Die Brücke am Rhenus

  • Mit müden Schritten geht Lucilla schon lange vor der achten Stunde am Rhenus entlang und blickt ohne Ziel auf den Fluss. Sie hat es in der Regia nicht mehr ausgehalten, eingeengt von kalten Mauern, nutzlos und sinnlos herumsitzend, in Erinnerungen und Gedanken versinkend. Sie zieht den dicken Wollstoff ihres Mantels näher an sich heran und schlingt ihre Arme um ihren Körper. Mit der Nachricht von Tertias Tod hat sich die Provinz endlich dahin gewandelt, was alle Welt von ihr erwartet, zu sein.


    Der Bruch ist so hart, wie von Weiß nach Schwarz und doch liegt es nicht an Germania selbst, als mehr an Lucilla. Wo sie hinblickt stehen nur noch dürre, kahle Bäume, deren zitternde Äste mit Frost gespickt sind und deren braune Blätter um sie herum am Boden liegen und langsam vor sich hinfaulen. Der Rhenus glitzert nicht mehr verführerisch in der Sonne, sondern nur noch eisig und beängstigend, als wolle er jeden Augenblick seine gierigen Arme um das nächste Schiff legen, es in seine Fluten hinabziehen und alles Leben was an Bord ist mit sich reißen bis fort in das Land der freien Germanen. Der Himmel ist ein einziges Geschmisch aus grauen und noch graueren Wolken und es scheint Lucilla, als wären bereits Wochen vergangen, seit Juppiter den letzten Sonnenstrahl in diese Welt entlassen hat. Zusätzlich zerrt die eisige Kälte an allem, wie nahe Lucilla auch den Feuerschalen rückt, das Zittern ihres Körpers hört nicht auf.


    Sie sehnt sich zurück nach Rom, in den milden Winter der Hauptstadt, in der das Leben niemals stillsteht, schon gar nicht aufgrund von Jahreszeiten. In Rom bleibt keine Zeit zu Trauern - wie auch, wo es den Klageweibern im Pomerium nichteinmal erlaubt ist zu Weinen - in Rom geht das Leben immer weiter, immer schneller, bis man eines Tages selbst umfällt.


    Sie sehnt sich nach Tarraco, nach dem feinen Sandstrand, der auch im Winter noch warm genug ist, als dass man sich darauf setzen kann und den Blick über das endlose Meer schweifen lassen kann, die Gedanken in die unendliche Ferne schweifend. Nach der Lebendigkeit der hispanischen Stadt, die immer ihre Heimat war und dies immer sein würde, die trotz ihrer Beschaulichkeit es tief in Lucillas Herzen immer mit Rom würde aufnehmen können.


    Sie sehnt sich danach, in die Casa Germanica einzuziehen und endlich ein Leben in halbwegs geordneten Bahnen zu führen. Ungewissheit, dies ist es, was ihr am meisten zu schaffen macht. Sie möchte endlich das Leben einer römischen Frau führen, deren größte Sorge es ist auszuwählen, ob die neuen Vorhänge der Casa in rot oder doch eher in gelb besser zur Farbe der Wände passen.


    Der Gedanke schafft es tatsächlich, Lucilla ein kleines Lächeln abzuringen. Sie kommt sich schon vor wie Großtante Drusilla. Ein tiefes Seufzen macht ihr bewusst, dass, obwohl sie ihr schon recht nahe kommt, sie nicht ihr Schicksal teilen möchte. Drusilla ist die letzte ihrer Familie, ihre Brüder hatte sie schon früh in der Legion verloren, eine Schwester war irgendwo zwischen Tarraco und Rom dem ewigen Meer nicht mehr entkommen, eine andere in jungen Jahren durch Krankheit aus der Welt gewichen. Drusilla hatte ihren ersten Mann erst spät geheiratet, der bald darauf schon wieder gestorben war, vom zweiten wurde sie geschieden, der dritte verstarb nach einigen Jahren und der vierte, der alte Senator, welchen sie momentan an ihrer Seite duldet, ist nicht unbedingt ein Glücksgriff, auch wenn er eine große Villa und eine Menge Sesterzen hat. Doch politischer Einfluss fehlt ihm völlig.


    Lucilla fröstelt und blickt sich nach den Sklaven um, die ihr in wenig Abstand folgen und keinerlei Notiz von ihrer Stimmung nehmen. Sie würde niemals wie Drusilla sein, denn diese hat mit Trauern längst aufgehört. Sie lässt niemanden nahe genug an sich heran, als dass sie bei seinem Ableben um ihn trauern würde. Lucilla hatte es manchmal geschafft, die harte, unnachgiebige Frau zum Lachen zu bringen, doch sie zweifelt nicht daran, dass ihre Großtante eine Nachricht über ihren Tod genauso unberührt aufnehmen würde, wie jede andere auch. Nein, Lucilla würde niemals wie sie werden, denn sie hat das Gefühl, mit jedem Tod in ihrer Familie wird die Trauer nur noch schlimmer.


    Langsam geht Lucilla zurück zur Brücke über den Rhenus. Bald müsste Avarus kommen. Mehr noch als nach allen fernen Orten der Welt sehnt sich sich einfach nur nach der Umarmung seiner starken Arme und danach, ihren Kopf an seine Brust zu legen und die Welt Welt sein zu lassen.

  • In der Ferne läßt sich das zarte Trappeln von etwa drei Pferden ausmachen. Wie die Tage zuvor hatte der Senator sowohl in seiner Behausung viele Bittsteller und Geschäftsleute empfangen, als auch seiner eigentlichen Anwesenheit der Überwachung von Bauarbeiten gefröhnt.


    Als ihn die Tabula erreicht hatte, war es fast schon zu spät noch einmal die Thermen aufzusuchen. Er hatte es trotzdem getan und mehr noch. Eine frische und durchaus ansehnliche Tunika trug er. Dazu ein reichlich bestickter Mantel, der in weiten Schwüngen über dem Rücken des Pferdes hang.


    Hermes hatte soviel Logik erreicht, das jeder sich hätte erreichnen können, das Avarus das Treffen zu Fuß oder in der Sänfte jäh verpasst hätte. Doch auf dem Rücken der Pferde kamen sie, der Senator und die beiden treusten und ergebensten Sklaven Hector und Hermes schnell und vorallem bequem voran.


    Mit einen recht ansehnlichen Ritt erreichten sie die Brücke und nur mit Mühe konnte Medicus seine Angebetete rechtzeitig erkennen. Die Pferde stoppten in ausreichender Weite. Immerhin wußte er von ihrer Annomalie. Er stieg vom Pferd und gab die Zügel dem Hermes.


    Offen waren seine Arme, als er Lucilla erreichte. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, aber er erkannte auch, das es ihr nicht bestens ging. So blieb ihm keine Wahl. Mit seinen Armen umschloss Medicus Lucillas Oberkörper. Die Worte wählte er leise ausgesprochen und warmherzig.


    "Jetzt bin ich ja da... was ist denn geschehen?.... Hmmm?"


    Dabei strich er ihr über den Rücken und ließ nicht ab davon sie festzuhalten.

  • Sehr lange muss Lucilla tatsächlich nicht warten, dann nähern sich schon die Pferde und mit ihnen Avarus. Als er endlich vor ihr steht, schmiegt sich Lucilla an seine Brust und drückt ihn fest, so als wollte sie ihn nie wieder loslassen.


    "Medicus!" Es ist nur eine Mischung zwischen einem Flüstern und einem erstickten Laut, der in ihrer Kehle hängen bleibt, als sie wieder die Trauer überkommt. "Tertia ... sie ..." Tränen kullern über ihre Wangen, ein paar bleiben an Avarus Mantel hängen. "Meine Schwester ... sie ist tot." Ihr Griff um seinen Körper wird noch fester und sie presst die Augen zu, doch ihr Körper bebt unter ihrem Weinen. Trotz der Tatsache, dass sie sich in Avarus Nähe so sicher fühlt, wie sonst kaum irgendwo, gegen das Schicksal und das Ende des Lebens ist auch er nur machtlos.


    Es dauert einige Minuten, bis sie sich langsam wieder beruhigt, bis die Tränen erneut versiegt sind. Sie schnieft, blickt aus geröteten Augen auf zu Avarus und zuckt hilflos mit den Schultern. "In Rom ... Tertia ... sie war doch Vestalin. Sie kann doch nicht einfach ... ich weiß nichteimal weshalb ... wie ... ich war doch hier ... so weit fort ..." Noch immer fassungslos schüttelt sie den Kopf.

  • Er fühlt sich immer so hilflos, wenn die Kralle des Todes eine neue Seele geholt hatte und so schweigt er und streicht ihr weiter über den Körper, durch die Haare und bleibt bei ihr.


    "Es tut mir wirklich leid für dich."


    Er versucht sie mit einem Lächeln aufzumundern. Mittlerweile hatte er die Kälte um ihr und sich herum vergessen.

  • Lucilla schnieft noch einmal. "Ich werde nach Hause reisen." Die Tatsache macht Lucilla noch trauriger, da die Reise so wundervoll begonnen hatte. Doch ihr Ende kann hier nicht mehr so sein, wie es sein sollte. "Diese Provinz, dieses Land, auf einmal scheint es mir nur noch grau und trist. Ich möchte dieses Bild nicht für immer in mir tragen. Ich habe diese Provinz kennen gelernt als ein wunderschönes Fleckchen Erde, farbenprächtig und mit unglaublich netten Einwohnern, ganz anders, als in den Geschichten. Doch mit der Nachricht um Tertias Tod hat die Welt alle Farbe verloren. Ich kann hier nicht mehr bleiben, ich kann hier nicht einfach weiterreisen, als wäre nichts geschehen."


    Sie senkt ihren Blick und lässt ihre Schultern hängen. "Ich möchte nach Hause, nach Rom. Mich in Aufgaben und Arbeit stürzen. Das Leben geht dort weiter ... aber nicht hier. Hier bleibt es stehen, hier vergeht es nur, hier stirbt die Welt. Doch Rom hört niemals auf, Rom lebt immer weiter. Ich habe immer wieder festgestellt, dass es gerade in solchen Situationen besser ist, sich von der Stadt mitreißen zu lassen." Zudem würde sie auf der Reise allein sein können, keine Familie würde von ihr erwarten, ihren Aufenthalt zu genießen, keine Familie würde ihr die Stadt zeigen wollen oder sie zum Abendessen erwarten. Meridius Kälte, als er ihr die Nachricht im Vestibulum mitgeteilt hatte, hatte sie erschreckt. Sie weiß nicht, wie lange er schon vom Tod seiner Schwester weiß, und er zeigt seine Trauer viel weniger, als Lucilla dies tut, doch die Distanz zwischen ihnen hätte in diesem Moment nicht größer sein können.


    "Ich werde dich in Rom erwarten, doch ich kann nicht hier auf dich warten. Ich kann nicht hier warten, dass der Schnee kommt und dass die Flüsse zufrieren, denn ich würde nur mit ihnen einfrieren." Sie blickt wieder auf zu Avarus und fühlt sich einfach nur leer, völlig leer. "Vielleicht bringt mich auch die Reise wieder auf andere Gedanken."

  • Nicht nur Lucilla scheint bei ihren Worten zu frieren, auch dem Medicus läuft ein Schauer nach dem Anderen über den Rücken. Er reicht ihr ein Schnupptüschel und spricht leise Silben zu ihr:


    "Ich verstehe dich natürlich. Hoffe das dir die Nähe zu Rom etwas Erleichterung in den Gedanken und deiner Seele bringt. Am Liebsten würde ich mit dir fahren, um bei dir zu sein. Aber wenn ich jetzt reise, wird man mich nie wieder hier oben als Architekt einsetzen."


    Wer weiß, ob er es selbst wollte. Doch mit Germanien verband sich nunmal eine lange Freundschaft.


    "Die Welt der Wälder, Seen, Felder und Flüsse Germaniens läuft uns nicht davon. Im Sommer ist es besonders angenehm. Wenn es uns in den Sinn kommt, reisen wir einfach dann noch einmal her."


    Er hebt sie etwas von sich fort und blickt ihr tief in die Augen.


    "Ich möchte, das du die beiden da Hermes und Hector mitnimmst. Ich wäre einfach beruhigter... Sie können danach zurückkehren, um mich nach Rom zu begleiten."

  • Nur widerwillig lässt sich Lucilla von ihrem Verlobten ein Stück wegschieben. Ihr Blick wandert zu den beiden Sklaven und sie versucht sich in einem Lächeln. "Danke, damit werde ich bestimmt sicher zuhause ankommen. Aber hast du denn dann noch geeignete Sklaven hier? Ich habe ja auch eine kleine Eskorte und natürlich Ambrosius nicht zu vergessen."


    Sie schmiegt sich wieder an seine Brust und seufzt. "Ach, Medicus, ich werde dich vermissen. Ich werde auf dich warten, und dann gehen wir endlich die Hochzeit an, ja?" Aus großen, noch immer geröteten Augen, blickt sie hoffend zu ihm auf. Wenn sie ersteinmal verheiratet sind, dann würde sie ihn sicher nicht mehr so vermissen, zumindest glaubt sie das in ihrer Naivität.

  • "Ja ... ja" Wirklich? Nein Sklaven wurden ihm hier knapp werden die nächsten Wochen, bis die beiden H's zurück waren. Doch er konnte sie nicht alleine mit diesem Weibchen Ambrosius über die Berge schicken. Da waren zwei stramme Burschen, die auch ein Schwert zu gebrauchen wußten besser.


    "Ich werde noch öfter an dich denken, als ich es getan habe wo du hier und ich in Rom war. Da reist man nach Germanien, um dich dann doch wieder an einen anderen Ort zu verlieren. Die Götter stellen uns auf eine harte Probe nach der Anderen."


    Er genoss ihre Nähe. Eigentlich wollte er nichts weiter sagen, denn sie verstanden sich auch so. Aber Lucilla kam darauf zu sprechen, was Medicus sooooo wichtig war.


    "Wir werden heiraten, so bald wie möglich. Die Zeit der Einsamkeit soll der Zeit der Geselligkeit weichen. Wenn es dir danach ist, könntest du schon den einen oder anderen Vorbereitungstakt schlagen."


    Er lächelt unverblühmt und verliebt. Nur zu gern wäre er mit ihr sofort nach Rom zurück gereist.

  • Noch einmal drückt sich Lucilla an ihn und lächelt, wenigstens für einige Augenblick kann sie glücklich sein. Sie braucht nichts weiter zu sagen, sie verstehen sich auch so. So stehen sie ein paar Herzschläge einfach nur da, umschlungen in der Kälte und doch die Kälte nicht spürend.


    Dann nickt sie leicht. "Das werde ich und ganz sicher wird uns das neue Jahr Glück bringen." Nocheinmal drückt sie Avarus und will eigentlich nicht von ihm lassen. Doch langsam spürt sie ihre Füße, oder besser, sie spürt sie vor Kälte bald nicht mehr.
    "Ich werde schon morgen aufbrechen. Wenn ich in Rom angekommen bin, schreibe ich dir sofort einen Brief. Vielleicht auch schon aus Massilia, damit du weißt, dass ich gut durch Gallien gekommen bin."

  • Seine Gedanken sind schon in Rom. Er hofft darauf, das sie gut über die Berge kommt und sicher den Rubicon überquert. Das die Möglichkeit besteht, wird Hermes und Hector realisieren. Denen der Senator in diesem Moment zunickt. Sie kommen näher. Er gibt ihnen die Befehle und sie nicken beflissen. Heute werden sie ihren Herren noch zurück in die Herberge begleiten. Morgen seine Verlobte zu Ross als Eskorte dienen.


    "Ich versuche mich zu beeilen." Wenn das nur so einfach wäre. "Wenn du Hilfe in Rom benötigst, wende dich an meinen Sohn Sebastianus. Er wird dir jene bis zu mener Rückkehr gewehren."


    Noch einmal drückt Germanicus Avarus Lucilla fest an sich. Doch auch er spürt die eisige Fußkälte und zieht schon seit einiger Zeit die Zehen an, um sie wenig später wieder auszustrecken.


    Er wird den ersten Abschiedsschritt nicht machen... 8)

  • Dankbar nickt Lucilla. Womöglich wird sie diese Hilfe tatsächlich in Anspruch nehmen müssen, denn von ihren eigenen Verwandten ist kein einziger mehr in Rom und Großtante Drusilla möchte sie nur im Notfall belästigen. Natürlich gibt es auch noch Hungi, wenn sie irgendwelche Schwierigkeiten haben würde, dann wäre er wohl der erste, den sie aufsuchen würde. Doch je mehr Sicherheiten sie hinter sich hat, desto einfacher wird alles.


    "Ich komme schon zurecht." flüstert sie. "Das bin ich doch immer." Sie streckt sich noch einmal und haucht ihm einen Kuss auf die Lippen, der schließlich über einen Hauch hinaus wächst und doch etwas länger dauert. Dann seufzt sie und nickt bestätigend. "Ich sollte gehen. Wir sehen uns in Rom." Sie streicht ihm noch einmal über die Wange und wendet sich dann um, um zur Regia zurückzukehren.

  • Diese vielen Abschiede machen auch dem Senator Germanicus Avarus zu schaffen. Doch erst als Lucilla außer Hörreichweite ist, entläßt er seiner Seele einen tiefen Seufzer. Die Situation ist schon schwer genug für sie, da tut es Not ihr nicht auch noch seine Gefühlsregungen aufzuladen.


    So blickt er ihr regungslos nach und haucht einige Wölkchen in die kalte germanische Luft. Später begibt er sich auf den Rückweg, wobei er seinen beiden Sklaven die Wichtigkeit ihrer Eskorte einschärft.

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