Die Bitte um wohlwollendes Fatum

  • [...] Mit den Blicken skeptisch gen nass-grauen Himmel erhoben und durch die ein oder andere Winboe schreitend, betrat ich mit meinem Muckel das templum, das Grundstück des Tempels, und hoffte das Beste. Immerhin befand ich mich nun unter dem Hausrecht der Fortuna selbst. Ich straffte noch einmal meine reinweiße Toga zurecht und hoffte, dass auch ja keine Falte schief gewickelt war, denn ich wollte nicht einmal den kleinsten Fehler begehen. Mit einem Nick in Richtung aedes bedeutete ich meinem Sklaven, der das neu erworbene Opfertier am Strick führte, mir zu folgen. Dieses Mal hatte ich mir auf dem Markt ein flauscheweißes Lamm erwählt, welches von vornherein friedlich und ausgeglichen schien. Es war auch nicht ganz so teuer gewesen wie die Ziege 'Beate', die mir ja durch Kinderhand heimtückisch entwendet worden war. Auf silbrigen Glanz und besondere Vorbereitungen des Tieres hatte ich damit auch verzichten müssen, nur das aufwändig verzierte, in Mehrfarbigkeit schimmernde Halsband, welches um den Hals des Lammes prangte, hatte ich mir nicht nehmen lassen.


    Ich ging so würdig wie es hinkend möglich war auf das Tempelgebäude zu und machte, der rituelle Reinheit Willen, am Waschbecken halt, um mir Hände, Arme, Beine und Füße zu waschen, wobei ich mich auch meiner Schuhe entledigte, um nunmehr barfüßig auf dem eiskalten, noch vom Regen feuchten Marmor zu stehen. Mich schauderte, als mir die Kälte in die Fußsohlen stach, doch ich sagte nichts und schaute zu dem leicht untersetzten Victimarius, der mir entgegen trat, um das hostiam probo durchzuführen. Nur mit einem gesäumten Schurz bekleidet und mit dem Culter am Gurt bestückt musste ihm doch furchtbar fröstelig zumute sein! Ich fror ja schon in der Toga! Noch einmal rieselte mir ein Schauer über den Rücken, den ich sogleich zu unterdrücken suchte. Als auch zwei ministri in jugendlicher Gestalt und der popa auf mich zu kamen, nickte ich ihnen zu. Muckel drückte den Ministri den Weihrauch und die Opfergaben, die ich neben dem Lamm noch mitgebracht hatte, in die Hand und wartete ab, bis der Victimarius mit der Bemusterung des Tieres abgeschlossen hatte. Offenbar schien bei diesem alles im normalen Bereich befindlich zu sein und wir konnten in der nunmehr – das Tier wurde zuvor zum Außenalter hin abgeführt - winzig kleinen Prozession in die cella des Tempels eintreten.


    Mit einem etwas klammen Gefühl in der Brust – immerhin sollte mein Opfer ja auch wirklich gelingen – schaute ich mich in dem rechteckig angelegten Raum um und nahm die Eindrücke in mich auf. Leichte Melodien, aus Doppelpfeifen gepfiffen, klangen durch die Luft, als wollen sie den Hörer verzaubern, während leicht weihrauchig schmeckende Luft in meinen Atemwegen kratzte und den Geruchssinn besetzte. Alles in allen schien es, als hinge ein zarter Nebel in der Luft, der die Kluft zwischen göttlichen Sphären und menschlichen Niederungen zu verschleiern suchte. Mein Blick glitt über den sacra supplex, welcher der Göttin ein himmlisch-lauschiges Heim bereiten sollte, den mensae, auf denen noch fleischliche Gaben warteten und die foci, welche sich schwer taten neben dem göttlichen Lichtschein vielleicht auch etwas physische Wärme in den Raum zu bringen.


    “Bah… ist das kalt!“, raunte Muckel mir zu, doch ich brachte ihn einem “Schhhhht!“ und einer barschen Handbewegung schnell zum Schweigen.


    Ich wollte wirklich nicht, dass mein Sklave mir noch mein Opfer ruinierte, indem er schnöde irdische Befindlichkeiten aufs Tapet brachte, auch wenn er recht hatte und es mir selbst ja schwer fiel, ein Schlackern zu unterdrücken. Besonders mit den nackten Füßen.


    Immerhin hatten wir nun schon das Kultbild der Fortuna erreicht, die auf hohem Sockel über dem Geschehen stand und mit heiterer Ruhe und der ihr innewohnenden, süffisanten Gravitas auf uns Sterbliche herunter schaute. Ich blinzelte ein wenig, als mein Augenmerk über das Ruder glitt, welches sie in der Rechten hielt und linste dann zum Füllhorn in der Linken hinüber. Blieb nur zu hoffen, dass sie diese Dinge auch wirklich zu meinem Wohle einsetzen würde! Ich atmete tief durch und zog mir eine Togafalte über das Haupt, ehe ich dem Bildnis vors Angesicht trat. Nur die Ruhe jetzt!


    Ein Ächzen, wegen des schmerzenden Knies unterdrückend kniete ich ich vor den foculus der Erhabenen und ließ mir von einem der ministri den Weihrauch anreichen, dessen Geflock ich in die Feuerschale vor dem Altar streute und beobachtete, wie aus dem rot glimmenden Harz zunächst sachte Rauchfäden wurden, die sich schnell ausweiteten und am Bildnis der Göttin empor schwebten. Ein gutes Zeichen. Noch einmal rang ich nach Atem und ließ mir die anderen Dinge überreichen, die ich noch zu opfern gedachte. Langsam goss ich ein wenig von meinem feurig roten Lieblings-Faustianer aus dem Krug in eine Schale auf dem Altar, ließ ein paar honigsüße Dinkelkekse folgen und staffierte auch noch ein paar faustgroße, erfolgreich abgelagerte Äpfelchen dazu. Zuletzt, und das unter einem kaum zu unterdrückenden Seufzen, stellte ich noch eine meiner Reiterstatuetten daneben. Es war das Bild des Caesers auf einem etwas verunglückt wirkenden Ross, das gerade im Steigen begriffen war. Ein Sklave hatte es mir als Kind geschenkt, nachdem ich meinen Unfall hatte. Selbstgeschnitzt! Und ich hatte es immer gehütet wie einen Schatz. Doch irgendwie erschien es mir notwendig, die Erinnerungen an die Kindheit und Jugend ruhen zu lassen. Nun denn. Es war an der Zeit, dass die Worte erklangen, mit der ich bei der Göttin Gehör finden wollte. Ich wendete meine Handflächen gen Himmel und intonierte, laut und deutlich:



    „Oh heilige Fortuna! Du großartige Mutter des Schicksals! Du weiseste Beherrscherin der Himmelsgaben die des Menschen Geschicke lenken! Oh Fortuna, die du stets Gelingen und Versagen in deinen formgebenden Händen hälst! Ich, Cnaeus Casca, aus dem Haus der Decimer rufe dich an! Fortuna Redux, die du mir erlaubtest unversehrt zu reisen und stets wohlbehalten zurück zu kehren und mir Fabrikationsstätten und helfende Hände gewährtest, höre meine Bitten!


    Stets opferte ich dir was recht war, stets hing ich selig in deinem weise gelenkten Fatum und wandelte treu mit deinen Geschenken.


    Schicksalslenkende, glänzende Fortuna! Schenke mir deine Zustimmung für meine Wege im Cultus Deorum! Lasse meine Schritte nicht abgleiten von den Pfaden der Strebsamkeit! Lasse meine Füße nicht fehl gehen auf dem Weg des Ritus und des Rechts! Ergieße über mich deine wohlwollende Gabe deiner Fortüne und lasse die Menschen streben in meine Tonstrina. Hilf beim Beleben der Lignarius Decima und wende ihr Handwerk zum Erfolg!


    Fortuna! Ich lobe und ich preise dich und dir zu ehren werde ich dir auch stets weiter geben was recht und billig ist!


    Bei den Versprechungen wollte ich nicht zu dick auftragen, immerhin hatte ich nicht unbedingt vor hier und heute zu einem voti damnatus zu werden. Das hätte auch später noch Zeit! Nur ein bisschen Glück! Nur ein klitzekleines bisschen! Neuerlich schöpfte ich nach Atem und spähte unter der Togafalte nach dem Gesicht der Göttin. Wie es zu erwarten war: Keine Regung auf dem in Stein gemeißelten Antlitz. Sie entkam meinen Blicken, als ich mich nun erhob und nach rechts abwendete, als Zeichen dafür, dass ich mein Anliegen vorgebracht und das Gebet beendet hatte. Während ich mich noch herum drehte, fiel mein Blick auf Muckel, der ganz andächtig aussah. Ein Bild, dass ich mir unbedingt merken wollte, denn so sah ich ihn nicht oft.


    Mit Bedacht setzte ich meine Schritte nun hin zum Vorplatz, auf dem das blutige Opfer stattfinden sollte. Die ministri und der popa folgten und so tat es auch mein Sklave. Ebenso begleiteten mich die wonnevollen Klänge, welche die tibicines noch immer hervor brachten.
    Das Lamm hatte man mittels Sticken an die metallenen Ösen am Altar gebunden, was in mich irgendwie beruhigte. Wäre 'Beate' das zu opfernde Tier gewesen, hätte man ihr wohl zusätzlich noch die Sehnen durchtrennen müssen, damit sie ja auch ja ruhig blieb. Sie blieb in meiner Gedankenwelt eben noch immer der wilde Satyr, den man vom Forum Boarium hatte schleifen müssen. Mit meinem kleinen Gefolge schritt ich zum Altar und bezog wie alle anderen auch Aufstellung. Als der Popa uns mit einem weißen, voluminösen Pinsel mit Wasser besprenge, um sicher zu gehen, dass auch alle Anwesenden wirklich rein genug waren, traf ein verirrter aber garstiger Tropfen mein Auge, welches ich sodann für einen Moment zusammenkneifen musste.


    “FAVETE LINGUIS!“, ertönte es dann, während ich dem Drang widerstand, mir mir das Auge zu reiben.


    Ich blinzelte noch, während sich der Priester die Hände reinigte und diese im Anschluss mit dem mallium latum gewissenhaft abtrocknete. So sollte es also beginnen und meine Nervosität steigerte sich noch ein wenig. Nicht auszudenken, wenn Fortuna mein Opfer verschmähen würde. Noch einmal streiften meine Aufmerksamkeit das Opferlamm, welches allerdings noch recht gelassen da stand und den Kopf zu uns gewendet hatte. Es blökte gedämpft und war somit das einzige Wesen, neben den Flötisten, die sich nicht an die geforderte, heilige Stille hielten, während sein Fell nun mit mola salsa bestrichen wurde. Die heilige, von den Vestalinnen verfertigte, salzige Dinkelpaste klebte auch sogleich im sacht gelockten Fell fest und ich trat vor, um dem Tierchen das Halsband abzunehmen. Sodann nahm ich das Opfermesser entgegen und versuchte so würdevoll wie möglich auszusehen. Ich fuhr dem Lamm in einem symbolisch entkleidenden Schnitt über das Köpfchen, passierte seine Schultern, fuhr den Rücken entlang und endete schließlich beim wedelnden Schwänzchen. Als ich dieses erblickte, musste ich wieder an Beate und die Kinder denken, doch letztendlich erweichen tat mich das Lämmlein nicht. Immerhin ging es hier um eine ganze Menge und ich hatte schon recht gesagt, dass ein jedes Tier eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen hatte. Und dieses Tier sollte hinübergleiten in das unirdische Reich und die Fortuna für mich betören! Ich richtete mich wieder auf, nachdem ich ob der geringen Größe des Tieres ein wenig hatte vor neigen müssen und gab das Culter an den Victimarius weiter. Dann tat ich einen Schritt zurück. Oder besser zwei. Immerhin wollte ich meine Toga nicht besudelt wissen, wenn – hoffentlich – das gute Zeichen des reichlich quellenden Lebenssaftes in Erscheinung treten würde.


    Während des letzten Opfergebets, in welchem der Priester Fortuna noch einmal innigst um die Annahme des Opfers bat, atmete ich noch einmal tief durch und trotzte dem heftigen Windstoß, der mich plötzlich rücklings erfasste, mir meine Togafalte bis weit über die Stirn trieb und mir halbwegs die Sicht nahm. Ein böses Omen? Ich hielt den Atem an. Das durfte nicht sein!


    AGONE?“


    Ich legte, um ein wenig besser sehen zu können den Kopf in den Nacken und behielt fürderhin aber meine gestraffte Körperhaltung und den hoffentlichen Eindruck der Pietas - die ein verdecktes Haupt ja mit sich brachte - bei.


    “AGE!“, intonierte ich dafür mit umso mehr Bestimmtheit.


    Der Victimarius führte nun das Tier seiner Bestimmung zu, - das konnte ich gerade noch sehen - indem er ihm gekonnt die Schlagader sauber durchtrennte. Rotes Blut quoll überreichlich aus dem schmalen Hals hervor und ergoss sich auf den steinernen Boden, auf den auch bald das Lamm hin sackte. Ein wenig entspannter fühlte ich mich nun doch, denn immerhin schien es ja, dass die holde Göttin den windbedingten Faux Pas nicht mitbekommen hatte und das Tier tatsächlich würdevoll in den Bereich der Götter schritt. Doch würde Fortuna es auch Willkommen heißen? Noch während man beschäftigt war, das auf den Rücken gewendete Lamm auf seine hoffentlich kerngesunden vitalia hin zu überprüfen, machte ich mir so meine Gedanken. Leber, Galle, Lunge, Bauchfell und Herz fanden ihren Weg in die patera und wurden gewissenhaft auf Runkel und Erhöhungen hin überprüft. Und? Ich wartete gespannt und schaute schon ein wenig ungeduldig zu der gefüllten Opferschale hinüber und zu den Händen, welche die Eingeweide betasteten.


    LITATIO!“


    Fortuna sei langanhaltender Dank! Ich atmete sichtbar auf und lächelte zufrieden, ehe ich dem Popa glücklich entgegen strahlte und die Togafalte sachte zurück schob.


    “Das ist ja noch mal gut gegangen,“ raunte mir Muckel zu und ich musste ihm zustimmen. Hach, ich war erleichtert! Die Reste des Lammes bestimmte ich nun für die Bedürftigen, die eventuell vor dem Tempel schmachteten und verharrte noch einige Momente in zufriedener Andacht, ehe ich mich anschickte mit Muckel und dem nunmehr nicht mehr gebrauchten Halsband den Tempel der Schicksalsgöttin wieder zu verlassen.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!