Gästezimmer - Marcus Achilleos

  • Mit der Dunkelheit der Nacht kam auch langsam etwas kühlere Luft in das Zimmer. Die Mücken an der Decke waren irgendwie störend, aber dafür war das Bett von einem Netz aus feinem Stoff umgeben. Ich würde also in Ruhe schlafen können. Doch zunächst packte ich meine restlichen Sachen aus dem Reisebeutel. Ein seidenes Gewand, eine weitere Hose aus weißem Stoff, zwei weitere Hemden aus demselben Stoff und noch ein paar weißer Stoffschuhe. Und mein Jian, das viel mehr war als eine Waffe. Es war ein Teil meiner selbst und das Symbol für meinen Beamtenstatus in Han, der nie aufgehoben wurde. Da erblickte ich auch die Schriftrolle, auf deren Papier der Befehl geschrieben war, der mir wohl das Leben gerettet hatte. Ein Gefallen meines Gönners in Han. Zixi De, das war mein Name in Han und bedeutet in etwa der Rechtschaffende aus dem Westen, wurde im Namen des Sohns des Himmels befohlen, in seine Heimat ins Exil zu gehen, bis er andere Befehle erhalten würde. Also war ich hier. Ich verneigte mich tief vor der Schriftrolle, immerhin waren es ja die Worte eines Stellvertreters meines Kaisers und damit quasi ein kaiserlicher Befehl. Dann legte ichs ie auf den Tisch. Das Kästchen mit Pinseln und Tusche stellte ich davor, damit die Rolle nicht herunter fallen konnte. Ich entledigte mich meiner Schuhe und meines Hemdes und legte mich ins Bett, um kurz darauf einzuschlafen.

  • Am Vormittag war ich beim ersten Sonnenlicht aufgestanden, auch wenn am Vortag das Fest des Alexanders und der Tyche war. Ich hatte keinen Alkohol getrunken, also ging es mir ziemlich gut. Kurz nachdem ich war, gewaschen und angezogen war, hatte ein Matrose bei mir herein geschaut. Er hatte einen Brief meiner Mutter dabei. Wie gut, dass ich tatsächlich eine Unterkunft im Museion erhalten hatte. Schließlich hatte ich meiner Mutter von Caesarea nahe Jerusalem geschrieben. So erreichte mich also ihre Antwort. Und in dem Brief war ein Medaillon. Aber das interessierte mich erstmal nicht.
    Sie hatte mich also schon für tot gehalten. Das wunderte mich nicht, ebenso wenig wie ihre Freude darüber, dass ich noch am leben war. Interessanter waren ie darauf folgenden Zeilen. Sie erzählte mir darin, gemäß meinem Wunsch, einiges über meinen Vater. Leider gehörte sein Tod auch dazu. So würde ich ihn dann wohl auch nicht treffen können, um mich mit ihm zu unterhalten. Dafür gab sie mir einen Namen. Eine gewisse Rediviva Helena könnte mir eventuell weiterhelfen. Ich beschloss, mich an sie zu wenden. Viel mehr für mich Interessantes stand auch nicht im Brief.
    Ich betrachtete das Medaillon. Es zeigte ein Portrait meines Vaters. Ganz so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Auf der Rückseite befand sich sein Familienwappen. Octavia. Auch darum würde ich mich bei Gelegenheit kümmern. Doch zunächst schrieb ich einen Brief und machte mich auf den Weg, um diesen zustellen zu lassen.

  • Nach meinem idiotischen Verhalten am Tor des Königsviertels war ich erstmal zurück zu meinem Zimmer gegangen. Ich kramte in meinen Sachen und holte schließlich ein Sutra hervor. Ich hatte es das letzte Mal in Indien gelesen, doch nun wollte ich mich damit ausführlich beschäftigen. Ich nahm also diesen Text, gürtete mein Schwert um und nahm noch eine verschlossene Tonkanne mit Wasser. So ausgerüstet, verließ ich das Museion und verließ die Stadt, um an der Küste zu meditieren.

  • Vom Sonnentor aus war ich schnurstracks zurück zum Museion gegangen. Hier, in meinem Zimmer, legte ich das Sutra auf den Tisch und stellte das Schwert in eine Ecke. Dann entledigte ich mich meiner Jacke und meines Hemdes und wusch mich, um mich danach neu einzukleiden. Die Kleidung sah aus wie die, die ich zuvor getragen hatte, nur dass sie jetzt sauber war. Danach setzte ich mich an den Tisch und goss mir Wasser aus einer Karaffe aus Ton in einen Becher des gleichen Materials. Das Wasser war zwar lauwarm, aber Hauptsache irgend etwas zu trinken.

  • Mit den acht Legionären kam Vibulanus zu dem Raum des Marcus Achilleos. Gracchus hatte ihn recht schnell gefunden. Er wies die Männer an neben der Eingangstür in Stellung zu gehen und klopfte selbst an der Tür. Die Männer würden vieleicht garnicht gebraucht, werden doch man wusste ja nie.

  • Mit einem kurzen Fingerzeig wies Vibulanus die Männer an abzuwarten. Dann trat er ein.


    >Salve Marcus Achilleos. Ich bin der Centurio Quintus Fabius Vibulanus und wegen deiner Geschichte über den römsichen Gefangenen in Parthia hier. Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du mir alles erzählst, was du darüber weißt.<

  • Ich verneigte mich.


    "Centurio, sei willkommen. Bitte, setze dich doch."


    Ich wies auf den Stuhl - womit ich natürlich keinen Stuhl mehr zur Verfügung hatte.


    "Ich würde dir ja gerne etwas anderes anderes zu trinken anbieten, aber ich habe nur Posca. Möchtest du einen Becher?"


    Ich ging zum Tisch und drehte einen Tonbecher um und nahm die Kanne mit dem Posca.


    "Ich hoffe, dass du etwas Zeit mitgebracht hast, Centurio. Es gibt viel zu erzählen. Ich möchte aber zunächst, dass du verstehst, warum ich die Informationen so bereitwillig gebe. Ich tue das nicht für mich oder für dich oder für den Römer, der dort gefangen gehalten wird. Ich tue das auch nicht für Rom. Ich tue das, um die Harmonie des Himmels und der Erde zu verbessern. Denn wenn man einen Offizier öffentlich auspeitscht, dann behandelt man ihn ungerecht. Das stört die Harmonie. Ich helfe, weil es das Richtige ist, weil meine philosophische Überzeugung mir gar keine andere Wahl lässt."

  • Ich nahm also den Becher für mich und füllte ihn mit Posca. Dann setzte ich mich auf den Boden, etwa zwei Schritt vom Centurio entfernt. So musste ich meinen Kopf nicht allzu weit heben und er brauchte nicht dauernd zu mir hochsehen, wenn ich mit ihm sprach.


    "Gut. reden wir über den Gefangenen. Da ich eventuell Dige als unwichtig erachte, die doch wichtig sein könnten, bitte ich dich, gegebenenfalls nachzufragen. Du machst dir ja Notizen, dann fällt das Alles sicher leichter. Falls die Wachstafel nicht genügend Platz bietet, kannst du auch gerne etwas Papyrus und eine Feder haben."


    Nachdem der Höflichkeit nun genüge getan war, schloss ich kurz meine Augen, um die Erinnerung an Assur wieder voll in mein gedächtnis zu bringen.


    "Als ich durch Assur reiste, war ich in einer Herberge im Norden, nahe der Agora, untergebracht. Der Wirt war ein typischer Parther, würde ich sagen, also kein Grieche oder Araber oder sonstwie Zugewanderter. Nach meiner ersten Übernachtung fragte er mich beim Frühstück, ob ich mir auch die Vorführung des römischen Gefangenen ansehen wollte. Da ich so etwas für unwürdig halte, verneinte ich das und ich sah es mir auch wirklich nicht an. Allerdings erfuhr ich sowohl in den Straßen als auch am Abend in der Herberge einiges. Die Leute unterhielten sich und da hört man halt hin. Schließlich bin ich ja durchaus etwas neugierig. Leider spreche ich kein besonders gutes Parthisch, so dass ich nicht alles verstanden habe. Ich denke aber, dass ich insgesamt alles richtig zu einem Gesamtbild ergänzen konnte.
    Der Shah-in-Shah nannte den Gefangenen wohl die "Die rechte Hand des Imperators". Meiner Meinung nach war das eine Übertreibung, denn Parther neigen ganz allgemein zur Übertreibung. Allerdings wird die Übertreibung nicht so groß sein, dass es sich nur um einen einfachen Soldaten handelt. Ich persönlich gehe von einem Offizier aus, wahrscheinlich ein Stabsoffizier, maximal aber ein Legionskommandant. Einen Namen hatte entweder der Shah-in-Shah nicht genannt oder niemand konnte sich daran erinnern. Auch hier bleibt mir nur die persönliche Meinung, dass der Name nicht genannt wurde, damit das Volk kein Mitleid hat. Wenn ich einen Titel nenne, dann quäle ich ein Amt, etwas Abstraktes, doch wenn ich einen Namen nenne, dann quäle ich einen Menschen.
    Der Gefangene wurde dann meines Wissens öffentlich bewusstlos gepeitscht. Das ist ein solcher Akt der Barbarei, dass ich froh bin, es mir nicht angesehen zu haben. Möglicherweise hat der Shah-in-Shah damit übertrieben. Zumindest habe ich in der Bevölkerung eine Abnahme der Feindseligkeit gegen den Gefangenen bemerkt, wenn ich die Stimmung vor und nach der Bestrafung vergleiche. Sicherlich hat auch die Tapferkeit des Gefangenen ihren Beitrag dazu geleistet, weil er nach übereinstimmenden Aussagen nicht geschrien hat."


    Ich nahm einen Schluck Posca.


    "Gibt es dazu noch weitere Fragen? Wenn nicht, dann würde ich als nächstes gerne ein paar Aussagen zu Assur machen und zu möglichen Orten, wo der Römer gefangen halten wird."

  • Die Tür war zwar geschlossen, doch nicht sonderlich dick und so positionierte ich mich neben der Tür.
    Ich lehnte dabei gegen die Wand und versuchte unauffällig etwas mitzubekommen, während die anderen Frumentarii den Gang absicherten und so nichts von meiner Aktion nitbekamen.
    Schließlich wollte man ja wissen, weshalb man sich die Mühe der Überwachung überaupt gemacht hatte und außerdem schien Vibulanus es nicht für nötig zu halten uns weiter zu informieren, was mich natürlich neugierig machte.

  • >Sprich nur weiter. Wenn ich eine Frage habe, werde ich sie schon stellen.<


    sagte Vibulanus freundlich und notierte alles auf seiner Wachstafel mit. Er hatte früher schon viel schreiben müssen, weshalb er recht gut mitkam. Seine Schrift war inzwischen auch viel sauberer als früher. Aber die Hülle und Fülle an Informationen war ihm doch etwas verdächtig. Vieleicht war der Fremde doch ein Spion der einen römischen Rettungstrupp in die Falle locken sollte! Doch Vibulanus beschloss erst später darüber nachzudenken.

  • "Gut. Kommen wir zu Assur. Die Stadt selbst ist gut befestigt. An allen Seiten ist sie von einer Stadtmauer umgeben, im Osten zusätzlich vom Tigris. Dort gibt es auch eine Brücke über den Tigris, die durch eines der Stadttore führt. An den Stadttoren habe ich jeweils zwei Wachen außen vor dem Tor, zwei innen und zwei auf dem Tor gesehen. Außerdem auf jedem Turm zwei Stück und auf den Mauern dazwischen zwei, die patroullierten. Im Norden steht eine Agora, im Süden der Palast des Shah-in-Shah. Dazwischen liegt der große Marktplatz. Es gibt noch einen Nebenmarkt im Norden. Im Osten steht ein Kerker. Die Bevölkerung besteht vor allem aus Parthern, aber auch aus Arabern und einigen wenigen Griechen und Iudäern. Über das Stadtgebiet verteilt liegen etliche Tempel, nicht nur für den Gott der Parther sondern auch für andere Kulte.
    Auf dem großen Marktplatz fand die Auspeitschung des Gefangenen statt, so weit ich weiß. Über die Stärke der Bewachung der Stadt kann ich nicht viel sagen, allerdings gehe ich davon aus, dass allein die Wache des Palastes mindestens 200 Mann ausmacht. Genau sagen kann ich es aber nicht."


    Ich nahm einen Schluck Posca.


    "Das ist soweit alles, was mir einfällt. Ähm, warte mal, da ist noch etwas. Ich wollte ja noch sagen, wo ich den Gefangenen vermute. Ich denke, dass er in dem Kerker im Osten ist. Von da aus ist die Chance zu fliehen am geringsten. Nach Osten kann er nur die Brücke über den Tigris nehmen und nach den anderen Himmelsrichtungen müsste er durch die gesamte Stadt. Andererseits wäre im Palast am besten bewacht. Kurz gesagt, ich weiß es nicht. Falls du dich jetzt fragst, warum ich auf so viele Details geachtet habe, dann ist die Antwort recht einfach: Ich hatte, nachdem ich davon hörte, wie er behandelt wurde, darüber nachgedacht, ihn da herauszuholen. Nur sprach mehr dagegen als dafür. Ich war allein, also wäre es glatter Selbstmord gewesen. Und damit wäre niemandem geholfen. Ich bin aber, nach allem, was ich gesehen habe, ziemlich sicher, dass es sowieso unmöglich ist, den Gefangenen militärisch zu befreien. Möglicherweise kann man ihn aber durch Verhandlungen befreien."

  • Eifrig schrieb Vibulanus mit. Alles konnte wichtig sein.


    >Und gibt es sonst noch etwas? Etwas das vieleicht einem möglichen Befreiungsversuch noch weiterhelfen könnte?<


    sagte Vibulanus, obwohl er bemerkt hatte, dass der Mann schon einige wichtige Informationen geliefert hatte. Ob sie auch wahr waren, war eine andere Sache.

  • "Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, bei den Stadttoren waren immer zwei Mann draußen und zwei drinnen davor. Aber die Mauern sind auch bewacht. Genaueres kann kann ich nicht sagen. Ich kann nur einen Rat geben: Wenn man versucht, den Gefangenen zu befreien, dann sollte man mehr als ein Ablenkungsmanöver machen. Vielleicht ein Feuer in der einen Ecke der Stadt und einen Aufstand in einer anderen. Oder zwei Feuer. Keine Ahnung, ich war noch nie verrückt genug für so was. Für weitere Informationen müsste man nochmal jemanden dahin schicken."


    Irgendwie würde es mich ja reizen, aber die Wahrscheinlichkeit, so etwas zu überleben war schon ziemlich gering.


    "Allerdings stehe ich dafür nicht zur Verfügung," sagte ich hastig, bevor ich noch so blöd wäre, es vorzuschlagen. [SIZE=7]"Außer man gibt mir einen guten Grund..."[/SIZE] Hoffentlich hatte er das jetzt nicht gehört.


    "Nun, ich hoffe, dass ich weiterhelfen konnte, Centurio."

  • Ich hörte von innen Stühle rücken und eifrige Schritte, sodass ich mich schnell wieder in entsprechende Position brachte, damit der Centurio nicht noch einen Grund finden würde mich blöd anzumachen.
    Ich hatte zwar nicht jedes einzelne Wort verstehen können, doch es genügte, um mir einen groben Umriss der Situation zu machen.

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