welche nicht mehr aufzuhalten war. Ich bin nicht hier, dich für das Unverzeihli'he um Verzeihung zu bitten, denn dies wären nur Worte. Ich kann nicht all die Männer zum Leben erwecken, welche aufgrund meines Handeln zu Tode ge..kommen sind, wiewohl ich niemals all den Schaden werde ausgleichen können, welcher dadurch entstanden ist, gleichwohl kann und werde ich ebenso wenig zulassen, dass dadurch weiterer Schaden entsteht."
    Womit er einerseits sich weiterhin verweigerte, die Konspiration publik zu machen, andererseits verdeutlichte, dass er dies auch durch andere nicht würde akzeptieren.
    "Doch ich habe dir in der Nacht der Saturnalien zugesi'hert, dass ich dich auffangen, dass ich dich halten will und ... und dies ist noch immer mein Behuf, denn ich ..."
    Beinahe beschämt wandte Gracchus' Blick sich zu Boden, suchte halt in den Lücken zwischen den Steinen, seine Stimme brach und was er dachte, was er aussprechen wollte, doch nicht konnte war nurmehr eine flüchtige Bewegung seiner Lippen, welche das
    Ich liebe dich noch immer
    , formten, denn es war unmöglich, dem einen Klangkörper zu verleihen, schien es in diesem Augenblicke doch nicht mehr als das Eingeständnis einer Schuld oder einer Schwäche allfällig, das Eingeständnis, dass er nicht stark genug war, sich seinen Neigungen zu widersetzen, nicht stark genug von Faustus abzulassen, welcher nichts mehr als Abscheu und Hass für ihn empfand. Gracchus schluckte, schüttelte kurz den Kopf, so als könne er diese unausgesprochenen Worte, die Implikationen dieser damit gleichsam abschütteln, ehedem er seinen Blick wieder hob.
    "Ich wage nicht zu hoffen, dass du dich halten lässt, doch wenn du dich wenigstens auffangen lassen würdest..."
    Gracchus bemerkte, dass er sein Ziel aus den Augen verlor, dass er unaufhaltsam in den Schlund der Charybdis eingesogen wurde, darob straffte er seine Schultern und richtete seinen Leib auf als wäre dies alles nur eine Rede im Senat, als wäre er ein Schauspieler in einer Rolle, sein Antlitz verborgen hinter einer Maske.
    "Ich habe mit Cornelius gespro'hen und ich konnte ihn davon überzeugen, dass es nicht im Sinne unseres Handeln lag, dass ehrbare Römer dadurch zu Schaden kamen, und dass es nicht im Sinne unseres Handelns liegt, wenn ein Soldat, welcher bis zuletzt seiner Pflicht für Rom nachgekommen ist, welcher bis zuletzt genau das tat, was Rom von ihm erwartete, nun von Rom dafür geächtet wird, und dass es darob unsere Pflicht ist, diesen Mann an seinen re'htmäßigen Platz zurück zu bringen."

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Schneeige Kühle.... fern und kalt wie die erhabenen Gipfel der Pyrenäen... ganz weit entrückt dem würgenden Zorn auf seinen monströsen Verrat... der bodenlosen Verzweiflung über das Ende unserer Liebe... ganz kühl und klar und schroff wie das ewige Eis... mußte ich sein. Um hier nicht... einfach nur zusammenzubrechen, oder ihm... auf der Stelle... mit meinen Händen die Kehle zuzudrücken, und mit seinem Lebensatem auch den unerschöpflichen Strom heuchlerischer Phrasen endlich, endlich zum versiegen zu bringen.
    Meine Augen blitzten, meine Hände krallten sich um den Rand der Schale mit den Kerzen.
    "Und wie, Manius," Tief durchatmen. "...wie bei allen schlangenhaarigen Erynnien, kommst du darauf, dass ich dir auch nur ein einziges Wort deines klebrig süßen Sermons glaube?" versetzte ich eisig. "Ich höre dich hier... wieder einmal... deine widerlichen Taten bejammern... und sie im gleichen Atemzug rechtfertigen." (Der Giftmord an den Ulpiern war also nur ein kleines Steinchen, das sie uuups losgetreten hatten ohne es zu wollen... was für eine ausgesprochen kreative Sichtweise...)
    Schneidend sprach ich, ohne die Stimme zu dämpfen. Er war hier hineingebrochen in meine fragile Zuflucht, wie ein Elefant der alles zertrampelte, aber ich würde das nicht zulassen, und vor allem würde ich niemals wieder auf ihn reinfallen, da konnte er noch so gekonnt seine Stimme beben, seinen Blick sich senken, seine Lippen zucken lassen, da konnte er mir noch so perfekt manipulativ vorgaukeln, es wäre möglich mein altes Leben zurückzugewinnen, es mir wie einen köstlichen Köder vor die Nase halten. Ich glaubte dem Mistkerl kein Wort.
    "Du hast keine Ahnung was du mir angetan hast. Du. Hast. Keine Ahnung. Allein der Gedanke, ich könnte es dir – ausgerechnet dir - erlauben mich zu 'halten', mich 'aufzufangen', der Gedanke ich würde mich jemals wieder in deine Hände begeben, deine Hände mit denen du mich schon einmal gründlichst in den Abgrund gestoßen hast, ist.... ist... ach, mir fehlen die Worte!!"
    Ich tat einen Schritt zurück, umfing alles um uns mit einer Handbewegung, und sprach, mich mühsam wieder zügelnd – Eis, Faustus. Schnee. Weiß. Reines Weiß. Große Höhe. Abstand. Alles ganz klein da unten....""Jemand anderes hat mich aufgefangen, Manius, sonst wäre ich nicht mehr hier. Und du kannst ganz beruhigt sein. Ich werde dich nicht auffliegen lassen. Denn das ist es doch was dich, wenn ich das Süßholzgeschwafel mal abziehe, wirklich hierherführt: du hast einfach nur Angst, dass ich die Wahrheit über dich publik mache. Aber wie sagt man noch...'Die beste Art, sich zu rächen ist, nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten.'" Aufmerksam betrachtete ich den Einschlag dieser stoischen Weisheit, hoffte (vollkommen un-weise), dass diese Worte ihn so richtig tief trafen.
    "Also bleib mir vom Leib mit deinen lächerlichen neuen Lügen und falschen Versprechungen. Suche dir jemand anderen um ihn in deinen Intrigen zu verheizen, und lass mich einfach nur... in Frieden."

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    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

  • Die Luft zwischen ihnen glich der flimmernden Hitze über den Feuern des Tartaros, viel zu dicht und schwer zum atmen, von den rußigen Schatten der Vergangenheit durchzogen, qualvoll heiß, undurchdringlich.
    "Allfällig habe ich keine Ahnung"
    , nickte er schlussendlich langsam.
    "Nicht so sehr zumindest wie du augenscheinlich, der um alle Details weiß, alle Gedanken, alle Antezedenzen und Prämissen, alle Ent..scheidungen, alle Wendungen und Konsequenzen, alle Geschehnisse kennt - inwendig wie von außen, der darob die Welt und die Menschen einteilen kann in Schwarz und Weiß - und ich beneide dich wahrli'h darum, denn es ist so viel einfacher, sich nicht mit all den Schattierungen auseinandersetzen zu müssen. Dein schwarzer Mann zu sein ist unbezweifelt nicht, was ich möchte, doch um mich geht es nicht, ging es nie."
    Ein Anklang von Resignation durchzog Gracchus' Blick - denn Worte waren alles, auf das er sich verstand, waren alles, was er hatte, und wenn die Worte nicht mehr ausreichten, wenn die Worte nicht mehr tragen konnten, was er ihnen auferlegte, so hatte er schlichtweg jegliche Macht über sich selbst verloren. Was blieb, war nur Leere.
    "Ich habe Angst, ja, zweifelsohne. Fortwährend und beständig, doch wir wissen beide, dass die Wahrheit längst nicht mehr Wahrheit ist, dass die Lüge zur Wahrheit und wer die Wahrheit ausspri'ht zum Lügner geworden ist. Ich habe Angst um meine Familie, denn dies ist meine Pflicht, gleichwohl habe ich Angst um dich, denn wir wissen ebenso beide, dass es Männer gibt, welche weitaus skrupel..loser sind als ich, welche deine Wahrheit nicht dulden würden, selbst wenn es nur eine verrückte Lüge ist."
    Er umfasste den Tempel, das Serapeion und Serapios augenscheinliches neues Leben mit einer Handbewegung, denn gegenteilig zu Faustus hegte er keinen Zweifel an den Worten seines Gegenübers.
    "Doch wenn dies hier dein Frieden ist ... "
    Er hielt kurz inne, schüttelte dann jedoch den Kopf.
    "Es lag nicht in meiner Absi'ht, deinen Frieden zu stören."
    Noch im gleichen Augenblicke da er die Worte sprach realisierte Gracchus, dass auch diese nur verschwendet und verzichtbar waren, da es niemanden würde geben, welcher sie annahm. Es gab nichts, was er Serapio konnte mitteilen, keine Erklärung, keine Rechtfertigung, keine Tatsache, keinen Vorschlag, kein Vergangenheit, keine Gegenwart und keine Zukunft - nichts, das er ohne Worte konnte ausdrücken. Und letztlich tat Serapio allfällig nur gut daran, seine Worte zurückzuweisen, denn schlussendlich hatte er nicht einmal mehr sich gescheut, für ihn eine neuerliche Lüge auf sich zu nehmen, für ihn zu intrigieren. Er hatte wahrlich seine Grenzen verloren, die Konturen seiner Person waren nicht nur aufgeweicht, sondern gänzlich verlustig, seine Essenz hatte sich verflüchtigt, sein Charakter aufgelöst. Was blieb, war nur Leere.
    "Es ... soll nicht wieder vorkommen."
    Er wollte keine Worte des Abschieds, kein auf Wiedersehen und auch kein Lebewohl, und obgleich es ihn nach weiteren Worten drängte, so sprach er sie nicht aus, Serapio nicht weiter zu düpieren. Allfällig war Schweigen tatsächlich das einzige, das Faustus noch von ihm würde annehmen, und allfällig war die Distanz tatsächlich das einzige, was er ihm noch konnte geben. Ihm selbst blieb nur die Leere - doch um ihn ging es nicht, war es noch nie gegangen.

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • "Oh, ich zweifle nicht daran, dass Du mir eine Geschichte erzählen könntest, so voll von... Antezedenzen" Was auch immer das war. "... und Schattierungen, dass ich am Ende auch glauben würde, dass euer Giftmord doch nur ein lässlicher kleiner Ausrutscher, und die Auslöschung unseres Kaisergeschlechtes auch nur eine unglückliche kleine Notwendigkeit war," verhöhnte ich die gnadenlose Relativierung seiner... ihrer... Untaten. Er erinnerte mich an Vinicius Lucianus, der sich diese starsinnige Verkennung der Wirklichkeit bis zuletzt bewahrt hatte.
    "Der Bürgerkrieg – naja, wo gehobelt wird fallen die Späne, nicht wahr. Und es waren ja nur" - Ich krauste meine Nase auf eine Weise, die ich für höchst patrizisch hielt. "...einfache Soldaten. Plebejer. - Am Ende deiner Geschichte Manius, würde ich dich wahrscheinlich noch herzlich dafür bedauern, dass du armer Verschwörer mich so monströs belügen mußtest, und verraten, und meinen Namen in den Schmutz treten, und mich im Kerker verrotten lassen!!!"
    Jedwede schneeige Kühle war dahingeschmolzen, angesichts seiner beständigen Versuche, das was ungeheuerlich, und durch nichts zu rechtfertigen war, das was mein Leben zerstört und mich haarscharf an den Rand der Vernichtung gebracht hatte... eben doch irgendwie mit hübschen Worten zu entschuldigen.
    "WER hat sich da die Welt passend in schwarz und weiß eingeteilt, und... angesichts einer einzigen fetten Ratte in der Speisekammer das gesamte Haus abgefackelt?!" Die Schale hatte ich abgestellt, mit den freien Händen unterstrich ich meine Worte mit leidenschaftlichen Gesten, wies anklagend auf ihn: "IHR, Manius! Bist du eurer eigenen Propaganda verfallen? Siehst du das nicht?! - Und ja, ihr habt wirklich ganze Arbeit geleistet darin, die Wahrheit in das Gewand der Lüge zu zwingen und die Menschen zu zwingen, das Offensichtliche zu verschweigen und statt dessen die Köpfe zu beugen und eure Lügen nachzuplappern. Alles für das neue Regime. Was für ein immenser Fortschritt für Rom. Ja, das lohnt das ganze Blut. Bravo, Manius! Ich bin sicher du bist sehr stolz." Ich spendete ihm einen sarkastischen Applaus. "Aber Lüge bleibt Lüge, auch wenn du das nicht sehen willst, und wenn die verrotteten Lügen, auf die du deine Existenz gebaut hast, einmal ins Rutschen kämen..." An der Stelle sprach ich nicht weiter, ich wollte ihm nicht drohen, ich hatte mich ja verdammt noch mal längst dagegen entschieden es ihm auf so niedrige Weise heimzuzahlen... aber er machte es mir echt nicht leicht!
    Wenn er es wenigstens sähe... flehte etwas leises in mir was er mit mir gemacht hatte... wenn er es sähe... und... vielleicht... wenn es doch nur einen Weg gäbe... Wird nicht die Sonne jeden Tag aufs neue geboren... Ich biss mir auf die Lippen, die fatale Schwäche niederzukämpfen, aber meine Augen waren schon feucht geworden vor Sehnsucht nach dem unwiderbringlich verlorenen. Jolín!
    "Meinen Frieden..." wiederholte ich kaum vernehmlich. "Den hast du schon zerstört. Du kommst einfach hier hereinspaziert, nach allem was du mir angetan hast, und bringst die ganze alte Scheiße die ich hinter mir gelassen habe – um deinen Verrat und meinen Fall überleben zu können, verstehst du!?" Meine Hand krallte sich in seine exclusive Tunika, und: "Verstehst du das, verdammt?!" fauchte ich ihn aus nächster Nähe an. Er sollte es verstehen!. Er sollte es sehen! (Er roch gut. Er roch viel zu gut und vertraut und... - ) "Du spazierst hier einfach so herein und glaubst allen Ernstes, du kannst einen auf Retter machen?! Für wie bescheuert hältst du mich, dass du glaubst, ich würde noch einmal auf dich reinfallen??! - Lass es. Erspar es mir! Lass es sein!! Sag mir einfach nur warum du wirklich hier bist: Was du von mir willst. Und was du mir dafür bietest."

  • Mit einem Mal war Faustus ihm nahe - viel zu nahe -, dass Gracchus beinahe glaubte seinen Atem auf seiner Haut spüren zu können und obgleich Serapio nichts wollte hören, obgleich er kein Wort von ihm wollte annehmen, ließ er all diese Fragen auf ihn einprasseln, all diese Fragen, welche den Zorn der Verzweiflung in Gracchus emporsteigen ließen, da eben dies all die Fragen waren, auf welche generell niemand eine Antwort wollte hören, welche unter der Decke des Schweigens ihn sukzessive erdrückten.
    "Ob ich es nicht sehe?"
    fragte er ob all der Vorwürfe wütend, seine Stimme erhoben, und packte Serapios Schultern.
    "Ob ich es nicht sehe?! Glaubst du etwa, ich trage Scheuklappen?! Glaubst du etwa, ich würde mit ver..schlossenen Augen durch die Welt wandeln?! ÜBERALL! Ich sehe über..all die Späne! Dabei war es nie meine Intention zu hobeln!"
    Er rüttelte nun an Faustus, so als könne er nur so dafür Sorge tragen, dass seine Worte Eingang in ihn fanden, dass er endlich verstehen würde. Längst hatte Gracchus sein Contenance verloren, es war irrelevant wo sie waren und wer sie würde hören können, denn in diesem Augenblick gab es nur noch Serapio und ihn.
    "Ich wollte einen rostigen Nagel aus der Wand ziehen und einen neuen einschlagen - nicht mehr und nicht weniger! Doch wir wurden ver..raten, von Beginn an, der Nagel wurde gewaltsam abgebro'hen und mit einem male wurden die Hobel aus..gepackt und auf einmal flogen die Späne und am Ende stand nicht einmal mehr die Wand! Ich habe diese Wand geliebt! GELIEBT! Kannst du das nicht ver..stehen!? Ein Bürgerkrieg! EIN BÜRGERKRIEG!"
    Gracchus Finger krallten sich fester in Serapios Schultern und in seinen Augen leuchtete ein Funkeln von Hysterie.
    "EIN BÜRGERKRIEG VER..DAMMT NOCHEINMAL! WIE KANNST DU NUR GLAUBEN, ICH HÄTTE ROM IN EINEN BÜRGERKRIEG STÜRZEN WOLLEN?! Kein noch so hehres Ziel würde dies re'htfertigen! Ich hätte niemals auch nur einen Finger an diesen Nagel ge..legt, hätte ich diese Wendungen absehen können!"
    Als würde er sich an der Hitze seines eigenen Zornes verbrennen, ließ Gracchus Serapio abrupt los, sein Atem ging schwer, sein ganzer Leib war erhitzt und er presste einen Augenblick seine Kiefer aufeinander, um seine Beherrschung wiederherzustellen, ehedem er etwas gemäßigter, doch noch immer aufgebracht fortfuhr.
    "Als ich zu dir kam, zurück nach Rom, habe ich gehofft, du könntest das Imperium noch retten. Der Nagel war abgebro'hen und die Hobel standen bereit. Vescularius hatte die Macht an sich gerissen, hatte wahllos Männer ver..haften lassen, schlichtweg alle, welche zuvor ihm unleidlich geworden waren, doch beinahe niemanden, der tatsächli'h involviert war! Ich habe meine Familie in Sicherheit gebracht und ich hätte ebenfalls dort bleiben können, hätte mich in eine bequeme, ab..geschiedene Villa zurückziehen können oder am taktischen Tisch kleine Figuren um..herschieben und Truppen aufeinander hetzen und in den Tod schicken können, denn der Bürgerkrieg war längst unausweichli'h! Aber das war nicht, was ich wollte, Faustus, das war nie was ich wollte, ob du mir dies nun glaubst oder nicht, nie ging es darum mit Gewalt die Ma'htverhältnisse zu verschieben, es ging niemals darum, auf Kosten hunderter unschuldiger und un..tadeliger Römer irgendein Ziel zu erreichen! Es ging nur darum, diesen ver..dammten, rostigen Nagel zu entfernen, dass die Wand nicht an Stabilität verliert, dass ein neues Gemälde hätte auf..getragen werden können, welches weitaus schöner sollte sein als zuvor!"
    Gracchus war kein Tischler, kein Innenarchitekt und kein Maler, so dass dieser bildliche Vergleich zweifelsohne immer abstruser wurde.
    "Ich habe gehofft, du würdest erkennen, dass auch Vescularius auf einer schwarzen Seite stand, dass es in dem be..vorstehenden Bürgerkrieg keine weiße Seite würde geben - denn wer sonst hätte dies besser sehen können als ein Präfekt der Preatorianer. Ich wollte nicht, dass du auf unsere Seite kommst, ich hatte schli'htweg gehofft, du würdest dich für Rom entscheiden! Hättest du zu diesem Zeitpunkt als Praefectus Praetorio den Vescularier entmachtet, hättest du dem Senat die Mögli'hkeit gegeben, einen Kaiser einzusetzen ... Cornelius hätte keinerlei Basis mehr gehabt nach Rom zu marschieren. Er hätte den Beschluss des Senates anerkennen müssen, ebenso wie seine Legionen, von welchen viele nur deswegen gegen Rom zogen da der Ves..cularier dort die Macht an sich hatte gerissen."
    Traurig schüttelte er den Kopf.
    "Und ich habe nie deinen Namen in den Schutz getreten, Faustus, niemals. Nachdem du die Casa Decima ver..lassen hattest wusste ich nicht einmal mehr, was in Rom vor sich ging."
    Dass dieses Nichtwissen noch weitaus tiefer gegangen war, wollte er indes nicht eingestehen.
    "Es ist nur ein Teil all der Dinge, welche du mir, welche ich selbst mir vorwerfen kann - dass ich ein Feigling bin, es immer war und vermutli'h bis zum Ende dieses Lebens sein werde, dass ich mich zu diese Zeit allem verschlossen habe, um nicht mitansehen zu müssen, wie dieser Bürgerkrieg über das Imperium hinweg rollt. Hernach warst du ver..schollen, niemand wusste wo du abgeblieben bist, ich glaubte dich tot, und es hat lange gedauert bis die Nachricht mich erreichte, dass du in der Castra Praetoria inhaftiert worden warst, denn ich war nie militärisch in die Geschehnisse involviert, genau genommen war ich seit meiner Flucht aus Rom in nichts mehr in..volviert. Ich habe versucht eine Audienz bei Cornelius zu erhalten und auch wenn dir dies allfällig sonderbar erscheinen mag, er hat mich hingehalten, viel zu lange. Als ich endlich meine Gelegenheit erhielt, als ich für dich vorspra'h, als ich deine Taten und Entscheidungen im Sinne des Imperium rechtfertigte und gar einmal in meinem Leben genügend Mut aufbrachte, alles in die Waagschale zu werfen, um dich aus diesem Carcer zu befreien ... er speiste mich nur ab, dass er dich bereits als freien Mann hätte entlassen, und kehrte zu amtli'hen Aufgaben zurück."
    Bisweilen hatte Gracchus das Gefühl, dass das Schicksal sich wahrlich mehr als einmal gegen sie hatte verschworen.
    "Ich war in der Casa Decima, doch du warst nicht bei Bewusstsein und deine Schwester wollte mich nicht zu dir lassen - welches Recht hätte ich gehabt, ihre Entscheidung in Frage zu stellen? Ich habe auf ihre Na'hricht gewartet, dass es dir besser geht, doch alsbald gab es nur noch die Nachricht, dass du die Casa verlassen hattest, dass du für niemanden mehr zu finden warst. Ich habe nach dir suchen lassen, doch bis zur Nacht der Saturnalien - und auch hernach wieder - gab es keinerlei Spur von dir, nicht ob du in Rom bist, nicht einmal ob du überhaupt noch am Leben bist."
    Ein leises Schnauben war die letzte Spur Gracchus' Aufgebrachtheit - er wusste nicht einmal mehr weshalb er all diese Worte noch sprach, er wollte nur, dass Serapio endlich mit seinen falschen Vorhaltungen inne hielt, da doch bereits genügend wahre Vorhaltungen über ihn ausgebreitet lagen.
    "Ich will nichts von dir. Es mag sein, dass auch die Furcht vor der Zukunft mich hierher ge..trieben hat, doch letztlich bist du der Grund. Ich will nicht, dass Rom deiner spottet, ich will nicht, dass Rom dich ächtet! Du warst nie mein Feind, Faustus, du bist es nicht und du wirst dich wahrli'h anstrengen müssen, es zu werden. Ich kann nicht mehr rückgängig machen, dass du gefallen bist, ich kann nicht rückgängig machen, was geschehen ist - doch kannst du nicht verstehen, dass ich allfällig dazu beitragen kann, dass diese Ungere'htigkeit nivelliert wird, dass ich dazu beitragen muss, wenn du mich lässt, so wie ich es für jeden würde tun müssen, der mir etwas be..deutet? Du sollst nicht gutheißen, was ich getan haben, du musst es nicht verstehen, musst mir nicht ver..zeihen und du musst mich auch nicht mögen, doch allfällig kannst du den Status quo akzeptieren."
    Schon als seine Worte die Freiheit erlangten war Gracchus dessen sich sicher, dass sie Serapio nicht würden erreichen können, dass dieser wieder nichts würde von all dem wissen wollen, sich auf seine festgefahrene Position versteifen, doch was sonst sollte er tun? Er konnte nur versuchen, Faustus von seinen Absichten zu überzeugen, nicht mehr und nicht weniger.
    "Dieser inkludiert, dass Cornelius Augustus ist, darob habe ich ihn neuerli'h aufgesucht und obgleich er nicht sonderlich begeistert schien, so musste er eingestehen, dass es auch seine Pflicht ist, dir eine Lösung für diese Situation an..zubieten - und er ist dazu bereit."
    Er verschwieg, dass er gegenüber Cornelius ganz bewusst nicht ehrlich gewesen war, der Lügenbasis seiner Existenz weitere Unwahrheiten hatte hinzugefügt, um den Imperator zu diesem Gespräch zu drängen.
    "Im Übrigen bin ich nicht stolz auf das, was ich getan habe, ich war es nicht einmal in jenem Augenblicke als ich meine Ent..scheidung getroffen habe - im Gegenteil, der Preis war schon damals zu hoch. Es war zu dieser Zeit indes schlichtweg eine Notwendigkeit - keine unglückli'he kleine Notwendigkeit, sondern eine ungeheuerliche, große Notwendigkeit. Etwas musste geschehen und als der Anstoss kam ... ich habe wahrhaftig geglaubt, es wäre das beste für Rom, für Roms Zukunft. Denn auch wenn dies sich nicht in das Bild deines schwarzen Mannes einpassen mag, ich bin nicht ohne Gewissen."
    Letztlich hätte er es wissen müssen, dass es so würde enden, denn sein Fluch war nun einmal, dass er alles, was er liebte, früher oder später ins Verderben stürzte - das Imperium und Faustus blieben dabei keine Ausnahme.

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    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • "Schrei mich nicht an!" fauchte ich, und suchte mich seinem Griff zu entwinden, seinen Händen die sich wie Geierklauen in meine Schultern gruben. "Die Leute schauen schon!"
    Er war völlig ausser sich... und es gab mir durchaus eine gewisse Genugtuung zu sehen wie er unter den Folgen seiner Taten litt. Geschieht ihm recht.
    "Selbst wenn du den Krieg nicht gewollt hast, du hast ihn für eure Machtspielchen leichtfertig in Kauf genommen!"
    Aber ist das denn alles was da noch ist? Die Zerrüttung? Ist das die einzige Art, wie wir noch... Leidenschaft... füreinander haben können... indem wir leidenschaftlich miteinander hadern... raunte es wieder aus irgendeiner schwachen, allzu empfindsamen Ecke meines Ichs...
    Endlich ließ er von mir ab und da kam sie auch schon, die erwartete lange Geschichte so voll von Schattierungen, Verzerrungen und Ausflüchten eloquentester Art, dass ich – wenn ich nicht aus Erfahrung bestens vertraut mit Manius` virtuoser Kunst von der selektiven Wahrheit bis hin zur blanken Lüge gewesen wäre – ihm sofort Glauben geschenkt hätte. Doch ich war ein mehr als gebranntes Kind, und hörte ihm mit verschränkten Armen zu, alles was er sagte dreimal hin und her wendend prüfend, bevor ich irgendwas davon für bare Münze nähme...
    "Wenn du dir noch immer einredest, es sei nötig gewesen, die Ulpier zu ermorden, um Vescularius loszuwerden, dann bist du echt eurer eigenen Propaganda erlegen! In dem Augenblick, indem ihr das entschieden habt, in dem Augenblick als du die Hand gehoben hast und dafür gestimmt hast, da ging es doch nicht mehr um die Entmachtung eines missliebigen Stadtpräfekten, sondern um die Ausrottung des herrschenden Kaisergeschlechtes zwecks eurer eigenen Machtübernahme! Vescularius hättet ihr stürzen können wie einst Seianus gestürzt würde, oder indem ihr das Attentat gegen IHN richtet, anstatt gegen die Unschuldigen – doch das habt ihr nicht getan, ihr habt ihn lediglich zum Vorwand genommen diesen blutigen Staatsstreich zu vollführen. Unter einem Deckmäntelchen von Patriotismus habt ihr die schlimmsten Verbrechen überhaupt begangen, Giftmord, Kaisermord, Mord an der unschuldigen Augusta, an dem jungen Thronfolger, Hochverrat – jedes einzelne davon ist doch schon ausreichend, um der Infamie zu verfallen – und du siehst doch was für ein Blutbad daraus entstanden ist!"
    So naiv konnte er doch nicht sein, dass er das damals nicht gesehen hatte!!! – Oder etwa doch...??? So weltfremd wie er manchmal war, Patrizier im Elfenbeinturm, so viel mehr dem Ideal als der dreckigen Wirklichkeit zugeneigt... Nein, das ist nur das Bild, das er von sich kultiviert. Ich fing schon wieder an mich in seine Netze zu verstricken... zu zweifeln... Schluß damit!
    "Im übrigen" fuhr ich zornig fort, "ist es völliger Schwachsinn zu behaupten, ich habe Vescularius' Fehler nicht gesehen. Natürlich habe ich das, und das weißt du auch, das weißt du ganz genau!!! Ich habe verdammt nochmal abwägen müssen was das kleinere Übel ist, und das war verdammt nochmal eine beschissene Situation, und ich habe mir auch die Hände schmutzig machen müssen, aber er war nunmal der rechtmäßige Kaiser, und ich hatte ihm Treue geschworen. Und die Alternative, das war euer infamer Verschwörerklüngel! Hätte ich Vescularius ermordet, und Rom damit der Führung beraubt und noch weiter ins Chaos gestürzt, dann hätte ich eurer Hyänenbande doch erst recht in die Hände gespielt! - Du verstehst das anscheinend nicht Manius, wie solltest du auch, du hast ja nie gedient, aber die Treue des Soldaten zum Kaiser, das ist das feste Fundament unseres Reiches – wer sie aushöhlt, wie ihr, wer das Tabu bricht und Soldaten gegen Rom hetzt, der destabilisiert das Reich in seinen Grundfesten und bringt Chaos und Tod... und sät Rache, und sät Nachahmer, und legt damit doch schon den Keim für die nächsten blutigen Umstürze!!"
    Entnervt ging ich ein paar Schritt von ihm fort, rieb mir die Nasenwurzel, wandte mich abrupt wieder zu ihm um. "Und was meinen Namen angeht! Jeden Tag, an dem du dich entscheidest, weiter eure Propagandalügen zu verbreiten – du, der du meinen Namen mit ein paar klaren Worten von euren falschen Verleumdungen reinwaschen könntest! – stellst du mich als den skrupellosen Handlager eines Giftmörders dar! Als würde ich völlig zurecht geächtet! Was ist das anderes als in den Schmutz treten?! Hm?! Geh zum Hades Manius mit deinem unschuldigen Getue! Ich hätte dich gebraucht, ich hätte dich wirklich gebraucht, und du hast den Kopf in den Sand gesteckt und 'dich hinhalten lassen'. Wir haben dir Schutz geboten, unter großer Gefahr, und du hast nichts, nichts hast du getan, als eure Soldaten unser Haus geplündert, Klienten gemordet, Sklaven verschleppt und meine Schwester eingekerkert haben!!"
    Was hätte es für einen ungeheuren Unterschied gemacht, wenn ich gewußt hätte, dass ich nicht vollkommen vergessen in Dunkelheit und geistzerrüttender Isolation vor mich hinvegetierte, was für eine unglaubliche Bedeutung hätte selbst die allerkleinste Botschaft der Zuversicht für mich gehabt!
    Mochte es wahr sein oder nicht, dass er bei Cornelius, irgendwann als es dann sowieso keine Rolle mehr spielte, mal meinen Namen habe fallen lassen, mochte es wahr sein dass er sich mal als das schlechte Gewissen ihn drückte bei Seiana nach mir erkundigt habe – "Als es darauf ankam, mir die Wahrheit zu sagen, hast du mich nach Strich und Faden belogen. Als es darauf ankam mir entschlossen beizustehen, hast du mich im Stich gelassen. Deine Worte, Manius, sind für mich Schall und Rauch, ich möchte sie gerne glauben, aber nach allem was du getan hast kann ich das nicht mehr. Du kannst mir Cicero-gleiche Reden halten, und es wird nichts ändern, solange deine Taten das Gegenteil sagen. - Also lass Taten sprechen. Beweise mir, dass du diesmal die Wahrheit sagst. Du sagst, du willst dafür sorgen, dass ich meine Position zurückerlange?! Dann tu genau das. Und wenn du es getan hast, dann bin ich womöglich geneigt, deinen Worten wieder ein wenig Glauben zu schenken."
    Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen... fiel mir auf, dass ich gerade, ohne auch irgendeinen Gedanken daran zu verschwenden, davon gesprochen hatte, der Gemeinschaft der Serapisjünger womöglich den Rücken zu kehren. Bestürzt blickte ich zum Tempel, über den Hof, auf diesen liebgewordenen Ort und alles was mich damit verband... Ich hatte etwas ganz besonderes, etwas größeres hier gefunden (oder es mich). Aber bewegen, bewegen in der Welt, konnte ich hier nur sehr wenig... fand ich. Vielleicht hatte mein Vater (ein ganz kleines bisschen und nur in mancher Hinsicht) recht. Zwiegespalten schlang ich die Arme um mich.
    Bisher hatten zwei Taten gesprochen: er war hierhergekommen, ergo hatte er ein wie auch immer geartetes Interesse an mir... das schlechte Gewissen erleichtern, wie er es behauptete? Mich unschädlich machen, wie er es vehement von sich wies? Mein Können und Wissen für das Giftmörder-Regime akquirieren? Mich wieder aufbauen, um mich dann wieder für seine Zwecke zu benutzen? Mich wieder ins Bett kriegen? (Träum weiter, Faustus.)
    Und zweitens hatte er lange, intensiv auf mich eingeredet, teilweise so aufgewühlt und so unvorsichtig, dass ich es nicht glauben konnte, dass das alles nur Schauspiel war, also war es ihm anscheinend wichtig, dass ich auf seinen Vorschlag einging – warum auch immer. Vielleicht stand ja draussen ein Sicarius hinter der nächsten Ecke, um mich abzustechen sobald ich das Tempelgelände verließ. (Manius hätte sicher die Pietas, einen Mord nicht in einem Tempel begehen zu lassen.)
    "Aber eines solltest du wissen. Ich habe natürlich Vorkehrungen getroffen, so dass, falls ich ermordet werde, oder falls ihr mich... verschwinden lasst... alles gezielt an die Öffentlichkeit kommt. Und mit allem meine ich: auch deine persönlichen Geheimnisse."
    Nur für den Fall daß.

  • Nie sollte erkundet werden, wie Licinus den Aufenthaltsort Serapios erfahren hatte. Wie er seine Wege nachvollzogen hatte, nachdem er das Haus in Transtiberim leer vorgefunden hatte. Fakt war, er stand nun hier, fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, wusste nicht, was er sagen sollte und wusste nicht, was er überhaupt denken sollte. Und am wenigsten wusste er, wer dieser so ganz unsoldatisch aussehenden Männer nun sein Waffenbruder war.


    Er stach in seinem Militärmantel unter der hießigen Menge durchaus hervor. Weit weniger förderlich dafür erkannt zu werden, war es dann, sich im Schatten des Einganges aufzustellen. Licinus hielt sich schnurgerade und ließ seinen Blick über die Köpfer wandern. Welcher war wohl der, den er suchte? Und was sollte er ihm nur sagen.

  • Zitat

    Original von Faustus Decimus Serapio
    "Schrei mich nicht an!" fauchte ich, und suchte mich seinem Griff zu entwinden, seinen Händen die sich wie Geierklauen in meine Schultern gruben.
    ...
    "Aber eines solltest du wissen. Ich habe natürlich Vorkehrungen getroffen, so dass, falls ich ermordet werde, oder falls ihr mich... verschwinden lasst... alles gezielt an die Öffentlichkeit kommt. Und mit allem meine ich: auch deine persönlichen Geheimnisse."
    Nur für den Fall daß.


    Ein Machtspiel, ein Spielchen - wäre es nur so einfach gewesen, könnte Gracchus nur alles, was geschehen war als Spiel betrachten, die Beteiligten als entbehrliche Figuren und den Einsatz als gering - doch weder das eine, noch das andere konnte annähernd in sich fassen, was geschehen war, was durch die Tiradenkaskaden Faustus' längst wieder alle Barrieren, Mauern und Schutzwälle hatte eingerissen, in seiner gräulichen Ungeheuerlichkeit ihn gänzlich zu verschlingen drohte.
    Verbrecher!
    schallte das Echo Serapios Worte aus allen Winkeln des Mauerwerks um ihn her und durchbohrte ihn zahllosen widerhakenbewehrten Klingen gleich, drehte und wand sich, dass der Schmerz tief in jede seiner Fasern sich zog.
    Giftmörder!
    fügte ein Zischen dem sich hinzu als entfeuchte der todbringende Atem des Cerberos aus dessen gieriger Kehle und raubte ihm alle Luft, dass er zu ersticken drohte, jeden Augenblick nur ein wenig, doch jeden Augenblick ein wenig mehr.
    Kaisermörder!
    schnellten scharfe Krallen durch seine Brust hindurch, rissen jeden Fetzen seines Selbst ihm vom Leibe bis nichts mehr übrig war als ein marodes Gerippe, welches haltlos in sich zusammen sank.
    Verräter!
    dröhnte das tosende Gewitter der Vorväter durch seine Sinne, tausender Schläge gleich welche hart auf ihn hernieder fuhren, ihn hinabdrückten in den Sumpf der Verleugnung, aus welchem es kein Entrinnen mehr gab.
    Mörder!
    Mörder!
    Mörder!

    rüttelten, zerrten hunderte rastloser Larven an seinem Geist, bleiche, trübe Augen, ausgemergelte Gesichter, deformierte Gestalten, von Qual und Schrecken eines Krieges überzogen, dass Gracchus' Leib einen Augenblick unter dem gewaltigen Ansturm seiner Schuld zusammenfuhr, dass sein Verstand den fernen Worten Faustus in ein infames Blutbad hin folgte, darin versank einem Ertrinkenden im Oceanos gleich.
    Blut.
    Überall Blut.
    Mord.
    Überall Mord.
    Blut.
    An seinen Händen.
    Mord.
    An seinen Händen.
    Fern drangen die weiteren Worte Serapios an sein Ohr, als hallten sie herüber aus einer anderen Welt, als wären sie bestimmt für eine andere Welt. Für Manius' Welt - diese zerrüttete, zerstörte Welt aus Blut und Mord, die doch nicht die seine konnte sein. Dies war der Augenblick da der Malefikant gebrochen war, er musste ihn nurmehr hinab stoßen in die Tiefen des Carcers, die Klappe schließen, das Schloss verriegeln und den Mörder dort festsetzen, dass die Welt wieder in Ordnung kam. Er würde schlichtweg zurückkehren an den Ursprung seiner Existenz, in diese Erinnerung eines niemals gelebten Lebens voller Einfachheit, voller Belanglosigkeit, unter der strahlenden Sonne eines fernen Landes, in den unschuldigen Armen eines glanzvollen Heroen, in der wogenden Barke goldener Götter. Fahrig zitterten Gracchus' Hände, im Innen wie im Außen, als ein marginaler Teil seines Selbst sich anschickte die Majorität zu tilgen, klandestin und leise, im verzweifelten Ansinnen sich selbst zu retten.
    Ich hätte dich gebraucht, ich hätte dich wirklich gebraucht ...
    , erschütterte jedoch Faustus die Grundfeste der inhärenten Machtübernahme, denn damals, als er ihn wirklich hätte gebraucht, war der Nachhall dieses kurzen Daseins lange Zeit allzu präsent, allzu verlockend gewesen. Er durfte nicht tolerieren, dass dies erneut geschah, er musste fort, schlichtweg fort, die Flucht antreten vor dem Monster, das sich seiner wollte bemächtigen, ihn seiner Existenz berauben, er musste die Flucht antreten vor sich selbst, vor den Fluten aus Blut, welche dem verführerischen, rotfarbenen Schein der Sonne nur allzu similär waren, ehedem er darin ertrank, er musste fort. Nurmehr fort.
    "Ja"
    , bestätigte Gracchus alles, was gesagt worden war, ballte seine Hände zu Fäusten um den tobenden Kampf in seinem Inneren zu verbergen und suchte in einem Aufbäumen seiner detachierten Vergangenheit an die banalen Fakten des Vorhabens sich zu klammern, dessentwegen er gekommen war.
    "Am ... fünf..zehnten Tag vor den Kalenden des Septembers ... findet die nä'hste Contio des Collegium Pontificum statt. Sciurus ... wird dich am Seiteneingang des Gebäudes, ... jener nach Süden zum Atium Vestae hin, zur hora septima einlassen, und Cornelius und ich werden nach Be..endigung der Sitzung zu dir stoßen."
    Rastlos suchten Gracchus' Augen Halt an Serapio, der ihm so vertraut und doch so fremd war, der noch immer gleich und doch gänzlich anders schien, doch es gab keinen Anker und keinen Rettungsring, es gab nur die Verlockung dem Strahlen der Sonne zu erliegen.
    "Niemand soll ver..schwinden. Niemand."
    Er wollte nicht verschwinden, nicht auf diese Art und Weise, dahingerafft von einer Laune seines Geistes, versunken im morbiden Blut seiner Familie, einen Scherbenhaufen zurücklassend, ein devastiertes Land voller Obliegenheiten, sein Lebensfaden zerfasert in tausende loser Enden.
    "Ich ... ich muss nun gehen. Ich muss ..."
    Zögernd sah er sich um. Er brauchte einen Fixpunkt, etwas, das sein Leben bestimmte, seine Existenz bedingte, denn um ihn her war nichts, das ihn seiner entsann, war nur die Reminiszenz einer Liebe, welche er zu oft schon hatte in ihrer Realität angezweifelt ihrer Exzeptionalität wegen, war nur das Blut, das schlichtweg nicht an seine Hände gehörte, war nur der Tempel eines ägyptischen Gottes, welcher ihn nur an jenen anderen entsann, der suchte sich seiner zu bemächtigen.
    "Bis dann, Faustus ... vale ..."
    Gracchus wandte sich um, trat zwischen den Säulen hervor und ging einige Schritte dem Tempel entgegen, ehedem er realisierte, dass dieser Weg ins Unbekannte ihm nicht die Stabilität konnte bieten, welcher er bedurfte, dass gegenteilig nur mehr Fährnis noch dort lauerte, dass er von einem anderen Ort war gekommen, musste gekommen sein. Zögerlich blieb er stehen, einem Kind im Trubel des Lebens gleich verloren, als endlich Sciurus zu ihm trat und zumindest aus der offenkundigen Misere errettete, noch einmal an Serapio vorbei ihn zurück zum Eingang des Tempelareals führte.



    edit: Link

  • "Ja."
    Ja? Ich war gefasst gewesen auf eine weitere Lawine des Leugnens und der Ausflüchte, der rhetorisch brillianten Paraden und Riposten und der maßlosen Verzerrungen, die er wie kein zweiter beherrschte. Doch er sagte nur "Ja", gab mir sachlich Zeit und Ort bekannt... und bedachte mich mit einem Blick, der einfach nur unheimlich war. Als wäre da... nicht länger er, als würde mich... etwas anderes aus seinen Augen ansehen. Dann ging er abrupt.
    Verstört, und in meinem Zorn, meiner Zerrüttung, meinem abgrundtiefen Argwohn einfach ins Leere gelaufen... sah ich ihm stumm nach. ...ein gebrochener Mann... zuckte es mir schonungslos durch den Kopf.
    Allzu schrecklich war die Wahrheit, allzu schwer wog seine Schuld, darum hatte er die Augen vor der Wahrheit fest zugekniffen... doch ich hatte seine Lider gepackt, wie mit Zangen... sie auseinandergerissen, und ihn gezwungen, der Wahrheit in die häßliche Fratze zu sehen.


    Gut! Sollte er leiden, sollte sein Gewissen ihm jede seiner Untaten wie glühende Dornen ins Fleisch hinein bohren, sollten die Furien ihn hetzen, sollte er doch zumindest ein schwaches Echo des Unglückes erdulden, das er und seine Kumpanen über mich und die vielen anderen Soldaten gebracht hatten! Das zumindest... sagte ich mir... sagte ich mir streng, als ich seinen Schritt so zaudernd, ihn so verloren sah. Als der bescheuerte Impuls, ihm nachzugehen, immer stärker wurde.
    Na klar Faustus, renn ihm hinterher, höhnte meine innere Stimme, nimm seine Hand und tröste ihn für das was er dir angetan hat. Damit alles von vorne beginnt und er dich wieder auf das trefflichste verarschen kann.
    Zornig schüttelte ich den Kopf, suchte diese blödsinnige alte Schwäche abzuschütteln. Wann wenn nicht jetzt war der Augenblick, um endlich dieses... Fluches ledig zu werden, dieser Liebesblödigkeit, dieser den Geist trübenden, den Willen und das Fleisch schwächenden... und mir regelmäßig jede Chance auf ein "neues Glück" zerschießenden... Obsession Manius Flavius Gracchus.


    Ich blieb stehen. Als hätte ich Wurzeln geschlagen stand ich da und sah ihm starren Blickes hinterher. Wie sein Sklave ihn hinaus geleitete. Ich sah seinen Rücken zwischen den Menschen verschwinden, dann noch einmal kurz sein dunkles Haar auftauchen, als er das Tor passierte. Dann war er fort.
    "Vale." sagte ich tonlos. Sank auf eine Stufe und vergrub das Gesicht in den Händen. Später dann würde ich natürlich darüber nachdenken ob ich dieser Einladung ins Schlangennest folgen sollte (und entschied mich schließlich dafür) – doch im Augenblick war ich blind für alles Gegenwärtige, denn um mich herum traten schweigend die alten Bilder aus dem Dunkel... etwas blass waren sie geworden, und etwas angefressen an den Rändern... und zogen wie eine Narrenkarawane an mir vorbei:
    ... Wie er mir die erbetene Miniatur mit seinem Portrait bis in die Wüste nachgeschickt hatte. Wie ich ihn wachgeküsst hatte, eines Morgens in Atons bescheidener Kammer. Wie wir uns im Taumel der Meditrinalien verloren hatten. Peleus, der im Feuerschein die zur Schlange sich verwandelnde Thetis fest umschlungen hält. Mein Kopf in seine Halsbeuge geschmiegt. Wie ich ein kleines Brieflein mit verheißungsvollen Versen und einer skizzierten Sonne entrollte. Wie ich meinen Centurionenhelm abnahm und zielstrebig auf ihn zuhielt. Wie seine Lippen sich kräuseln, von einem feinen Lächeln umspielt. Wie ich Sterne vom Firmament pflücke und sie ihm zum Kranz winde....
    Alles durcheinander, immer weiter, Träume und Gaukelbilder unserer raren, kostbaren, dem alles zermalmenden Lauf der Welt abgetrotzten... vergangenen... glücklichen Augenblicke.

    cp-tribunuscohortispraetori.png decima.png

    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

  • Letztlich hatte es wieder die Dienste dieser Celeste, noch ein Verhör seines Tribunus Iulius Dives gebracht, um auszukundschaften, wo sich sein Sohn derzeit aufhielt. Dessen Kontaktaufnahme zu seiner Schwester Seiana war in der Casa, vor allem unter den Sklaven, kein langes und gutgehütetes Geheimnis geblieben. Den Rest überließ Livianus natürlich anderen, doch das Ergebnis wurde im recht bald präsentiert - der Aufenthaltsort seines Adoptivsohnes Serapio.


    Am gleichen Abend noch verließ Livianus sehr unauffällig gekleidet und ohne Eskorte die Casa Decima. Für den Consular eine ungewohnte Situation, da er vor allem seit seinem Amtsantritt als Praefectus Urbi kaum bis gar nicht alleine auf den Straßen Roms unterwegs war. Dem war auch gut so, denn sein Gesicht wäre in Rom vermutlich bekannter, als das des Kaisers, wäre dessen Haupt nicht mittlerweile auf zahlreiche Münzen gestanzt, die sich mittlerweile gerade in Rom im Umlauf befanden. Diese Bekanntheit brachte auch Gefahren mit sich, denn nicht jeder war ein Freund des Decimers oder hatte aufgrund seines Amtes das eine oder andere Hühnchen mit ihm zu rupfen. Livianus hatte der versucht, sich ebenso unauffällig zu verhalten, wie seine Kleidung war. Zusätzlich hatte er eine Kapuze über sein Haupt gezogen, die er erst abnahm, als er sein Ziel erreicht hatte und durch das Hauptportal der Anlage schritt. Anders als sonst, herrschte zu dieser Uhrzeit kein reges Treiben mehr, auf dem grob gepflasterten Vorplatz des Tempels. Zielstrebig steuerte an dem Obelisken vorbei, der vor dem Eingang zu Tempel stand, das vermutlich in kürze geschlossen wurde, da sich die letzten Sonnenstrahlen gerade noch so ihren Weg in den Tempelhof bahnten. Im Inneren des Tempels hielt er schließlich Ausschau nach jemanden, an den er sich wenden konnte.

  • Mit untergeschlagenen Beinen saß ich zwischen den anderen, dort im Dämmerlicht des Tempels, wie schon so oft, wie schon so lange Stunden. Mein Blick lag auf dem Standbild, in dessen dunklen Gewandfalten sich die Schatten wie Schlangen knäuelten, und, wenn ein Windhauch die Flammen der Kandelaber zum zucken brachte, geschmeidig entlang glitten... Bald würde die Abendzeremonie beginnen. Ich hatte die Syrinx bereits dabei, an einem Lederriemen um die Schulter gehängt.
    Sohlen tappten auf den Stein, Decken wurden leise ausgebreitet, als sich ein Tempelschläfer am Rande der Cella sein Lager für die Nacht richtete. Einmal hatte ich das auch getan, aber vor langer Zeit, im Serapeion in Alexandria. Der Traum, den der Ewige mir damals gesandt hatte, war aber so beängstigend gewesen, dass ich es seitdem nie wieder getan hatte, auch hier nicht.
    Meine Gedanken wollten heute nicht weichen. Der Augenblick, an dem die Wolken sich verziehen und die lichtklare Weite freigeben... war mir heute nicht vergönnt. Zuviel ging mir durch den Kopf. All das was geschehen war, seitdem ich zu Anastasius gesagt hatte, dass ich hierbleiben wolle, umwirbelte mich als ein buntes Geflecht wirrer Fäden und Muster, Bilder, Aussprüche und Empfindungen.... und forderte eine Entscheidung von mir. Ostia, der Fischmarkt von Portus, die silbrigen Haufen von Meeresgetier, Massas Kniefall, die Wohltat warmen Wassers und die Wohltat wiedergefundener Freundschaft... das Standbild des Ewigen in der Bauruine – ich sollte ihm ein Dach stiften! - die vertrockneten Nelken, Pinienharzgeruch und quecksilbrige Eidechsen beim Dichten meiner fernhintreffenden Elegienverse... meine Ach so Kaninchen! - Nein, Feh! harte Verhandlung mit dem Krämer auf der Suche nach Phantasos, dem schönen, wunderschönen Ph – Borkan, der so phantastisch küsste und mich zum Perseus machen, mich in eine wilde Mordangelegenheit hineinziehen würde... und Licinus' Wortlosigkeit, seine blutige Nase, der mieseste Schmerz in den Nieren, und wie sie mich alle entsetzt anstarrten... und zuletzt sah ich mich wie einen Skorpion einer giftigen Schlange gegenüber sitzen, und Manius dabei mit undurchdringlicher Fassade... so viele Bilder, so viele lose Enden im Teppich meines Daseins.


    Ich gab das Suchen auf, und saß nurmehr reglos da, vor dem Ewigen. Übergenau nahmen meine Sinne nun wahr... das ganz leise Knistern der Flämmchen... wie der Halsausschnitt meiner groben Tunika sich bei jedem Atemzug minimal auf meiner Haut verschob... der grasige Geruch eines Opferkranzes auf dem Altar... wie der Initiat neben mir sich verstohlen kratzte... der Schemen einer Tempelkatze, die lautlos zwischen uns hindurch schlüpfte... Schritte zielstrebiger Natur, irgendwo hinter mir, vom Eingang des Tempels her... und von dort her drang auch die freundliche Stimme eines Mysten an mein Ohr:
    "Salve, sei willkommen im Tempel des heilbringenden Serapis."

  • Der Decimer nickte dem Mann grüßend zu, erleichtert, dass sich jemand so schnell seiner angenommen hatte.


    "Salve! Ich bin auf der Suche nach jemanden. Einen Mann mittleren Alters."


    Bei diesen Worten sah er sich suchend um, konnte jedoch die Gesichter der Menschen, die im Tempel verteilt im Halbdunkeln standen oder saßen ohnehin nicht erkennen. Lediglich aufgrund des Körperbaus konnte er hier und da ausschließen, dass es sich dabei um seinen Sohn handelte.


    "Sein Name ist....."


    Tja! Unter welchen Namen konnte man ihn hier kennen? Er hatte wohl kaum jeden auf die Nase gebunden wer er war, welchen Rang er dereinst bekleidet hatte und von welcher Familie er abstammte. Vielleicht kannte man hier nicht einmal seinen Vornamen, doch es war der einzige, mit dem es Livianus versuchen konnte.


    "Sein Name ist Faustus."

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