Knidos | Die Statue der Aphrodite


  • In seinem Buch "Erotes"beschreibt im 2. Jahrhundert n.Chr. ein antiker Schriftsteller namens Lukian die Reise einiger Freunde nach Knidos.

    "Wir beschlossen, in Knidos Anker zu werfen, um das Heiligtum der Aphrodite zu sehen - wo man das von der Meisterhand des Praxiteles geschaffene Kunstwerk preist - und steuerten in aller Ruhe dem Land entgegen: es war, so stelle ich mir vor, die Göttin selbst, die unser Boot über den blanken Spiegel des Meeres hinführte. Ich nahm meine Freunde und ging mit ihnen in Knidos spaziern, wo wir über die unanständigen Tonfigürchen lachen mußten, die man natürlich in der Stadt der Aphrodite antrifft. Zuerst durchwandelten wir die Säulenhallen des Sostratos und die anderen Örtlichkeiten, an welchen wir Vergnügen haben konnten, dann spazierten wir zum Tempel der Aphrodite...


    Aus dem Heiligtum wehten uns gleich aphrodisische Lüfte entgegen. Der freie Raum war nämlich nicht mit Steinplatten belegt und zu einem unfruchtbaren Fußboden gemacht: im Gegenteil, wie es einem Heiligtum der Aphrodite ziemt, war der ganze Boden erfüllt von angepflanzten Obstbäumen, deren weit ausgebreitete Kronen ein zusammenhängendes Dach über dem umgebenden Raum bildeten. In überwältigender Fülle gedieh da die fruchtschwangere Myrte, die in der Nähe ihrer Herrin in Menge wuchs, ebenso alle anderen Baume, die einen schonen Anblick gewähren. Mit diesen Bäumen waren andere gemischt, die keine andere Frucht tragen als die eigene Schönheit, himmelhohe Zypressen und Platanen. Jeder Baum wurde von Efeu liebevoll umschlungen. Weitverzweigte Reben waren mit zahlreichen Trauben behangen... Unter den schattenreichen Bäumen gab es gemütliche Buden für diejenigen, denen eine fröhliche Zeche gefiel: da kamen nur selten feine Leute aus der Stadt, umso mehr das niedrige Volk, das bei seinen festlichen Gelagen die Verehrung der Aphrodite in der Tat bezeugte.


    Als wir der Freude über die Pflanzen satt waren, traten wir in die Kapelle hinein. In der Mitte befindet sich das Bildnis der Göttin, ein herrliches Kunstwerk aus parischem Marmor, in überlegener Weise und mit sanft geöffneten Lippen leise lächelnd. Kein Gewand bedeckt sie; man sieht ihre ganze Schönheit, nur die eine Hand deckt verstohlen die Scham. Die Kunst des Meisters hat es fertig gebracht, die strittige und harte Natur des Marmors der Form der Gliedmaßen sich fügen zu lassen...


    Freund Charildes lief auf die Statue zu und küßte sie mit feuchten Lippen. Kallikrates sagte aber nichts, er stand ruhig da und bewunderte stillschweigend die Statue.


    Die Kapelle hat eine Tür sowohl an der Hinter- wie an der Vorderseite, für den Fall, daß jemand wünscht, die Göttin auch von der Rückseite genau zu beschauen. Wir gingen deshalb zur Hinterseite des Tempelraumes, wo die Tür vom Weib, das den Schlüssel verwahrte, geöffnet wurde. Ein plötzliches Erstaunen ergriff uns beim Anblick der Schönheit. Als wir endlich der Bewunderung satt waren, bemerkten wir an dem Oberschenkel einen Fleck, der wie ein Schmutzfleck an einem Kleide aussah. Seine Häßlichkeit wurde noch dadurch hervorgehoben, daß der Marmor sonst von glänzender Reinheit war. Ich stellte mir vor, daß es sich um einen natürlichen Fehler des Marmors handelte. Die Tempelwarterin, die neben uns stand, erzählte uns aber davon eine wunderliche Geschichte: 'Ein junger Mann von angesehener Familie besuchte oft das Heiligtum und verliebte sich in die Göttin. Er hielt sich den ganzen Tag in der Kapelle auf. Frühmorgens kam er zur Kapelle, erst nach Sonnenuntergang ging er unwillig nach Hause; den ganzen Tag starrte er die Göttin an. Als seine Leidenschaft noch mehr gereizt wurde, verehrte er Praxiteles ebenso hoch wie Zeus; alle schönen Kleinsachen weihte er der Göttin. Zuletzt brachte ihn die heftige Liebessehnsucht ganz von Sinnen, und er ersann eine dreiste Tat, um sein Verlangen zu beftiedigen. Gegen Sonnenuntergang schlich er sich unbemerkt hinter die Tür, als die Tempelwärter die Kapelle von außen zumachten. Ich brauche euch kaum die freche Tat, die während der Schandnacht verübt wurde, ausführlich zu berichten. Diese Spur der leidenschaftlichen Umarmungen fand sich da, als es tagte, als Beweis für die Mißhandlung. Nach der Volkssage verschwand der junge Mann spurlos, man weiß nicht, ob er sich vom Felsen hinabgestürzt oder in den Meereswogen ertränkt hat..."

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