Ein Anstandsbesuch

  • Wulfried führte den Besuch ins prächtige Tablinum des Hauses, wohl der schönste Raum des Hauses, auch wenn er nur noch selten genutzt wurde. "Bitte warte hier, Herrin. Ich werde nach der Hausherrin schicken.", bat er und schlurfte davon. Unterwegs trug er einem anderen Sklaven auf Erfrischungen herbeizubringen.

  • Ach sieh an! Der alte hat noch eine Tochter? ging es mir durch den Kopf. Mit Sicherheit würde ich jetzt gleich einer tugendhaften Römerin gegenüber stehen. Dem Sklaven folgte ich in die Casa. Es hatte sich so rein gar nichts verändert. Die Wandbilder waren die Alten, die Statuen hatte man nicht mal verrückt. Das ganze Haus wirkte ein wenig staubig und irgendwie altmodisch. Hier fehlte ein frischer Wind, wie ich fand. Aber ich würde mich hüten, mich in Familienangelegenheiten einzumischen. Ich war nur hier, um meinen Verwandten eine Möglichkeit zu bieten, sich von mir los zusagen, bevor ich anfing auf Männerjagd zu gehen und mir einen neuen Liebhaber suchte.


    Im Tablinum sollte ich dann warten. Ich ließ mich auf eine der Klinen nieder, streckte mich ein wenig und ließ mir dann von einem der Sklaven stark verdünnten Wein reichen. In der Zwischenzeit rätselte ich, wie sie wohl sein würde. Sicherlich jung und hübsch, aber auch naiv und zurückhaltend. Eine perfekte kleine Römerin, die einmal später eine perfekte Matrona abgeben würde. Eine junge Frau die man zum Wohle der Familie verheiraten würde. Auch mich hatte man in diese Form gepresst, auf sehr schmerzhafte Weise hatte ich gelernt, dass es eine Frau nicht glücklich machte den Vorstellungen gerecht zu werden. Lieber führte ich mein Leben voller Skandale.

  • Kaum hatte Wulfried den Raum verlassen begann auch schon die große Suche nach der Hausherrin. Von einem Raum zum nächsten durchsuchte er das Haus, rekutierte auf seinem Weg weitere Sklaven für die Suche, doch all seine Mühen nutzen nichts. Die Herrin blieb verschwunden. War sie wohl doch während seines Nickerchens aus dem Haus entflohen? Wahrscheinlich war es, erklärte es doch warum sie wie vom Erdboden verschluckt war.
    Beschämt und mit etwas ausser Puste kehrte Wulfried schließlich zum Besuch zurück, um Meldung zu erstatten.
    "Die Herrin ist derzeit nicht verfügbar.", meldete er pflichtbewusst. "Ihre Nichte ist ebenfalls ausser Haus.", fuhr er fort. Silana, das neuste Mitglied des Haushaltes war oft ausser Haus. Wo, das wusste er nicht. Er war schließlich nur ein Sklave und was ausserhalb des Hauses vor sich ging, das wusste er auch nicht. Es interessierte ihn auch nich. "Im Hause wäre derzeit nur Helvetius Milo aber mit dem wirst du kaum sprechen wollen." Und selbst wenn, dann würde er wohl kaum mit ihr sprechen. Bei Gedanken an den Jungen verfiel er wieder einer eigenartigen Melancholie. Bedauerlich was aus dem Jungen geworden war.

  • Nachdenklich wanderte mein Blick durch den Raum. Der Glanz vergangener Zeiten war nach wie vor zu spüren. Das Tablinum war so eingerichtet, dass es Eindruck machen sollte. Ich hatte das Gefühl, dass die Zeit ein wenig stehen geblieben war. Es hatte sich nichts verändert. Doch auf dem zweiten Blick stellte ich fest, dass ich mich irrte. Die Farbe an den Wänden war frisch, ein zwei Vasen waren ersetzt worden und es gab auch eine neue Büste. Deren strenge Gesichtszüge mich eindringlich zu mustern schienen. Schon beinahe vorwurfsvoll, doch das war nur Einbildung. Unbehaglich wandte ich meinen Blick ab und betrachtete stattdessen die tiefrote Farbe des verdünnten Weines in meinem Becher. War es Absicht, dass man mich so lange warten ließ? Hatte man mich doch nicht vergessen? Wollte man mich daran erinnern, dass ich unwillkommen war und mich aus diesem Grunde schmoren lassen?
    Schließlich tauchte doch wieder einer der Sklaven auf und teilte mir mit, dass anscheinend alle ausgeflogen waren. Beinahe, anscheinend gab es doch noch einen der sich im Haus aufhielt, nur sagte der Name mir nichts. „Ich nehme auch mit Helvetius Milo vorlieb!“ Hätte ich gewusst, dass es dabei um ein Kind handelte, dann hätte ich ihn wohl nicht sprechen wollen. Ich konnte nicht gut mit Kindern.

  • "Wie du wünschst. Ich werde ihn holen.", meinte Wulfried nur, ehe er wieder verschwand um den Jungen zu holen, der sich welch Wunder in seinem Zimmer befand, so wie er es die meiste Zeit des Tages tat.
    Wenig später führte er den Jungen ins Tablinum und zog sich anschließend wieder an seinen Platz an der Tür zurück. Und so befand sich Milo also einmal wieder in einem anderen Zimmer als dem seinen. Er war unglaublich blass geworden, was daran lag, dass er seit Wochen nicht mehr die Sonne gesehen hatte, hatte dunkle Augenringe und seine dunkle Tunika unterstrich seine Blässe nur noch mehr. Er wirkte teilnahmslos und abwesend, wie immer dieser Tage.
    Angefangen hatte alles, als er seine Freundin hatte aufsuchen wollen, das jedoch vereitelt wurde durch eine furchtbare Hexe, die ihm aufgezeigt hatte, wie schändlich er doch für Sabina war. Er war stark verunsichert gewesen und hatte sich von da an von Sabina ferngehalten. Wenig später hatte er einmal wieder seine Mutter besucht, etwas worauf er sich gefreut hatte, doch sein Besuch gestaltete sich anders, als er es sich erhofft hatte. Seine Mutter und er waren sich beinahe schon fremd geworden und er hatte sich bereits am ersten Abend heftig mit ihr gestritten, sodass er tags darauf wieder abreiste. Seine Mutter wollte ihn nicht mehr, genauso wie Sabina. Überall gab es plötzlich anzeichen, dass er ungewollt war. Von diesem Zeitpunkt an hatte er sich nicht mehr mit seinen Freunden getroffen, hatte das Haus nicht mehr verlassen und sein Erzieher musste ihm fortan Privatunterricht geben. Aber seine Flucht vor der Aussenwelt war noch nicht beendet, denn immer öfters zog er sich in sich selbst zurück, wirkte abwesend, teilnahmslos und ab manchmal war er nicht einmal mehr ansprechbar und verließ dann auch nicht einmal mehr sein Zimmer, seine Zufluchtsstätte.
    "Salve.", begrüßte er den Gast, ohne ihn überhaupt eines Blickes zu würdigen. Sein Blick war zu Boden gerichtet. "Ich bin Helvetius Milo.", stellte er sich dann noch vor und setzte sich dem Gast gegenüber und starrte ihn, der eine sie war, mit wässrigen, geröteten Augen an. Er hatte sie noch nie gesehen, aber Wulfrieds Worten nach war sie eine Verwandte. Das alles interessierte ihn allerdings wenig. Er fühlte sich unwohl und wollte sich zurückziehen in sein Zimmer.

  • Aviana hatte sich nie großartige Mühe gegeben, sich leise fortzubewegen. Lediglich wenn Stille herrschte, empfand sie diese als etwas Heiliges. Sie stolperte nicht gerne laut in diese hinein. Es war als würde sie etwas stören, das nicht gestört werden wollte.
    Die letzten Wochen waren sehr anstrengend gewesen. Sie hatte es vermieden, Tarasios vor anderen vor die Füße zu treten. Angst, sich zu verraten hatte von ihrem Herzen Besitz ergriffen. Sie war zunehmend nervöser geworden, was irgendwann zu einer leichten Eskalation geführt hatte, die sie freilich nicht nach außen getragen hatte. Aber sie hatte sich unendlich müde und hilflos gefehlt. Ihre Situation durfte niemand, wirklich und wahrhaftig niemand erfahren. Aber sie selbst schaffte es kaum noch diese Last mit sich herumzuschleppen.
    Wie auch immer, sie hatte sich kurzweilig stark zurückgezogen und verbrachte viel Zeit vor den Mauern Roms und wanderte umher. Auch hatte sie die Götter oft besucht, still betend und denkend unter ihren gestrengen Augen ausgeharrt. Aber eine richtige Lösung hatte sich nicht aufgetan.
    Das Tablinum war nahe des Eingangs. Als Aviana also wieder in die heimische Villa kam, entging es ihr nicht, dass der Sklave umherwuselte und nicht an seinem Posten saß. Besuch? Besuch für ihren Vater? Als sie dann einen niedergeschlagenen Milo herannahen sah, war ihr klar, dass der Besuch nicht für ihren Vater war. Aber wohl auch nicht für Milo. Hastige Schritte folgten dem Jungen ins Tablinum und sie baute sich freundlich lächelnd hinter ihm auf, um die Unbekannte souverän zu begrüßen.
    >Salve! Ich bin Helvetia Aviana, kann ich helfen?< nahm sie dem Jungen das Szepter aus der Hand. Sie traute ihm ohne weiteres ernsthaftere Gespräche zu, er war seinem Alter weit voraus. Und er wirkte völlig niedergeschlagen. Zwar sah sie seine Augen nicht, aber seine Körperhaltung sprach bände. Und sofort regte sich grauenhaft schlechtes Gewissen in ihr. Sie musste sich den Jungen unbedingt schnappen und mit ihm sprechen.

  • Der Sklave huschte wieder davon und ich lehnte mich wieder auf der Kline zurück. Es war unheimlich, dass dieses Haus so verlassen war. Früher war das anders gewesen, da hatte hier Leben geherrscht. Ein Seufzen entfloh meinen Lippen. Es war lange her. Aber es war auch mein Glück, dass anscheinend sich niemand an meiner erinnerte. Mein Name hatte mir Tür und Tor geöffnet, aber ich wäre nicht so dreist direkt hier einzuziehen… obwohl es doch irgendwie verlockend war. Einfach gegen den Willen der Familienoberhäupter hier wieder zu Leben und Teil der Gens sein. Es bereitete mir eine gewisse Genugtuung, mich ihnen zu wiedersetzen. Der Sklave, der mir auch bereits die Erfrischung gebracht hatte, starrte mich unverhohlen an, während ich mich genussvoll räkelte und darauf wartete, dass endlich mal irgendeiner auftauchte. Ich war ein wenig gelangweilt.
    Leise Schritte kündigten dann auch endlich an, dass jemand bereit war mich zu empfange. Ich setzte mich halb auf und war nun gespannt, wen ich denn da kennen lernen würde.
    Unmerklich zuckte ich zusammen. Ja wunderbar, das war ein Kind. Eines das obendrein auch noch aussah wie ein unheimliches Gespenst. Hatte man den Knaben etwa absichtlich eingesperrt? War er vielleicht verrückt? Eine Gefahr für seine Mitmenschen, weshalb man ihn nicht hinaus ließ und vielleicht sogar anbinden musste. Meinen Schreck über dieses Aufeinander treffen verbarg ich hinter einem Lächeln. „Salve, junger Mann“, grüßte ich zurück und fragte mich, wie ich mit dem Jungen umgehen sollte. Ich konnte nicht gut mit Kindern. Kinder, augenscheinlich auch noch etwas kränklich und geistig verwirrt waren, verunsicherten mich. Sollte ich womöglich ganz langsam sprechen, damit er mich verstand? Ein kalter unangenehmer Schauder lief mir über den Rücken.
    Zu meiner großen Erleichterung tauchte dann doch noch ein Verwandter auf, der mich davon erlöste mich mit dem Jungen zu beschäftigen. Auch die junge Frau grüßte ich mit einem Lächeln. „Salve, ich bin Helvetia Phoebe“, stellte ich mich vor. Ich suchte ihr Gesicht nach einer Regung ab. Dem Aufblitzen von Erkenntnis, schließlich war ich offiziell nicht mehr im Haus der Gens willkommen. „Ich bin gerade angekommen. Die letzten Jahre hab ich in Alexandrien verbracht und ich dachte mir, der Höflichkeit wegen, sollte ich einmal meinen Verwandten einen Besuch abstatten.“ Nun war ich gespannt, ob der anderen Helvetia mein Name geläufig war.

  • Er merkte nicht einmal, dass seine Tante ebenfalls den Raum betreten hatte, er hatte nicht einmal bemerkt, dass sie überhaupt gesprochen hatte. Es war, als würde alles um ihn herum geschehen, ohne dass er etwas davon mitbekam. Die Anderen wollten ihn nicht teilhaben lassen am Leben. Das war befremdlich und unangenehm. Wie immer in solchen Momenten kapselte er sich ab und zog sich zurück in seine Welt. Die Welt seiner Gedanken, der Leugnung und Verzerrung, die heile Welt, in der alles gut war.
    Milos Blick blieb am Gast haften, als erin seine Welt versank und komplett wegtrat. Sein Bewusstsein und sein Erleben schalteten ab, sein Blick wurde leer, blieb aber weiter auf den Gast gerichtet. Urplötzlich aber, wie eine Naturgewalt, schreckte er hoch und sprang auf, als wäre er von etwas gestochen worden. Verwirrt blickte er sich um, ehe er langsam in Richtung Tür wankte. "Ich habe den Hund vergessen... Ich muss meinen Hund füttern... Nein, er darf mich nicht auch noch hassen... Ich darf ihn nicht verlieren.", murmelte er ganz leise zu sich selbst. Urplötzlich war ih eingefallen, dass er noch gar nicht den Hund gefüttert hatte, das aber noch tun musste. In diesem Sinne verließ er nun auch den Raum, nur um später festzustellen, dass der Hund schon gefüttert wurde. Später fiel ihm dann auch ein, dass er es gewesen war, der den Hund gefüttert hatte. Das hatte er wohl vergessen, aber es hatte ihn zurück in sein Zimmer geführt, seinen Zufluchtsort wo er sich wohl fühlte. Ausserhalb der Zimmertür war ihm das Leben nicht mehr geheuer. Überall waren nur Menschen, die ihn nicht leiden konnten, die ihn nicht wollten und denen er schadete.

  • In Avianas Gesicht spiegelte sich keine Erkenntnis. Ihre linke Augenbraue hatte sich um einen kleinen Satz angehoben, der dezente Verblüffung verheißen sollte. Sie hatte eine erneute Helvetia vor sich, von der sie noch niemals etwas gehört hatte. Aber das war nicht verwunderlich, denn ihr Vater sprach nicht viel von der Familie, kannte ja nicht einmal jedes einzelne Mitglied. Und sonst war sie am längsten in diesem Haus verweilt, von allen, die heute noch hier sind. Fand sich nun doch allmählich die Familie wieder zusammen? Ein wirklich erfreulicher Gedanke.
    Aber bevor sie sich weiter um die neue Helvetia kümmerte, schenkte sie Milo doch mehr Aufmerksamkeit. Aber andererseits wollte sie vor der doch noch sehr Fremden kein Familiendrama heraufbeschwören. Diese Reife hatte Aviana mittlerweile doch erreicht. Sanft strich sie Milo über den Kopf und flüsterte leise:
    >Ich werde später nach dir sehen.< Phoebe musste den Eindruck haben, ein minderbemitteltes Kind vor sich zu haben. Eines mit seelischer Störung. Gut, diese war bei seinen seltsamen, familiären Verhältnissen vermutlich sogar vorprogrammiert, aber dennoch war er hochintelligent und sehr reif. Sie sah ihm etwas unglücklich nach, als er verschwand. Wenigstens an seinem Hund hing der Junge noch. Wäre Aviana nicht ein so emotionaler Mensch, würde ihre Naivität vermutlich die Sicht auf die Realität versperren. Aber sie war nun einmal sehr emotional und wollte sich um das Kind kümmern.
    Es fiel ihr schwer, Phoebe nun wieder freundlich anzulächeln.
    >Es freut mich sehr, dich kennenzulernen, Phoebe.< begann Aviana, sogleich vertraut zu werden. Sie hatte keinerlei Ahnung, in welchen Bereich der Familie sie ihre Gegenüber einzuordnen hatte, aber sie wollte einen direkten Draht zu ihr aufbauen. Es schien eine reifere und erfahrenere Frau zu sein, aber mehr wusste sie nicht. Das galt es nun alles herauszufinden.
    >Du bist natürlich jederzeit herzlich Willkommen.< floskelte sie weiter und ließ sich ebenfalls auf einer Kline nieder. Innerfamililär nahm Aviana selten von den Korbsesseln gebraucht, wie es sich eigentlich gehören würde. Sie lehnte sich auf ein Kissen und musterte die Frau nun etwas intensiver, hatte sich ihr Hauptaugenmerk eben noch auf Milo gelegt.
    >Was führt dich nach Rom?< erkundigte sich Aviana nun also, um das richtige Gespräch richtig ins Rollen zu bringen.

  • Mein Blick ruhte auf dem Jungen, er war mir unheimlich. Ein unangenehmer Schauer lief mir über den Rücken. Das Beste wäre wohl, wenn man ihn weg sperrte und vor der Welt versteckte. Ein schwachsinniges, vielleicht sogar gefährliches Kind, sollte man geheim halten. Sonst litt der Ruf. Warum nur hatte man den Jungen nicht gleich nach der Geburt ersäuft? Ein schwachsinniges Kind war das Schlimmste was einer Familie passieren konnte. Es wäre eine Gnade wenn man den Jungen im Schlaf erstickte, dann würde er sich nicht quälen müssen. Sein leerer Blick würde mich wohl in meinen Albträumen verfolgen. Erleichtert atmete ich auf, als der Junge den Raum verließ. Mir tat die Mutter leid, es war eine Schmach solch ein Kind zur Welt zu bringen. Es war aber löblich dass Aviana sich dem Kind annahm. Ich hätte den Jungen wohl einfach nur irgendwo eingesperrt. Aus den Augen aus dem Sinn.
    Der Anblick des Jungen hatte mich so verstört, dass ich gar nicht auf die Reaktion geachtet hatte, die mein Name bei der Hausherrin auslöste. Entgegen aller Erwatungen schien sie sich zu freuen. Anscheinend wusste sie nicht mit wem sie es zu tun hatte.
    „Nun… wie soll ich sagen, Alexandrien erschien mir nicht mehr groß genug. Rom hat doch einer weltgewandten Frau mehr zu bieten“, antwortete ich auf ihre Frage. „Es erschreckt mich ein wenig, wie klein die Gens doch geworden ist. Noch vor wenigen Jahren haben viel mehr Verwandte hier gelebt.“ Mein Blick glitt kurz noch einmal zur Tür, fast erwartete ich, dass der Junge wieder dort stand und uns mit leerem Blick beobachtete. So als Sinnbild, wie schlimm es doch um die Gens stand. Eine körperliche Erscheinung des Verfalls. Von dem Glanz und Ruhm vergangener Tage war kaum noch etwas zu spüren.

  • Aviana ahnte freilich nichts von den Gedanken der Phoebe, woher auch. Täte sie es, hätte sie vermutlich entrüstet aufbegehrt, empfand sie doch für ihren Neffen eine tiefe und ehrliche Zuneigung. Aviana hätte Phoebes Standpunkt aber auch widerum nicht nachvollziehen können, denn sie wusste genau, dass der Junge nicht schwachsinnig war. Sie kannte ihn anders.
    >Oh, wirklich? Ich weiß es nicht, ich habe mein Leben in Hispania zugebracht. Geminus ist mein Vater und befand, dass ich dort friedlicher aufwachsen kann.< erzählte Aviana also lächelnd und irgendwo auch rechtfertigend, denn sie kannte wirklich noch fast gar keine Gesichter der Helvetier. Vor Allem keine Geschwister und das verletzte sie irgendwo. Sie wusste, dass da einige waren - und einige von ihnen waren auch schon tot. Sie nippte an ihrem Becher.
    >Hast du vor, länger in Rom zu bleiben oder ist es wirklich nur ein eher kurzer Besuch? Na, ist auch gleich, ich werde dir nachher dein Zimmer herrichten lassen, für die Zeit, die du hier sein wirst.< plauderte Aviana, die ja nun wirklich keine Ahnung hatte, wen sie da vor sich hatte. Mittlerweile traf sie viele Entscheidungen für ihren zurückgezogenen Vater, der ihr da auch völlig vertraute. Nach außen hin blieb er natürlich das Familienoberhaupt. Sie hatten ein inniges Verhältnis aufbauen können, was dieses grenzenlose Vertrauen eben auch rechtfertigen konnte.

  • Ein Mauerblümchen und Landei, das war mein erster Eindruck der derzeitigen Hausherrin. Anscheinend sogar auch noch etwas Weltfremd. Rom war das Zentrum der Welt, wie konnte man davon nicht überzeugt sein? Alexandrien war schön, das Wetter beständig, aber man war abgeschnitten von den wirklich einflussreichen Menschen. „Geminus ist dein Vater? Wie geht es ihm?“ fragte ich mehr aus Höflichkeit, als aus Interesse. Mir war eigentlich herzlich egal wie sein Wohlbefinden war. Irgendwie hatte ich gehofft, es hätte ihn bereits dahin gerafft. Dem war nicht so, aber anscheinend hatte er sich aus der Welt und der Politik zurückgezogen.
    „Ich werde ein wenig bleiben. Mal sehen was sich ergibt. Welche Bekanntschaften man schließen kann…“, erzählte ich ihr von meinen Plänen. Ich ließ aber offen was ich unter Bekanntschaften verstand. Sollte ich das großzügige Angebot annehmen und tatsächlich hier wohnen, anstatt in meinem eigenen kleinen Haus. „Das ist sehr großzügig und ich danke dir, dass du mich so willkommen heißt“, nahm ich das Angebot schließlich an. Wenn ich nicht mehr willkommen war, dann konnte ich immer noch in mein eigenes Haus umziehen. Etwas Gesellschaft würde mir gut tun und ich wäre nicht ganz so allein. "Erzähl mir doch etwas über dich!" forderte ich sie schließlich auf.

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