Officium | VVV

  • Früher oder später erwischt es jeden, sogar Victor: das Officium. Jahrelang hat er sich dagegen gewehrt, im Tempel des Mars Ultor ist er lieber in die Tempelküche gegangen, als sich ein Officum einzurichten, doch die Septemviri haben keine Küche.


    Mercurinus führt Victor bis zur Tür von Officium DCCCXV, kurz O-DCCCXV. Vic fragt sich, ob es tatsächlich so viele Officien hier gibt, doch die Zahl muss eine andere Bedeutung haben. Mercurinus verabschiedet sich mit einem "Viel Spaß!" und dazu einem breiten Grinsen und lässt Vic alleine vor der Tür stehen.


    "Na dann." Der frischgebackene Septemvir öffnet die Tür und in diesem Augenblick kommt ihm ein muffiger Geruch entgegen. Das ganze Zimmer sieht sauber, aber unberührt aus, so als wäre seit der Schaffung des Collegiums vor dreihundert Jahren hier noch keiner drin gewesen außer zum sauber machen. Victor lässt die Tür offen stehen und legt den Stapel Pergament auf dem Tisch ab. Er schaut sich die leeren Regale an, setzt sich dann hinter den Tisch und kratzt sich am Kopf. "So viel zu lesen..." Natürlich ist es nicht wirklich viel, denn so viel haben die Septemviri wirklich nicht getan in den letzten Monaten. Aber Schriften konnten Vic noch nie in ihren Bann ziehen, vor allem keine, in denen reihenweise Namen aufgelistet werden und die Themen der Besprechungen dann in zwei Sätzen abgehandelt werden.


    Nachdem er fast die Hälfte der Pergamente gelesen hat, legt Vic eine Pause ein und widmet sich angenehmeren Dingen. Er zieht unter dem Stapel, der noch zu lesen ist, eine Acta Diurna hervor und gönnt sich die neuesten Nachrichten aus dem Imperium. Die Religio ist in dieser Ausgabe recht gut vertreten. Der Artikel über die Ludi Florales führt lediglich dazu, dass sich Vics Augenbraue hebt und er den Kopf schüttelt. Sein eigenes Interview liest sich ziemlich merkwürdig, aber es war ihm auch schon ziemlich merkwürdig vorgekommen, die Fragen des Reporters zu beantworten. Sorge dagegen bereitet ihm der Artikel über die Vestalinnen, dieser Sache müsste dringend nachgegangen werden, denn die Vestalia sind auch nicht mehr weit und dann muss der Tempel geöffnet werden. Victor zieht sich eine Wachstafel heran und setzt das auf die Liste der Dinge, die getan werden müssen. Über die übrigen, recht informativen Artikel übersieht er fast den Bericht über die Aufstellung eines Weihesteins in Misenum. Er will schon zum nächsten Beitrag weitergehen, als ihm etwas auffällt. Ungläubig liest er den Satz nochmals, doch es ändert sich nichts daran. Er zieht die Augenbrauen hoch und setzt dies als weiteren Punkt auf die Liste.


    Noch bevor er sich wieder den Aufzeichnungen der Septemviri widmet, schreibt er einen Brief nach Misenum.

  • Auf dem Schreibtisch seines tollen Officiums findet Victor an diesem Morgen den Brief des Duumvirs von Misenum vor. Nachdem er ihn gelesen hat, schüttelt er ungläubig den Kopf. Die Acta Diurna hat also richtig berichtet. Und Imperiosus, der nun Iulianus heißt, war der Übeltäter gewesen. Diese Tatsache stimmt Victor recht wehmütig, immerhin ist Imperiosus sein erster Discipulus gewesen und dieser grobe Fehler zeigt Victor, dass er als Lehrer versagt hat. Zwar ist er sich ganz sicher, dass er seinen Discipuli das niemals so beigebracht hat und im Prinzip sollte man davon ausgehen, dass ein Römer es sowieso weiß, doch anscheinend sollte man es doch nicht.


    Victor setzt also wieder einen Brief auf, dieses Mal einen nach Germania. So etwas dürfte sich nicht noch einmal wiederholen. Nachdem er den Brief einem Scriba in die Hand gedrückt hat, macht er sich zur nächsten Aufgabe auf. Es gilt herauszufinden, wo die Vestalinnen abgeblieben sind und ob das Feuer noch brennt.

  • Dank eines recht hilfreichen Tempeldieners fand die Iulierin endlich das passende Officium - die Gänge waren dann doch etwas verwirrend und irgendwie sahen die meisten auch ziemlich gleich aus. Fast wie in der Curia zu Ostia, in der sie sich auch erst einmal gründlich verlaufen hatte - aber wozu hatte man schließlich einen Mund und konnte unter Zuhilfenahme des gesprochenen Worts nach dem Weg fragen.


    "DCCCXIIV ... DCCCXIV ... ah, das ist es," murmelte sie leise, als sie vor der Tür mit der Aufschrift DCCCXV zum stehen kam und tief einatmete. Es war ihr fast peinlich, hierher gekommen zu sein, aber sie wusste niemanden sonst mit der entsprechenden Erfahrung mit Göttern, den sie hätte fragen können. Vielleicht noch Artoria Hypathia, aber die war selbst noch Lernende und irgendwie hatte sie auch das Gefühl, dass eine Frage über Mars und Venus für eine Iuno-Schülerin vielleicht nicht ganz das geeignete Thema war. Sie blieb einige Momente lang vor der Tür des Officiums stehen, bevor sie die Hand hob und zuerst zaghaft, dann lauter, klopfte. Irgendeine Erklärung musste es für diesen Traum geben, der in den letzten Nächten immer wiedergekehrt war.

  • Victor tigert wie ein Löwe in einem Käfig des Amphithetrum Flavium in seinem Büro hin und her. Er hat eine Wachstafel in der Hand und notiert sich ein paar Gedanken in einer Schrift, die außer ihm später kein Mensch mehr entziffern können würde. Die Enge des Raums und das viele Herumsitzen machen ihm ernsthaft zu schaffen, doch wenigstens an einem Tag in der Woche muss er den Schriftkram machen und den Schreibtisch bewachen. Als es leise an der Tür klopft, fährt er mächtig zusammen. Er dreht sich zur Tür und starrt sie einige Sekunden lang gebannt an. "Ououou."


    Bisher wollte noch nie jemand was von ihm. Keiner der Septemviri interessiert sich dafür, was Vic tut, solange er ihre Arbeit macht. Die Scribae klopfen immer an und kommen dann direkt rein, also ist es schon mal keiner von denen. Er schaut auf den Stuhl hinter seinem Schreibtisch und überlegt sich, ob er sich hinsetzen soll. Wie sah das immer aus, wenn er beim Flamen Martialis war? Soweit sich Victor erinnert, sitzt der immer mächtig thronend hinter seinem Tisch. Wenn er nur wüsste, wer da vor der Tür steht. Auf das erste Klopfen folgt noch ein weiteres, lauteres. Victor legt die Wachstafel kurzerhand auf den Tisch und geht selbst zur Tür. Wenn es jemand ist, den er nicht leien kann, dann könnte er ihn so direkt an der Tür abfertigen.


    Also öffnet Vic die Tür, doch davor steht niemand, den er nicht leiden könnte, sondern Iulia Helena, die wahrscheinlich letzte Person, mit welcher er überhaupt gerechnet hätte. "Ou, hoi... öhm... ich mein, salve!" Sein Blick huscht hinter sie, kann ihren Bruder jedoch nicht entdecken. Vic öffnet die Tür und bittet sie herein. "Was führt dich denn hierher? Brauchst du Hilfe bei deinen nächsten Ludi?" Er grinst hintergründig.

  • Es war wie stets ein Dilemma zwischen ratio und emotio. Einerseits gab es ein ausgesprochen nervöses, aufgeregtes Zucken in ihrem Magen, als er so unvermittelt vor ihr stand. Andererseits sagte ihr Kopf, dass sie doch ohnehin damit hätte rechnen müssen, dass sie ihn antreffen würde, und sich deswegen überhaupt nicht in irgendeiner Weise nervös fühlen musste. Aber wie es immer war, der Kopf wollte anders als der Rest des Körpers, der instinktiv auf die Anwesenheit Victors reagierte. Die Palla so getragen, dass der rötlichblau schimmernde Fleck auf ihrer Stirn verdeckt blieb, lächelte sie ihn für einige Momente lang einfach nur an, als könnte sie damit für eine längere Zeit zufrieden sein.


    "Salve, Valerius Victor," sagte sie dann leise, aber mit einem warmen Unterton im Klang der Stimme. Eigentlich hätte sie so vieles zu sagen gehabt, aber sie wusste so gut wie er, dass manche Dinge einfach nicht in Frage kamen, ausegsprochen zu werden. "Nun, sollte ich irgendwann einmal reich heiraten oder zufällig einen unermesslich vermögenden Onkel meinerseits beerben, dann werde ich Dich sicher wegen Spielen ansprechen, aber derzeit steht das absolut nicht zur Debatte. Ich wünschte, wir hätten so viele Sesterzen zum ausgeben, aber ... das liegt nicht im Bereich des möglichen. Nein, mein Anliegen an Dich ist eher sehr persönlicher Natur."


    Nun war es heraus. Entweder er warf sie gleich wieder heraus oder aber er würde sich etwas Zeit nehmen - der ernst auf ihn gerichtete Blick drückte jedenfalls die Hoffnung auf zweiteres aus. "Es handelt sich um einen sehr verwirrenden Traum, der mich in den letzten Tagen immer wieder heimsucht, und ... ich kenne ausser Dir keinen Priester persönlich, dem ich diesen Traum würde offenbaren wollen."

  • In ihrer Stimme liegt etwas, das Vic erstmal einen Schauer über den Rücken laufen lässt. Er hat das Gefühl, die Kontrolle über die Situation schon verloren zu haben, noch bevor überhaupt irgendeine Situation entsteht. Das Schlimmste ist jedoch, dass er auch über sich die Kontrolle zu verlieren scheint, denn er war sich noch nie so unsicher in Bezug darauf, was er tun soll. Er lacht höflich über ihre Worte zu den Spielen, doch noch schneller vergeht ihm das Lachen, als sie ihr persönliches Anliegen anspricht. Länger als notwendig und länger als für sie beide gut erwiedert er ihren Blick, bis er sich endlich zusammenreißt und auf den Stuhl deutet. "Ja, kein Problem. Setz dich doch erstmal." Er schließt hinter ihr die Tür und geht zu dem Tisch, auf dem Wasser und Wein bereit steht. "Möchtest du etwas trinken?" Noch bevor sie antworten kann steht ein Becher vor ihr und Vic schenkt ihn halb voll Wasser. Auch seinen eigenen Becher schenkt er halb voll und gießt ihn mit Wein auf. Beide Kannen stellt er vor Helena ab und überlässt es ihr selbst, sich Wein zu nehmen, oder auch nicht.


    Er nimmt seinen Becher und umrundet den Tisch. Es fällt ihm absolut nichts mehr ein, um noch länger hinauszuzögern, sich nicht setzen zu müssen. Also setzt er sich, obwohl er das Gefühl hat, wenn er erst mal sitzen würde, dass dann alles vorbei wäre. In diesem Augenblick fällt ihm auf, wie leer und unpersönlich sein Büro immer noch ist. In einem Regal hat er mit einer Opferschale und einer Mars-Statuette einen kleinen Altar aufgebaut, ein paar Schriftrollen und Wachstafeln liegen chaotisch herum, viel mehr gibts nicht.


    "Ein Traum also." Soweit waren sie schon. Vic erinnert sich an den Traum, den er damals bei der Ala gehabt und der ihn in den Tempel des Mars geführt hatte. "Mercurius ist der Gott, der uns die Träume überbringt. Worum... geht es denn in dem Traum genau?" Im Prinzip ist es Victor eher unangenehm, Helena nach ihren Träumen zu fragen, denn er fürchtet sich unbewusst vor ihrer Antwort.

  • Wie er sie anblickte ... wahrscheinlich hätte sie noch einige Stunden so an seiner Tür stehen können, ihn einfach nur in aller Ruhe betrachtend, ohne irgend etwas anderes im Sinn zu haben. War das Liebe? Verliebtheit? Begehren? Oder alles wild durcheinander gemischt? Aber sie stellte sich diese Frage nicht, und sie wollte sie auch nicht beantworten, denn was sie wusste, war etwas ganz anderes: Sie fühlte sich in seiner Gegenwart wohl, weiblicher - wacher, als sei ihr Körper, ihr Geist durch das Wissen seiner Nähe besonders wach geworden, die Sinne dadurch befeuert und beflügelt zugleich. "Ich danke Dir," sagte sie leise und folgte ihm zum Tisch, bevor sie sich langsam auf dem Stuhl niederließ, die Füße sittsam nebeneinander gestellt, damit die Stola so fallen musste, dass man allerhöchstens ihre Zehen würde sehen können. Dass er ihr einen Becher hinstellte, erleichterte sie ungemein, denn jetzt konnte sie sich an etwas festhalten - ähnlich wie bei ihrem Gespräch mit Vinicius Lucianus war es ein seltsamer Trost, zumindest etwas in den Fingern zu haben und nicht dauernd nervös vor sich hin zucken zu müssen.


    Ein kurzer Blick huschte durch den eher karg eingerichteten Raum - sie wusste nicht, was sie eigentlich zu sehen erwartet hatte, erinnerte sie dieses Officium doch eher an den Raum eines Soldaten denn den eines Götterdieners, Titus hatte auch nie allzu viele Sachen in seinem Officium gehabt. Die Marsstatue fing ihren Blick länger als zuvor gedacht, denn eine Erinnerung pochte leise an ihrer Stirn, verlangte nach einer Stimme, sich ausdrücken zu dürfen - aber sie räusperte sich nur und hob den Blick wieder zu Valerius Victor, und wieder suchte ihr Blick den seinen. Niemand sonst war hier und wenigstens diesmal wollte sie ihn ansehen können, solange es möglich war.
    "Es ist ein ... sehr ...hm ... privater Traum," sagte sie schließlich und mit einer gewissen Gezwungenheit, während sich ihre Wangen langsam zu röten begannen und diese Farbe sich auf diesen merklich ausbreitete. "Er handelt von ... ähm ...Dir ... und ..." Eine lange, sehr sehr lange Pause entstand, in der man die Luft in Scheiben hätte schneiden können. "...und mir."


    Dann brach ein Wortschwall aus ihr heraus. "Bitte denke nicht, ich wollte Dir jetzt irgendwelche ... unanständigen Sachen erzählen, denn das ist es wirklich nicht. Ich weiss sehr wohl, wer Du bist und wer ich bin und eigentlich ist das kein Thema für einen Mann wie Dich und jemanden wie mich, aber ... ich kann nicht aufhören, diesen Traum zu träumen, und es ist immer derselbe! Müsste ich ihn malen, dann würde ich inzwischen jedes Detail auswendig kennen, wie ein ewig langes Bild ... und ... ich würde einfach gern wieder einmal aufwachen, ohne schweissgebadet zu sein und mich zu fragen, wieviel davon noch Traum ist und wieviel Wirklichkeit." Sie verstummte, die freie Hand empor gehoben, eine unsichere Geste machend - und wieder suchte ihr Blick den seinen, diesmal allerdings sehr unsicher. Bestimmt hielt er sie nun für wahnsinnig oder für eine Lupa, die sich einem jeden erstbesten an den Hals warf ...

  • Gerade noch kann Victor verhindern, dass ihm die Kinnlade herunterklappt und er Helena mit offenem Mund anstarrt. Nicht nur, dass sie von ihm träumt, nein, sie erzählt es ihm auch noch. Natürlich schmeichelt ihm diese Tatsache ungemein, doch welcher Mann sähe sich nicht in die Defensive gedrängt bei einem weiblichen Angriff dieser Art? Sein Atem geht unmerklich schneller und die Befürchtung, dass er kurz davor steht, etwas Dummes zu tun, so wie damals mit Violentilla und erst vor kurzer Zeit mit Ambrosiana, verdichtet sich immer mehr. Die Tatsache jedoch, dass Helena schweißgebadet aus diesen Träumen aufwacht, führt nur zu noch mehr Unsicherheit in Victor. Er schaut sie eine ganze Weile an, dann fragt er langsam und gedehnt: "Und... was... tun... wir?"


    Er ist sich ziemlich sicher, dass das die falsche Frage ist und es besser wäre, die Antwort nicht zu kennen.

  • Es war die falsche Antwort. Aber, um Valerius Victor eine gewisse Entschuldigung angedeihen zu lassen, spätestens seit dem Eintreten der Iulierin in sein Officium hatte es wohl keine richtige Antwort mehr gegeben. Auch ihr Atem hatte sich nun verschnellert, und sie versuchte, die bloßen Tatsachen des Traums in Worte zu fassen, die nicht zu anstößig und anrüchig klangen - denn immerhin war der Traum ein Traum gewesen, der ihr etwas sagen wollte, davon war sie inzwischen überzeugt. Man träumte nicht mehrere Nächte hintereinander ohne Grund dasselbe. "Es ... nun ..." hob sie an und kapitulierte, einen großen Schluck aus ihrem Wasserbecher nehmend. Alle Ideen für eine Erklärung klangen miteinander sehr schwül und ausgesprochen wenig für Kinderohren geeignet.


    "Es ... ich ... ich glaube, ich erzähle es Dir lieber von ...Anfang an?" Fragend klangen die Worte, aber sie wartete nicht ab, was er dazu sagen würde, denn sie fürchtete, dass der Mut sie verlassen würde, wenn sie jetzt innehielt. "Ich sehe mich in diesem Traum durch einen stillen, aber sehr schönen Garten laufen. Es ist sternklare Nacht, niemand sonst ist dort, und ich gelange an einen See mit einem kleinen Wasserfall, der das Wasser dort hineinführt. Ich ... lege meine Kleidung auf eine Steinbank ab, die am Ufer des Sees unter einem Baum steht und gehe in den See hinein, bis unter den Wasserfall ..." Kurz flog ein prüfender Blick zu ihm hinüber, dann atmete sie leise ein, nahm einen weiteren Schluck Wasser aus dem Becher, die plötzlich ziemlich kratzige Kehle befeuchtend, und fuhr leiser fort: "Ich bleibe dort aber nicht alleine, denn ... Du kommst den Weg entlang, der mich zum See führte. Du siehst mich dort, entkleidest Dich ebenfalls und ..."


    Wieder eine Pause, bevor sie genug Mut geschöpft hatte, den Satz zu vollenden. "...und ...kommst zu mir ins Wasser. Ab da ... bin ich es, und Du bist es auch, aber ... was wir sprechen, während sich ...die Körper umarmen, ist sehr seltsam. Ich denke an meinem hässlichen Gemahl - was nicht stimmt, denn Titus war durchaus gutaussehend - und Dein Gesicht bleibt deines - und gleichzeitig ... es sieht gleichzeitig ganz anders aus. Wie .... er." Damit hob sie die Hand an und deutete auf die kleine Marsstatuette in seinem Büro. "Und immer, wenn sich beide vereinen, erwache ich ..."

  • Victors Augen weiten sich mit jedem Wort ein Stück und müsste man seinen Blick zeichnen, so würde er ein dickes Fragezeichen neben einem noch dickeren Ausrufezeichen abgeben. Allein die gedankliche Vorstellung des Traums, vor allem der Anfang mit der sich entkleidenden Helena, bewirkt, dass sich unter Vics Leibschurz etwas zu regen beginnt. Als sein alter Ego jedoch ins Spiel kommt, führt dies dazu, dass Vic sich entmündigt und in eine Position gedrängt fühlt, die er so nicht selbst herbeigeführt hat. Gegen Ende ihrer Schilderung folgt sein Blick Helenas Hand hin zu Mars und bleibt dort kleben. "Aha." ist alles, was er letztenendes zu sagen weiß. Er schaut die Statuette an, doch Mars bleibt stumm und ist ihm keine Hilfe. Victor nimmt den Becher vor sich und trinkt ihn in einem Zug leer. Er bedauert, die Mischung so schwach gemacht zu haben und greift direkt nach der Weinkanne um den Becher damit nochmal zu füllen. Des Anstands wegen und um Zeit zu schinden, schüttet er noch einen digitus Wasser dazu.


    Schließlich räuspert er sich. Das Beste ist es, die ganze Sache von der rein professionellen Seite aus aufzurollen, immerhin sind sie beide zwei erwachsene Menschen. "Die Götter erscheinen manchmal in seltsamen Gestalten." Er dreht den Becher in seiner Hand und nickt, so als müsste er sich selbst von seinen Worten überzeugen. "Weißt du, ich bin durch einen Traum zum Götterdienst gekommen. Ich war damals bei der Ala, wir hatten eine große Schlacht hinter uns." Die anschließende Siegesfeier mit zahllosen Mädchen und wildem Saufgelage lässt er mal besser aus. "In einem Traum bin ich Mars begegnet, wobei ich am Anfang noch gelgaubt hab, es sei Bacchus." Eine ziemlich peinliche Sache, aber nach ihrem Traum kann sich Vic dieses Geständnis vor ihr locker eingestehen. "Er sagte mir, ich solle in seinen Dienst treten und das hab ich dann auch getan." So einfach war das natürlich alles nicht gewesen, aber diese Aussage ist die Essenz des Entscheidungsprozesses, der damals abgelaufen ist. "Ich habe mir oft überlegt, ob die Freude darüber, die Schlacht überlebt zu haben in Verbindung mit dem vielen Wein mir nich einfach nur die Sinne verdreht hat, aber ich habe niemals bereut, dem Mars gefolgt zu sein und ich bin mir auch heute noch ziemlich sicher, dass er das genau so geplant hatte." Lange Rede, kurzer Sinn. "Wenn du also immer wieder einen Mann in deinen Träumen siehst und denkst, dass dies Mars ist, dann ist das sicher kein Zufall." Es hört sich schon viel besser an, von einem Mann und Mars zu reden, als von sich selbst. "Die Frage bleibt nur, was es bedeutet, dass du und er..." Es will Vic einfach nicht über die Lippen gehen. "Dass du in den Cultus Martialis eintreten sollst, wird es wohl eher nicht sein."

  • Leise atmete sie ein und aus, wohl wissend, wie schnell der Atem ging, dieses Detail kannte sie so gut, als sei kein anderes mehr entscheidend. Sie konnte sich zittern fühlen, jetzt, da alles heraus war, und die über das Gesicht geflutete Hitze schien sie fast zu ersticken, für ihr Gegenüber äusserte sie sich sichtbar in einer ziemlich tiefen Röte ihres Gesichts, die auch unter einem Teil ihrer Palla gut sichtbar war. Als sie endlich wieder genug Kraft gefunden hatte, ihm zu antworten und ihn gleichzeitig dabei anzusehen, flüsterte sie fast nur, die Stimme rauh und belegt klingend.
    "Ich habe über diese Träume immer und immer wieder nachgedacht, ich hatte genug Zeit dazu. Wäre es nur einmal gewesen, dann ... dann hätte ich es vielleicht als eine Folge jenes ... Nachmittags ... auf der Rennbahn gesehen. Ein Wunsch, den man nicht haben darf, der aber zurückgekehrt ist, wenn man sich nicht wehren kann, im Schlaf ..." Sie verstummte und blickte ihn einige Momente lang still an. Auch das war nun gesagt, genauso, wie sein Blick zuvor verraten hatte, was in ihm vorgehen musste. Es war so lächerlich fast, nur ein Schreibtisch trennte zwei Menschen voneinander, die änhlich empfanden und doch saß jeder brav auf seiner Seite, hielt sich an seinem Becher fest und tat nichts.


    "Aber es war eben nicht nur ein Traum. Ich empfand darin ... Schuld, verstehst Du? Als müsste ich jemandem ein schlechtes Gewissen gegenüber haben, aber mein Gemahl ist tot, und das seit zwei Jahren. Ich erinnere mich gerne an ihn, und ich fühle keine Schuld. Das Bild, an das ich mich im Traum erinnere, ist er nicht, sondern das eines anderen ... dieser Traum stimmt einfach nicht, denn ich bin nicht mehr vermählt. Aber im Traum bin ich es, und du bist es nicht. Ich habe mir überlegt, dass es vielleicht nicht auf Mars ankommt." Ein kurzer Blick driftete hinüber zu der kleinen Statue, aber auch ihr wollte diese nicht verraten, ob sie richtig oder falsch lag. "Was soll auch eine Frau im Marskult tun? Das wäre widersinnig, ich bin ja auch keine schwertschwingende Amazone im knappen Lederröckchen oder so etwas." Wieder atmete sie ein, versuchend, sich zu einer etwas langsameren Atemfrequenz zu zwingen. "Was, wenn es dabei nicht um Ihn geht, sondern um .. die Frau? Welche Frau ist denn verheiratet und Mars liegt dennoch bei ihr, sodass sie sich gemeinsam ihrer Lust erfreuen? Ich weiss nicht alles über die Götter, aber da fällt mir eigentlich nur eine ein." Es schien, als sei es in diesem Officium wärmer geworden, seit sie anwesend war, aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein? Dennoch fächelte sie sich schwach mit einer Hand etwas frische Luft zu.

  • Die Röte auf ihren Wangen macht Helena nur noch attraktiver. Gleichzeitig ist Victor erleichtert, dass ihr die ganze Sache wenigstens peinlich ist, andernfalls wäre er nur noch verunsicherter gewesen und hätte sich darüber Gedanken machen müssen, ob sie nicht ganz andere Absichten als die offensichtlichen und hintergründigen verfolgt. Ihre Worte ziehen an ihm vorbei, die Folge jenes Nachmittags und der Wunsch, den man nicht haben darf, und hinterlassen einen merkwürdigen Nachgeschmack. Sein eigener Wunsch, den auch er nicht haben darf, wird ihm um so deutlicher und als hätte sie ihn in seinen eigenen Träumen ertappt, ist er es, der sich schuldig fühlt. Er hält seinen Becher in der Hand, vergisst den fast puren Wein darin, erwidert nur stumm ihren Blick und hört ihrer verzaubernden Stimme zu.


    Als sie endet nimmt er einen tiefen Schluck und spürt, wie der Wein seine Gedanken löst. "Viele Träume verkehren die Welt und deiner mag ein Spiegel sein. Im Traum bist du es, die den Betrug vollzieht, in dieser Welt bin ich es." Über seine Familie spricht Victor selten, doch er glaubt Helena Rechenschaft schuldig zu sein, bevor er sie noch tiefer in etwas hinein zieht, das kein gutes Ende nehmen kann. "Ich habe eine Frau, Helena, und Kinder. Weit fort, in Malaca, doch das macht sie nicht weniger existent. Dieser Nachmittag..." Er dreht unbewusst den Becher zwischen den Händen. Er hatte an jenem Abend noch eine ganze Weile über das Geschehene und über Sevs Worte nachgedacht. "... ich hätte es nicht soweit kommen lassen dürfen. Du bist eine wunderschöne Frau aus einem ehrbaren Haus. Allein dir das Gefühl zu geben, dass mehr zwischen uns sein könnte, als zwischen zwei halb fremden Menschen sein kann, sollte schon strafbar sein." Er atmet tief durch. Nach diesen Worten kann nichts mehr so sein, wie es vorher war, nur so, wie es sein sollte. Trotzdem kommt es Vic so vor, als wäre es so falsch, wie nur irgend etwas sein kann.


    Die aufkommende Stille zerrt an seinen Nerven, der Becher kratzt leise über den Tisch, als er ihn dreht. "Hast du schon einmal..." Victor bricht ab, fährt jedoch nach kurzem Zögern fort. "Hast du schon einmal darüber nachgedacht, in den Dienst der Götter zu treten? Ich denke, ich weiß, worauf du hinaus willst." Venus - in welchen Kult würde sie besser passen, diese Schönheit, die die Männer der Welt, die ihn, fast um den Verstand bringt? "Obwohl dies eine Geschichte aus der Welt der Griechen ist, diese Liebschaft existiert auch in vielen Köpfen der Bürger des Imperiums, fast entgegen der offiziellen Kultgemeinschaft, die damit nicht unbedingt etwas zu tun hat."

  • Seine Worte schmerzten tief in ihr, aber dennoch konnten sie ihr Lächeln nicht zum ersterben bringen, dieses verlegene, gleichzeitig nervöse Lächeln, das so viel mehr sagte als jedes Wort imstande war zu sprechen. Dass sie ihn dabei ansah, machte es nicht leichter, denn sein gebräuntes Gesicht verriet den ebenso tiefen Zwiespalt, den sie fühlte, dieselbe Zurückhaltung, Selbstbeschränkung, die sie sich selbst versuchte aufzuerlegen. Hätte sie nicht ohnehin schon eine sehr deutliche Schwäche ihm gegenüber gehabt, in diesem Moment wäre ihm ihre Zuneigung ungleich mehr zugeflogen - nicht nur wegen des Ausdrucks in seinem Gesicht, auch wegen der bedingungslosen Ehrlichkeit, die er offenbart hatte. Er war also doch verheiratet, damit starb der letzte kleine Fetzen Hoffnung, an den sie sich bis zu diesem Augenblick hatte klammern können - sogar Kinder. Wahrscheinlich liebte er seine Frau sogar, wie hätte sie es ihm denn auch verdenken können. Ein jäher Neid auf diese Frau brandete in ihrem Inneren empor, ließ sie für kurze Momente die Augen schließen, um das Brennen darin zu unterdrücken. Sie hätte in diesem Moment weinen können, einfach nur darum weinen, dass die Dinge so waren, wie sie sich darstellten. Aber es nutzte nichts, keine Träne hätte etwas verändert - also verharrte sie schweigend und versuchte, ruhig zu atmen, bis dieser Reiz abgeflaut war und sie nicht mehr fürchten musste, dass ihre Augen verräterisch glänzen würden, wenn sie ihn ansah.


    "Du bist sehr ehrlich," sagte sie leise und wölbte die Lippen etwas vor, während sie über die nächsten Worte nachdachte. "Und ich kann Dir nur dafür danken, dass Du offen aussprichst, was Dich bindet, ein anderer, wohl schlechterer Mann hätte mich im Ungewissen gelassen und sein Vergnügen gehabt, wenn ihm danach wäre ... aber ..." Damit hob sie den Blick wieder zu ihm, blickte auf seine Finger, die den Becher bewegten, auf seine Lippen, auf denen die Feuchtigkeit des eben getrunkenen Weins noch zu erahnen war, auf seine Augen ... diese ernsten Augen. "... aber es wird nicht verändern, was ich empfinde, was ich mir wünsche. Diesen Gedanken möchte ich mir bewahren, verstehst Du? Auch wenn er ... nicht statthaft ist, auch wenn Du mir wohl nie gehören wirst, wie ich es träumte ... ich möchte diesen Wunsch nicht sterben lassen." Es klang seltsam bestimmt, und sie holte leise Luft, bevor sie den Satz weiterführte. "Ich war sehr jung, als ich verheiratet wurde, ich war eine treue Ehefrau, und neben meinem Mann habe ich zwei Söhne begraben. Ich habe sehr lange um sie getrauert, und war damit zufrieden, mir nichts mehr zu wünschen, mich zu fühlen, als sei alles schon vorüber, als sei ich mit meinem Gemahl gestorben." Diesmal war sie es, die einen Schluck Wein aus ihrem Becher nahm und nicht einmal bemerkte, dass es Wasser war - irgendwie gingen ihre Geschmacksnerven davon aus, Wein zu trinken.


    "Als ich hinter Dir auf diesem Wagen stand, habe ich mich zum ersten Mal seit sehr langer Zeit wieder gefühlt, als würde ich leben," fügte sie leiser an und diesmal gelang es ihr nicht ganz, das Bedürfnis nach Tränen zu unterdrücken. "Du musst Dir nichts vorwerfen, ich bitte Dich. Es war mein Arm, der sich um Dich legte, nicht Deiner um mich, und ... bitte denke nicht schlecht von mir, weil ich für einen Moment gewagt habe zu träumen. Es ist ein wundervoller Traum und ich bin froh darum, dass Du es warst, der ihn weckte ..." Den Blick abwendend, starrte sie an die Wand, der Marsstatue entgegen, die so still und stumm dreinblickte, als sei sie nicht von dieser Welt. "Ich hatte mir vor einer Weile wirklich überlegt, in den Kult der Venus einzutreten, aber ... ich habe es nicht gewagt. Ich habe mich nicht bereit gefühlt ... denn wer tot ist ... kann nicht dieser lebensspendenden, lebensfrohen Göttin dienen. Tot war ..."

  • Es drängt Victor danach, Helena zu berühren, ihre Hand zu fassen, ihr Trost zu spenden für alles, was er ihr angetan hat, für das er nicht unbedingt die Schuld trägt, sich aber trotzdem schuldig fühlt. Doch seine Hände bleiben um den Becher liegen. Er hat Violentilla geliebt, vielleicht liebt er sie immer noch, doch sicher ist er da nicht. Seit über zehn Jahren hat er weder seine Frau, noch die Kinder, derentwegen er hauptsächlich zur Ala gegangen ist, gesehen. Ab und zu kommt ein Brief, meist recht neutral gehalten, und ab und zu schickt er neben dem Geld einen Brief zurück, ebenso neutral. Violentilla hat keinerlei Ambitionen in das große, dreckige Rom zu kommen und er hat keinerlei Ambitionen, zurück in die Provinz zu gehen, und so leben sie beide vor sich hin, verheiratet, aber doch jeder für sich. Bis auf den kleinen Zwischenfall mit Ambrosiana war Victor bisher treu gewesen, zumindest was Bürgerinnen angeht, eine Eigenschaft, die er sich aus seiner einfachen Herkunft bewahrt hat. Ambrosiana war mittlerweile fort, im Zuge des Sacerdotes-nach-Germania-Programms hatte sie sich freiwillig für Treverorum gemeldet, und Victor war wieder zu den Lupae zurückgekehrt.


    "Dieser Gedanke, dieser Wunsch wird dich nur unglücklich machen." Ebenso wie ihn. Wie könnte er ihr ohne ein Gefühl begegenen, wie könnte er ihr im Factiohaus jemals wieder in die Augen sehen, wenn er genau weiß, was zwischen ihnen steht? Viel einfacher wäre es dagegen zu wissen, dass sie einen anderen begehrt. Doch warum sollte er es einfacher haben, als sie? Und warum sollte sie es einfacher haben als er, der ebenfalls weiterhin mit dem Gedanken nur unglücklich sein würde?


    Als er das Schimmern in ihren Augen bemerkt, kommt sich Victor vor, wie ein Verbrecher. Nun greift er doch über den Tisch, der ihm unendlich groß vorkommt, und greift nach ihrer Hand, berührt sie für kurze Zeit, spürt die Wärme ihres Körpers, spürt, wie ihre Hand leicht zittert . Doch das, was er eigentlich sagen will, kommt ihm nicht über die Lippen. Stattdessen zieht er seine Hand wieder zurück und rettet sich auf seine offizielle Position. "Womöglich ist es Zeit für eine Änderung in deinem Leben. Wer wäre geeigneter als Venus, dir den Weg aus der Starre zu zeigen?"

  • Die Finger Victors fühlten sich brennend heiss an, und gleichzeitig wünschte sie sich für diesen Moment nichts anderes, als seine Hand auf der ihren für die nächsten Stunden weiterhin behalten zu dürfen. Es fühlte sich gut an, eigentümlich gut, und auch wenn sie genau wusste, dass das Gesetz solcherlei verbot, dass ihr Wunsch alleine schon nahe an etwas heran kam, was ihr und ihm verboten sein würde, so konnte sie doch nicht aufhören, daran zu denken. Warum gerade er? Hätte es nicht jemand sein können, den sie hätte heiraten können, mit dem sie vielleicht irgendwann gemeinsam gelebt hätte? Aber er war verheiratet, er hatte Kinder - da verließ man seine Gemahlin nicht, auch wenn sie fern von Rom lebte. Warum er? begehrte eine leise Stimme in ihr auf, als sich seine Finger langsam von den ihren entfernten, aber eine andere Stimme sprach: Du kannst es nicht ändern, akzeptiere, wie es ist. So wie sie vieles akzeptiert hatte, akzeptieren musste - Titus' Tod, der Tod beider Söhne, der Tod ihrer Brüder ... ihr Blick glitt zu seiner Hand herunter, sie betrachtete die Finger, die verrieten, dass er zupacken konnte, aber dennoch nicht zu grob wirkten, Finger, die für Zärtlichkeiten und für den rechten Griff zur richtigen Zeit geschaffen schienen.


    "Vielleicht wird er mich unglücklich machen, Valerius Victor, vielleicht auch nicht. Verstehst Du, ich möchte diesen Wunsch nicht sterben lassen, auch wenn er sich vielleicht nie erfüllt. Ihn zu zerstören hieße, alles zu zerstören, was ich als schön empfand, meinen Blick beständig von Dir abzuwenden, Dir in allem fern zu bleiben, und das würde bedeuten, einen Menschen zu verlieren, den ich ... mag. Einen Menschen mit Gewalt aus meinem Leben zu drängen, mit dem ich mich gern unterhalte und mit dem ich gerne lache. Meinst Du nicht, dass es mich noch viel unglücklicher machen würde, einen Menschen allein wegen einer bestehenden Möglichkeit von mir fortzustoßen? Dann dürfte ich irgendwann keinen Mann mehr ansehen, denn er könnte mir ja gefallen, und ich könnte mir wünschen, ihm näher zu kommen als ich darf ... und irgendwann ist mein Leben vorbei und ich habe gelebt, ohne zu leben..." Sie schüttelte langsam den Kopf. "Ich bereue nicht meine Ehe, ich bereue nichts in meiner Vergangenheit. Aber irgendwann ist doch ein Moment gekommen, an dem man sich nicht mehr alles verbieten will ... nicht die Träume. Vielleicht ist verboten, zu tun, woran ich denke, aber ...das denken daran ... kann das verboten sein? Darf es verboten sein?"


    Sie lächelte sinnierend, doch auch mit einem Anflug Melancholie, ihn wieder betrachtend. Wahrscheinlich hätte er gelacht, hätte sie es ihm gesagt, doch in diesem Moment, im gezwungenen Rückzug, wirkte er auf sie edler und römischer als die meisten anderen Männer, die sie jemals kennengelernt hatte. "Venus ist eine launische Herrin, und derzeitig gibt es nicht einmal eine Priesterin in Rom, die Ihre Lehren weitergeben könnte, wenn ich mich nicht irre ..." meinte sie leise. "Ich fürchte mich davor ... diesen Weg zu beginnen und alleine zu sein. Ich glaubte, in Ostia eine Aufgabe gefunden zu haben .."

  • Es würde ihn wahnsinnig machen, dessen war sich Victor sicher. Zu wissen, dass sie ihn begehrt, zu wissen, dass er sie ebenfalls begehrt, doch diesem Begehren nicht nachgeben zu können, das würde ihn um den Verstand bringen. Einige verführerische Sekunden denkt er daran, alles zu ignorieren, wie bei Ambrosiana, dem Begehren nachzugeben. Doch es wäre nicht wie bei Ambrosiana, denn es wäre nicht nach einer Nacht vorbei, sie würden nicht beide nach Hause in ihr Eheleben zurückkehren. Helena hat kein Eheleben, in das sie zurückkehren würde, ihr Begehren würde nicht enden und damit auch nicht das seine. Es muss eine andere Lösung geben, eine rationale Lösung. Er müsste sie davon abbringen, ihn zu begehren. "Es schmeichelt mir, dass du mich magst, Helena, doch uns verbindet nicht viel mehr, als die Fahrt auf einer Quadriga und unsere Factiozugehörigkeit." Er glaubt selbst nicht, was er sagt, doch vielleicht würde sie es tun. "Du kennst mich kaum, ebensowenig wie ich dich. Das, was du von mir kennst, das meiste davon ist nur gezwungen. Ich wurde als Peregrinus geboren und war es mein halbes Leben lang. Das Bürgerrecht habe ich mir bei der Ala erkämpft, damit es meine Kinder später mal einfacher haben. Dieses wunderbare Hochlatein, das ich den lieben langen Tag von mir gebe, hat mir meine Ausbilderin Tiberia Claudia, ihres Zeichens Flaminca Minervae, aufgezwungen. Es mag für den Dienst im Cultus Deorum eine Notwendigkeit sein, doch sobald ich durch die Tür der Casa Valeria gehe, stecke ich es mir dahin, wo die Sonne nie scheint. Ich hasse es, eine Toga zu tragen, und meine Abende verbringe ich am liebsten mit einer Lupa, viel Wein oder einer Räuchermischung, die es in sich hat. Das blaue Auge nach der Fahrt im Circus Maximus, das war kein Unfall, ich habe mich mit meinem Bruder geprügelt, und das ist nicht unbedingt eine Seltenheit. Ich bin wirklich kein Mann, der für eine Iulia gut wäre." Damit ist die Sache dann wohl erledigt. Victor überlegt noch, ein 'Du hast etwas besseres als mich verdient.' hinzuzufügen, aber es widerstrebt ihm, sich ganz so schlecht zu machen, denn eigentlich ist er voll und ganz von sich überzeugt. 8)


    Er holt einmal tief Luft und fährt in perfektem Hochlatein fort. "Wenn du dich in Ostia wohl fühlst, dann solltest du deine Aufgabe dort nicht aufgeben. Vielleicht vergehen die Träume von selbst. Wenn nicht, nun, dann hat es wenig Zweck sich dagegen zu stellen. Allein bist du im Dienst der Götter nie, denn sie sind immer bei dir. Alleingelassen bist du höchstens im Cultus Deorum." Dieses Gefühl kennt Victor nur allzu gut. "Aber ich werde dafür sorgen, dass dir auch das nicht passiert, wenn du dich für diesen Weg entscheidest."

  • Während er sprach, beobachtete sie ihn still dabei, seine Mimik, sein Gestik - und sie war sich fast sicher, warum er all diese Dinge sagte, wieso er so offen und fast harsch sprach, wieso er sich in den dunkelsten Farben ausmalte - nur, um beider Ruf zu schützen. Sie von etwas abzuhalten, das sie wohl beide genießen würden, und gleichzeitig seine Ehe nicht zu brechen. Sie hätte ihn gleichzeitig umarmen und schlagen mögen, aber weder das eine noch das andere standen in irgendeiner Form zur Disposition.


    "Denkst Du, ich habe nicht gesehen, dass ihr euch geprügelt habt? Das hat jeder im Raum gesehen, aber es hat keiner ausgesprochen .. mehr ist das nicht. Ich bin nicht umsonst mit vier Brüdern aufgewachsen und irgendwie scheinen sich Männer immer gern zu prügeln, egal wie alt. Sei es nun mit Fäusten oder mit Worten. Letztendlich waren alle im Raum nur zu höflich, euch beide darauf anzusprechen, aber ich denke, durchschaut hat es jeder. Was alles andere anbelangt ... hatte ich auf dieser Quadriga nicht das Gefühl, hinter einem Mann mit einer Maske vor dem Gesicht zu stehen. Und das ist für mich entscheidender als alles andere. Selbst jetzt benimmst Du Dich noch anständiger als es die meisten anderen tun würden, deren Blutlinie sich länger verfolgen lässt und deren Ahnen sicherlich ehrwürdiger waren ..." Langsam griff sie wieder nach ihrem Becher und nahm einen Schluck daraus, diesmal allerdings merkte sie, dass es sich um Wasser handelte und stellte ihn angewiedert zur Seite. Reiner Schnaps hätte jetzt irgendwie besser gepasst.


    "Un wat meinste, dat man hier inne Stadt labert, wennde auffe Straßen unterwegs bist? Dat se da alle Hochlatein schwafeln?" gab sie schließlich in perfektem Subura-Gossenlatein preis und blickte ihn mit einem verschmitzten Grinsen an. "Ich bin in Rom aufgewachsen und nicht alles, was hier prunkvoll glänzt und prunkt, ist auch wirklich aus Gold. Die meisten Goldstatuen sind aus Holz, der Goldanteil darauf ist verschwindend gering ... meinst Du wirklich, Du könntest mich erschrecken? Ich habe zehn Sommer unter Soldaten gelebt, mit einem Soldaten Bett und Tisch geteilt, der oft genug verletzt und stinkend nach Hause kam. Rom wird nicht von den Männern gemacht, die nicht wissen, was Arbeit bedeutet. Zu den Lupae gehen sie alle, und trinken ... nun ja, es scheint eine römische Tugend zu sein, den Wein und die Feinde zu vernichten, wo sie nur stehen." Sie hob das Kinn etwas an und blickte ihm entgegen, diesmal ein hintergründiges, ausgesprochen lebendiges Funkeln in den Augen. Und sie war ausgesprochen gespannt auf seine Reaktion ...

  • Resignierend lässt Victor die Schultern sinken. Geschlagen von einer Frau, es ist unglaublich. Natürlich liegt es daran, dass er seine eigenen Worte selbst nicht glaubt und Helena im Grunde seines Herzens auch nicht davon überzeugen will, dennoch könnte er dies niemals irgendjemandem erzählen. Vor allem Sev dürfte es nie erfahren, sonst könnte er sich monate-, wenn nicht jahrelang, anhören, dass er sich von jeder Frau um den Finger wickeln lässt. Dies würde dann darauf hinauslaufen, dass Vic Helena nicht als 'jede Frau' bezeichnen lassen würde und in einer Prügelei enden, was am Ende dann wieder jeder wüsste. Er schaut Helena an und in seinem Blick liegt eine Mischung aus Hoffnung und Verzweiflung. Dennoch ringt er sich zu einem schiefen Lächeln durch. "Zum Glück hat mich der Kaiser zum Septemvir gemacht, als Politiker hätt ich wohl gnadenlos versagt."


    Vic schiebt seinen Becher von sich weg und ist unschlüssig, wie es nun weitergehen soll. "Wie soll das nun weitergehen?" Überzeugt von irgendetwas ist er noch lange nicht. Die ganze Sache kann kein gutes Ende nehmen.

  • "Ich weiss es nicht," flüsterte sie leise, wie erschlagen von der Tatsache, dass die Karten nun unwiederbringlich auf dem Tisch liegen. Hatte er wirklich nachgegeben? Oder war er nur dem stillen Ruf in seinem Inneren gefolgt, der sie zum argumentieren gebracht hatte? Still blickte sie ihn an und eine ganze Weile verstrich in einer stummen Betrachtung ihres stattlichen Gegenübers. Er schien so viele Seiten auf einmal zu haben, dass es kaum fassbar war, dass er ein einzelner Mensch sein sollte. "Denkst Du, ich mache so etwas dauernd?" murmelte sie leise und legte die Hände ineinander, die Finger, nun wieder von plötzlicher Nervosität befallen, ineinander hakend. Ja, was sollte denn jetzt kommen? Sie hatte sich das Recht erstritten, ihren kleinen, dummen Traum zu behalten und er wusste davon - was daraus werden würde, ob etwas daraus werden würde, wusste sie nicht einmal selbst. Er war sicher nicht der erste Mann, den sie in ihrem Leben reizvoll gefunden hätte, doch während ihrer Ehe war mehr als Gedanken nie im Bereich des Möglichen gelegen. Nicht zuletzt, weil es ihrem Mann stets gelungen war, ihre Aufmerksamkeit zu fesseln.


    "Vielleicht ähm ... sollten wir einander ein bisschen besser kennenlernen? Wie Freunde? Vorsichtig? Langsam?" Sie legte den Kopf etwas schief und betrachtete ihn sinnierend, jedoch mit einem kaum fassbaren, nervösen Prickeln im Magen. Es schien so seltsam, über die schiere Möglichkeit so nüchtern nachzudenken und gleichzeitig zu wissen, dass im entscheidenden Augenblick alle Worte ohnehin gleichgültig und unwichtig sein würden. Vor allem, weil es alle anderen nicht würden wissen dürfen, kein Wort gesprochen werden dürfte ... es schien, als stünde ihre Welt mit einem Mal Kopf - sie rang kurz die Hände und meinte leise: "Ovid vermag so viele wichtige Dinge zu schreiben, aber darüber hat er keine Zeile verloren ... und lässt einen hilflos zurück."

  • Es ist doch immer das gleiche mit den Weibern. Erst bringen sie einen fast um den Verstand, fahren volle Geschütze auf um ihren Willen durchzusetzen, fahren noch mehr Geschütze auf, bis man endlich aufgibt, und dann wissen sie nichts mit ihrem Sieg anzufangen. Besteht wirklich die Möglichkeit, dass sie zuvor nichteinmal daran gedacht hat, dass es soweit kommen könnte? Vermutlich ist es so, und es bestätigt nur, dass sie in so etwas tatsächlich nicht geübt ist. Victor ewidert ihren Blick und versucht darin zu finden, was sie so anziehend macht. Es ist nicht nur ihr Äußeres, welches sie die meiste Zeit hinter ihrer Palla versteckt. Es ist die forsche Art, wie sie die Dinge angeht, ihr Auftreten im Circus Maximus und nun in seinem Officium, nicht sich billig anbiedernd und auch nicht aus einer thronenden Position herab wie eine Patrizierin, sondern ganz einfach so, wie sie ist, bedingungslos und ohne Fassade.


    "Wie Freunde." echot er langsam nickend und dabei sinnierend, was das bedeuten würde. In Rom gibt es keine Freundschaft zwischen einem Mann und einer Frau, schon gar nicht, wenn nicht beide verheiratet sind. Was sie auch tun, wo sie sich auch treffen würden, früher oder später würde es Gerüchte geben. Natürlich besteht für Victor jederzeit die Möglichkeit, sich bei ernsthaften Absichten von seiner Frau scheiden zu lassen, und eine Iulierin wäre nicht der schlechteste Grund, doch auf diesen Gedanken kommt er nicht einmal. Er hat so viel Zeit so weit weg von Violentilla verbracht, dass ihm diese Art der Ehe schon völlig normal vorkommt und es auch keinen Grund gäbe, dies zu ändern. "Du weißt, welche Konsequenz uns erwartet, wenn es darüber hinausgeht?" Natürlich würde sie es wissen, doch es ist ein lezter verzweifelter Versuch, sie davon abzubringen.

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