Die Familienchronik der Aurelia Sophus

  • Wochenlang hatte ich mich von allem zurückgezogen. Eine Tragödie hatte sich in meiner Gens abgespielt, die mich bis in die Grundfesten erschüttert hatte. Um die Ereignisse zu verarbeiten, griff ich zu einem Pergament und schieb mir alles von der Seele. Daraus entstand die Chronik der Familia Aurelia Sophus.


    Als die Wunden langsam verheilt waren, fasste ich die Geschichte in Versform und übertrug sie auf eine große Wachstafel. Diese brachte ich zum Versiegeln und hängte sie anschließend an geeigneter Stelle in unserer Villa auf – als Überlieferung für sämtliche Nachkommen der Aurelia und als Mahnung für allzu vertrauensselige Bürger.


    Abschließend betrachtete ich die optisch schöne und zugleich – aufgrund ihres Inhaltes – erschreckende, in Wachs verewigte Chronik. Nie wollte ich die aufgezeichnete Geschichte, wohl aber die dafür verantwortlichen Menschen vergessen! Ab heute existierte für mich im gesamten römischen Reich nur noch der Zweig Aurelia Sophus – war er doch der einzig rechtmäßige, aus gesetzlicher Erbfolge resultierende.


    Jeden interessierten Besucher der Villa, dem die hübsche Wachschronik von Weitem ins Auge fallen sollte, würde ich auf Wunsch zu ihr führen, denn eine solche Geschichte durfte nie in Vergessenheit geraten!


    edit: Fettzeichnung. :)

  • Familienchronik der Aurelia Sophus



    In dem großen und reichen Familienstaat mit Namen Aurelia herrschte einst Aurelius Sophus. Die Götter hatten ihn mit Kraft und Führungsstärke gesegnet und so kam es, dass eben jener junge Mann ein guter Herrscher seines Kleinstaates wurde.
    Lange Zeit lebte das Volk der Aurelier in großer Eintracht, Glück und Zufriedenheit, bis eines Tages ein Mann, der sich Commodus nannte, vor Sophus’ Türe stand.


    Gut im Herzen und glaubend, diesen Mann bestens zu kennen, nahm Aurelius Sophus den Waffenbruder und Weggefährten auf – gab ihm einen Namen und eine Bleibe, schenkte ihm Freundschaft und Vertrauen und Commodus blühte auf.


    Doch nicht immer erntet man Dankbarkeit, wenn man Wohlwollen sät, so auch in diesem Fall.




    Zwei Monate gingen ins Land, als die Freundschaft der beiden Männer erstmalig auf dem Prüfstein stand.
    Ein Kurswechsel sollte dem Familienstaat zu noch größerer Blüte verhelfen und Sophus löste ein altes Factioband.
    Da Aurelius Sophus stets auf das Wohl seiner ihm Anvertrauten bedacht,
    folgten ihm alle – ohne zu zögern – allein Commodus verweigerte die Gefolgschaft.
    Er, der sich Freund seit vielen Monaten nannte.
    Ob er wohl den Sinn des Wortes Freundschaft kannte?


    Schweren Herzens und alle Vernunft missachtend gab Sophus, damit Commodus eine Bleibe hatte, ein kleines Stück seines Familienstaates hin.
    Zwei Häuser, gebaut aus dem Blut und dem Schweiß von Sophus’ Ahnen, reichte er dem Freund und Freundesfreund hin.
    In einem Wort, getragen aus Respekt und Vertrauen, schloss er mit Commodus einen Pakt.
    Eins wollten sie bleiben, verbunden durch ihre Namen … und allein die Götter wussten schon hier: Was für ein folgenschwerer Akt!


    Denn allzu oft ruft zu viel Wohlwollen Fehler im menschlichen Charakter hervor.
    Zwei Häuser bereits besitzend, gierte Commodus nach mehr.
    Die Maske der Freundschaft immer vor dem eigentlichen Antlitz tragend, heimste er nach und nach sechs der insgesamt elf Häuser des Familienstaates ein.
    Und noch immer glaubte Aurelius Sophus – der dies wohl sah, aber nie Böses dachte – das kann nur das Handeln eines Freundes sein.


    Als eines Tages sich für ein Haus Commodus’ in Sophus’ Reich ein besserer Platz bot,
    kannten Wut und Gier von Commodus keine Grenzen und er schickte die Freundschaft zu Sophus in den Tod.
    Ungläubig ob der Tatsache, dass es nun nicht mehr gleich erschien, wo ein Familienmitglied stand,
    bot Aurelius Sophus – nicht ohne Vorwurf, aber dennoch – dem einstigen Weggefährten und Waffenbruder seine Hand.


    Doch geblendet von der Macht, vergiftet von der Gier, schlug Commodus die Hand von Sophus aus.
    Freundschaft und Respekt, Großzügigkeit und Achtung findet man nimmer in dessen Haus.
    So zerbricht mit dem Familienstaat Aurelia gleichzeitig Glaube und Vertrauen in ein gegebenes Wort.
    Mögen die Götter sich Commodus nun annehmen und ihn dafür richten an einem anderen Ort!
    Ob seiner Handlungsweise wird er nie als Licht am Sternenhimmel stehn,
    weil dorthin nur die guten und aufrechten Römer gehn.


    Doch der Götter Wege sind verschlungen und das eine oder andere Mal,
    traf deren Strafe den Frevler noch im Diesseits und so kam auch Commodus schon einmal zu Fall.
    Letztlich ist es aber gleich, ob er – wie als Pater Familias der Tiberia – hier noch einmal versagt
    oder ob er letzten Endes in der Unterwelt von den Hekatoncheires gejagt.



    In dem nur noch halb so großen, aber immer noch reichen Familienstaat mit Namen Aurelia Sophus herrscht weiterhin ein Mann, den die Götter mit Kraft und Führungsstärke gesegnet haben.
    Eines Tages wird allein dieser Familienzweig unvermischtes, adeliges Blut aufweisen, denn Weitblick und Klugheit ließen Aurelius Sophus schon immer die Sitten der Vorfahren achten, was man von Commodus nicht behaupten kann.




    Duo cum faciunt idem, non est idem, nam aut regem nasci oportere.
    Wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht dasselbe, denn zum König muss man geboren sein.

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