[Lararium] Hausaltar

  • Melina studierte das Altarbild und ihr Blick folgte dem gewundenen Leib der Schlange bis zum Kopf des Tieres mit seinem leicht geöffneten Maul. Ihre Gedanken verweilten allerdings nicht bei dem kleinen Gemälde, sondern wanderten weiter zu ihren Ahnen, den Seelen ihrer verstorbenen Vorfahren, bei denen sie sich am ehesten Hilfe für die Zukunft der octavischen Gens erhoffte.

    „Ihr Lares Familiares, meine Ahnen, Beschützer unseres Hauses und unserer Familie, ich bitte euch, hört mich an. Ich komme nur mit kleinen Gaben zu euch, doch mein Wunsch, zu euch zu sprechen war so groß, dass ich es nicht länger aufschieben möchte. Uns, euren Söhnen und Töchtern, Nichten und Neffen, Brüdern und Schwestern, Kindeskindern und Kindeskindeskindern, ist Fortuna zurzeit nicht hold. Wir haben uns bemüht, eurem Vorbild zu folgen und von eurer Weisheit zu lernen. Doch unsere Zukunft verdüstert sich, unser Name hat an Glanz verloren. Deshalb bitte ich euch, haltet eure Hand über uns. Beschützt jene, die den Rebellen in die Hände gefallen sind, auf dass ihnen kein Leid geschehe …“

    Melina stockte. Sie wusste nicht, ob ihre Worte gut gewählt waren. Natürlich huldigte sie den Göttern und auch den Geistern regelmäßig, aber es war lange her, dass es um ein Thema solcher Dringlichkeit gegangen war. Als Kind hatte sie oft um Schutz für ihren Vater gebeten, aber als Kind hatte sie sich auch keine Gedanken darum gemacht, ob ihre Worte nun richtig oder falsch waren. Aber sie vermutete, dass den Lares ihrer Familie auch daran gelegen sein musste, ihrer Familie beizustehen. Unabhängig davon, ob die Bitte dafür hochgeschliffen oder eher unbeholfen vorgetragen wurde. Deshalb beschloss sie, es einfach dabei zu belassen und beendete ihr Gebet mit dem Versprechen, dem kleinen Opfer heute weitere folgen zu lassen.

    Melinas Hände sanken auf ihre Knie herab und sie hob den Blick wieder zum Altar. Auch zu den Göttern wollte sie sprechen, aber hierfür die richtigen Worte zu finden war ungleich schwerer als zu den Schutzgeistern. Sie fingerte an ihrem Armreifen, einem schönen Schmuckstück aus Silber mit kleinen roten Steinen. Fast ein wenig zögernd streifte sie ihn schließlich vom Handgelenk. Wenn sie zu den Göttern sprechen wollte, musste sie wohl auch etwas Entsprechendes bieten. Kuchen und Räucherstäbchen reichten dafür nicht aus … wenn man etwas Bedeutsames gegeben haben wollte, musste man auch einen angemessenen Preis dafür zahlen. Sinnierend betrachtete sie den Armreif. Er war kein passendes Opfer für Mars, welcher in dieser Situation wohl der passende Ansprechpartner gewesen wäre. Stattdessen wandte sie sich an diejenigen Göttinnen, mit denen sie sich verbunden fühlte:

    Iuno – Mutter, Königin, heb deine schütz’nde Hand
    Und tritt nach vorne, Königin, im prächtigen Gewand
    Wenn Bruder gegen Bruder zieht
    Und Freund im Freund den Feind nur sieht
    Sichte, schlichte – richte nicht, webe der Versöhnung gold’nes Band.

    Minerva – der Weisheit Streiterin, die du stehst im Licht
    Zeig uns den Weg und leite uns, gib uns klare Sicht
    Wenn Zorn entfacht in heißer Glut
    Und Straßen werden rot von Blut
    Denke, schenke – lenke uns, gib dem Verstand Gewicht.

    Venus – Schönste, tanz für uns, so viel kannst du uns geben
    Schenk uns Freude, Liebe, Lust, lass uns nach Schönem streben
    Wenn größer wird die Gier nach Macht
    Und Sohn dem Vater Leid gebracht
    Singe, klinge – bringe schnell, Frieden in unser Leben.


    Diesem Wunsch nach Frieden folgten einige persönliche Worte, die um Schutz für die Octavia in diesen turbulenten Zeiten baten. Besonders ihrer Verwandten in Rom gedachte Melina, die in besonderer Gefahr schwebten.

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